Fahrbericht: Motorrad mit Turbodiesel
Öl-Brenner

Diesel und Zweirad - das passt wunderbar, meinte ein findiger Schwabe und stellte ein mit Dieselöl betriebenes Motorrad auf die Räder.

Man soll niemals nie sagen. Eine Erkenntnis, der sich eingefleischte Fahrer von Pkw mit Benzinmotoren immer häufiger anschließen. Noch vor zehn Jahren undenkbar, entwickeln aktuelle Dieselmotoren Leistungen, die denen von Benzinern mit gleichem Hubraum in nichts nachstehen. Und bieten klare Vorteile wie der erheblich geringere Verbrauch oder ein vergleichsweise üppiges Drehmomentangebot über einen breiten Drehzahlbereich. Warum sollen nicht auch Motorradfahrer von diesen Vorzügen profitieren, so die Überlegung des Mechanikers und diplomierten Kaufmanns Jürgen Schuster.
Dass ein Dieselmotor in einem Motorrad durchaus Sinn machen kann, davon ist der Schwabe schon lange überzeugt. Um das zu beweisen, blieb ihm als einzige Möglichkeit, ein solches Projekt selbst zu realisieren. Als Organspender diente ein Daihatsu Charade mit Dreizylinder-Turbo-Diesel. Bei der Suche nach dem passenden Getriebe wurde Schuster bei der Moto Guzzi V7 fündig, die dann auch die weiteren Bauteile vorgab. Der Rahmen war für den längs eingebauten Diesel allerdings erheblich zu kurz - logische Konsequenz; Rahmen zersägen, um 15 Zentimeter verlängern und zusätzlich versteifen. Die weiteren Fahrwerkskomponenten wie Gabel, Schwinge mit Kardanantrieb und Räder entstammten ebenfalls einer Guzzi V7.
Nach drei Jahren Bauzeit im November 1999 dann der große Moment: Jürgen Schuster ging auf Jungfernfahrt. Mittlerweile hat er bereits mehrere tausend Kilometer ohne Probleme absolviert und ist überzeugt: Der Einsatz hat sich gelohnt - 3,5 Liter Verbrauch bei Überlandfahrt und das bei immerhin 286 Kilogramm Gewicht des Dieselrads.
Das hat zwar auch seine Schwächen, die sind aber weniger auf das Arbeitsprinzip des Motors, als vielmehr auf die Kraftübertragung und das antiquierte Fahrwerk zurückzuführen. So ist die Hinterachsübersetzung nicht für die geringe Drehzahlspanne des Dieselmotors konzipiert. Deswegen riegelt der Dreizylinder im letzten Gang bereits bei rund 125 km/h ab, obwohl das Triebwerk die Fuhre bei richtiger Übersetzung in höhere Geschwindigkeitsregionen beschleunigen würde. Außerdem kommen die Bremsen ihrer Aufgabe nur mit Mühe nach. Doch für Jürgen Schuster ging es in erster Linie um die Funktion des Selbstzünders auf zwei Rädern, und die konnte MOTORRAD bei einem ersten Probegalopp testen.
Drei Sekunden Vorglühen, dann nimmt der Diesel willig seine Arbeit auf. Anfängliches Nageln weicht schnell einem sonoren Brummen. Die Lautstärke bleibt angesichts des kleinen Schalldämpfers selbst bei höheren Drehzahlen verblüffend moderat. Der Besitzer bedeutet dem Tester: Im zweiten Gang anfahren reicht völlig aus. Tatsächlich setzt sich das Sparmobil mit wenig Gas problemlos in Bewegung, und das üppige Drehmoment verblüfft im ersten Moment. Ausdrehen der Gänge bringt nichts. Gleichmäßig schnurrt der Dreizylinder durch das hügelige Oberschwaben, ohne sich von Steigungen sonderlich beeindrucken zu lassen.
Und die Fahrleistungen? Subjektiv in etwa so wie die der 1340er-Harley bis Baujahr 1998 mit einem gravierenden Unterschied: Der Daihatsu-Drilling bietet aus dem Drehzahlkeller spürbar mehr Dampf als die großen V2 aus Milwaukee. Auch wenn der betagte Turbodiesel kein Dynamikwunder ist, für souveränes Dahingleiten auf Landstraßen taugt er allemal.
Dass mit einem anderen Antrieb mehr drin ist würde Jürgen Schuster gerne beweisen. Fehlt nur noch ein finanzstarker Partner, mit dem er eine Kleinserie mit modernen Triebwerken bauen könnte, die in aktuellen Kleinwagen für wahre Verbrauchswunder sorgen. Ein Dreizylinder mit 60 PS in einem speziellen Motorradfahrwerk, das Ganze 240 Kilogramm schwer, mit 2,5 Liter Landstraßenverbrauch ist keinesfalls Utopie: Die geeignete Antriebsquelle liegt in Wolfsburg im Regal.
Moderne Dieselmotoren bieten enormes Potenzial. Knapp 80 PS Literleistung und gewaltige 170 Nm/1000cm³ werden demnächst Realität. Ein motorradgerecht konstruierter, aufgeladener Turbodiesel mit Common-Rail-Direkteinspritzung könnte mit vergleichbaren Werten sogar im Zweirad für Furore sorgen. 1,2 Liter Hubraum verteilt auf drei Zylinder mit Ausgleichswelle und 95 PS bei einem fahrfertigen Gewicht von 230 Kilogramm sind durchaus realistisch. Dabei hätte ein solcher Motor über einen breiten Bereich zirka 200 Newtonmeter Drehmoment zu bieten, ein Wert von selbst der Fahrer einer Suzuki Hayabusa nur träumen kann.
Jürgen Schuster hat die Möglichkeiten eines Dieselmotorrads in einem ersten Schritt aufgezeigt. Bleibt abzuwarten, wann der erste Großserienhersteller versucht, eingefleischte Biker, die niemals nie sagen, von diesem Konzept zu überzeugen.

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Erscheinungsdatum 15.09.2023