Über 30000 Kilometer lief die Harley Road King zuverlässig und störungsfrei, sah die Werkstatt nur zu den obligatorischen Inspektionen bis es plötzlich fast zum vorzeitigen Ende des Dauertests gekommen wäre.
Über 30000 Kilometer lief die Harley Road King zuverlässig und störungsfrei, sah die Werkstatt nur zu den obligatorischen Inspektionen bis es plötzlich fast zum vorzeitigen Ende des Dauertests gekommen wäre.
Es ist Mittwoch, der 27. Feb-ruar 2008. Mit etwa 130 km/h rauscht die Road King einem Termin in Dortmund entgegen, als auf der A5 zwischen Kreuz Walldorf und Heidelberg der Fahrer, ein gebürtiger Ruhrpöttler, jäh aus seinen Gedanken an Currywurst und Pommes in der alten Heimat gerissen wird. Ein ausgewachsenes Wildschwein hetzt aus dem nahe gelegenen Wald auf die Fahrbahn, nimmt Kurs auf die Dauertest-Harley. Der Crash scheint unabwendbar, wenn jetzt nicht noch ein Wunder geschieht. Der Fahrer spannt all seine Kräfte an, erwartet mit jeder Faser seiner Muskeln den drohenden Aufprall bis das Vieh in allerletzter Sekunde einen Haken schlägt und, statt vors Vorderrad zu laufen, nur leicht das rechte Hosenbein und den Seitenkoffer streift. Auf den Schubser reagiert die schwere Harley lediglich mit einem leichten Schlenker, um dann unbeirrt gen Norden weiterzurollen. Dem Fahrer dagegen ist noch für einige Kilometer flau im Magen.
Glück oder vielleicht besser Schwein gehabt. Und das gilt nicht nur für das Borstentier und den Fahrer, auch die Road King hätte einen Zusammenprall nicht unbeschadet überstanden. Und das zu einem Zeitpunkt, an dem sie schon an die 33000 Kilometer präzise und zuverlässig wie ein Schweizer Uhrwerk abgespult hatte. Tanken, Öl kontrollieren, sonst nichts. Einfach nur fahren tagein, tagaus. Viermal hat sie die Werkstatt gesehen, aber nur, weil alle 8000 Kilometer eine Inspektion anfällt. Eigentlich eine überschaubare Arbeit bei einem so simpel aufgebauten, luftgekühlten Aggregat mit Hydrostößeln. Trotzdem kostet eine Road-King-Inspektion im Schnitt zwischen 280 und 300 Euro. 20 Euro könnte man sich bei manchem Check sparen, da laut Rechnung auch jedes Mal die Bremsflüssigkeit getauscht wurde. Eine sicherlich gut gemeinte, aber übertrieben fürsorgliche Maßnahme, die nur gerecht-fertigt ist, wenn ein Motorrad lediglich wenige tausend Kilometer im Jahr bewegt wird und die Bremsflüssigkeit deshalb aus Alterungsgründen getauscht gehört.
Den störungsfreien Betrieb seit Beginn des Dauertests im November 2006 hatte der Road King niemand in der Redaktion so recht zugetraut. So, wie der gummigelagerte Twin-Cam-96-Motor im Stahlrohrrahmen hin und her rüttelt, Gabel und Lenker im Stand in gewaltige Schwingungen versetzt, dass in den Rückspiegeln nichts mehr zu sehen ist, hätte er schon längst Schrauben und Kleinteile wie ein wütendes Kind von sich werfen müssen. Doch noch nicht mal ein Glühfaden in den Scheinwerfern, ein Blinker oder eine Rücklichtlampe fiel den Vibrationen zum Opfer. Trotzdem ist es empfehlenswert, zumindest eine Rück-/Bremslichtlampe vorsorglich im Handgepäck zu bunkern. Denn das Teil, als Zweifaden-Lampe ausgelegt, kann man wegen des eigenständigen Sockels an keiner Tankstelle dieses Kontinents kaufen. Nur beim autorisierten Harley-Händler. Und der hält seinen Laden in aller Regel am Wochenende nicht durchgehend geöffnet.
Dass Harleys öltriefend und mit Elektrik-Problemen des Öfteren am Straßenrand stehen, ist längst Geschichte. Spätestens seit der Evo- und Twin-Cam-Motoren-Generation hat man in Milwaukee kontinuierlich an der Qualität gearbeitet, verwendet unter anderem nur noch hochwertige, wasserdichte Steckverbindungen, und auch die Dichtungen halten den Schmierstoff dort, wo er hingehört in Motor und Getriebe. Allein der jüngste, mit 1584 Kubikzentimetern hubraumstärkste Harley-Twin, der die Dauertest-Road-King befeuert, hat gegenüber seinem Vorgänger, dem Twin Cam 88, mehr als 700 neue oder geänderte Bauteile vorzuweisen. Der gesamte Kurbeltrieb einschließlich Pleuel, Kurbel- und Primärantriebsgehäuse ist neu konstruiert, die Lager sind hochwertiger und größer dimensioniert. Leichtere Kolben sowie kürzere Kolbenbolzen helfen, die oszillierenden Massen zu reduzieren, und die nun mehrteiligen Nockenwellen laufen in langlebigeren Gleit- statt Wälzlagern. Außerdem versorgt eine neue, stärkere Ölpumpe alle Schmierstellen durch eine um bis zu 23 Prozent gesteigerte Fördermenge schneller und zuverlässiger.
Prima, doch eines nervt: der Anlasser. Statt wie bisher über eine Zwischenwelle ist er jetzt innen direkt mit dem Primärgehäuse, das vom Volumen so groß wirkt wie eine Konzertgitarre, verschraubt und greift, durch einen Magnetschalter betätigt, ungemein lautstark in die Verzahnung. Bei jedem Druck auf den E-Starter durchdringt ein hässlich metallischer Schlag die Luft, bevor der Big-Twin über das aktive Auspuffsystem aus seinen beiden Endschalldämpfern sonor zu blubbern beginnt. Fast 33000 Kilometer in 16 Monaten können nicht allein durch Fahrten zur Arbeit und sonntägliches Cruisen zusammenkommen. Die Road King ist gereist, weit und oft. Redakteur Rolf Henniges wollte sie nach einer Urlaubsfahrt durch die Alpen gar nicht mehr hergeben. Er befürchtete, es könnten noch andere auf den Trichter kommen, dass die Road King vorzüglich zum entspannten Reisen taugt. Und dann wären die 50000 Kilometer viel zu schnell runtergespult, die Harley aus dem Dauertest-Fuhrpark wieder weg. »Seidenweiche Gasannahme, (fast) keine Lastwechselreaktio-nen, samtiger Motorlauf«, notiert er im Fahrtenbuch. »So vergisst man Raum und Zeit. Und altert in Würde«, schreibt er weiter.
Einen Kritikpunkt hat Rolf allerdings. Er zählt nicht zu den größten Zeitgenossen, und Wenden mit kurzen Armen bei breitem Lenker kommt einer Katastrophe gleich. Ähnlich ergeht es Daniel Lengwenus, Tourguide beim MOTORRAD action team, der die Road King durch die Vogesen treibt. Lenker, Bremse, Schaltung nach allen Aggregaten muss er sich mit seinen 1,70 Metern strecken. Zudem bemerkt er, dass an heißen Sommertagen die vom Motor aufsteigende Hitze im Stand unerträglich werden kann. Wie viele ihrer Artgenossen darf auch die Dauertest-Road-King zur großen Harley-Fete an den Faaker See. MOTORRAD-Mitarbeiter Jörg Höfle jongliert sie nach Österreich, entfernte aber vorher mit wenigen Handgriffen die hohe Scheibe. Das Teil mag zwar einen ordentlichen Wetterschutz bieten, doch die Verwirbelungen, die es im Helmbereich erzeugt, können ganz schön nerven. Und bis Tempo 130 geht es auch gut ohne. Das findet übrigens nicht nur Jörg. Da die meisten lieber auf den Windschutz verzichten, als die Verwirbelungen in Kauf zu nehmen, bleibt das Teil oft in Stuttgart zurück, wenn die Harley auf Tour geht.
Und weil sie so viel auf Achse ist, wird sie bald noch tourentauglicher ausgestattet zu lesen im Kasten auf den Seiten 52 und 53. Denn in die schmalen, serienmäßigen Koffer mit ihren fummeligen Schlössern und Deckeln passt nur wenig rein. Sie sind zwar abnehmbar, allerdings ist dies mit enormem Aufwand verbunden, wenn die Koffer ohne Innentaschen genutzt werden. Dann muss erst ein Teil des Inhalts herausgenommen werden, um an die Drehverschlüsse zu gelangen. Klar, dass es bei den Reisen der Road King oft auch über die Autobahn geht. Kein Terrain, auf dem sie sich besonders wohl fühlt. Gleiches gilt dort für die Fahrer. »Ich fühle mich wie auf einem Ozeandampfer bei stürmischer See«, schreibt Jörg. Beim Spurwechsel über die Mittellinie und bei Spurrillen gerät die Harley ordentlich in Bewegung. Auch MOTORRAD-Mitarbeiter Uli Baumann kommentiert den labilen Geradeauslauf: »Längere Etappen mit 160 km/h sind locker drin, aber sie pendelt dabei fröhlich, wenn auch unbedenklich vor sich hin.«
Bei diesem Tempo ist die Road King wahrlich kein Kostverächter. Bis zu acht Liter Super genehmigt sich die Einspritzanlage auf hundert Kilometer. Selbst bei bummeligen Landstraßentempo sind es noch fünf bis sechs Liter. Ein Ölverbrauch zwischen den Inspektionsintervallen ist hingegen nicht messbar, wie auch der Reifenverschleiß sehr gering ist. Im Schnitt hält ein Dunlop D 402 auf dem Hinterrad um die 10000 Kilometer, das vordere Pendant erzielt gar die doppelte Laufleistung. Andere Reifen wie die Michelin Commander und die Avon Venom-X konnten mangels Lieferfähigkeit bislang nicht ausprobiert werden. Es ist Freitag, der 29. Februar 2008. Die Road King ist auf der Rückfahrt von Dortmund nach Stuttgart. Auf der A5, Nähe Heidelberg, mischt sich ein leichtes Zwitschern unter das wohlige Blubbern des Big-Twins. Klingt nach defekter Krümmerdichtung. Dieser Streckenabschnitt scheint es nicht gut zu meinen mit der Harley. Am Montag muss sie sowieso zur fälligen Inspektion. Dort wird man einen gerissenen Krümmer diagnostizieren. Der erste Schaden bislang. Das kann nicht nur Glückssache sein.
Dick wie ein Telefonbuch ist Harleys Zubehörkatalog: ganze 868 Seiten stark. Sitzbänke, Lenker, Koffer, verchromte Schrauben, Deckelchen und Unmengen von Zierrat ist darin zu finden. MOTORRAD hat herausgesucht, was zum Touren für die Road King wichtig ist und es ausprobiert.
Heizgriffe
Ganzjahres- und Tourenfahrer sollten sich eine Griffheizung gönnen. Die Harley-Heizung ist am linken Lenkerende in sechs fein abgestuften Einstellungen regulierbar und hält auch extrem niedrigen Temperaturen die Hände zuverlässig warm. Der Anbau ist nicht ganz einfach und sollte deshalb besser in einer Fachwerkstatt vorgenommen werden. Zum Preis der Heizgriffe von rund 360 Euro addieren sich dann noch die Kosten für zwei Arbeitsstunden.
Lenker
Modell Road King:
Der zurückverlegte, höhere Road-King-Lenker vermittelt eine völlig andere, fast aufrechte Haltung. Durch die geringere Breite reagiert die Road King weniger störanfällig auf äußere Einflüsse bei höherem Tempo, erfordert beim Einlenken allerdings deutlich mehr Kraft. Mit dem notwendigen Schalterkabel-Verlängerungskit kostet der Lenker gut 360 Euro.
Modell Fat:
Wer sich beim Original-Lenker zu sehr nach den Bedienelementen strecken muss, für den ist der Fat-Lenker eine gute Alter-native. Bei gleicher Breite und Höhe wie das Original reicht er weiter in Richtung Fahrer. Gas- und Kupplungszug aus Stahl-gewebe (Diamondback) verschönern das Gesamtbild, verteuern den Lenkerumbau (280 Euro) aber um weitere 330 Euro.
Modell Beach Bar:
Der ausladende Beach-Bar-Lenker vermittelt ein ganz besonders lässiges Harley-Feeling. Nachteil: Die Geradeauslaufstabilität leidet spürbar unter dem breiten Lenker, beim Wenden und Rangieren muss der Fahrer die Arme ganz schön strecken. Auch beim Beach-Bar-Lenker müssen der Schalterkabel-Verlängerungskit und eine Bremsleitung mitbestellt werden. Preis: rund 570 Euro.
Gepäck
Gepäckreling:
Die verchromten Nostalgiebügel auf den Kofferdeckeln sehen nicht nur schön aus, sondern sind auch zweckmäßig. Auf ihnen lassen sich nämlich ganz prima sperrige Dinge wie Isomatten oder Zelte, die einfach nicht in die serien-mäßigen, allzu schmalen Koffer hineinpassen, aufgrund der Doppelreling und Stege sicher und fest verzurren. Außerdem schonen die Bügel die Lackober-fläche, wenn man mal etwas quer über die Sitzbank spannen will. Ihre Anschaffung ist allerdings nicht ganz billig. Rund 210 Euro kostet das Paar.
Sissybar mit abnehmbaren Gepäckträger:
Harleys Gepäckträgersystem ist wirklich clever. Durch einen speziellen Befestigungskit, der immer am Motorrad verbleibt, lässt sich der Gepäckträger durch Lösen einer Arretierung mit wenigen Handgriffen entfernen, wenn er nicht gebraucht wird oder etwa durch ein Topcase ersetzt werden soll. Kit und Träger kosten rund 365 Euro. Wer gern zu zweit unterwegs ist, sollte seinem Beifahrer noch eine Sissybar gönnen, damit er sich auf der nach hinten leicht abfallenden Sitzbank besser abstützen kann. Ebenfalls abnehmbare Bügel inklusive Polster (muss man extra bestellen) kosten nochmals rund 364 Euro.
Topcase:
Das flache, in der Breite aber ausladende, seitlich zu öffnende Topcase könnte locker eine Aktentasche aufnehmen und hat immerhin ein Fassungsvermögen von 46 Litern. Der Nachteil: Aufgrund der geringen Bauhöhe passt kein Integralhelm hinein. Ein entsprechend höheres Modell bietet Harley auch an. Mit dem dazugehörigen Träger lässt sich das Topcase ebenfalls in Sekundenschnelle demontieren und ist gegen Aufpreis abschließbar. Beladen beeinträchtigt es durchaus die Geradeauslaufstabilität. Gesamtkosten mit Rückenlehne und Träger: happige 1250 Euro.
Die Road King musste erst gute 32000 Kilometer runterspulen, bis bei ihr erstmals ein Defekt auftrat. Zunächst hörte sich alles nach einer schadhaften Krümmerdichtung an, doch bei der Demontage in der Werkstatt trat ein gerissenes Auspuffkrümmerrohr zutage. An Schweißen war beim Ausmaß des Schadens nicht mehr zu denken. Ersatz muss her. Der ist zurzeit noch per Schiff Richtung Europalager von Harley unterwegs, weshalb die Road King ein paar Tage in der Werkstatt verweilen muss. Die Tankanzeige, hinter deren Glas sich gelegentlich Kondenswasser bildet und den Blick auf den Füllstand verwehrt, ist eigentlich nur ärgerlich. Einen Garantiefall sieht Harley darin jedenfalls nicht. Bleibt nur noch die ganz spezielle Rücklichtlampe zu kritisieren, die allerdings noch nie kaputtging, obwohl die Road King ganz schön schüttelt. Wegen ihres speziellen Sockels ist sie an keiner Tankstelle, sondern nur beim Harley-Händler erhältlich.
Thomas Schmieder, Testredakteur
»Wenn du im Sattel sitzt, ist dir alles egal«
Road King, König der Strasse? Nun ja. Lasche Bremsen, mäßiger Durchzug, schaukelfreudiges Fahrwerk. Perfekt ist anders. Von den reinen Fakten her ist der fette Ami-V2 nicht der Bringer. Was Harley-Davidson jedoch so unnachahmlich versteht: Wenn du im Sattel sitzt, ist dir alles egal. Du genießt das Gefühl von Souveränität, lässt dich von nichts und niemandem aus der Ruhe bringen. Schön zu leben, schön zu fahren und schön anzusehen.
Rainer Froberg, Fuhrparkleiter
»Die Road King, meine kleine Tochter und ich «
in der ersten Kurve merkst du schon, dass dieses Motorrad nichts von dir will, dich nicht über Gebühr fordert, nicht stresst, nicht zickt und dich schon gar nicht heimtückisch hintergeht. Nach der Arbeit schnapp ich mir oft meine kleine Tochter, und wir fahren gemeinsam einfachaufs Geradewohl los. Ganz gemütlich und entspannt, ohne jegliche Hatz. Einfach nur cruisen. Das beherrscht die Road King perfekt, und es ist ein Genuss, mit ihr den Tag ausklingen zu lassen.
Rolf Henniges, Testredakteur
»Ich könnte mit der Harley um die Welt reisen «
Früher konnte ich mir für die Weltreise nichts anderes als eine Enduro vorstellen. Heute käme sogar die Road King infrage. Und das nicht nur, weil ich älter und vielleicht bequemer geworden bin. Sondern auch, weil der Harley-Motor zuverlässig und das Fahrwerk ausreichend stabil ist. Reisen mit der Road King ist Urlaub vom ersten Meter an. Sie verleiht dir darüber hinaus dieses wunderbare Gefühl, das Unterwegssein wichtiger als ankommen ist.