Die Schönheit liegt im Auge des Betrachters, sagt man. Trotzdem gibt es Proportionen, Formen, Linien, die (fast) alle schön finden. MOTORRAD hat sie gesucht und (fast immer) gefunden.
Die Schönheit liegt im Auge des Betrachters, sagt man. Trotzdem gibt es Proportionen, Formen, Linien, die (fast) alle schön finden. MOTORRAD hat sie gesucht und (fast immer) gefunden.
Der Streit ist so alt wie die Redaktion MOTORRAD. Was ist schön? Findet sich bei der Beurteilung fahrdynamischer Fähigkeiten schnell eine gemeinsame Basis, liegt bei der Frage nach dem Aussehen vieles über Kreuz. Deshalb wurde abgestimmt, wurden sieben Motorräder aus den unterschiedlichsten Kategorien gewählt. Und dann? Nahm MOTORRAD die Hilfe eines Profis in Anspruch. Warum finden wir schön, was wir schön finden? Hans-Georg Kasten, Chef von target-design (Katana-Reihe von Suzuki, Sachs Beast), hat darauf eine ganz einfache Antwort. »Weil die Proportionen stimmen.« Dieses zentrale Glaubensbekenntnis der Designer gilt vor allem in der emotional besetzten Welt des motorisierten Zweirads.
Und in der, so Kasten, sei die Mutter der aktuellen 998, die 916, ohne Frage ein ganz großer Wurf gewesen. Wegen der Proportionen. Geradlinig, ohne Schnörkel, da passe die Front zum Tank, der Tank zum Heck und damit sei schon das Meiste gewonnen. Die damals neuartige Anordnung der Scheinwerfer, die unter den Höcker gelegte Auspuffanlage und der freie Blick aufs Hinterrad: alles schön, aber Beiwerk. Ohne die Proportionen wäre alles nichts.
Ein Urteil, das Kasten uneingeschränkt auch für Harleys V-Rod gelten lässt. Die kraftvollen Formen würden diese Art, Motorrad zu fahren, perfekt wiedergeben. Mit einem mächtigen Heck, einem nur angedeuteten Tank und diesem flachen Lenkkopfwinkel. Bei so viel Stimmigkeit mag Kasten über kleinere gestalterische Fehlgriffe hinwegsehen, auch wenn er sie in markigen Worten abkanzelt. »Die Kühlerverkleidung ist eine Katastrophe, der Scheinwerfer auch. Und wie die Instrumente aus der Gabelbrücke wachsen, das erinnert an einen Stiftzahn.«
Keine Frage, der Mann nimmt kein Blatt vor den Mund. Pech für die Moto Guzzi V 11 Sport Scura. In der MOTORRAD-Wertung weit vorn, stutzt Kasten sie auf Designer-Maß zurecht. »Da haben die mit diesem Motor eine perfekte Basis für verhaltene Sportlichkeit. Und was tun sie? Pfropfen diese unglückliche Kombination von Tank und Sitzbank auf.« Einwand, euer Ehren, wir finden sie doch schön. Doch Kasten ist nicht zu bremsen. »Design muss auch kommerziell erfolgreich sein, bedeutet: in Konzepten denken und die Psychologie des Marktes verstehen. Vor 20 Jahren war Moto Guzzi Vorbild, heute verspielen sie Chancen. Der Neuanfang muss radikal sein.«
Ob er dabei Triumph im Auge hat? Deren Speed Triple brach mit alten Traditionen, war radikal anders. Kasten nennt das »die Kommerzialisierung einer nicht kommerziellen Welt mit erstaunlich geringen Mitteln«. Denn abgesehen von den feststehenden Doppelscheinwerfern und dem Plastikaufsatz darüber sei »der Rest mehr oder weniger gewöhnlich«. Keine bahnbrechende Design-Meisterleistung.
Ebenso wenig wie die KTM 525 EXC. Die sei professionell gemacht, weil sich diese Form im Gelände, wo es einzig um die Funktion gehe, durchgesetzt habe. »Eine Enduro könnte aber auch ganz anders aussehen«, ist sich Kasten sicher. Immerhin attestiert er den Mattighofenern, sich durch Farbe und Grafik einen eigenen Charakter erarbeitet zu haben.
Den gesteht er auch Yamahas R1 zu, dem einzigen japanischen Motorrad im Feld. »Normalerweise zeichnet sich diese Art von Motorrädern durch üppige Bemalung aus. Die R1 kann getrost darauf verzichten. Vor allem die Seitenansicht wirkt stimmig, während aus anderen Perspektiven nicht alles aus einem Guss ist. Trotzdem: die R1 hat jenen Charakter, den ich an anderen japanischen Motorrädern vermisse.«
Bei der MV Agusta F4 vermisst den ganz sicher niemand. Auch nicht Hans-Georg Kasten. Dass sie in seiner persönlichen Rangfolge trotzdem hinter der Ducati liegt, hat einen anderen Grund. »Die 916 war ein Meilenstein, die MV ist ein »Me-too-Produkt«. Das gab es schon. Trotzdem hat sie im Detail viele interessante Lösungen.«
Wir merken: Schön sein ist schwerer, als wir dachten. Und geraten trotzdem ins Schwärmen angesichts dieser appetitlich angerichteten Technik. Wer trifft schon immer die Ideallinie?