Ein Besuch auf der Messe Imot in München
Große Erwartungen

Mit Optimismus gehe die Branche ins neue Jahr, heißt es. Mit großen Erwartungen kommen immer mehr Besucher auf die regionalen Messen. Läuft doch alles prima, oder?

Große Erwartungen
Foto: Jahn

W ie der Markt funktioniert, kann man im Foyer der Messe sehen. Dort werden Brötchen verkauft. Doch der Absatz der Backware, er läuft zäh. Wer will fürs Belegte schon 3,95 Euro loswerden, wenn der Mozarella an den Ecken so langsam aushärtet, derweil die Tomatenscheiben den Teig durchweichen? Es stimmt also weder die Ware noch der Preis.
In den Hallen, dort, wo sich die großen Marken breit machen, hätte man sich so etwas nicht leisten dürfen. Will man auch nicht. Denn in einem Punkt zumindest sind sich Vertreter der wichtigen Importeure
einig: Wer mehr Kunden will, muss sie der Konkurrenz abjagen. Und solch identische Erwartungen evozieren identische Formulierungen. »Es wird auf einen reinen Verdrängungswettbewerb hinauslaufen«, prog-
nostiziert nicht nur Roland Finzel, der am Yamaha-Stand das Sagen hat, sondern beinahe aufs Wort genau auch Micha
Siebenpfeiffer, Gebietsleiter von Honda
für Bayern. »Man hätte gerne größere
Stücke vom Kuchen, der allerdings selbst nicht größer wird.« »Dass die Gesamtmarktsituation nicht besser wird«, erwartet auch Kawasaki-Pressesprecher Andi Seiler, der indes hofft, »dass die Situation für Kawasaki sich verbessert, der neuen Modelle wegen«. Thomas Braunmüller sieht das genauso. Für Suzuki. »Es gibt erstaunlich viele positive Reaktionen auf einige Modelle wie etwa die GSX-R 1000, die 12er-Bandit, überraschenderweise auch auf unsere Chopper. Es sind weniger Leute hier, die nur Luftballons wollen, sondern viele, die mit konkreten Kaufabsichten kommen, sich über Preise, Lieferzeiten und Finanzierungen erkundigen.«
Auf Richard Schuster trifft das nicht zu. Der Beamte hat sich gerade auf die neue M 1800 R gesetzt, von der er meint, dass das »aber nicht die klassische Intruder
ist«. Nicht so klassisch, wie die, auf der er zuvor gehockt hat. Von der vermutet er,
es könne eine 125er sein – er hat Recht –, wissen könne er das freilich nicht, weil
leider die Informationen zum Fahrzeug
fehlen. Wie ihm überhaupt Vehikel nach seinem Geschmack auf dem Markt fehlen. Er fährt BMW C1, »mehr als Hobby-Fahrzeug«. Gekauft hat er das Ding, weil es »die Sicherheit eines Pkw bietet und angstfreies Fahren ermöglicht. Schön ebenfalls, dass der C1 Automatik hat, weil das dauernde Schalten ja nervtötend ist«. Einen Einser-Schein hat er nämlich nicht – den C1 bewegt er mit Autopappe –, und ein Modell, das er goutieren könnte – ein überdachtes Motorrad mit Hybridantrieb –, ist nicht in Sicht. Nur deshalb hege er keine akuten Kaufabsichten. Wobei der Mann in karierter Hose und mit Paisley-Schal um den Hals ein Sonderfall ist. Weil er das Geld hätte, sich ein neues Motorrad zu kau-
fen, dafür sogar den Führerschein machen würde, jedoch im riesigen Angebot nicht eine einzige Maschine entdeckt, die ihn von seinem Käfigroller herunterholen könnte.
Ganz anders ergeht es Alexander Holz. Der ist, obwohl er gar nicht so aussieht – durchtrainiert, stylishes Longboard-T-Shirt –, soeben von einer BMW K 1200 S ge-
stiegen. Tatsächlich entspricht die nicht so wirklich seinem Beuteschema. »Ich stehe eigentlich mehr auf Supermoto, und so was wie eine KTM Superduke könnte mich schon reizen. Da sagt der Bauch ja, aber der Geldbeutel schreit nein.« Obwohl er ebenfalls nicht ganz danach aussieht, setzt er momentan andere Prioritäten: Familie, vielleicht was Eigenes zum Wohnen. Ergo muss es seine altgediente Suzuki GSX-F 750 noch eine Weile mit ihm aushalten. Und er es mit ihr.
Um solche Leute dennoch an die Angel
zu bekommen, Leute, die zwar Interesse
haben, ad hoc indes nicht ausreichend
Bares, ködern die Hersteller mit Finanzierungsangeboten. Kaum ein Stand, an dem nicht Vertreter der Hausbank gerne zum Kalkulationsgespräch bereit sind, kaum
einer, wo nicht massenhaft Broschüren zum Thema Motorrad auf Raten auf dem Tresen liegen. Vorexerziert im Automobilbereich, gehen nicht wenige Kunden auch beim Motorrad dazu über, den Kaufpreis abzustottern. Zumindest, wenn man den Ausführungen der Aussteller glaubt. Für Suzuki-Mann Braunmüller hat das viel mit Psychologie zu tun. »Das Geschäft läuft im Kopf ab«, sagt er und führt aus, dass der Unterschied zwischen einem Zinssatz von 0,9 oder 0,0 Prozent tatsächlich ja
minimal sei, viele aber dazu bewegt zuzuschlagen. Was Roland Finzel von Yamaha bestätigt: »Die Finanzierungsquote steigt sprunghaft, je günstiger die Zinsen.« Die spielten oft sogar eine größere Rolle als der Preis selbst, meint Braunmüller und verweist darauf, dass der bei Gebrauchten viel stärker ins Gewicht falle, weil es da einen Kernbereich zwischen 4000 und 6000 Euro gebe. »Drunter läuft wenig, darüber noch weniger.«
Während Einigkeit darüber herrscht, dass das Thema Finanzierung von Neumaschi-
nen in der Tat ein wichtiges sei, gehen die Angaben darüber auseinander, wie groß der Anteil derer ist, die sich ihre Maschine mit Geliehenem leisten. Bei Suzuki spricht man von 75 Prozent und davon, dass es früher sogar mal um die 80 Prozent ge-
wesen seien. Bei Yamaha ist von etwa 40 Prozent die Rede, und bei Kawasaki war man überrascht, dass es nur 30 Prozent gewesen seien im letzten Jahr. »Das mag damit zusammenhängen, dass wir 2005 nicht mit Nullkommairgendwas-Sätzen in die Offensive gegangen sind.« Zum einen sind es also die Konditionen, die die Entscheidung, finanzieren oder nicht, beeinflussen. Zum anderen ist es der Wohnort und die daraus resultierende Lebensart. Städter konsumieren eher auf Pump als die Leute auf dem Land. »In Städten werden 60 bis 70 Prozent unserer Motor-
räder per Kredit gekauft«, erzählt Micha Siebenpfeiffer von Honda, »auf dem Land sind wir davon weit entfernt, die zahlen viel lieber bar.«
Die Ressentiments, die Besucher der Imot gegen Kaufen auf Pump vorbringen, sind, unabhängig davon, ob einer in Schwabing oder in Altötting wohnt, letztlich stets
dieselben. Klaus Paintner zum Beispiel, dessen Sohnemann sich auf einem klei-
nen Kawasaki-Crosser vergnügt, bilanziert:
»Finanzieren ist für mich keine Option. Wenn ich die Mühle wegschmeiße, bezahle ich für ein Ding, was ich nicht mehr habe.« Susanne Hahn, die gedankenversunken auf einer Yamaha MT-01 thront – »in Weiß gefällt mir die richtig gut« –, würde Neues am liebsten immer bar bezahlen. »Man hat dann nicht so viel Angst, etwas kaputt zu machen, was einem gar nicht gehört.« Bevor sie einen Kredit aufnimmt, würde Frau Hahn eher eine Gebrauchte kaufen. Und dafür führt sie noch einen weiteren, für sie triftigen Grund an: »Ich möchte nicht die sein, die dem Motorrad die erste Macke beibringt.«
Daran verschwendet Markus Kollmer überhaupt keinen Gedanken. Der hat bereits ein Rennstreckentraining auf dem Salzburgring gebucht, obwohl er seine Triumph Daytona 675 erst kürzlich geordert hat,
mit Karbonblenden als Extra. Die 600er-Daytona hat man ihm geklaut, und als die
Versicherung ihn dafür mit 6000 Euro entschädigte, änderte er spontan seinen Plan, die 675er in zwei Jahren gebraucht zu kaufen. »Ich wollte nichts Halbgares als Übergangslösung. Folglich habe ich den Rest bar draufgelegt. Wenn man jung ist, hat man eh keine Lust zu warten. Warten
bis zum ersten Bandscheibenvorfall.« Zwar räumt Markus Kollmer ein, dass er wohl
einen Knall habe, doch dazu steht er auch. Auf die Messe ist er gekommen, um sich auf das Motorrad zu setzen, das ihm alsbald ohnehin gehören wird.
Es gibt sie also noch, die jungen Leute, die dem Sexappeal des Motorrads erliegen, sich nicht um wenn und aber scheren.
Was übrigens keine Frage des Alters ist. Yamaha-Mann Finzel spricht von Menschen, die nur mal kurz beim Händler vorbeischauen wollten, die neue R6 sahen und mit einem unterschriebenen Kaufvertrag den Heimweg antraten. Gut, eher die Ausnahme. Doch die bestätigt die Regel. Die Andi Seiler von Kawasaki folgendermaßen umreißt: Solche Leute, Leute, die das Geld haben und bereit sind, es auch auszugeben, prägen den Markt nicht so wie die Mittelklassekunden.
Alle vier Japaner präsentieren aktuelle Modelle für Einsteiger und solche, die es wieder tun. Gemeinsame Kriterien dieser Maschinen: Sie bieten meistens ABS, Einspritzung und Kat, kommen optisch – so meinen die Hersteller – eher gefällig daher und sind äußerst knapp kalkuliert. »Die CBF 1000 soll als Volumenmodell funktionieren und Aufsteiger von der 600er im Haus halten. Ein Profitbringer ist sie wegen des Preises dennoch nicht«, befindet Micha Siebenpfeiffer. Jürgen Nowak, der just diese CBF 1000 besetzt und genauer unter die Lupe nimmt, lässt sich beim Kauf zwar auch vom Preis beeinflussen, und er meint, dass die Honda tatsächlich verdammt viel für knapp 8000 Euro bietet. Kaufen würde er sie trotzdem nicht. Das liegt zum einen daran, dass er sich eine – noch günsti-
gere – gebrauchte Fireblade zugelegt hat, zum anderen ist er mit der Verarbei-
tung im Detail nicht ganz glücklich. Das
sieht auch der Werkstattmeister eines
Münchner Honda-Händlers so. Er zeigt auf
die Schweißnähte des Auspuffs und sagt, dass man das so nicht machen dürfe, so schludrig. Klar, der Preis, irgendwo müsse man ja sparen. Aber nicht so offensichtlich. Er hätte lieber auf den Hauptständer verzichtet. »Wer den will, rüstet eh nach.«
Dass sie nicht nur über einen geringen Preis die Motorräder selbst attraktiv machen können, ist den Importeuren und
Herstellern sehr wohl bewusst. BMW
beispielsweise hat mit der F 800 ein Mo-
dell auf die Räder gestellt, das von dem üblichen und BMW-typischen Programm stark abweicht – Reihentwin, konventionelle Vorderradführung, Endantrieb über Zahnriemen und für eine BMW mit 8400 Euro eher günstig. Auffällig ist, dass just diese Maschine, und zwar nur diese, einen Prospekt ziert, mit dem BMW ein spezielles Einsteigerangebot bewirbt. 1000 Euro schießt der Hersteller für den Führerschein zu und lässt auf hauseigene Bekleidung weitere 400 Euro nach. Betrachtet man das Publikum am BMW-Stand und vergleicht dessen Durchschnittsalter mit dem am unmittelbar benachbarten von KTM, scheint das auch vonnöten zu sein. Mindestens zehn Jahre Unterschied, und es erübrigt sich zu sagen, an welchem der Stände die jüngeren Leute sich umtun. Karl-Heinz Ducksch ist ein älteres Semester. Durchaus vorstellen könnte der Steinbildhauer sich, den Chopper, den er momentan bewegt, gegen eine F 800 einzutauschen. »Des Zahnriemens wegen, der angenehmen Formen und eben weil es
keine typische BMW ist.« Typisch BMW scheint es zu sein, mit Maschinen für Einsteiger oder Wiedereinsteiger vielmehr die bereits etablierte Klientel anzusprechen.
Auch Honda bedient sich der Strategie des Package Deals, unterstützt Führerscheinaspiranten mit einem Tausender, wenn sie sich für eine FMX 650 entscheiden. Im
Unterschied zu BMW hofft Honda jedoch auf einen Kundenkreis zurückgreifen zu können, den man sich bereits geschaffen hat. Mit der CBR 125 nämlich. Die ist, sagt Honda-Mann Siebenpfeiffer, inzwischen so lang auf dem Markt, dass es Zeit wird, die Händler zu animieren, sich um diejenigen zu kümmern, die sich die 125er mit 16 angeschafft haben.
Dieses Kümmern dürfe sich freilich nicht im Verkauf einer neuen Maschine erschöpfen, sagt Kawasaki-Sprecher Andi Seiler, der betont, wie wichtig die intensive Betreuung der Kundschaft sei. Einer Kundschaft, die immer weniger Ahnung hat von der Technik, die »in die Werkstatt kommt, weil sie die Kette nicht mehr selbst spannen kann. Bei der ER-6 hatten wir schon welche, die sechs, sieben Liter Öl in den Motor gekippt haben, weil sie mit der Kontrolle nicht klar kamen.« Dieser Mangel an technischem Verständnis zieht allerdings nicht einen Mangel nach sich an Wünschen und Vorstellungen, wie genau man sein eigenes Motorrad gerne hätte.
Hannes Schauer, Lederjacke, Indianerring am Finger, hat sich auf einer Yamaha XV 1900 Midnight Star eingerichtet. Es gehe ihm um die Sitzbank, sagt er, denn die passe ihm bei seiner – eine XVS 1000 A – nicht so gut. Jetzt muss er sehen, wie er die vielleicht austauschen kann. Gleich eine neue Maschine, daran denkt er nicht. Schließlich hat er seine erst im Sommer gekauft und ist ganz glücklich damit.
Wie überhaupt mit der Entscheidung, den Führerschein gemacht zu haben. Vor elf Jahren, als er 52 war. »Da dachte ich noch, meine 650er würde mir auf ewig reichen. Doch als der Händler mir eine 1100er mit Tageszulassung für gerade mal 8000 Euro anbot, da kam ich ins Grübeln.« Seine Frau nicht. Die sagte, nimm sie halt.
Dieses Muntere und kurz Entschlossene von Frau Schauer ist eine Ausnahme und nicht das deutsche Naturell Prägende,
zumindest nicht in schwierigen Zeiten. So sehen das die Importeure unisono, und so verbalisiert das Roland Finzel von Yamaha. »Es ist halt unser Mentalitätsproblem, dass man immer so pessimistisch in die Zukunft sieht.« Sagt’s und fährt fort: »Unser Saisonstart war zwar prima, aber insgesamt
glaube ich schon, dass das Interesse am
Motorrad nachlässt und der Branche der Drive fehlt.« Die Importeure sind eben auch nur Deutsche.

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Erscheinungsdatum 26.05.2023