Streetfighter - ein Wort mit Donnerhall. Sofort erscheinen Szenarien mit brennenden Mülltonnen im ewigen Dämmerlicht vorm inneren Auge. Ausgerechnet dieses trashigen Themas haben sich die Ästheten von Ducati nun angenommen.
Streetfighter - ein Wort mit Donnerhall. Sofort erscheinen Szenarien mit brennenden Mülltonnen im ewigen Dämmerlicht vorm inneren Auge. Ausgerechnet dieses trashigen Themas haben sich die Ästheten von Ducati nun angenommen.
Der Ursprung alles Übels waren gestürzte, zerschredderte Supersport-Bikes. Irgendwann Anfang der 80er-Jahre kamen pfiffige Jungs mit wenig Kohle auf die Idee, ihre geschroteten Joghurtbecher gänzlich ohne Verkleidung zu reanimieren. Diese Sparmaßnahmen kreierten einen Tuning- und Umbau-Trend, der sich zur Streetfighter-Szene entwickelte.
Außerdem legten sie den Grundstein für die im Moment sehr gern gefahrenen Power-Nakeds, die annähernd die Performance und die Fahrwerksqualitäten eines Supersportlers besitzen, sich aber auf die klassische, nackte Tugend des Motorradfahrens besinnen und den Piloten aufrecht sitzend hinter einem dicken Rohrlenker unterbringen.
Die konsequentesten Interpretationen dieser Klasse kamen bislang aus Italien; daneben sehen die meisten Beiträge aus Fernost wie übergewichtige Spießercabrios aus. Und jetzt der nächste Nackenschlag für die zaudernden japanischen Produktplaner: Die Ducati Streetfighter S ist ein waschechtes Derivat aus 1098-Power, 1198-Chassis, Leichtbau und italienischem Design; eine Göttin, in der Planung auf das Wesentliche reduziert, mit diesem Wesentlichen im Überfluss ausgestattet, konsequent in Szene gesetzt - und genau so radikal gebaut.
Aber kann das gut gehen? Funktionieren so viele Superbike-Gene in einem nackten Motorrad mit dickem Rohrlenker, der den Piloten für den Fahrwind gut angreifbar dicht am Vorderrad platziert? Eine privat umgebaute 1098S im Streetfighter-Trimm bin ich letztes Jahr auf dem Lausitzring mal gefahren - und bekam Angst dabei. Der Ofen ging beim Beschleunigen wie beim Bremsen permanent auf ein Rad; Kurvenstabilität und Gefühl fürs Vorderrad waren unterirdisch.
Dermaßen vorgewarnt stieg ich also skeptisch in den Sattel, als die Ducati Streetfighter S in Ronda, einer topf-ebenen spanischen Rennstrecke, das erste Mal Auslauf bekam. Trotz ihrer großen Nähe zur 1198 wurden natürlich maßgebliche Dinge geändert, um der Nackten mehr Stabilität zu verleihen. Der Lenkkopf steht ein Grad flacher (nun 64,5°), der Nachlauf wuchs um 10 auf 114 Millimeter, und eine 35 mm längere Schwinge vergrößert den Radstand auf 1475 mm.
Der Hauptrahmen ist bis auf eine Querstrebe im Lenkkopfbereich, welche die geänderte Ansaugluftführung nötig machte, mit denen von 1098 und 1198 identisch. Er trägt ein neues, stählernes und daher recht schweres Rahmenheck. Der Tank ist 25 mm kürzer als an den Superbikes, fasst trotzdem einen Liter mehr Kraftstoff. Dies positioniert den Piloten aufrecht sitzend und näher an der Lenkstange.
Er ist auf der Ducati Streetfighter S überhaupt sehr bequem gebettet: Der Kniewinkel ist im Vergleich zur 1198 deutlich entspannter, die gesamte Körperhaltung im Vergleich zu Ducatis ehemaligen Top-Naked, der Monster S4Rs, stark modernisiert, also kompakter. Das Sitzkissen mutet jetzt wie eine bequeme Couch an. Soweit die Ergonomie.
Was einen wirklich anmacht, aufreißt und am ausgestrecken Arm verhungern lässt, wenn man es nicht mehr hat, ist das kräftig pulsierende Herz zwischen den Schenkeln des Fahrers, der unwiderstehliche Big Twin, das Triebwerk der anderen, der mächtigen Art.
Es ist eine Mixtur aus 1098- und 1198-Bauteilen: Motorgehäuse inklusive Innereien wie Getriebe und Kurbelwelle steuert die 1198 bei. Oberhalb der Gehäusehälften werkeln 1098-Teile, also Zylinder, Kolben, Köpfe, Nockenwellen und Einspritzanlage. Sogar die Airbox wurde unverändert übernommen, lediglich die Ansaugschnorchel stark verkürzt, was um die 5 PS Spitzenleistung kostet.
Doch was können fehlende 5 Pferde bei einem 155 PS starken Naked Bike schon ausmachen: Nix, gar nix oder überhaupt gar nix? Rufen Sie Ihren Telefonjoker an, wenn Sie wollen. Der Sturm entwickelt sich auf die unauffällige Art. Stetig nimmt der Druck auf dem Oberkörper zu, zieht die Arme länger und lässt sie immer härter werden. Instinktiv beugt man sich weiter nach vorn, mit dem Kopf über den Lenker, bis die Brust fast auf dem Tank aufliegt.
Bei ausgedrehtem dritten Gang stehen 205 km/h auf dem Tacho, es geht durch den ersten schnellen Rechtsbogen. Hochschalten, die 60er-Drosselklappen weiter voll offen halten, kurz den Fünften einlegen und mit 252 durch den zweiten Rechtsbogen hinein in die Bremszone vor der engen Bergauf-Rechts.
Es beeindruckt, wie unaufgeregt die Ducati Streetfighter S ihre volle Power darbietet - sicherlich auch, weil sie viel zu lang übersetzt ist. Sie ist weit entfernt vom unkontrolierbaren Wheelie-Biest, lässt sich schon ab tiefer Schräg-lage kräftig beschleunigen und liefert dabei sehr gute Rückmeldung vom Hinterreifen. Sicherlich muss diese Stärke der längeren Schwinge zugerechnet werden, welche das direkt von der 1198S übernommene, sehr straff abgestimmte Federbein schön zum Arbeiten bringt. Etwa 10 Prozent weicher sei die Gesamtabstimmung des Hecks eben wegen der längeren Schwinge, sagt Ducati. Der Fahreindruck bestätigt das; und diese 10 Prozent stünden dem Superbike sicher auch gut zu Gesicht.
Leider ist die Gabel der Ducati Streetfighter S zu weich, taucht beim Anlegen der giftigen Brembos weit ab und lässt etwas das Gefühl fürs Vorderrad vermissen. Erst Korrekturen an Federbasis und Dämpfung brachten etwas mehr Vertrauen, konnten aber das Abtauchen nicht abstellen. Zurück zu den schnellen Rechtsbögen. Der Tacho hätte noch größere Zahlen gezeigt, wenn der böige Wind nicht gewesen wäre. Dabei die Streckenbreite in Ronda komplett auszunutzen, wäre russisches Roulette gewesen und hätte als spanische Fliege enden können.
Ein positiver Aspekt des bösen Windes: Die Ducati Streetfighter S konnte ihre an sich gute Stabilität beweisen. Sie liegt neutral in Schräglage, nimmt diese auch willig, fast spielerisch ein, doch ist und bleibt sie nervös - nämlich in der Hinsicht, dass sie ein sehr starkes, sehr leichtes Motorrad mit breitem Lenker ist. Ein solches reagiert eben empfindlich, weil direkt, auf Lenkimpulse.
Wer das verstanden hat, wird mit einem weichen Fahrstil auf der Ducati Streetfighter S furchtbar schnell unterwegs sein und auf der Rennstrecke so manchen Superbiker entzaubern. Bei einer gepflegten Landstraßenschlacht sollte das ohnehin kein großes Problem werden.
Fazit: Die Ducati Streetfighter S ist a) ein echter Streetfighter, b) eine echte Ducati und c) eine echte Bereicherung der Szene. Ihre Konsequenz macht sie zum potentesten Naked Bike auf dem Markt und lässt die Möchtegern-Anarchos aus Japan wie gelackte Schulbuben aussehen: Wenn Z 1000, CB 1000 R & Co. mit Einmachgummis und Papierkrampen zum Straßenkampf fordern, packen die Ducatisti Steinschleuder und Glasmurmeln aus. Sie haben keine Gegner mehr - höchstens Opfer.
Ducati Streetfighter S
Antrieb: Zweizylinder-V-Motor, 4 Ventile/Zylinder, 114 kW (155 PS) bei 9500/min*, 115 Nm bei 9500/min*, 1099 cm³, Bohrung/Hub: 104,0/64,7 mm, Verdichtung: 12,5:1, Zünd-/Einspritzanlage, 60-mm-Drosselklappen, hydraulisch betätigte Mehrscheiben-Trockenkupplung, Sechsganggetriebe, Kette, G-Kat
Fahrwerk: Stahl-Gitterrohrrahmen, Lenkkopfwinkel: 64,5 Grad, Nachlauf: 114 mm, Radstand: 1475 mm, Ø Gabelinnenrohr: 43 mm, Federweg v./h.: 120/ 127 mm Räder und Bremsen: Leichtmetall-Schmiederäder, 3.50 x 17"/6.00 x 17", Reifen vorn: 120/70 ZR 17, hinten: 190/55 ZR 17, 330-mm-Doppelscheibenbremse mit Vierkolben-Festsätteln vorn, 245-mm-Zweikolben-Festsattelbremse hinten
Gewicht (trocken): 167 kg*, Tankinhalt: 16,5 Liter Super
Grundpreis: 18700 Euro (zzgl. Nk)
*Werksangabe
Außer der hier vorgestellten edlen S-Variante bietet Ducati wie üblich ein Basismotorrad an: "Streetfighter" heißt es, kostet 15045 Euro (zuzüglich Neben- kosten) und ist in den Farben Rot und Weiß, jeweils mit schwarzen Zehnspeichen-Gussrädern zu haben. Rahmen und Schwinge der Basisversion tragen ebenfalls Schwarz.
Weitere Unterschiede zur Streetfighter S sind die Federelemente - das Standard-Bike trägt Showa statt Öhlins; beim Lenkungsdämpfer vertrauen beide Varianten jedoch auf ein Showa-Modell. Außerdem sind an der S-Version einige Abdeckungen aus Carbon gefertigt, wo sich das Basismodell mit Spritzguss-Plastik begnügt. Insgesamt soll die Ducati Streetfighter lediglich 2 Kilogramm schwerer als ihre schicke S-Schwester sein - und eben 3655 Euro weniger kosten.