100 Jahre Husqvarna-Motorräder
Die Abseitsfalle

Obwohl Husqvarna Motorräder stets nur nebenbei produzierte, und das weitab von den Zentren Europas, konnte die Firmatrotzdem immer wieder Impulse setzen und jede Menge sportliche Erfolge einfahren.

Die Abseitsfalle
Foto: Gori

Im Norden, tief in den schwedischen Wäldern, lebten schon immer Menschen, die viel Zeit für pfiffige Ideen hatten. Man denke nur an Alfred Nobel, der aus Nitroglyzerin Dynamit bastelte, oder Johan Petter Johansson, der den hier zu Lande als »Engländer« bekannten Rollgabelschlüssel ersann. Geniale Geister prägten auch die Geschichte von Husqvarna, als Firmenchefs, Konstrukteure oder Rennfahrer. Dass es dort eine Motorradproduktion gab, ist Wilhelm Tham zu verdanken, der die bereits 1689 gegründete Firma von 1877 bis 1911 leitete und sie von einer kleinen Manufaktur zum Industrieunternehmen führte. Er suchte neben der Produktion von Sägen, Küchenmaschinen und Waffen nach neuen Geschäftsfeldern.
Thams Sohn Gustaf, Direktor von 1911 bis 1946 und Sportfan, holte Ende der zwanziger Jahre den jungen Ingenieur Folke Mannerstedt. Mit dem begnadeten Techniker brach für die Schweden eine glorreiche Zeit im Straßenrennsport an. Den Höhepunkt bildete 1933 in Saxtorp die Europameisterschaft mit der von Gunnar Kalén pilotierten Werks-500er. Zwei Jahre später verunglückte dieser jedoch auf dem Sachsenring beim Zweikampf mit der Norton von Jimmie Guthrie tödlich. Ende der Dreißiger zog sich Husqvarna aus dem Rennsport zurück, um stattdessen kleine Zweitakter herzustellen.
Für den Erfolg der Serienmaschinen war die abseitige Lage Schwedens wohl wenig förderlich, in gewisser Weise aber auch nützlich. Die robusten Husqvarna, für die hundsmiserablen schwedischen Pisten entwickelt, genossen stets einen ausgezeichneten Ruf. Ihre Zuverlässigkeit war mit ein Grund für die sportlichen Erfolge. Die klare Trennung zwischen on- und offroad gab es damals ohnehin nicht. Auf gleichem Material bestritt man Zuverlässigkeitsfahrten, Trials oder Straßenrennen. Motocross kam erst in den 50er Jahren auf. Gerade zum rechten Zeitpunkt, denn der Run auf die kleinen Nachkriegsmopeds ebbte ab. Eine hervorragende Basis für Geländeeinsätze bildeten die leichten, robusten 175er-Silverpil-Maschinen, schnell entwickelte sich eine Tuningszene. Massenprodukte waren die daraus abgeleiteten Cross- und Gelände-Huskies jedoch noch lange nicht. Das änderte sich erst in den Siebzigern. In den US-Kinos lief »On any Sunday«, ein dokumentarischer Motorradsport-Film mit Steve McQueen und Malcolm Smith, die sich auf 400er-Huskies im Gelände vergnügten. Die Amis rissen sich um die Huskies, 1973 bauten die Schweden fast 15000 Stück. Doch dann kamen die
Japaner. Die technische Revolution um 1980 mit Zentralfederbeinen, Wasserkühlung und Scheibenbremsen überforderte das kleine Werk.
Aber wie so oft in der Vergangenheit, gelang den schwedischen Tüftlern in der Not ein weiterer Meilenstein: der Viertakter TE 510 von 1983, der auf einem Zweitakt-Gehäuse basierte. Bis dahin hatte niemand einen Pfifferling auf die behäbigen Dampfhämmer gesetzt. Die 510er war anders, leicht, wendig. Sie wurde der Vorläufer einer ganzen Generation moderner Offroad-Viertakter. Dass die Schweden diesen Erfolg nicht mehr auskosten können, steht auf einem anderen Blatt. 1987 hatte der Mutterkonzern Electrolux die Husqvarna-Motorradabteilung nach Italien verkauft, wo sie in den Cagiva-Konzern eingegliedert wurde. Quasi aus dem Abseits direkt ins Mittelfeld. Was ebenfalls keinen dauerhaften Erfolg brachte, denn dort war Husqvarna wieder das fünfte Rad am Wagen.

Unsere Highlights

Husqvarna: Die Chronik

1689Husqvarna beginnt an der Mündung eines Flusses in den Vätternsee, wo die Wasserkraft genutzt werden kann, mit der Produktion von Musketen. Das Logo stellt einen Waffenlauf von vorn gesehen dar 1903Aus Fahrradteilen und einem FN-Motor mit 1,25 PS entsteht das erste Motorrad 1909Die Motoren kommen von nun an aus der Schweiz von La Moto-Reve, etwa das Modell 145 mit 548 cm3. Diese Maschinen werden auch im Zweiten Weltkrieg von der schwedischen Armee eingesetzt 1916Sieg beim legendären November-Kåsan: Platz eins bis drei für Husqvarna, 475 Kilometer hauptsächlich im Gelände mit einem Schnitt von 23,7 km/h 1918Erste eigene Motoren im berühmten Modell 150: V2 mit 550 cm3 und bis zu zwölf PS 1928Die Eigenproduktion ist zu teuer, Husqvarna setzt wieder auf Fremdmotoren von Jap und Sturmey Archer. Gleichzeitig entwickelt der junge Ingenieur Folke Mannerstedt Rennmaschinen 1930Am Start des Grand Prix in Saxtorp vier Husqvarna: eine hauseigene 500er-Zweizylinder sowie zwei 500er-Monos und eine 250er mit Jap-Motoren. Am Ende landet der eigene Motor als bester auf Platz drei 1932 bis 1935Nach technischen Problemen 1931 gewinnt Husqvarna in Folge den GP Schweden in Saxtorp in der 500er-Klassse mit Ragnar Sunnqvist (1932, 1934), Gunnar Kalén (1933) und Stanley Woods (1935) 1934Herbe Rückschläge im Rennsport: Gunnar Kalén (Foto) verunglückt beim GP Deutschland am Sachsenring tödlich, sein Markenkollege van der Pluym stirbt zwei Wochen später beim belgischen GP 1935Sunnqvist schlägt sensationell beim Avus-Hochgeschwindigkeitsrennen die Kompressor-BMW und Werks-DKW. Eine der zuverlässigsten und besten Vorkriegs-Serienmaschinen: das Modell 112 TV mit 24 PS aus 496 cm3 1938Husqvarna stellt die Produktion der großen Viertakter ein und konzentriert sich auf leichte, preisgünstige und robuste Motorräder mit Zweitaktmotoren 1939Husqvarna baut 15000 Motorräder, nach ’39 steht die Produktion bis 1946 nahezu still 1946 bis 1956Von den kleinen Zweitaktern verkaufen die Schweden nach dem Zweiten Weltkrieg rund 100000 Stück 1953Das Werk greift wieder ins Renngeschehen ein und nimmt mit 175er-Maschinen an den Six Days teil 1955Für Husqvarna vielleicht das wichtigste Motorrad überhaupt: Die Silverpil, ein kleiner 175er-Zweitakter, verschaffte sich schnell einen guten Ruf wegen ihrer Robustheit. Sie bildet die Basis für die immer populärer werdenden Geländerennen 1959Rolf Tibblin wird Europameister der 250er-Kategorie 1960Bill Nilsson holt sich den 500er-Cross-WM-Titel auf einer Viertakt-Husk, deren Motor aus der 112 TV von 1935 stammt. Trotz der sportlichen Erfolge geht der Verkauf von 13000 Maschinen 1953 bis auf 200 im Jahr 1963 zurück 1962 bis 1970Eine glorreiche Ära: Husqvarna sammelt WM-Titel mit Rolf Tibblin (3 Mal), Bengt Aberg (2 Mal) und last but not least Torsten Hallman (Foto, 5 Mal), der später in die USA geht und dort Motocross zu einem populären Sport macht 1973Die Schweden kommen mit der Produktion kaum noch nach: 15000 Geländemaschinen werden produziert und zum größten Teil in die USA verfrachtet 1974Heikki Mikkola wird 500er-Weltmeister, 1976 gewinnt er den 250er-Titel 1977 Der Electrolux-Konzern übernimmt Husqvarna, neben Motorrädern werden Kettensägen, Rasenmäher, Haushaltsmaschinen und Waffen produziert 1979Håkan Carlqvist fährt den letzten Titel für die Schweden ein, die mit der technischen Revolution der 80er Jahre nicht Schritt halten können 1983Husqvarna setzt noch einmal einen Meilenstein: Auf Basis der Zweitakt-Motoren wird der leichte Offroad-Viertakter TE 510 entwickelt 1987Husqvarna AB Schweden, Tochter des Electrolux-Konzerns, hat das Potenzial des Viertakters nicht erkannt und verkauft die wenig rentable Motorrad-abteilung für eine geringe Summe nach Italien an Cagiva

Hurra, wir leben noch!

Gestern, heute, morgen: Nach einer langen Durststrecke wühlt sich die Offroad-Schmiede Husqvarna wieder aus der Krise.

Kein leichter Job, den sich Romano Albesiano da aufgehalst hat. Im Oktober 2002 fand sich der 40-Jährige von heute auf morgen als Entwicklungschef von Husqvarna wieder. Vorgänger Ampelio Macchi hatte nach einem heftigen Streit mit Big Boss Claudio Castiglioni sein eigenes Ingenieurbüro gegründet und widmet sich seither der Entwicklung eines Offroad-Motors für Aprilia (siehe Seite 8).Albesiano, bis dahin im Mutterkonzern MV Agusta für die Marke Cagiva zuständig, erbte neben dem Titel einen Sack voller Probleme. Zwar war ein moderner Viertaktmotor mit zwei Nockenwellen und Elektrostarter fertig, passend für 250, 450 und 510 cm3, und verdiente sich in der Cross- und der Enduro-WM auch schon seine Sporen. Doch er wurde nicht in Serie gebaut, da die ganze MV-Agusta-Gruppe in einer bösen Krise steckte. Ende 2002 kam die rettende Finanzspritze von den Banken. Erst dann konnte Albesiano loslegen und die Serienproduktion in die Wege leiten.Die läuft inzwischen auf vollen Touren. »Wir können unser Ziel von rund 14000 Motorrädern für dieses Jahr wohl einhalten«, sagt der Ingenieur erleichtert. Anfang des Jahres liefen die 125er- und 250er-Zweitakter vom Band, seit Sommer die lang erwarteten neuen 250er und 450er, im Dezember kommt dann die 510 dazu. Eile tut Not, denn die Japaner und KTM haben die Lücke, die Husqvarna in den letzten zwei Jahren ließ, gern besetzt. Albesiano will die treue Husky-Kundschaft vor allem durch bessere Verarbeitung zurückgewinnen. So ließ er den neuen Motor ein umfangreiches Dauertest-Programm durchlaufen und nahm sich vor dem Produktionsstart der Wehwehchen der Husky-Palette an – vom losgerüttelten Seitenständer bis zum Auspuff, der am Reifen scheuerte. »Das bringt viel Arbeit und wenig Ruhm«, meint der Norditaliener aus dem Piemont verschmitzt. »Aber es ist extrem wichtig.«Kleinere Tests für solche Verbesserungen macht Freizeit-Crosser Albesiano selbst, doch der Husky-Mann fürs Grobe heißt Alex Puzar. Auf dem Gelände Malpensa nahe Mailand, nur eine halbe Stunde vom Werk in Varese entfernt, testet der zweimalige Cross-Weltmeister gerade die 250er-Viertakter, sowohl die Cross- als auch die Enduro-Version. Der 34-Jährige nimmt seinen Job sehr ernst: »Mein Urteil entscheidet letztlich über die Geometrie des Motorrads. Das ist eine ganz schöne Verantwortung.« Und so kennt er keine Gnade, springt und driftet bis an die Grenzen des Materials. Eine überzeugende Vorstellung.Die Kunden werden es ihm danken, lieben die meisten das Dirty Dancing genauso wie Puzar. Rund 80 Prozent kaufen ihre Husqvarna für den Einsatz bei Cross-, Enduro- und Supermoto-Rennen. »Den Bereich außerhalb der Rennszene haben wir bis-lang vernachlässigt«, gibt Romano Albesiano zu. Das soll sich jedoch ändern. Zu den Zukunftsplänen des Ingenieurs gehört auch eine Reiseenduro – leicht, handlich und antrittstark soll sie sein. Den passenden Motor dafür hat er schon.

Interview mit Claudio Castiglioni

MOTORRAD sprach mit Claudio Castiglioni, Chef von MV Agusta, Cagiva und Husqvarna.

Wie kamen Sie 1986 dazu, Husqvarna zu übernehmen? Für den damaligen Eigentümer Electrolux waren Motorräder nur ein Nischenprodukt in einem Riesen-konzern, um die man sich nicht intensiv genug kümmern konnte. Verschwinden lassen wollte Electrolux die Marke auch nicht. Wir dagegen hatten die nötige Technik und wollten unser Offroad-Engagement ausbauen. Die Beziehungen zu Electrolux sind so gut, dass die Schweden jetzt Anteile erwerben. Ist das eine Übernahme auf Raten? Nein. Aber Electrolux weiß, was wir für die Marke getan haben. Dass der Konzern einen kleinen Anteil an der MV-Agusta-Gruppe erwirbt, ist eine Geste der Anerkennung und des Vertrauens. Was wollen Sie mit Husqvarna? Gewinnen. Und zwar nicht unbedingt Titel, sondern Freunde und Kunden. Klar, der Rennsport ist nötig, aber er ist nicht das Wichtigste. Zumal Husqvarna sowieso schon alles gewonnen hat. Jetzt müssen wir die Zuverlässigkeit unserer Motorräder beweisen. Die Schönsten auf dem Markt sind sie sowieso. Planen Sie einen Zweizylinder-Motor für Husqvarna? Aktuell nicht. Unser Motor ist neu und hat viel Potenzial für Evolutionen. Ich finde, Zweizylinder eignen sich eher für die Straße.

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MOTORRAD 20 / 2023

Erscheinungsdatum 15.09.2023