BMW R 1250 RT neu/alt im Vergleichstest
ACC / DCC – rockt die Neue noch?

Nein, wir haben keinen stotternden Rockmusik-Fan nach seiner Lieblingsband befragt. ACC und DCC sind ebenso teils aufpreispflichtige Ausstattungsfeatures der neuen R 1250 RT wie DTC, HSC, MSR oder ESA "Next Genera­tion". Die klingen aber nicht so gut. Überhaupt: Rockt die Neue noch?

BMW R 1250 RT neu/alt Vergleichstest
Foto: Tyson Jopson

Wird der Boxer als solcher in der Motorradszene schon kontrovers diskutiert, so nimmt die Tourer-Variante BMW R 1250 RT nochmals eine Sonderstellung ein: Sie wird sehr gern in der Grundfarbe Weiß oder Silber, mit je nach Bundesland blauen oder grünen Applikationen sowie im freien Handel nicht erhältlicher blauer Zusatzbeleuchtung ausgeliefert. Zusammenkünfte mit dieser Fraktion der Motorradszene sind nicht immer freiwillig, auch Dauer wie Ausgang hat man nur bedingt selbst in der Hand. Bleibt die Frage, warum gerade die für 2021 umfassend renovierte RT bei der Polizei so beliebt ist?

Unsere Highlights

BMW R 1250 RT mit Active Cruise Control (ACC)

Erfreulicherweise gibt es auch eine Zivil­variante, auch wenn das Testbike in der (aufpreispflichtigen) Farbe Blau und mit (aufpreispflichtigen) Zusatzscheinwerfern versehen, im Rückspiegel des Vordermanns das Image des Behördenkrads nicht ganz abstreifen kann. Mehr als einmal fiel während des Testzeitraums auf, wie mit Fahrzeugen vor unserer Test-BMW Verkehrsregeln auf einmal penibelst eingehalten wurden. Was möglicherweise auch mit dem sich unter dem LED-Scheinwerfer befindlichen Kästlein zu tun hat. Was sich wohl dahinter verbirgt? Kamera? Laser? Radar? Bingo! In dieser Blackbox steckt die Sensorik für die erste Neuerung, die (aufpreispflichtige) Active Cruise Control ACC.

Die serienmäßige Dynamic Cruise Control (DCC), sprich Tempomat, kann das vorgegebene Tempo nicht nur bergan durch Gasgeben, sondern auch talwärts gegebenenfalls durch aktiven Eingriff der nunmehr vollintegralen Bremse halten. ACC kann mehr. In Abhängigkeit der Geschwindigkeit des Vordermanns bremst und beschleunigt ACC selbstständig. Der dabei einzuhaltende Abstand kann manuell in drei Stufen eingestellt werden. Man kann sagen, dass ACC den Fahrer entlastet, weil es z. B. auf der Autobahn quasi selbstständig fährt. Man kann aber auch sagen, dass es den Fahrer ein ganzes Stück weit davon entbindet, sich vollumfänglich mit dem zu beschäftigen, was er da gerade eigentlich macht. Nämlich ein Kraftfahrzeug zu steuern. Grundsätzlich funktioniert das ACC der neuen BMW R 1250 RT sehr zuverlässig, man sollte seine Fähigkeiten aber nicht überfordern. Wer zum Beispiel mit autobahn-üblichem Tempo, sagen wir 130 km/h, von der linken Spur hinter einem Lkw auf die Ausfädelspur wechselt, kann das System zu einer heftigen Bremsung veranlassen, da es den Lkw korrekterweise als wesentlich langsameres Hindernis erkennt und nicht weiß, dass man rechts daran vorbeiwill, -kann und -darf.

Aufpreispflichtiges adaptives Kurvenlicht

Das nächste im wahrsten Sinne des Wortes Highlight ist der nunmehr deutlich elegantere LED-Scheinwerfer, vor allem wenn das, Sie ahnen es, aufpreispflichtige adaptive Kurvenlicht an Bord der neuen BMW R 1250 RT ist. Die Lichtausbeute, also der Lichtkegel an sich, ist gar nicht so viel größer als bei der Vorgängerin. Aber das Licht ist so weiß, dass es als Benchmark für die Zahnpasten und Waschmittel dieser Welt dienen kann. Besonders das Kurvenlicht ist der Hammer. Während sich normalerweise der Horizont des Lichtkegels bei Kurvenfahrt, besonders rechtsherum, auf der Kurveninnenseite heftig in Richtung Vorderrad bewegt und den interessanten Bereich eher verdunkelt als erhellt, bleibt er beim aktiven Kurvenlicht weitgehend stabil. Bei schnellen Richtungswechseln hinkt er zwar immer etwas hinterher, aber man kann das Ausrichten sehr schön beobachten. Mit anderen Worten: Diese Lampe ist der Chuck Norris unter den Lichtern. Hier wird nicht die Nacht erhellt, sondern die Dunkelheit weicht zurück!

Für vieles braucht's ein Smartphone

Auf der anderen Seite der aerodynamisch ausgefeilten Scheibe wartet die nächste Neuerung: das TFT-Display mit satten 10,25 Zoll Bildschirmdiagonale. Wahnsinn. Die Bedienung erfolgt intuitiv über die linke Lenkerarmatur mit Wippschalter und Drehregler. Schade nur, dass die Schalter nach wie vor unbeleuchtet sind und die jeweiligen Menüs in Sackgassen enden. Will heißen, nach a, b, c, d kommt nicht wieder a, sondern man muss denselben Weg wieder zurück. Und für alle Infos, die nicht das Bike selbst betreffen, braucht es, abgesehen vom Radio, zwingend ein Smart­phone. Zum Telefonieren sowieso, aber auch eigene Musik kann nur via Smartphone (ein-)gespielt werden. Und wer das Display als Navibildschirm nutzen will, braucht zwingend die – jetzt aufgemerkt –  kostenfreie BMW Connected App. Die gibt’s für Apple und Android. Auf welche Daten des Telefons diese zugreift und was sie damit macht, entnehme man bitte dem Kleingedruckten. Dafür ruht das Phone in einem eigenen, bei Bedarf elektrisch belüfteten Fach und kann dort sogar induktiv geladen werden. Bei der Vorgängerin ist die Bedienung auch weitgehend selbsterklärend. Eigene Musik wird auch vom USB-Stick akzeptiert, zum Navigieren klemmt man ein passendes Garmin in die vorgesehene Halterung und kann dieses auch vom Lenker aus bedienen.

Neue BMW R 1250 RT mit vollintegraler Bremse

Nächstes Novum ist die nunmehr vollintegrale Bremse. Egal, wo gezogen oder getreten wird, werden jeweils beide Bremsen betätigt. Beim heftigen Ankern fühlt man förmlich, wie das System arbeitet und die Bremskraft jeweils dorthin schiebt, wo sie im Sinne der Bremsleistung und Fahrstabilität am effektivsten eingesetzt wird. Gegen einen kleinen Obolus wird auch die HSC (Hill Start Control) genannte Berganfahrhilfe freigeschaltet. Die alte BMW R 1250 RT bremst konventionell. Das heißt, wer nur Fußkraft sät, wird lange Bremswege ernten. In Kombination mit der vorderen Doppelscheibe steht aber auch sie ratzfatz.

Die nächste Neuerung, das wiederum aufpreispflichtige elektronische Fahrwerk, genannt ESA "Next Generation", hingegen hinterließ einen zwiespältigen Eindruck. Es hat die Modi Road und Dynamik sowie die Beladungszustände "Auto" und "Min". In Abhängigkeit der gewählten Einstellung bestimmt die Software unter Berücksichtigung etlicher Faktoren die ihrer Meinung nach geeignete Dämpfung und geht dabei nach der Prämisse "So wenig wie möglich, so viel wie nötig" vor. Beim Testmotorrad war es so, dass mit der Einstellung Road und Min in Kombination mit niedrigem Tempo das Heck ständig in Bewegung war. Mit steigendem Tempo wurde das Gegautsche zwar weniger, aber im direkten Vergleich mit der Vorgängerin, die über ähnliche Voreinstellungen verfügt, war ein Fortschritt nicht wirklich zu erkennen. Im Gegenteil, die Alte dämpfte vorn und hinten synchron und somit deutlich harmonischer. Bleiben noch die dynamische Traktionskontrolle DTC (Serie) und die Motorschleppmomentregelug MSR (Aufpreis): Je nach gewähltem Mapping lassen sie unterschiedlich viel Schlupf am Hinterrad bzw. Motorbremswirkung zu. Bei halbwegs regelkonformer Fahrweise haben beide Systeme aber meist Pause. Dank TFT und Connectivity setzt die neue BMW R 1250 RT den Maßstab, als Krad ist die Alte absolut bei der Musik. Und als Gebrauchte entsprechend teuer.

Fazit

Wer ohne Verbindung zum Internet nicht auskommt, dringend die neuesten elek­tronischen Gadgets braucht oder viel bei Nacht unterwegs ist, wird an der neuen BMW R 1250 RT kaum vorbeikommen. Doch auch auf der "Alten" fehlt einem nichts wirklich, zudem federte in diesem Vergleich das alte Bike harmonischer als das neue.

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MOTORRAD 20 / 2023

Erscheinungsdatum 15.09.2023