Aprilia RSV 250-Grand Prix-Motor

Aprilia RSV 250-Grand Prix-Motor Treibende Kraft

Ein überlegenes Motorenkonzept machte die 250er Aprilia-Werksfahrer zu den souveränen Überfliegern der Saison 1998. MOTORRAD lüftet das Geheimnis der Zweitakt-Renner aus Noale.

Aufbruchstimmung. Stapelweise schleppen die Aprilia-Mechaniker feinste Kohlefaser-Räder in die blitzsauberen Trucks, ein halbes Dutzend 250er Werks-Motoren, fix und fertig montiert und auf dem Prüfstand erprobt, werden verstaut und festgezurrt, heißer bellen die schwarzen GP-Bikes von Valentino Rossi und Tetsuja Harada durch das hoch umzäunte Werksgelände, bevor sie in den riesigen Lkw verschwinden.
Mittendrin im hektischen Treiben Aprilia-Rennchef Jan Witteveen, der Mann, der maßgeblich hinter den grandiosen Sporterfolgen steht. »Wir spulen übermorgen in Jerez ein riesiges Testprogramm ab, die Jungs werden heute Nacht wohl eine Sonderschicht einlegen, aber für euch haben wir trotz der Hektik alles vorbereitet.« Er grinst, zieht die Werkstattür auf. »Wie abgemacht, hier liegen alle Motorenteile unserer GP-Maschinen, ich melde mich, sobald unsere Trucks reisefertig sind.« Na dann los. Fotograf Dave Schal postiert die Beleuchtungsanlage, und ein Aprilia-Rennmechaniker wuchtet die edle Komposition aus Alu, Titan und Magnesium ins recht Licht. Während Dave mit seiner Großbildkamera die exklusiven Werksteile bis ins letzte Detail und aus allen Lagen einfängt, bleibt Zeit genügend Zeit für einen lehrreichen Ausflug ins Innenleben der erfolgreichen Drehschiebermotoren.
Womit wir bereits beim Thema sind. Denn gerade dem Einlaßsystem der Aprilia wird die leistungsmäßige Überlegenheit gegenüber der japanischen Konkurrenz zugeschrieben (siehe Kasten Seite 148). Seitlich der beiden gegenläufig rotierenden, über Stirnräder gekoppelten Kurbelwellen sitzt je ein Dellorto-Flachschieber-Vergaser mit Magnesium-Gehäuse. Freier Querschnitt der extrem kurzen Gasfabrik: sage und schreibe 42 Millimeter (zum Vergleich: Honda RS 250 Production Racer xx Millimeter Durchlaß). Überraschend dabei, daß Aprilia auf jegliche elektronisch oder pneumatisch geregelte Gemischanreicherung, das sogenannte Power-Jet-System, verzichtet.
Gesteuert wird der Einlaßvorgang ins Kurbelgehäuse von Plattendrehschiebern aus federleichtem, aber hochfestem Kohlefaserwerkstoff. Um die Reibung der mit Kurbelwellendrehzahl rotierenden Schieber zu verringern, sind die Gehäuseoberflächen mit Öltaschen versehen und zudem keramikbeschichtet. Ungewöhnlich: Die schräge Öffnungskante der Drehschieberplatte, die den Ansaugquerschnitt kontinuierlich freigibt, hat sich strömungstechnisch als die beste Lösung herauskristallisiert. Ist der Kanal vollständig geöffnet, gelangt das Benzin/Luft-Gemisch auf kürzestem Weg und mit geringstem Widerstand ins Kurbelgehäuse.
Im vertikal geteilten Aluminium-Motorgehäuse sitzen die SKF-Rollenlager der Kurbelwellen nicht direkt im Leichtmetall, sondern in eingegossenen, widerstandsfähigen Stahl-Stützringen. Die gelegentlich verwendeten federleichten, aber kapriziösen Magnesium-Gehäuse machten den Mechanikern erhebliches Kopfzerbrechen. Da bei den Aprilia die Kurbelgehäuse wassergekühlt sind, kam es durch Korrosionsschäden zu Undichtigkeiten des Kurbelgehäuses. Der Hintergrund: Da der Zweitaktmotor sein Gemisch durch das Kurbelgehäuse bezieht, versucht man die Erwärmung desselben und somit Leistungsverluste zu verhindern.
Neben dem flüssigkeitsgekühlten Gehäuse noch eine Überraschung: Anstatt wie üblich die Kurbelwellen im Bereich des Hubzapfens mit Erleichterungsbohrungen für den Massenausgleich auszustatten, geht Aprilia hier einen anderen Weg. Die Wangen sind nicht erleichtert, sondern an der gegenüberliegenden Seite für den optimalen Wuchtfaktor mit einer Wolfram-Schwermetallegierung (etwa 2,3mal schwerer als Stahl) aufgefüttert. Vorteil: Die Kurbelwelle wird im Bereich des Hubzapfens nicht geschwächt und bleibt somit sehr steif gegen Durchbiegung, gleichzeitig ergibt sich eine glattflächig Kurbelwange ohne Aussparungen (Foto Seite 151). Schließlich läßt sich eine leistungs- und drehmomentsteigernde Vorverdichtung nur erzielen, wenn der Totraum im Kurbelgehäuse auf ein Minimum reduziert wird.
An den beschichteten Zylindern selbst lassen sich keine weltbewegenden Details erkennen. Fünf Überströmkanäle in konventioneller Anordnung transportieren den im Verhältnis 1:20 mit Schmieröl angereicherten Kraftstoff in Richtung Verdichtungsraum. Natürlich sind alle Kanäle von Hand nachgearbeitet, in Schlitzhöhen und Einströmwinkeln penibel korrigiert und mit messerscharfen Steuerkanten sowie hauchdünnen Stegen am Limit der Haltbarkeit.
Dasselbe Bild am dreigeteilten Auslaß, bei dem nur der Hauptkanal vom elektronisch gesteuerten Flachschieber in seiner Höhe verändert wird, während die weit über die Spülkanäle gezogenen Zusatzausläße in allen Drehzahlbereichen den vollen Querschnitt aufweisen.
Verdichtet wird das Gemisch in einer zylindrischen Brennraumkalotte mit breiter Quetschkante. Der eigentliche Brennraum ist direkt auf der Zylinderbuchse verschraubt, der Wassermantel selbst wird, durch O-Ringe abgedichtet, darüber gestülpt und mit fünf 6er Titanschrauben befestigt.
Standesgemäß werden die rund 100 PS via Trockenkupplung ans Schnellwechselgetriebe weitergeleitet. Bis 14000/min können Harada und Co. den Aprilia-Motor auspressen, ohne daß der Twin in Rauch aufgeht. Die maximale Leistung steht allerdings schon gut 2000/min vorher an.
»So, alles schön ausspioniert ?« Der Chef ist zurück, und beim anschließenden Interview macht der gebürtige Holländer keinen Hehl aus den technischen Problemen der vergangenen Saison, kommt aber dennoch zu einem positiven Ergebnis: »Durch die Umstellung auf bleifreien Sprit rechnete ich mit viel drastischeren Problemen. Die paar ausgeglühten Pleuellager und Kolbenklemmer? Wir sind, was die Motorschäden angeht, tatsächlich mit einem blauen Auge davongekommen.«
Weil Blei nicht nur die Klopffestigkeit des Kraftstoffs erhöht, sondern auch eine gewisse Schmierfähigkeit mit sogenannten Notlaufeigenschaften besitzt, mußte die Laufleistung der Kurbelwellen unter Verwendung von bleifreiem Rennsprit auf rund 800 Kilometer halbiert werden, bevor sie, mit neuen Pleuellagern bestückt, wieder verwendet werden können. Kolben mitsamt Ring fliegen nach 150 Kilometer auf den Müll, das Alu-Gehäuse dagegen hält nicht zuletzt wegen der zwischen sechs und zehn Prozent geringeren Endleistung gegenüber dem Vorjahr eine ganze Saison.
Aber nicht nur die Schmierung, auch die Vergaserabstimmung ist mit dem bleifreien Kraftstoff wesentlich heikler. »Die Verfärbung auf dem Kolbenboden läßt sich kaum mehr ablesen und analysieren. Private Teams ohne Datenaufzeichnung, bei der Auspufftemperatur und Klopfsensoren eine korrekte Einstellung erlauben, haben einen schweren Stand«, erläutert Jan Witteveen die Folgen des neuen technischen Reglements.
Zur Erklärung für alle Nicht-Zweitakt-Freaks: Zweitaktmotoren reagieren auf ein zu mageres Gemisch, also einen zu geringen Benzinanteil in der angesaugten Luft, mit Überhitzungen am Kolbenboden und sogenannten Detonationen, einer unkontrollierten Verbrennung, die zum Schmelzen des Kolbenbodens und als Folge zu Kolbenklemmern führen kann (siehe Foto Seite 148). Geht der Motor fest, droht dem Fahrer durch das blockierte Hinterrad ein Sturz, den er - wenn’s ihm denn noch gelingt - nur durch blitzschnelles Ziehen der Kupplung verhindern kann.
Als weitere Folge der heiklen Abstimmungsarbeit sieht Witteveen auch die Startprobleme seiner Werksfahrer. Vor allem der vordere, liegende Zylinder neigte bei der langsam gefahrenen Warm-up Runde zu Zündaussetzern durch Überfetten. Machte der Pilot dann beim Start noch den geringsten Fehler mit Kupplung und Drehzahl, war`s passiert.
»Unsere Drehschiebermotoren reagieren sehr empfindlich auf die Vergaserbedüsung, und die wird in erster Linie auf superschnelle Rundenzeiten getrimmt. Wenn wir dann noch einen akzeptablen Kompromiß für die Startprozedur finden, sind wir happy, aber das klappt eben nicht immer.«
Trotzdem ist der Boß der 110köpfigen Rennabteilung optimistisch, was die kommenden Rennen angeht. Schließlich hat man den Erzfeind Honda nach Strich und Faden abgeledert und die WM-Plätze eins bis drei in Beschlag genommen. Für Witteveen dennoch kein Grund zur Überheblichkeit. »Honda hat in seinen bisher erfolglosen NSR 250-Werksmaschine ein paar beachtliche Ideen verwirklicht. Wird das Konzept optimiert, müssen wir auch die Honda wieder ins Kalkül ziehen«, blickt er eher realistisch in die Zukunft.
Unbestritten hält Aprilia am jetzigen Motorenkonzept fest, und auch das Thema 500er Drehschieber-Twin geht man in Noale mit Nachdruck an. Auf die Frage, ob Aprilia durch ihre brandneue Einspritztechnolgie für Straßenzweitakter auch mit einem straßentauglichen 500er Supersportler kalkuliert, grinst der Chef verschmitzt. »Zuerst müssen wir damit erfolgreich Rennen fahren und Rennen gewinnen, tja, und dann...“

Technik transparent - Loch an Loch - und läuft doch

Wenn es um Höchstleistung geht, hat das Drehschieberkonzept klare Vorteile: Der Einlaßkanal kann extrem kurz und geradlinig angelegt werden, die Strömungsverluste sind dadurch sehr gering, Füllung und Maximalleistung optimal.Die Nachteile: Bei Mischungsschmierung streicht der Gasstrom aus Luft/Öl und Benzin über das hochbelastete Pleuellager hinweg (Skizze 1), die Schmierung erfolgt dabei nur über den von den Kurbelwangen aufgewirbelten Ölnebel im vorverdichteten Benzin/Öl/Luft-Gemisch.Die Einlaß-Steuerzeiten können im Gegensatz zu althergebrachten kolbengesteuerten Motoren zwar asymmetrisch angelegt werden, sind aber für alle Drehzahl- und Lastbereiche gleich. Lange Öffnungszeiten, also ein großes, freies Kreissegment an der Platte, begünstigt in niedrigen und mittleren Drehzahlen jedoch ein Zurückströmen des Gemischs, da sich der Kolben vor Schließen des Einlasses bereits nach unten bewegt. Das Gemisch wird in die Airbox zurückgepreßt, vermischt sich dort mit der Ansaugluft des darauf folgenden Arbeitstaktes und reichert somit das Benzin/Luft-Gemisch zusätzlich an, der Motor überfettet, verliert an Leistung oder leidet an Zündaussetzern. Lange Steuerzeiten sind jedoch notwendig, um eine möglichst hohe Motorleistung zu erzielen. In höheren Drehzahlen, wenn das Resonanzsystem der Auspuffbirne zum Tragen kommt, baut sich eine sehr hohe Gasgeschwindigkeit im Einlaßtrakt auf und füllt, obwohl der Kolben bereits abwärts geht, das Gehäuse mit Frischgas. Es entsteht ein sogenannter Ladeeffekt. Um die Nachteile von Kolben- oder Drehschiebersteuerungen auszumerzen, perfektionierte Yamaha in den siebziger Jahren (RD- Baureihen) die als Rückschlagventil wirkende Membransteuerung. Dabei öffnen Federplättchen aus Stahl oder Kunststoff bei Unterdruck im Kurbelgehäuse den Einlaßkanal. Läßt der Unterdruck nach, schließen die Membranzungen, das Gemisch kann nicht mehr in die Airbox zurückströmen. Der Motor läuft mit diesem System sehr weich und elastisch, weshalb Straßenzweitakter, später auch Cross- und Rennmotoren von dieser Lösung profitierten. Ein weiter Vorteil: Das Öl/Luft/Benzin-Gemisch strömt direkt auf das Pleuellager (Skizze 2), Kühlung und Schmierung sind somit optimal.Der Nachteil: Die Membranzungen und der Membrankörper zerklüften den Einlaßkanal stark, die Strömungsverluste speziell in den oberen Drehzahlen wirken sich negativ auf die Spitzenleistung aus.

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