Alpen Masters 2011: Tourer/Sporttourer

Alpen Masters 2011: Tourer/Sporttourer BMW K 1600 GT, R 1200 RT, Kawasaki Z 1000 SX, Moto Guzzi Norge V8

Geschafft! Nach 48 Kehren am Stück. Mit Tourern, die scheinbar nicht für die Spitzkehre geboren sind. Wie schlagen sich die Vorzeige-Touren­-Schlachtschiffe von BMW? Oder ist weniger hier mehr?

BMW K 1600 GT, R 1200 RT, Kawasaki Z 1000 SX, Moto Guzzi Norge V8 Gargolov
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Man kann nie ganz sicher sein. Ist es Bewunderung oder Mitleid, womit die versammelte Zuschauerschaft dem Tourer-Quartett hinterherschaut. Ganz oben, am Gipfel des Stilfser Jochs, von den meisten hier auf zwei Rädern erobert. Die Frage steht im Raum: Wie ist das mit diesen Touring-Riesen in den vermeintlich engsten Kehren der Welt? Die Autorin des vorangegangenen Allrounder-Textes, unsere geschätzte Kollegin und Italien-Korrespon-
dentin Eva, wollte es nicht wissen. Antwortete auf das Angebot, es auch einmal zu probieren, mit einem ganz entschiedenen "Grazie, no!"

Wenn sie es nur probiert hätte. Weniger Respekt gehabt hätte vor vollgetankt 342 Kilogramm (K 1600 GT) oder 285 Kilogramm (R 1200 RT). Sich vor Augen geführt hätte, dass die wesentlich zierlicher wirken­de Guzzi ebenfalls rund 280 Kilogramm auf die Waage bringt. Oder sich die Drehmomentmacht vergegenwärtigt hätte, die der Reihensechser praktisch ab Standgas und der Boxer etwas weiter oben auf die Kurbelwelle wuchten. Dann hätten die Kehren für Eva ihren Schrecken verloren. Ganz sicher! In die Ecke rollen, vorher schon den Gegenverkehr checken, umlegen, Gas geben – die­se komplexe Übung macht aus­ge­­rech­net die mächtige K 1600 ihrem Fahrer leichter als alle anderen in diesem Quartett, weil bei ihr selbst in den ganz fiesen, engen Ecken das Spiel mit der Kupplung entfällt. Gas zu, Gas auf! Wenn es sein muss bei 800 Umdrehun­gen. Der 1600er schiebt immer vorwärts, man muss sich nur trauen. Ganz ehrlich: Eva hätte ihr weiß-blaues Wunder erlebt. Selbst unter so üblen Bedingungen wie auf den Bildern unten zu sehen. Regen, Nebel, Kälte, ein welliger, glitschiger Belag – da fährt nicht nur die Angst vorm Umfaller in den Kehren, sondern auch die beim Bremsen und Beschleunigen mit. Es ist die hohe Zeit der Assistenzsysteme.
Also haben die beiden BMWs wieder ihre mächtigen Verkleidungen vorne, ganz klar. Jedenfalls was die Beschleunigungsphase angeht. Und wie schon beim Motor, macht der K 1600 GT niemand etwas vor. Die Regelqualität der aus der Sportschwes­ter S 1000 RR übernommenen Traktionskontrolle liegt deutlich über dem ASR der RT, ist mindestens eine Generation weiter. Dass die Münchner auch bei der Blockierverhinderung führend sind, ist bekannt.

Und schlägt sich, wie nicht anders zu erwarten, in den Messwerten nieder. Von 75 auf 25 km/h bergab, besetzt mit zwei Personen, ist die fette K 1600 nicht zu schlagen. Nicht nur ihre Tourer-Kolleginnen beißen sich an ihr die Zähne aus, sondern die versammelten Alpen-Masters-Wettbewerber. Nach 24,3 Metern steht die große Bayerin – Rekord! Und wenn wir schon bei Bestwerten sind. Durchzug mit zwei Perso­nen bergauf – Rekord (siehe Tabelle Seite 39). Beschleunigung von null auf 140 km/h – fünf Sekunden, fast Rekord. Tankinhalt: 23 Liter – fast Rekord. Keine Frage, die K 1600 GT ist ein rollender Superlativ.

Und wenn man hier, rund ums Stilfser Joch, mit Superlativen nichts am Hut hat und einfach nur Motorrad fahren will? Nicht im Regelbereich von ABS und Traktionskontrolle, sondern möglichst im eigenen. Hand aufs Herz: Selbst dann sind die K 1600 oder ihre Schwester RT eine sehr gute Wahl, denn neben ihrem mannigfaltigen (und teuer zu bezahlenden) Ausstattungspake­ten, der perfekten Ergonomie für Fahrer und Beifahrer (bei der K noch besser als bei der R), den durchdachten Gepäcksystemen und der einfachen Bedienung sind beide vor allem eines: ganz einfach zu fahren. Sie fallen vorbildlich neutral in die Kehren, stecken die fiesen Bodenwellen des Jochs auch unter voller Zuladung klaglos weg, sind gemessen an ihrer Masse wunderbar handlich, liefern den vollen Wohlfühlkomfort (die GT sogar noch etwas mehr als die RT) und lassen sich per ESA perfekt an die eigenen Bedürfnisse sowie das Streckenprofil anpassen. Unter diesen Bedingungen verzeiht man sogar das miese K-Getriebe oder den rauen Motorlauf der R, sodass es unter dem Strich eigentlich nur die bekannten Gründe gibt, von den beiden
Monumenten Abstand zu nehmen. Man mag keine BMWs oder ist gerade nicht flüssig. Halt, da wäre noch etwas: Ohne Antrieb, mit eigener Muskelkraft bewegt, sind beide (die K wiederum noch eindeutiger) eine Zumutung. Wer einmal die dicke 1600er in abschüssigem Gelände parkte, weiß, wie wichtig ein Rückwärtsgang wäre.

Die sportliche Kawasaki Z 1000 SX braucht so etwas definitiv nicht. Der Sporttourer – ein Begriff, der früher schwer angesagt war – erlebt in der grünen SX eine attraktive Wiedergeburt, verspricht Fahrdynamik schon im Stand. Genau das richtige Gefährt für Reisepuristen und Kehren-Maniacs­? Nein, ganz im Gegenteil. Hier am Joch ist sie eine ziemliche Enttäuschung.

Gargolov
Tourer im Alpen-Masters 2011: BMW K 1600 GT, Moto Guzzi Norge 8V, BMW R 1200 RT und Kawasaki Z 1000 SX.

Ihr großes Malheur: Je enger und welliger das Geläuf, desto unwohler fühlt sich das Ex-Naked-Bike. Besonders auf der Bremse und beim Einlenken vermittelt die Frontpartie wenig Vertrauen, gibt sich vor allem bei wechselnden Belägen und auf Bodenwellen indifferent (also nahezu in jeder Kehre), stellt sich auf oder fällt in die Kurve hinein. Das erstaunt umso mehr, als die SX unten im Tal, wo die Radien weiter und
die Beläge besser sind, noch überzeugend funktionierte. Ein kerniger, kräftiger Motor, bissige Bremsen, eine im Vergleich zur K 1600 und RT 1200 weniger entkoppelte, sportlichere Sitzposition, mit 231 Kilogramm deutlich weniger Gewicht – bei flüssigem Kurvenverlauf sind das alles Argumente, um den BMW-Schwestern zumindest bei engagierter Fahrweise und ohne Sozia (das Platzangebot ist bescheiden) zu zeigen, wo der Hammer hängt. Im Kehrendickicht des Jochs gelingt das eindeutig nicht. Im Gegenteil: Selbst bei touristi­schem Tempo verlangt die SX mehr Aufmerksamkeit als die beiden Dickschiffe.
Mehr auch, als bei einer Moto Guzzi Norge 8V notwendig ist, um von Trafoi nach Bormio zu gelangen. Auch wenn der V2 nun endlich vier Ventile pro Brennraum hat – sportlicher Lorbeer ist für ihn kein erstrebenswertes Ziel. Eine charakterstarke Darstellung hingegen gehört für jede Guzzi zum Pflichtprogramm.

In dieser Hinsicht lässt sich der 1200er nicht lumpen. Mit sattem Bass, aber ohne allzu großen Nachdruck bullert er vor sich hin und passt somit bestens zum komforta­blen, handlichen und neutralen Fahrwerk der Norge, das wunderbar mitspielt, solange es nicht pressiert. Einzig die geschmeidigen Lastwechsel sind angesichts des großen Spiels im Antriebsstrang und des ausgeprägten Aufstellmoments beim Gasanlegen eine Herausforderung, die es zu meistern gilt. Wem das gelingt, der fährt auf saube­rem Strich durch die Kehren der Nordost- und die längeren Bögen der Südwestrampe, spürt das Gewicht (wie schon bei den BMWs) kaum, tourt entspannt und gelassen und mit großem Unterhaltungswert. Einziger Wermutstropfen: Die Norge kippte sich auf der 116-Kilometer-Verbrauchsrunde 8,6 Liter Super hinter die Binde. Auch das ist Rekord, aber ein trauriger, zumal es hier verhalten vorangeht. Wird die Gangart schneller, steigen nicht nur der Verbrauch, sondern auch die Bedenken der Besatzung rapide an. Das Federbein beginnt zu pumpen und – viel schlimmer – bereits nach einigen engagiert angebremsten Kehren lässt sich der Bremshebel bis zum Lenker durchziehen. Nein, das Alpenglühen ist nicht die Norge-Welt. Sonst hieße sie vermutlich Stelvio!

Und unterm Strich? Setzt sich die neue K 1600 GT beeindruckend von der Boxer-Schwester ab, zieht mit fettem Vorsprung und der Maximalpunktzahl aller Teilnehmer ins Finale. Die Testcrew ist sich einig: Es ist unglaublich, welches Repertoire dieses  Riesen-Schiff von BMW beherrscht. Das Stilfser Joch gehört unbedingt dazu!

Fazit: Tourer/Sporttourer

Gargolov
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Touren: ihr Segment! Alpen: ihr Zuhause! Fazit: kaum zu schlagen! So oder so ähnlich sieht es immer aus, wenn man mit einer Münchnerin in die Berge aufbricht. Und trotzdem waren Zweifel da. Wie machen sich die mächtige K 1600 GT und die kaum zierlichere R 1200 RT in den Kehren? Das Ergebnis: großartig. Da kann selbst die sportliche Kawa Z 1000 SX nicht mit, die immer dann groß aufspielt, wenn die Radien weiter werden. Die Stärken der Guzzi hingegen liegen in der gemütlichen Gangart. Aber das können die BMWs auch.

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