Vor 25 Jahren startete die spartanische Yamaha SR 500 ihre Erfolgsgeschichte. MOTORRAD hat den Klassiker zum nostalgischen Ausritt noch einmal angetreten.
Vor 25 Jahren startete die spartanische Yamaha SR 500 ihre Erfolgsgeschichte. MOTORRAD hat den Klassiker zum nostalgischen Ausritt noch einmal angetreten.
Das Starten macht ein klammes Gefühl. Immer noch. Was, wenn nicht? Dann gehts los, Gefummel mit Kerzenschlüssel und mühseligem Anschieben, in der Hoffnung, dass der Single sich gnädig erweisen möge. Die einzelnen Schritte des Rituals haben sich bis heute fest eingebrannt. Zündung ein, Choke, den Kolben ein paar Millimeter über den oberen Totpunkt bugsiert, natürlich ohne dabei ins Nockenwellenfensterchen zu starren, dann der schwungvolle Tritt putte, putte, putte geschafft. Bis dahin baumelt der Helm am Ellbogen, die Lederjacke am Lenker, man weiß ja nie. Und während der Reiter in den Dress steigt, nutzt der Single die Zeit, um im stabilen Leerlauf das Öl in die entlegensten Winkel zu pressen.
Das war nicht immer so. Harmonierten Zündung und Gemisch nicht perfekt, kurbelte der eigenwillige Yamaha-Eintopf beim missglückten Startversuch einfach rückwärts, mit dem Ergebnis, dass der aus gutem Grund äußerst solide konstruierte Kickstarterhebel gnadenlos gegen das Schienbein schlegelte. Unzählige blau angelaufene Knöchel, ja selbst gebrochene Sprunggelenke hat die SR 500 auf dem Gewissen. Und die Legende, dass leichtgewichtige SR-Mädchen via Kickstarter aufs Garagendach geschleudert wurden, hält sich bis heute hartnäckig.
Genauso wie der Mythos vom bärenstarken Drehmoment und dem sagenhaften Einzylinder-Durchzug. Papperlapapp, davon war 1978 nichts zu spüren, und das ist heute noch immer so. Nur heute darf mans ohne Verblendung schreiben, ohne von der Einzylinder-Fraktion als Verräter geächtet zu werden. Woher soll es auch kommen, bitte schön?
Der Zweiventilmotor, simpel und logisch aufgebaut, ohne Schnick und ohne Schnack, die klassische Verbrennungsmaschine im Viertaktverfahren. Aber weit weg vom leistungsorientierten Kraftwerk. Selbst auf eine Ausgleichswelle verzichtete Yamaha. Vibrationen olé! Wer sich daran störte, befand sich auf dem falschen Dampfer. Unterm Strich war der SR-Motor kein Reißer, weil untenrum der ganz dicke Bums und oben die Spritzigkeit fehlten. Was in den Hochzeiten der SR-Kultur dazu führte, dass der Markt mit jeder Menge Tuningteile überschwemmt wurde. Mehr oder weniger effizient, brachten dabei nur einige wenige Künstler in der Tuningszene dem SR-Motor handfeste Manieren bei, die den Single massiv beflügelten und den Glauben an die hochgelobten Einzylinder-Tugenden festigten. Doch einfach so aus der Kiste blieb die Yamaha SR 500, wie so vieles im Leben, eher der Sphäre des Mittelmäßigen verhaftet.
Zumindest, was die schiere Kraft betrifft. Denn in Sachen Emotionen steuerte die SR 500 vom ersten Tag an auf Erfolgskurs. Ausgerechnet in einer Zeit, die immer mehr Leistung, mehr Hubraum, mehr Speed forderte die 100-PS-Schallmauer war bereits niedergewalzt , stand die SR für die Puristen der Szene wie der Fels in der Brandung. Alle, die den Traum von der spartanischen Fahrmaschine träumten, fanden in der damals zirka 4500 Mark teuren Yamaha ihr Ding.
Und heute? Bleibts dabei. Zugegeben, es braucht ein paar Kilometer, um von der Perfektion und Power aktueller Bikes wieder auf den Boden der SR zu kommen. Aber es gelingt, wenn der Zugang zum Ursprünglichen nicht komplett blockiert ist.
Die Relation machts aus, Berge werden zu lockeren Flachetappen, ein Dreh am Gasgriff, und schon schweben Ross und Reiter über die Höhenzüge der Schwäbischen Alb, die der Reiter ein paar Tage zuvor noch auf dem Mountainbike emporstrampelte. Mit brennenden Schenkeln und pochendem Herzen hatte er jedes halbe Grad an Steigung bewusst erduldet, jetzt sausen Felsformationen und Landschaften im Flug vorbei, und einen Augenblick später liegt dir die Welt zu Füßen. So betrachtet eröffnen die 34 PS der SR 500 dem Menschen ungeahnte Perspektiven: Denn er bewegt sich doch.
Das Fahrwerk, wie der Motor Inkarnation der reinen Lehre vom klassischen Krad, zeigt sich für die Wanderung durch die große oder kleine Welt gut genug. Zumal der Reiter die Erkenntnis, dass nicht die Geschwindigkeit, sondern die Sattelfestigkeit das Maß aller Dinge ist, bereits in jungen Jahren schmerzlich erleben musste. Bringen Bodenwellen und Flickenteppiche das Ross aus dem Trab brrrrr, strafft man eben die Zügel. Schließlich verfügt auch die SR 500
über die glorreiche Erfindung des stufenlos regulierbaren Gasgriffs, der, wenns brenzlig wird, einfach zugedreht wird. Heldentum ist auf der SR 500 fehl am Platz, zumal funkende Rasten und noch mehr exponiertes Metall den Helden einbremst. Und so stellt sich das Erlebnis
SR 500 nicht für jeden ein. Hängt sicherlich auch damit zusammen, dass die Ausstrahlung des Einzylinders heute vielmehr einem sentimentalen Zeitsalto rückwärts gleichkommt. Früher, ja früher...
Und warum hat man bei Yamaha
dieses Gefühl nicht für die Gegenwart konserviert? Weil die Möglichkeiten, den Klassiker in die Neuzeit hinüberzuretten, sich als äußerst begrenzt erwiesen.
Reglementiert und verschnürt bis zum
stummen und kraftlosen 23-PS-Motor, war 1999 Schluss mit der SR-Legende.
Was wäre, wenn Yamaha den Single rundum renoviert hätte? Mit Vierventilkopf, einer effizienten Luft-/Ölkühlung, um die Kühlrippenoptik nicht zu kippen und trotzdem ein thermisch gesundes Aggregat zukunftsträchtig zu gestalten? Das Ganze in ein schickes, leichtes Rohr-
gestell transplantiert, mit klassisch sportlichem Outfit à la Norton Manx oder Matchless G 50?
Oder einen Tick wilder, als straßentauglicher Dirttrack-Kracher nach amerikanischem Vorbild. Mit mächtigen Doppelrohr-Trompeten in halber Höhe, spartanischem Sitz und Tropfentank.
Das Problem dabei: Die ganzen Mühen und Kosten hätten aller Wahrscheinlichkeit nach in einer völlig unrentablen Stückzahl geendet. Denn der Niedergang der Straßen-Singles war ab Mitte der neunziger Jahre bis auf wenige Ausnahmen nicht mehr aufzuhalten. Zwischen
einem hochgejubelten Star und tatsächlich unterschriebenen Kaufverträgen liegen mitunter Welten. Das mussten auch die italienischen Techniker der rührigen Entwicklungsfirma Belgarda einsehen, die mit der netten, aber etwa zu üppig gekleideten SZR 660 kläglich scheiterten.
Logisch, bei einer Yamaha SR 500 sieht das ein wenig anders aus. Hier steht eine ganze Heerschar treuer Single-Fans Gewehr bei Fuß. Doch weil eine renovierte SR-Version ausbleibt, findet die nostalgische Ausfahrt zum dreißigsten Geburtstag mit Sicherheit ihre Wiederholung. Ich freu mich schon jetzt drauf.