Das kleine Motorradtypenbezeichnungs-ABC, Teil zwei, E – H
VSOP 850 FLHRSI

Babylonische Sprachverwirrung oder eine stringente Systematik? Worauf gründen sich die Modellbezeichnungen der Hersteller?

VSOP 850 FLHRSI
Foto: Harley-Davidson

Beim schwedischen Möbelgiganten Ikea hat man es längst begriffen: Eigennamen vermitteln was Persönliches, da baut der Kunde viel bereitwilliger eine Beziehung zum Produkt auf. Ein Bücherregal namens QTR V7Z hätte niemals den Bekanntheits- und Beliebtheitsgrad des Klassikers Billy erreichen können. Bei Maschinen mag es sich indes anders verhalten. Beispiel: R2-D2, der nette kleine Star-Wars-Roboter, der übrigens nicht nach Zweitaktern von Yamaha heißt.
Und bei Motorrädern, diesen emotional aufgeladenen Maschinen? Die stehen irgendwo zwischen Billy und R2-D2, tragen zunehmend Eigennamen, kommen aber meist nicht ohne Typkürzel aus. Beispiel Honda Fireblade. Hieß 2003, noch als 900er, schlicht Fireblade, heißt 2004 CBR 1000 RR Fireblade. Damit es ein jeder merke, dass sich da am Hubraum der Feuerklinge was getan hat. Nicht nur da. So fährt der vollverkofferte Nachfolger
der NTV 650 wohlklingend als Deauville durch die Lande. Wobei der französische Badeort weit weniger über das Motorrad verrät, als es das Kürzel NTV noch vermochte. NTV, da wusste der Eingeweihte gleich: aha, Straßenmotorrad mit Viertakt-V2 und quer liegender Kurbelwelle.
Ebenso flott findet sich der Kenner in Harleys Buchstabensalat zurecht, weiß sofort, dass die FXDWGI nur eine Dyna Wide Glide und die FXSTSI nur eine Springer Softail sein kann. Sie sind noch kein Kenner? Lesen Sie weiter.

Unsere Highlights

Typenbezeichnungs-ABC Teil 2: E - H

Enfield: Zwar produziert der Hersteller
Enfield India Ltd. in der indischen Provinz Madras auch das sieben PS starke Dieselmotorrad Taurus (lateinisch: Stier) weiter, aber der deutsche Indian-Importeur, die
Zülpicher Motorrad-Technik GmbH, führt
offiziell nur das antiquierte Modell Bullet 500 im Programm. Der Name des rund 70 Jahre alten Singles steht euphemistisch für Geschoss oder Gewehrkugel. Das Geschoss gibt es ohne Nachnamen als Basisversion. Der Zusatz DeLuxe/Silverstar verweist auf verchromten Tank und Kotflügel der Variante. Der Markenname Enfield ist ebenso
wie die Modellbezeichnung Bullet historisch
bedingt. Denn die Firmengründer hatten
einen Vertrag mit einer Waffenschmiede in Enfield, gelegen in der englischen Grafschaft Middlesex. Während sie Gewehrteile für diese Firma produzierten, fabrizierten
sie auch ihr erstes Motorrad.
Harley-Davidson: Kein anderer Hersteller bezeichnet seine Modelle neben deren Eigennamen mit so ausufernden Buchstaben- und Zahlenkolonnen wie Harley-
Davidson: FLHRSI, FXDWGI, FLHTCUI... Auf den ersten Blick wirkt das schlicht verwirrend. Ist es aber nicht wirklich. Denn
die Amis halten sich an eine historisch gewachsene und baureihenbezogene Systematik. Zahlen stehen stets für Hubraum, wobei 1200 und 883 den Hubraum in Kubikzentimetern angeben. 88 – wie beim Twin Cam-Motor – und 53 – wie im Falle der Sportster Custom 53 – geben den Hubraum im amerikanischen Maß, also in Cubic Inches wieder, umgerechnet 1449 und 883 cm3.
Die 22 Modelle, die Harley 2004 in fünf
Baureihen anbietet, besitzen allesamt eine eigene Typbezeichnung, basierend auf dem Kürzel der jeweiligen Modellreihe. XL steht nach dieser Logik immer für eine Sportster. In der Vergangenheit wurde das XL mit
weiteren Buchstaben kombiniert, wie etwa CH für Competition hot (heißer Wettbewerb) oder CR für Café Racer. Heute beschränkt sich das Angebot bei der Sportster auf
C- und R-Varianten, wobei C Custom und
R – anders als in der Kombination CR –
Roadster meint. Die XL 1200 C beispielsweise ist also eine 1200er-Sportster in
Custom-Ausführung.
Luftgekühlte Big-Twin-Motoren tragen das Kürzel F, und zwar seit Jahrzehnten. Steckt der Twin Cam in einem Tourerfahrwerk
mit 16-Zoll-Vorderrad, folgt auf das F traditionell ein L. Die Kombination FX ist eine Zusammenziehung von XL und FL. Sie
ergibt sich konstruktionsbedingt, denn bei den FX-Modellen entstammen Gabel und Vorderrad der Sportster (XL) und Rahmen, Triebwerk und Hinterrad von den Tourern (FL). Schließt sich an das FX ein D an, handelt es sich um eine Dyna Glide, folgt jedoch ein ST um eine Softail. Die Dyna Glide
(dynamisches Gleiten) verfügt stets über eine Telegabel, zwei stehende Federbeine und eine vibrationsisolierende Motoraufhängung, wohingegen eine Softail auch eine Springabel haben kann und immer eine starre Motoraufhängung sowie zwei unter dem Triebwerk liegende Federbeine besitzt. Weil die Federbeine nicht zu sehen sind, wirkt das Rahmenheck (tail), als wäre es starr (hard). Ist es aber nicht, weil gefedert, also soft. Die Softail-Modelle sind in
touringorientierte FL- und sportlichere
FX-Varianten unterteilt. FLST: Version mit breiter FL-Gabel und 16-Zoll-Vorderrad. FXST: Version mit schlanker Tele- oder Springergabel und 21-Zoll-Vorderrad.
Die aufgeführten Basisbezeichnungen
werden je nach Modellspezifikation um mehrere Buchstaben erweitert. B: Bad Boy (böser Junge). C: Classic oder Custom. F: Fat Boy (fetter Junge). G: Glide, WG: Wide Glide (weites Gleiten). H: Highway. I: Injection (Einspritzung). R: Road King (Landstraßenkönig). S: Sport, Springer oder Spezial. T: Touring. U: Ultra. Bei einer FLHTCUI handelt es sich ergo um einen Tourer (FL)
in der Highway-Touring-Variante (HT), ultra-klassisch gestylt (CU: Classic Ultra) mit Einspritzung (I). Weil das trotz aller Stringenz dann doch jemanden unter der Braincap überfordern könnte, darf dieses Motorrad auch unter Electra Glide Ultra Classic laufen. Streng genommen hat allerdings das Electra in Electra Glide seine Kennzeichnungsfunktion mittlerweile verloren, weil längst alle aktuellen Maschinen aus Milwaukee auf Knopfdruck starten. Nicht ohne Bedeutung steht dagegen Deuce, was im Englischen Teufel oder die Zwei im Glücksspiel heißt. Die Night Train lässt sich, weil ganz in Schwarz gehalten, mit Nachtzug übersetzen, der Zusatz Heritage bei der Softail mit Erbe beziehungsweise Kulturerbe. In der Dyna Low Rider bezieht sich die Bezeichnung auf die mit nur 640 Millimeter extrem niedrige Sitzhöhe.
Ganz aus der Art geschlagen kommt die
V-Rod (V vom Motorlayout, Rod von Hot Rod) daher. Ihr Typkürzel VRSC lautet ausgeschrieben V-Twin Racing Street Custom. Es erinnert, laut Harley, an die Herkunft des Motors, der aus der Werksrennmaschine
VR 1000 stamme und der nun für jeden Käufer (Customer) zu haben ist. Die VRSC ist bis 2003 als A-Variante (Alpha) angeboten worden, seit 2004 gibt es die VRSCB-Variante (Beta).
Honda: Der japanische Hersteller verwendet zur Modellbezeichnung mittlerweile
wesentlich mehr Eigennamen als früher. Den sportlichen Allrounder Hornet (Hornisse) gibt es als 600er und 900er. Mit der Reiseenduro Transalp soll es hervorragend durch die Alpen gehen, mit der Pan Euro-
pean quer durch ganz Europa. Die Varadero hat ihren Namen von einem Badeort auf Kuba, die Deauville den ihren von einem in der Normandie. Auf der Gold Wing wähne man sich wie auf goldenen Schwingen,
auf der Blackbird fliege man wie eine Amsel.
Die Fire Storm soll wohl so heiß sein wie
ein Feuersturm, die Fireblade so scharf wie eine feurige Klinge. Nachdem die Schwarze
Witwe Black Widow aus dem Programm
genommen wurde, muss der Freund kleiner Cruiser mit einem Schatten sich arrangieren, der Shadow.
Die bekannteste der von Honda verwendeten Buchstabenkombinationen lautet CB, wobei kaum noch bekannt ist, was sie anfänglich bedeutete: City Bike (Stadtmotorrad) nämlich. So hießen in Japan kleine Straßenmotorräder mit Viertaktmotor, wie zum Beispiel CB 50 und CB 100. Diese ursprüngliche
Bedeutung des Kürzels ist mit Erscheinen der CB 450 obsolet geworden. Heute meint CB ein Straßenmotorrad mit Viertakt-Reihenmotor, egal, ob mit zwei oder vier Zylindern. Die davon abgeleiteten Honda-Kürzel sind semantisch und in der alphabetischen Logik nicht immer ganz nachvollziehbar.
So kommen Nachfolgegenerationen der CB
zunächst mit dem Zusatz X daher, alsdann mit angehängtem R oder F. Dabei blieb
das X nicht wie zunächst dem Reihensechszylinder vorbehalten, sondern bezeichnet heute generell eine neue Generation, eine technische Innovation innerhalb der bestehenden Baureihe. Das R weist einerseits
die Nachfolgemodelle der CBX-Reihe aus, symbolisiert zum anderen aber auch die sportliche Ausrichtung dieser Typen. In der zuletzt hinzugekommenen Bezeichnung
CBF könnte das F im Hinblick auf den Vierzylinder der CBF 600 zwar für four stehen, doch verbietet sich diese Interpretation, denn seit diesem Jahr heißt der 500er-
Zweizylinder ebenfalls CBF. Das legt die Ver-
mutung nahe, dass CBF eher für Einsteiger konzipierte Modelle mit Reihenviertaktmotor bezeichnet.
Das V steht in Hondas Nomenklatur allein für einen V-Motor. Vierzylinder erhalten den Zusatz F (four, vier), Zweizylinder die Ergänzung T (two, zwei). Wie bei den Reihenmotoren kennzeichnet auch bei den Maschinen mit V-Motor das R vor der Hubraumangabe bereits deren sportliche Tendenz. Anders als noch bei der CX 500 (Güllepumpe) indiziert das X bei der VTX 1300 und 1800 nicht mehr einen V2 mit längs liegender
Kurbelwelle, sondern ebenfalls das technisch innovative Moment des Motorrads.
Die nach den Hubraumangaben positionierten Buchstaben haben folgende Bedeutung. S: Sport, R: Racing, RR: noch mehr Racing, F: Vierzylindermotor oder Straßensport,
SP: Sport Production (SP-2, zweite Entwicklungsstufe), X: Komparativ, XX: Superlativ.
Husqvarna: Die meisten Modelle ihrer Palette verkaufen die italienischen Schweden für den wettbewerbsorientierten Sportbereich. Für den öffentlichen Straßenverkehr hat die Marke, deren Namen übersetzt so viel wie Mühlenhaus heißt, lediglich zwei Maschinen im Repertoire. Die SM 610 S lässt sich wie folgt aufschlüsseln: SM steht für Supermoto, das postponierte S für Street. Hinter TE 610 E verbirgt sich folgende Bedeutung: T gleich Thumper (Mordsding, großvolumiger Einzylinder), E gleich Enduro oder, nachgestellt, electric starter (E-Starter).
Hyosung: Der koreanische Anbieter verzichtet bei seinen drei Modellen gänzlich auf Buchstabenwerk. Die beiden unverkleideten Straßenmaschinen nennt er selbsterklärend naked, den 250er-Chopper taufte er Aquila. Der Begriff ist der Astronomie entliehen, wo das Sternbild des Adlers in der Äquatorzone als Aquila tituliert ist.

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Erscheinungsdatum 26.05.2023