Immer schneller werden die Motorräder, drehen immer höher, fahren immer weiter. Warum nur müssen die Instrumente, die uns das anzeigen, immer hässlicher werden?
Immer schneller werden die Motorräder, drehen immer höher, fahren immer weiter. Warum nur müssen die Instrumente, die uns das anzeigen, immer hässlicher werden?
Inquisitor zum Folterknecht: »Zeige er ihm die Instrumente.« Umberto Eco. Der Name der Rose
E s gibt hässliche Motorräder. Aber das ist nicht wirklich tragisch. Denn diese Hässlichkeit verschwindet, sobald man sie positiv besetzt. Indem man sich draufsetzt, aufs Motorrad.
Es gibt hässliche Tachos. Und das ist wirklich tragisch. Denn diese Hässlichkeit verschwindet nicht, wenn man sich draufsetzt. Sie starrt einen an, die Hässlichkeit der Tachos, die keine mehr sind. Sondern Cockpits, Instrumentenbretter, Multifunktionskonsolen, Mäusekinos.
Was war denn das Problem mit
den Smith-, Veglia- oder VDO-Uhren, mit roten, weißen, schwarzen Zeigern im klassischen Rundinstrument? Solide und schön. Aber ungenau. Na und? Zehn
Kilometer hin oder her, egal. Motorrad-
fahrer sind doch keine Erbsenzähler, und die Geschwindigkeit zu spüren ist allemal besser, als sie aufs Komma genau von
einem gruseligen Teil mit eckig zuckenden Ziffern ablesen zu müssen. Bremst jeden Geschwindigkeitsrausch.
Andererseits: So ein haargenauer
Digitaltacho passt um einiges besser in unsere verkehrsreglementierte Epoche, und er macht es viel einfacher, sich immer mehr immer unsinnigeren Tempo-
limits unterzuordnen. Und das auf die ganz billige Tour.
Weiß doch jeder, der schon mal bei Woolworth ne Uhr gekauft hat, dass die allerbilligsten der billigen immer eines
gemein haben: Digitalanzeige. Die galt in den Achtzigern ganz kurz mal als schick, zu einer Zeit, als auch pinkfarbene Netztops Mode waren und man Pamela Ewing oder Samantha Fox ungestraft für eine Beauty-Queen halten durfte. Später dann haben nur bekennende Freunde der Hässlichkeit digital getragen oder solche, die stets unfähig waren, eine analoge Uhr überhaupt zu lesen.
Wobei: Die klassischen Uhren am Motorrad waren seit jeher leicht zu verstehen. Weil sie nicht allein einen nüchternen Wert anzeigen, sondern obendrein die Dynamik der Bewegung visualisieren. Und sie geben ein Versprechen, präsentieren, was mit der Maschine alles geht wow, 300 auf dem Tacho. Bis dahin ein hübsch skaliertes Kontinuum, durch das der Zeiger wandern, preschen, schnellen, sich hangeln kann. Die Flüssigkristalle heutiger Infozentren hingegen zeigen nur Anfang und Ende, flirren dazwischen
wirr rum, stottern abgehackt Infos raus, unsinnlich, irgendwie nutzlos. Von null
auf hundert über 29, 45, 78, 91.
Freilich, beim Drehzahlmesser siehts nicht ganz so schlimm aus. Bei den Umdrehungen nämlich geht es meist noch rund, mit einer Nadel. Obwohl: Bei der
Z 1000 etwa hat Kawasaki derweil versucht, einen Zeiger elektronisch nach-
zuempfinden. Einen Zeiger elektronisch nachzuempfinden! Demnächst werden sie gar das Rad neu erfinden. Digital. Und vermutlich irgendwie eckig.
Aber selbst da, wo es derart weit noch nicht gekommen ist, ist man schon ganz weit gekommen auf dem Weg zur
Perfektionierung der Hässlichkeit des Instruments, der kompletten Cockpitgestalt vielmehr. Wegweisend: Cagiva Raptor. Deren Drehzahlmesser krankt irgendwo zwischen Schmelzkäseschachtel und Toblerone. Honda. Die haben das mit dem Drehzahlband an der VTR 1000 SP-2
wohl gründlich missverstanden. Suzuki. Packen an die SV 1000 ein Gerät, so verboten geformt, dass zu dessen Beschreibung hoffentlich niemals ein passendes Wort erfunden wird.
Schöner sieht das Armaturenbrett der Aprilia RSV mille zwar auch nicht aus, doch lässt sich das zumindest noch mit der stilprägenden Formensprache eines Opel D-Kadett fassen. Fassen, darum geht es. Unfassbar nämlich, wie viele Anzeigen mittlerweile reingepresst werden ins Cock-
pit. Temperatur, Uhrzeit (mit Sekunde), Benzin, Laptimer, Distanz zum nächsten Café, Lottozahlenzufallsgenerator, Winddruckmesser und Schräglagenindikator.
Muss aber sein, damit der auf die
permanente Reizüberflutung der modernen Informationsgesellschaft konditionierte Mensch sich nicht urplötzlich allein
gelassen vorkommt, wenn ihm die Instrumente an seiner Mühle nur Geschwindigkeit und Drehzahl anzeigen. Das wäre zwar mehr als genug, um das Motor-
radfahren in seiner reinen Form zu ge-
nießen. Aber wer will das denn heute? Denken die Hersteller und verbrechen
immer hässlichere Plastikkonsolen.
Wo doch längst schon klar war: Die Welt ist rund, und sie dreht sich.
Elektronik statt Feinmechanik: Chips verdrängen
in den altehrwürdigen Tachometern und Drehzahlmessern das Uhrmacherhandwerk.
Die letzte Bastion ist gefallen. Elektronische Tachos setzen sich in großem Stil gegen mechanische Uhren durch. Bei Letzteren versetzt das Vorderrad oder die Getriebeausgangswelle über einen Schneckentrieb eine biegsame Welle in Rotation. Diese wiederum treibt im Instrument eine Dauermagnetglocke an, die abhängig von ihrer Drehzahl einen Wirbelstrom erzeugt. Je nach der Größe des Wirbelstroms wird eine drehbar gelagerte Aluminium-Trommel, auf der die Tachonadel sitzt, gegen eine Spiralfeder verdreht. Genau nach dem gleichen Prinzip arbeiten mechanische Drehzahlmesser, deren Antrieb von der Nocken- oder Kurbelwelle aus erfolgt. Die Tachowelle treibt aber auch das mechanische Zählwerk des Wegstreckenzählers an, das über ein Räderwerk die Zahlenwalzen weiterdreht. Ganz anders dagegen die neue Generation. Am Rad oder Kettenritzel sitzt entweder ein induktiver oder ein Hall-Geber, der über ein Kabel mit der Instrumenteneinheit verbunden ist. Deren Elektronik verarbeitet das Eingangssignal von Geschwindigkeit oder Motordrehzahl und gibt es als »analoge« Anzeige oder als Leuchtdioden-Display in Zahlenform oder als Balkendiagramm aus. Die Elektronik bietet daher sämtliche Gestaltungsmöglichkeiten von konventioneller Optik bis zum futuristischen Design und dank des Entfalls der Tachowelle weniger Störquellen.