Sport: Knappe WM-Finals

Sport: Die knappsten WM-Finals Bis zum letzten Gefecht

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Das diesjährige Superbike-WM-Finale hat gezeigt: Das Spannendste sind WM-Titel im allerletzten Rennen. Willkommen zu den -packendsten Finals der letzten 20 Jahre!

Bis zum letzten Gefecht Fotos: Archiv

Kurz vor dem Start des alles entscheidenden, letzten Rennens: Das Herz klopft wie verrückt, die Nerven sind zum Zerreißen gespannt. Nicht nur die Piloten auf ihren Bikes sind nervös. Auch uns Fans flattern gehörig die Nerven, wenn die Zweirad-Giganten zur letzten Attacke blasen und noch einmal alles aus sich und ihrem Bike heraus pressen - es geht um die WM-Krone! Den Fahrern sind weniger aufreibende Finals natürlich lieber. Und auch so mancher Fan hofft, dass sich sein Favorit schon möglichst früh in der Saison die WM sichert. Doch Rad-an-Rad-Fights bis zur letzten Sekunde sind das Salz in der Rennsuppe. Gleiches gilt für unvorhergesehene Wendungen in einem Finallauf, die noch einmal alles auf den Kopf stellen. In den letzten 20 Jahren lieferten die fünf WM-Soloklassen des Straßenrennsports unglaublich spannende Szenen und bescherten den Fans wahre Gänsehaut-Endspurts!
Das waren Zeiten! Helden wie Eddie Lawson, Kevin Schwantz und Wayne Rainey lieferten sich auf ihren mörderischen 500er-Zweitakt-Raketen unvergessliche Fights. In seiner vierten 500er-Saison kam auch ein gewisser Michael "Mick" Doohan immer besser in Fahrt. Er gewann fünf der ersten sieben Rennen und wurde zweimal Zweiter. Alles sah nach einem Durchmarsch des Australiers aus. Doch zur Saisonmitte brach sich Doohan beim Qualifying in Assen Schien- und Wadenbein, musste vier Rennen aussetzen. Auch Rainey schrieb in dieser Saison verletzungsbedingt einige Nuller, konnte aber den Punkterückstand zu Doohan nach und nach abknabbern. Vor dem großen Finale in Kyalami/Südafrika trennten beide nur noch zwei Punkte (Doohan vor Rainey). Im Rennen genügte Rainey ein dritter Platz, da Doohan, noch geschwächt von seiner schweren Verletzung, nur Sechster wurde. Rainey gewann seinen dritten Titel in Folge, Doohan weinte bittere Tränen der Enttäuschung.
Magere 16 Punkte betrug die Ausbeute des jungen Loris Capirossi nach den ersten vier von 14 Rennen. Zum Vergleich: Tetsuya Harada verbuchte nach diesen Läufen satte 95 Zähler auf seinem Konto! Doch zur Saisonmitte schwächelte Harada, während "Capirex" immer fleißig punktete. Beim großen Showdown in Jarama/Spanien lag Capirossi gar zehn Punkte vor dem Japaner. Nach 20 von 27 Runden war Harada Fünfter hinter Capirossi. Als der vor ihnen fahrende Jean-Phillipe Ruggia stürzte, ging Harada an Capirex vorbei. Dann zoomte sich der Japaner an die führenden Loris Reggiani und Max Biaggi heran und schnupfte auch sie auf. Derweil musste Capirossi bei der Verfolgung einmal in den Kies, konnte aber weiterfahren und beendete das Rennen auf Platz fünf. Erst als ihm seine Crew zum Titel gratulierte, realisierte der völlig perplexe Harada, dass er Weltmeister geworden war!
Bereits ein Jahr zuvor hatten sich Max Biaggi und Ralf Waldmann eine spannende Saison geliefert, bei der die Entscheidung auch erst im letzten Rennen gefallen war. Weltmeister damals: Biaggi mit sechs Punkten Vorsprung. Würde es 1997 besser für den Deutschen laufen? Nein, nur knapper! Vor dem letzten Lauf in Phillip Island/Australien lag "Waldi" auf Tabellenrang drei - ein Punkt hinter Harada, sieben hinter Biaggi. Harada kickte sich selbst aus dem WM-Endkampf, weil er sich im Training den Knöchel verletzte und im Rennen wegen starker Schmerzen nur Fünfter wurde. Waldi gewann den letzten Lauf zwar haushoch vor Biaggi. Doch für den Titel hätte sich noch der drittplatzierte Olivier Jacque zwischen ihn und den Römer setzen müssen. Der konnte aber das gnadenlos hohe Tempo nicht mitgehen. Vierter 250er-Titel in Folge für Biaggi!
Vor dem letzten Rennwochenende lag Troy Corser (Ducati) in der WM noch knapp vor Honda-Pilot Aaron Slight und Ducatista Carl Fogarty. Doch Polesetter Corser stürzte beim Warm-up und konnte verletzungsbedingt nicht starten. Im ersten Lauf wurde "King Carl" Dritter, Slight wegen Fahrwerksproblemen nur Siebter. Neuer Tabellenstand: 338,5 zu 337 zugunsten Fogartys. Beim Finallauf fuhr Foggy wegen eines stark vibrierenden Hinterrads nur auf Rang vier. Was ihm aber zum Titel reichte, weil Slight nur Sechster wurde. Foggy im Ziel: "Eine verrückte Saison, unglaublich!"
Vor dem Finale betrug der Punktevorsprung von Emilio Alzamora auf Marco Melandri sechs Zähler. Melandri musste also das Rennen gewinnen und noch einen Gegner zwischen sich und den Spanier bringen. Zwei Kurven vor Rennende führte Alzamora jedoch vor Melandri. Der quetschte sich brutal an Alzamora vorbei und gewann zwar das Rennen. Zum Titel genügte das jedoch nicht, da sich niemand zwischen ihn und Alzamora setzen konnte. Dazu brummte ihm die Rennleitung wegen dieses Manövers eine Geldstrafe auf. Geld futsch, auch der Titel ging mit einem Punkt Vorsprung an Alzamora. Der brachte das Kunststück fertig, ohne einen einzigen Sieg die WM zu gewinnen! Vor ihm gelang das in den Soloklassen in der gesamten Nachkriegszeit nur noch dem Spanier Manuel Herreros, der 1989 den 80er-Titel ebenfalls ohne Sieg eingefahren hat.
Mit zwei Punkten Abstand reisten die Teamkollegen Olivier Jacque und Shinya Nakano zum Finale nach Australien. Zwar lag der Franzose in der Tabelle vorn, doch die Leute setzten ihr Geld lieber
auf den konstanteren Japaner. Der führte tatsächlich bis zur letzten Kurve, "OJ" lag direkt dahinter. Jacque wusste aber, dass er in dieser Ecke stärker war als sein Kontrahent. So setzte sich der ausgebuffte Franzose beim Zielspurt aus dem Windschatten heraus neben Nakano und gewann das Rennen und damit die WM mit der Winzigkeit von 14 Tausendstel Sekunden Vorsprung!
Ein unglaubliches Finale! Nachdem ihn ausgerechnet Teamkollege Christian Kellner beim vorangegangenen Rennen (Oschersleben/D) aus dem Sattel geholt hatte, reiste Jörg Teuchert ohne Erwartungen zum Finallauf nach Brands Hatch/GB. Vor dem Abschuss lag er klar auf WM-Kurs, nun führten seine Rivalen Stéphane Chambon und Paolo Casoli mit 17 respektive sechs Punkten vor dem Deutschen. Als Teuchert beim Qualifying nur auf Platz zehn landete, schwanden selbst die Hoffnungen der größten Optimisten. Doch Chambon musste das Rennen wegen eines technischen Defekts aufgeben. Und Casoli kämpfte auf Position fünf um Anschluss. Kellner lag mit nur minimalen WM-Chancen auf P3
und winkte Teuchert vorbei. Der Franke schnappte noch den auf dem zweiten Platz liegenden Jamie Witham und brannte als Zweiter hinter Karl Muggeridge über die Ziellinie. Da sich Casoli nicht weiter nach vorn arbeiten konnte, ging der Titel doch noch an Teuchert.
Elf Punkte lag Favorit Paolo Casoli vor dem Finallauf in Imola/I vor dem Australier Andrew Pitt. Casoli stand auf dem zweiten Startplatz, Pitt nur auf Position sieben. Eigentlich eine klare Sache für den Italiener. Doch der ging gleich nach dem Start in der ersten Kurve zu Boden, aus die Maus! So genügte dem Aussie ein vierter Platz für die WM. Pitt gewann in dieser Saison kein einziges Rennen. Damit schrieb er sich als dritter Weltmeister ohne Sieg in die Geschichtsbücher.
Rang acht hätte dem Honda-Piloten Fabien Foret beim Finale in Imola/I für die WM-Krone genügt, selbst wenn Hauptkonkurrent Katsuaki Fujiwara (Suzuki) das Rennen gewinnt. Von Startplatz zwei übernahm der Japaner sofort die Führung und ließ sie sich nicht mehr nehmen. Foret hielt sich als Fünfter hinter Stéphane Chambon, Chris Vermeulen und Jamie Witham klug aus den teils gnadenlosen Positionskämpfen heraus. Am Ende belegte Foret den vierten Rang, da Witham disqualifiziert worden war. Nach den Titeln für Suzuki, Yamaha und Kawasaki von 1999 bis 2001 gewann nun auch Honda die Supersport-WM - so ausgeglichen kann Rennsport sein!
Tom Lüthi stand kurz vor dem Titel. Ein 13. Platz im Finallauf hätte dem Schweizer gereicht. Eigentlich ein komfortabler Vorsprung, dennoch ging dem damals 19-Jährigen ganz schön der Stift. "Es ist schwer, wenn du so kalkulieren musst. Es war das längste Rennen meines Lebens", gab er als frischgebackener Champion
zu Protokoll. Hauptgegner Mika Kallio gewann zwar das Rennen, doch Lüthi brauste ungefährdet auf Platz neun.
Vor dem Finale im spanischen Valencia hatten nur noch Valentino Rossi und Nicky Hayden Titelchancen. Da Yamaha-Pilot Rossi mit acht Punkten Vorsprung ins letzte Rennen startete, gab sich "Kentucky Kid" Hayden keinen Illusionen hin. Doch dann lief alles anders. Polesetter Rossi startete schlecht und war im Mittelfeld eingekeilt, während Honda-Treiber Hayden in der Spitzengruppe fightete. Beim Versuch aufzuholen, warf der damals siebenfache Champion Rossi seine Yamaha in den südspanischen Kies. Er rappelte sich zwar noch auf und wurde am Ende 13. Doch Hayden raste als Dritter über die Ziellinie und holte dadurch seinen ersten und bisher einzigen WM-Titel. Gefühle? Siehe Foto links!
Während der ganzen Saison warf der Spanier Héctor Faubel seinem ungarischen Teamkollegen Gábor Talmácsi eine rüde, rücksichtslose Fahrweise vor. Die Feindseligkeit zwischen ihnen brachte zusätzliche Würze ins Spiel. Faubel und Talmácsi lagen punktemäßig immer sehr eng beieinander, teils trennten sie nur zwei Zähler. Vor dem Finale lag "Talma" zehn Punkte vorn. Faubels Strategie: gewinnen und noch zwei Piloten zwischen sich und den Ungarn bringen. Doch obwohl Faubel als Führender versuchte das Tempo zu drosseln, konnten die Gegner nicht aufholen. Talmácsi brannte ungefährdet als Zweiter durchs Ziel - Weltmeister!
Im Sommer schien der Punktevorsprung von James Toseland noch uneinholbar. Doch in den folgenden Rennen patzte der Brite, wodurch ihm die Rivalen Max Biaggi und Noriyuki Haga vor den letzten beiden Läufen in Magny-Cours/F noch einmal gefährlich nahe kamen. Zumal Lorenzo Lanzi den Honda-Piloten Toseland im ersten Umlauf gleich nach dem Start ins Off jagte. Haga gewann diesen Lauf souverän und wahrte so die Chancen auf seine erste WM-Krone. Toseland belegte nach einer fulminanten Aufholjagd vom letzten Platz noch Rang sieben. Biaggi verabschiedete sich mit Platz sechs aus dem Titelrennen. Trotz des erneuten Siegs von Haga in Lauf zwei holte Toseland die WM - Platz sechs genügte dem Briten zum zweiten Titel nach 2004.
Erneut reichte es für Noriyuki "Nitro-Nori" Haga nicht zum Titelgewinn! Bis zu diesem Zeitpunkt war er in der Superbike-WM zwei Mal Vizemeister und vier Mal WM-Dritter. In der Saison 2009 bezwang ihn mit Ben "Elbowz" Spies ausgerechnet ein Rookie. Zwar reiste der Japaner mit einem Zehn-Punkte-Vorsprung zu den letzten beiden Läufen nach Portimão/Portugal. Doch flatterten dem Japaner das ganze Rennwochenende derart die Nerven, dass er sich mit Rang zehn nicht einmal für die letzten Acht der Superpole qualifizierte. Zu allem Überfluss stürzte Haga im ersten Durchlauf, während Polesetter Spies das Rennen gewann. Im zweiten Rennen rollte Spies bequem auf Platz fünf ins Ziel, Haga wurde Zweiter. Titel für Spies.
Max Biaggi kam mit 30,5 Punkten Vorsprung auf Tom Sykes und 38,5 Zählern auf Marco Melandri zum abschließenden Rennen ins französische Magny-Cours. Falls Sykes zweimal gewinnt, musste der Italiener für den Titel nur 20 Punkte in zwei Rennen holen. Wer oder was sollte ihn aufhalten? Doch dann der Sturz in Lauf eins! Biaggi schlidderte mit seiner Aprilia von der nassen Piste, Rennen zu Ende. Seine beiden verbliebenen WM-Konkurrenten erkämpften sich derweil die Plätze zwei und drei und rückten dem Römer damit noch einmal gehörig auf die Pelle. Punkteabstand vor dem letzten Durchlauf: Biaggi 14,5 Zähler vor Sykes und 18,5 vor Melandri. Im Falle eines Siegs von Sykes musste Biaggi nun also mindestens Fünfter werden. Von Startplatz zehn war dieses Unterfangen alles andere als ein Spaziergang. Zumal Kawasaki-Pilot Sykes an diesem Wochenende wieder einmal bärenstark fuhr und auf der Pole Position stand. Und Melandri? Der BMW-Treiber hatte in der zweiten Saisonhälfte gewaltig aufgetrumpft und zeitweise sogar die WM-Tabelle angeführt. Doch nach vier Nullern in vier Rennen besaß er vor dem Finale in Frankreich nur noch theoretische Titelchancen. Nach einem Highsider im zweiten Lauf zerplatzte Melandris WM-Traum dann endgültig. Sykes setzte sich dagegen an die Spitze und verteidigte die Führung mit teils atemberaubenden Manövern. Indessen kämpfte sich Biaggi auf Platz sechs vor, profitierte allerdings auch von einigen Ausfällen. Doch plötzlich verbremste sich der Aprilia-Pilot, was ihn wieder auf Position sieben zurückwarf. Zu dieser Zeit lief alles für den führenden Sykes. Doch nach und nach holte Biaggi auf und erkämpfte sich schließlich noch den fünften Rang, den er bis ins Ziel verteidigen konnte. Trotz des Laufsiegs von Sykes holte sich Biaggi so den zweiten Superbike-Titel nach 2010. Mit nur einem halben Pünktchen Unterschied zwischen Weltmeister und Vizeweltmeister lieferte die Saison 2012 klar die
engste Entscheidung in der kompletten Superbike-Historie! Doch es geht noch knapper. Wie und wann? Lesen Sie dazu den Kasten auf Seite 84 über fünf WM-Entscheidungen zwischen zwei Fahrern mit identischer Punktzahl.

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