Hurra, wir haben wieder einen Superbike-WM-Lauf! Vor allem bei den älteren Fans kam bei dieser Nachricht Freude auf – und es wurden Erinnerungen wach. Was waren das doch für Zeiten, als das Geschrei der Vierzylinder und das Grollen der Ducati an ihrer Belastungsgrenze aus dem Wald von Hockenheim tönte, bevor das bunte Feld durch die Windschattenschlachten jedes Mal anders gemischt wieder ins Motodrom kam.
Fred Merkel, Fabrizio Pirovano, Giancarlo Falappa, Doug Polen, Rob Phillis, Aaron Slight oder Carl Fogarty – das waren Helden, und wie geil war es, wenn Andy Hofmann, Peter Rubatto, Edwin Weibel, Udo Mark, Jochen Schmid oder Andy Meklau denen in Hockenheim richtig einheizen konnten. Oder als später Max Neukirchner als Suzuki-Werksfahrer an guten Tagen sogar Troy Bayliss, Troy Corser, Noriyuki Haga und Max Biaggi in die Schranken weisen konnte.
Schauplatz Deutschland erwünscht
Doch diese Zeiten sind längst vorbei. Mit Stefan Bradl, Sandro Cortese und Jonas Folger wandte sich das Interesse der deutschen Fans mehr der Motorrad-WM zu, und bei der Show von Valentino Rossi und Co. auf dem Sachsenring hatte es der Superbike-WM-Lauf in Deutschland immer schwerer. 2013 auf dem Nürburgring war auch Schluss.
Aber seit die Dorna auch die Ausrichtung der Superbike-WM übernommen hat, war eines ihrer obersten Anliegen, wieder eine WM-Runde in Deutschland zu etablieren. Genauso wichtig war für sie auch ein deutscher Spitzenfahrer in der Serie. Letzter Wunsch wurde durch Markus Reiterberger schon bald erfüllt.
„Beim Grand Prix auf dem Sachsenring sehen wir jedes Jahr Menschenmassen und eine Begeisterung, die ihresgleichen sucht“, stellte Javier Alonso, der bei der Dorna für die Superbike-WM zuständig ist, fest. „Dazu ist Deutschland einer der bedeutendsten Motorradmärkte, also sollte dort auch die Superbike-WM funktionieren.“ Beim Lausitzring traf Alonso dann auf die Leute, die er suchte. Die Betreiber sind auch die Ausrichter der Superbike-IDM, und so kam bald die Idee auf den Tisch, die beiden Serien an einem Wochenende zu vereinen. Der Termin dafür schien günstig. Vorher hatte die Superbike-WM eine zweimonatige Sommerpause, so waren Akteure und Fans gleichermaßen heiß darauf, dass es wieder weitergeht.
Land unter in der Lausitz
Doch als es so weit war, legte die Lausitz statt des dazu passenden goldenen Herbstes ihre trübe und graue Seite auf. Viel schlimmer noch, hatte der Wetterdienst für das Wochenende Dauerregen vorhergesagt. „Das war für uns der Albtraum“, erzählt Josef Hofmann von der EuroSpeedway Verwaltungs GmbH. „Unsere Erwartungen hatten sich beim Vorverkauf zunächst bestätigt. Aber die Tageskasse blieb vor allem am Samstag weit hinter den Erwartungen zurück. Da war für den ganzen Tag Regen angesagt, und im weiteren Umkreis hat es wohl auch heftig geschüttet. Aber bei uns an der Strecke blieb es fast den ganzen Tag trocken.“
Die Piloten wurden aber durch die Bodenwellen des Lausitzrings vor Probleme gestellt. Weltmeister und WM-Leader Jonathan Rea fand keine Abstimmung für seine Kawasaki ZX-10R und konnte sich erst durch die Superpole 1 für das Shootout der ersten zwölf Startplätze qualifizieren.
Als dann die Visiere zum ersten Rennen runtergeklappt wurden, zog Ducati-Werkspilot Chaz Davies allen davon. Er war in der Superpole und im ersten, trockenen Rennen eine Klasse für sich und distanzierte das ganze restliche Feld, wie man es in der Superbike-WM nur selten sieht.
Trotzdem zog das Geschehen hinter ihm die ganze Aufmerksamkeit auf sich. Denn dort duellierten sich die beiden Kawasaki-Werkspiloten Jonathan Rea und Tom Sykes, und wieder einmal sprang Rea beim Anbremsen der Gang raus, wie schon so oft in dieser Saison, diesmal vor Turn 8. Dabei klappte ihm das Vorderrad ein und der WM-Leader stürzte. Da er beim letzten Rennen in Laguna Seca durch das gleiche technische Problem schon einen Ausfall zu verzeichnen hatte, war sein Vorsprung an der Spitze der WM-Tabelle innerhalb zweier Rennen von ehemals komfortablen 71 Punkten auf 26 zusammengeschrumpft. Sykes witterte im WM-Kampf wieder Morgenluft.
Doch Rea wuchs am Sonntag über sich hinaus. Pünktlich zum Rennstart begann es zu regnen, und der 29-jährige Nordire ging förmlich übers Wasser. Während die Konkurrenz auf der spiegelglatten Bahn der Reihe nach stürzte, fuhr er vorn mit einer traumwandlerischen Sicherheit auf und davon. Gleich in der ersten Runde fiel Sykes an der selben Stelle hin, wo es am Tag zuvor Rea erwischt hatte. Die WM-Ausgangs-lage vor dem Lausitzring war wieder hergestellt.
Viele schimpften nach ihren Stürzen über die tückische Strecke. Es gab aber auch zwei überglückliche Gesichter. Xavi Forés, Superbike-IDM-Meister von 2014, fuhr erstmals aufs Superbike-WM-Podest, genau wie Ex-MotoGP-Pilot Alex de Angelis. „Es war nicht meine Erfahrung aus der IDM, denn solche Verhältnisse hatten wir dort nie. Ich hatte einfach einen guten Rhythmus gefunden“, freute sich Forés, der am Lausitzring seinen 31. Geburtstag so in besonderer Art feiern konnte. Alex de Angelis, der seinen rechten Arm seit dem bösen Sturz vor einem Jahr bei der MotoGP in Motegi noch immer nicht richtig bewegen kann, schwebte nach seinem zweiten Platz auf Wolke sieben. „Mir fehlt noch immer viel von der Kraft und der Beweglichkeit, aber hier konnte ich meine Stärke im Regen ausspielen“, freute er sich.
Harte Rückkehr für Reiterberger
Umso betrübter wirkte Markus Reiterberger. „So habe ich mir meine Rückkehr nach meiner Rückenverletzung wirklich nicht vorgestellt“, sinnierte der 22-jährige BMW-Werksfahrer. Dabei war er am Freitag gleich Zweitschnellster. Doch als es am Samstagmorgen erstmals nass war, flog er ab und fiel wieder auf seinen Allerwertesten, der ihm nach dem Misano-Sturz noch mehr Schmerzen verursacht hatte als die zwei gebrochenen Rückenwirbel. Im ersten Rennen blieb sein Motorrad dann mit Elektrikschaden stehen.
Als am Sonntag der Regen kam, hatte Reiterberger mit seiner Mannschaft ausgemacht, nichts zu riskieren, weil sie noch nicht die optimale Abstimmung haben. „Ich bin auch wirklich langsam gefahren, und trotzdem mit einem Highsider abgeflogen. Dabei bin ich noch einmal mit dem Hintern auf-geschlagen, die ganze Reha, die wir im Sommer gemacht haben, können wir wieder von vorn anfangen – ein Wochenende zum Vergessen“, haderte Reiterberger mit dem Schicksal.
Viel Arbeit für die Zukunft
Zurücklehnen kann sich auch Josef Hofmann nicht. Zwar kamen über die drei Tage 28 741 Zuschauer, Javier Alonso stellte aber fest: „Die Zahlen sind etwas hinter unseren Erwartungen geblieben. Das Wetter spielte da natürlich rein. Aber wir müssen gemeinsam mit dem Veranstalter unsere Bemühungen um die Zuschauer noch verstärken. Nächstes Jahr haben wir mit Stefan Bradl und Markus Reiterberger zwei deutsche Spitzenfahrer in der Superbike-WM, das sollte ihre Popularität in Deutschland auf ein ganz neues Niveau heben. Entsprechend viel erwarten wir in Zukunft auch von der deutschen WM-Runde.“
Josef Hofmann bleibt trotz aller Schwierigkeiten optimistisch. „Uns war von vornherein klar, dass es zunächst einiger Aufbauarbeit bedarf“, stellt der Bayer klar. „Die Superbike-WM muss sich in Deutschland erst wieder etablieren. Letztendlich war vieles sehr positiv, nur das Wetter hat nicht mitgespielt. Aber wir haben den ersten Schritt gemacht, damit es wieder eine Superbike-WM-Runde in Deutschland gibt.“
Eine Neuasphaltierung des Lausitzrings, wie es einige Superbike-WM-Piloten fordern, wird es aber vorerst nicht geben. Markus Reiterberger stellt auch klar: „Die Strecke ist im Regen nicht immer so tückisch. Vor zwei Jahren sind wir hier mit der IDM im Regen gefahren, da ging es richtig gut. Diesmal war es auch kalt, und dazu war sehr viel Gummi auf der Strecke. Ich denke, das hat sich summiert.“
Der Anfang ist also gemacht. Bleibt zu hoffen, dass daraus wieder eine lange Tradition wird, an die wir eines Tages mit genau der gleichen Freude zurückdenken wie an die Anfangstage der Superbike-WM in Deutschland.
Der Kampf um die WM-Krone
Gleich zweimal wendete sich das Blatt auf dem Lausitzring zwischen den beiden WM-Kandidaten Jonathan Rea und Tom Sykes. Bei noch sechs ausstehenden Rennen hat Rea 47 Punkte Vorsprung. „Die Probleme mit der Schaltung sollten wir nun behoben haben“, hofft Rea. Wir haben einen Mechanismus entwickelt, mit dem es unmöglich sein sollte, dass der Leerlauf reinspringt. “ Der Titelverteidiger tut auch abseits der Strecken alles, um bestmöglich gerüstet zu sein. Er trainiert intensiv Motocross, dazu hat er sich eine Trainings-ZX-10R aufbauen lassen, mit der er mindestens einmal die Woche auf dem Jurby Circuit ganz in der Nähe seines Wohnortes auf Rundenjagd geht. „Den Begriff Titel verteidigen höre ich nicht gerne“, sagt Rea. „Es ist ein neuer Titel, für den ich kämpfen muss.“
Tom Sykes hat sich mit seinem Team intensiv der ZX-10R Jahrgang 2016 angenommen. „Ich denke, wir haben ein Setup, mit dem wir bei den verbleibenden Rennen immer stark sein sollten“, gibt sich Sykes kämpferisch. „Ich liege zwar 47 Punkte zurück, aber ich habe schon erlebt, dass sich Punktestände verändert haben. Warum diesmal nicht zu meinen Gunsten?“