Am Anfang dieser Geschichte steht der Traum von einer richtig schnellen 50er. Zu mächtig für ein schwächliches Mokick-Substitut, überdauerte er drei Jahrzehnte im Bewusstsein des Träumenden. Seine Erfüllung begann mit einem Haufen Kernschrott. Er war fahrbereit, doch der Vorbesitzer die Hände sollen ihm verdorren hatte praktisch jedes Gewinde zerstört, Radachsen, Felgen, Gabel, Fußrasten und Schwinge verbogen. Einzig die Schäden am Motor erwiesen sich als reparabel, und der Auspuff war noch zu gebrauchen. Ein zweiter Haufen, dringend benötigt, kam hinzu, mit formlosen Rostklumpen anstelle von Kurbelwelle und Getriebe, aber immerhin unverbogen und nicht vermurkst.
Das ist etwa drei Jahre her. Von seiner Ehefrau, seinen Kindern und zahlreichen anderen wurde dem Träumer damals viel Mitleid zuteil. Weil es eher seiner Geistesverfassung als dem Zustand der Restaurationsobjekte galt, half es nicht weiter. Nur einer seiner Freunde, ein ebenso weltoffener wie heimatliebender Franke, hatte Verständnis. Er war in seiner Jugend ganz lokalpatriotisch Hercules gefahren, selbstverständlich eine schnelle K 50. Noch heute ist er dankbar für die Lehren, die sie ihm erteilt und die Freiheit, die sie ihm verschafft hat. Und weil er weiß, dass materieller Besitz nichts wert ist, solange man kein Erlebnis mit ihm verbinden kann, setzte er dem Träumer ein erlebbares Ziel: »B´suchst uns halt, wenns fertig ist, dei Greidler. Dann fahr mer a Runde.«
Jetzt ist sie fertig. Zwar entspricht der Lack nicht dem originalen Farbton, er entsprang einem Missverständnis. Egal, schließlich wird die Erscheinung der RS sowieso von ihren Chromteilen dominiert. Tank, Lampenring, Schutzblechstreben, ja selbst das Bremspedal fangen die Sonnenstrahlen, lassen das gesamte kleine Fahrzeug erglänzen. In den Rädern mit ihren verchromten Felgen und Speichen wirbeln die Lichtreflexe, der Motor kreischt herrlich in den höchsten Tönen, als die RS mit Kurs Ostnordost Stuttgart hinter sich lässt.
Wilde Fünfziger

Vollgas, gnadenlos. So lautet auf dem ersten Streckenabschnitt, auf der B 29, die Devise. Wenn etwas kaputtgehen soll, dann bitte gleich. Doch es geht nichts kaputt. Rund 85 km/h läuft die Kreidler auf ebener Bahn unter einem stolz geblähten Fahrer im Textilanzug. Mehr Topspeed wäre lediglich bergab oder mit längerer Übersetzung bei noch viel längerem Anlauf möglich.
Ab Winterbach ist Schluss mit dem Geradeausgekreische, der Welzheimer Wald bietet Kurven über Kurven. Und sorgt für Ernüchterung über das Kreidler-Fahrwerk. Der gute alte Blechpressrahmen tuts ja ganz ordentlich, die Gabel jedoch bietet eine atemberaubende Kombination von holprigem Ansprechen und Unterdämpfung, die Hinterhand pumpt in welligen Kurven wie ein Maikäfer. Kein Wunder, dass sich die wilden Jungs früher scharenweise in die Botanik gebohrt haben. Oder liegt es am italienischen Nachrüstfederbein und daran, dass das spezielle Kreidler-Öl für die Gabel nicht mehr erhältlich ist?
Eine fast vergessene Tugend hilft: Fehler zuerst bei sich selbst suchen. Bodenwellen erkennen und vermeiden, nicht zu früh und nicht hastig einlenken, Körperspannung zur Entlastung der Federung und vor allem: keine Halbheiten am Gasgriff. Lange offen oder kurz zu, etwas anderes gilt nicht. Und siehe da, wenn der wackere 50er-Pilot sein Bestes gibt an Gefühl, Präzision, Entschiedenheit und Einsatz, wird die Linie rund, die Fahrt flott und jede Kurve eine kleine Belohnung.
Diese Erkenntnis frischt anderntags auch der einstige Hercules-Fahrer auf. Denn statt die Tour durchs Frankenland mit der 125er seines Sohnes zu bestreiten, bekommt er dafür mit den besten Empfehlungen vom Schwarzwälder Roller- und Moped-Museum eine 1974er-Hercules K 50 SE zur Verfügung gestellt. Kostbar, im originalen Lack, mit der Patina von 35 Jahren und über 30000 Kilometern auf der Uhr, technisch tipp-topp und ganz wichtig mit der typischen Vorderradschwinge ausgestattet.
Nostalgie und Fahrspaß

Sie fährt sehr komfortabel, gestattet aber in Kurven keine Unsicherheiten. Beim leisesten Antippen des Bremshebels stellt sich die Front auf, die K 50 drängt kurvenauswärts, nötigt zum Zaubern am Rande des Gegenverkehrs. Und obgleich er im unteren Drehzahlbereich kräftiger ist als der quadratische Kreidler-Zweitakter, zwingt das geringere Überdrehvermögen des langhubigen Sachs-Motors zu akkurater Schaltarbeit. Wer baut für diese Motoren ein Sechsganggetriebe?
Wer braucht wirklich eines? Für eine echte Zeitmaschine reichen 6,6 bis 7,3 PS und fünf Gänge. Und bereits auf dem Weg von Roth zur ehemaligen Bergrennstrecke bei Obermässing verwandelt sich ein gesetzter Herr mittleren Alters zurück in einen Jugendlichen zumindest seinem Fahrstil nach. Quetscht am Anstieg die letzten Zehntel-PS heraus, kneift sich in engen Kurven an die äußersten Fahrbahnränder heran, schindet Umdrehungen, bis der Drehzahlmesser Blut schwitzt, und Tempo, wo es nur geht. Der andere hat die gleiche Verwandlung schon bei der Anreise erlebt, kann anfangs noch ein paar Beispiele in skrupelloser Material- und Straßenausnutzung geben und überlässt sich dann der einsetzenden Harmonie.
Es kreischt, schwirrt und fräst synchron über die verkehrsarmen Straßen, pumpt und knautscht, glitzert und funkelt, als tanze man nach einer genau ausgearbeiteten Choreographie. Mal überholt der eine aus dem Windschatten, mal der andere, mal passt der dritte Gang der Hercules besser für eine Steigung, mal zieht die dreh-freudige Kreidler mit jubilierendem Sopran vorbei. Eine kleine Nebenstraße zwischen Wiesenhofen und Hirschberg, hineingelegt in die Falten des Geländes, hält sogar einen richtigen, kleinen Sprunghügel bereit; hier liefern die flinken Rätschen eine ganz große Vorstellung.
Ende der Geschichte

Den technischen Hintergrund für den fast perfekten Gleichklang liefert später der Leistungsprüfstand. Von den 0,7 PS Mehrleistung der Kreidler frisst der schwergängige Antriebsstrang im letzten Gang ein halbes PS wieder weg. Und die verbleibenden 0,2 PS kommen erst jenseits von 70 km/h zum Tragen. Also ein Patt auf hohem Fahrspaßniveau. Im Verdacht steht das alte Kugellager des Kettenradträgers, ein zweiter Träger mit ebenfalls neuem C3-Lager liegt mittlerweile bereit.
Zum Ausklang des Tages findet man sich auf Schloss Hirschberg ein. Knisternde Motoren und hitzige Köpfe kühlen auf Normaltemperatur herunter. Unbefangen posieren die beiden 50er im Schlosshof als orange-rot-chromglänzender Kontrast zur barocken Anlage. Da blitzt es wieder auf, das Respektlos-Anarchische, das ihnen von jeher eigen war. Die Redaktion dankt Werner Link und seinen Freunden vom Schwarzwälder Roller & Moped Museum, www.museum-verein.de, für die Überlassung der Hercules sowie Sebastian Hohnhaus für seine Hilfe bei den Fotofahrten.
Kreidler RSH-L (1977)
Motor
Einzylinder-Zweitakter, luftgekühlt, Bohrung/Hub: 40/39,7 mm, Hubraum: 49 cm³, Verdichtung 11,3 : 1, Leistung (Werksangabe): 6,25 PS bei 8500/min, Bing-Rundschiebervergaser, Ø 20 mm, Mehrscheiben-Ölbadkupplung, Fünfgang-Klauengetriebe, Kettenantrieb
Fahrwerk
Pressblechrahmen, vorn Telegabel, hinten Zweiarmschwinge mit zwei Federbeinen, vorn und hinten Vollnaben-Trommel- bremsen, Ø 160 mm, Bereifung vorn und hinten 2,75-17 reinforced,
Preis
3030 Mark (1977)
Hercules K 50 SE (1974)
Motor
Einzylinder-Zweitakter, luftgekühlt, Bohrung/Hub: 38/44 mm, Hubraum: 49 cm³, Verdichtung 11,2 : 1, Leistung (Werksangabe): 6,25 PS bei 8000/min, Bing-Rundschiebervergaser, Ø 19 mm, Mehrscheiben-Ölbadkupplung, Fünfgang-Ziehkeilgetriebe, Kettenantrieb
Fahrwerk
Zentralrohrrahmen mit verschraubten Unterzügen, vorn geschobene Langschwinge, hinten Zweiarmschwinge mit zwei Federbeinen, vorn und hinten Vollnaben-Trommelbremsen, Ø 140 mm, Bereifung vorn und hinten 2,75-17 reinforced
Preis
1960 Mark (1974)