Fast 30 Jahre lang hielten die Zweitakter in der Königsklasse ihre typische Auspufffahne hoch. Ab 2002 dominiert ein neuer Sound: Dank eines gewaltigen Hubraumvorteils werden wieder Viertakt-Prototypen gewinnen.
Fast 30 Jahre lang hielten die Zweitakter in der Königsklasse ihre typische Auspufffahne hoch. Ab 2002 dominiert ein neuer Sound: Dank eines gewaltigen Hubraumvorteils werden wieder Viertakt-Prototypen gewinnen.
Zu Saisonbeginn 2001 erbeutete Valentino Rossi den 500. Grand-Prix-Sieg für Honda, das Saisonende krönte er mit seinem ersten Weltmeistertitel in der Halbliterklasse. Noch wichtiger für den weltgrößten Motorradhersteller wird, was Valentino Rossi auf der RC 211 V mit 990-cm3-Fünfzylindermotor im nächsten Jahr erreichen soll. Denn falls er mit dem Viertakt-Prototyp Rennen oder gar den Titel gewinnt, tilgt er die schlimmste Schmach, die Honda je in der Königsklasse erdulden musste.
Die letzte Mission, die Zweitakter mit einer Viertaktmaschine herauszufordern, mündete vor 20 Jahren nämlich in ein Desaster. Selbst die damals geheimnisumwitterte Vierzylinder-Honda NR 500 mit Ovalkolben, acht Ventilen pro Zylinder und schwindelerregenden Drehzahlen bis 22000/min konnten die Tatsache nicht aufwiegen, dass ein Zweitakter bei jeder Kurbelwellenumdrehung einen Arbeitstakt hat, der Viertakter dagegen nur bei jeder zweiten. 1981 sah Honda endgültig die Überlegenheit des Zweitakters gegenüber dem Viertakter bei gleichem Hubraum ein und zog die 1979 erstmals vorgestellte, nie richtig ausgereifte Maschine aus der Weltmeisterschaft zurück.
Anfang der 70er Jahre, als die ersten Halbliter-Zweitakter in der Weltmeisterschaft auftauchten, überwog vielerorts noch die Skepsis, für Kenner war der spätere Siegeszug aber bereits abzusehen. Kawasaki war zwar schon 1970 mit dem luftgekühlten Reihendreizylinder H1 bei den GP vertreten, doch die angegebenen 75 PS bei 9000/min erschienen optimistisch. Immerhin wurde der Neuseeländer Ginger Molloy mit der Kawa Vizeweltmeister hinter Giacomo Agostini auf der haushoch überlegenen Dreizylinder-Viertakt-MV Agusta.
Die ersten Zweitaktsiege 1971 waren Ausfällen des übermächtigen Agostini zu verdanken. Jack Findlay gewann den Ulster-Grand-Prix auf der gutmütigen Zweizylinder-Suzuki TR1, einem zur Rennmaschine weiterentwickelten Straßen-Paralleltwin, der zunächst nur eine Luftkühlung besaß, im Laufe der Entwicklung mit Wasserkühlung und den Tricks privater Tuner jedoch 82 PS bei 8500/min abgab.
Zwei Rennen später, zum Saisonabschluss 1971 in Jarama, durfte sich der Brite Dave Simmonds endlich über den ersten GP-Sieg seines Kawasaki-Reihen-Dreizylinders freuen. Die weiteren Erfolge dieser aus getuntem Serienmaterial aufgebauten Maschine, später ab Werk sogar mit einer Wasserkühlung ausgestattet, blieben allerdings dünn gesät.
Gefragt waren reinrassige Zweitakt-Prototypen. Yamaha nahm die Herausforderung 1972 mit der intern OW 20 genannten TZ 500 an, einem wassergekühlten Reihenvierzylinder, der auf Teilen der erfolgreichen TZ 250-Zweizylinder aufbaute, im Gegensatz zu diesem aber mit Einlassmembranen ausgestattet war. Der Finne Jarno Saarinen gewann 1973 auf der TZ 500 die Grand Prix von Frankreich und Österreich und wäre wohl Weltmeister geworden, wenn er nicht kurz darauf in Monza tödlich verunglückt wäre. Es verstrichen zwei weitere Jahre, bis der inzwischen zu Yamaha gewechselte Giacomo Agostini mit einem stark modifizierten, auf 100 PS bei 11000/min erstarkten Motor den ersten Halbliter-Titel auf einem Zweitakter nach Hause brachte.
Gleichzeitig rüstete die Konkurrenz. Technisch besonders interessant war die 1971 erstmals vorgestellte König mit einem urspünglich als Bootsmotor konzipierten, wassergekühlten Vierzylinder-Boxer, dessen nutzbares Drehzahlband von 5000 bis 11000/min reichte und bei 10500/min beachtliche 86 PS abgab. Der Neuseeländer Kim Newcombe gewann mit dieser Maschine 1973 in Jugoslawien sogar einen Grand Prix und wurde Vizeweltmeister.
1974 wurde erstmals die Suzuki RG 500 mit Square-Four-Motor ausgeliefert. Mit vier wassergekühlten, quadratisch angeordneten, seitlich über Plattendrehschieber beatmeten Aluzylindern, Plattendrehschiebern und vier Kurbelwellen stellte sie einen technischen Leckerbissen dar. Zunächst 90 PS bei 10000/min und schon wenig später 105 PS bei 11000/min kräftig, bildete die rund 25000 Mark teure Ur-RG als Production Racer die Basis für eine ganze Generation erfolgreicher Privatfahrer. Doch auch als Werksmaschine machte die Square-Four-Suzuki schnell Karriere. Barry Sheene erbeutete damit 1976 und 1977 den Weltmeistertitel.
Dann kam Kenny Roberts nach Europa, und nun hatte Yamaha wieder die Oberhand. Dreimal hintereinander holte der Amerikaner den WM-Titel. 1980 wurde das Motorrad erstmals mit einem Aluminium-Fahrwerk ausgestattet. Trotzdem war der Reihenmotor mit seiner Baubreite ausgereizt, weshalb Yamaha 1981 nach Suzuki-Vorbild einen Square-Four-Motor mit Drehschiebereinlass präsentierte. Kaum war dieser Prototyp Anfang 1982 durch ein kompakteres, leichteres Modell ersetzt, brachte Yamaha fürs zweite Rennen bereits die nächste Neuheit, den ersten V4-Motor.
Dass Yamaha in so atemberaubenden Tempo die Motorkonfigurationen wechselte, lag an der mächtigen Konkurrenz. Denn nach Kenny Roberts Hattrick 1978 bis 1980 schlug Suzuki mit Square- Four-Motoren zurück, deren Leistung auf mittlerweile 130 PS angewachsen war und die 1981 Marco Lucchinelli und im Jahr darauf Franco Uncini den Titel bescherten.
Yamahas V4 mit zwei Kurbelwellen und zahnradgetriebenen Drehschiebern schien 1983 ausgereift genug für den WM-Titel und umso tiefer traf das Werksteam der Schock, als Hondas 21-jähriger Superstar Freddie Spencer auf der 1982 erstmals eingesetzten, schmächtigen NS 500-Dreizylindermaschine dank ihres überragenden Handlings und der problemlosen Leistungsentfaltung fast nach Belieben davonzog. »Beim ersten Rennen konnte ich mich kaum im Windschatten halten. Bei den Yamaha-Leuten brach Panik aus«, erinnert sich Kenny Roberts. Während die Yamaha schwierig zu beherrschen blieb und, so Roberts, »entweder gar nicht zog oder sofort den Hinterreifen zum Durchdrehen brachte«, verzieh die Honda nahezu alle Manöver.
Ungleicher konnten die beiden Motorräder gar nicht sein, und jeder der beiden japanischen Giganten entwickelte nach der Saison 1983 in die Richtung, an der es bisher gefehlt hatte. Yamaha stattete die YZR 500 mit einem Membraneinlass für besseren Durchzug aus, Honda baute auf der Suche nach mehr Leistung die erste Vierzylinder-NSR 500. »Ein wirklich wunderbarer Motor mit sanftem, gleichmäßgem Leistungseinsatz übers gesamte Drehzahlband«, erinnert sich Randy Mamola, der damit den Silverstone-Grand Prix gewann.
Dass die Auspuffanlagen oberhalb des Motors in einer Tankattrappe nach hinten geführt wurden und den Mechanikern bei jedem Zündkerzenwechsel verbrannte Finger einbrachten, stand auf einem anderen Blatt, ebenso das Handling mit dem unterhalb des Motors untergebrachten Kraftstofftank, der für einen niedrigen Schwerpunkt sorgte, das Fahren aber ausgerechnet in der entscheidenden Schlussphase der Rennen zur diffizilen Übung machte. 1985 rüstete Honda deshalb auf ein konventionelles Tank-Auspuffsystem zurück und holte mit Freddie Spencer einen weiteren Titel.
Danach setzte Honda einen gnadenlosen Wettlauf nach immer mehr Leistung in Gang. Produzierte die NSR 500 von 1989 noch 165 PS bei 13000/min und damit doppelt so viel wie Mike Hailwoods Honda RC 181-Viertakter von 1966, so war 1991 bereits von mehr als 200 PS die Rede. Anfang der 90er Jahre hatten allerdings Wayne Rainey und Yamaha das Szepter in der Königsklasse übernommen, dann krönte Kevin Schwantz seine wilden Rodeo-Ritte auf der V4-Suzuki mit dem WM-Titel 1993. Ab 1994 war wieder Honda mit Mick Doohan am Drücker und demontierte die Konkurrenz gleich fünfmal in Folge.
Ab dem nächsten Jahr wird der schrille Klang der Zweitakter von Viertakt-Gebrüll übertönt. Gut möglich, dass die Zweitaktfans auf Tonkonserven zurückgreifen und den unvergesslichen Sound der besten Hits der 70er, 80er und 90er zu Hause Revue passieren lassen.