Au Backe: Mehr als 21.000 Motorräder mussten in Deutschland wegen insgesamt acht Rückrufaktionen in den ersten sechs Monaten dieses Jahres einen Abstecher in die Werkstatt machen. Die Liste der Ursachen ist lang: Mal sind es vergleichsweise harmlose Pannen wie blendende Bremsleuchten bei der Yamaha SR 400, mal schwerwiegende Mängel wie Bruchgefahr der Federbein-Kolbenstange beim BMW-Tourer R 1200 RT. Vor solchen Risiken und Nebenwirkungen der Serienfertigung schützt die Verbraucher seit 1997 das Produktsicherheitsgesetz mit den darin verankerten Rückrufmöglichkeiten.
Jährlich erreichen 350 bis 500 Hinweise das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) als zuständige Behörde für Fahrzeuge und Fahrzeugteile zu Produkten, die möglicherweise mit Mängeln behaftet sind. 2013 wurden beim KBA 180 Rückrufaktionen registriert – rund elf Prozent mehr als im Vorjahr. In 105 Fällen stufte die Behörde das Risikopotenzial der Defekte als so hoch ein, dass sie die Maßnahme überwachte. Der Anteil der besonders schweren Mängel lag mit 58 Prozent auf Vorjahresniveau. Unter dem Strich hat sich seit Einführung der Rückrufstatistik im Jahr 1998 die Zahl der Aktionen in etwa verdoppelt – Tendenz weiter steigend.
"Viele Serviceaktionen werden gar nicht bekannt"
Kleiner Schönheitsfehler der offiziellen KBA-Mängelzählerei: Eine Differenzierung zwischen Pkw und Motorrädern wird nicht vorgenommen. Gut, dass es die ADAC-Rückruf-Datenbank gibt, die dieses Defizit wettmacht. Weniger gut ist dagegen der Trend, den die Zahlen belegen: „Seit 2008 ist ein starker Anstieg der Rückrufaktionen bei Motorrädern zu beobachten“, sagt Helmut Klein vom ADAC-Technikzentrum in Landsberg. Er rechnet damit, dass sich deren Zahl im Laufe des Jahres sogar bis auf 20 erhöhen könnte.
Für ihn markiert die Mängelliste ohnehin nur die „Spitze des Eisbergs“. „Viele Serviceaktionen werden überhaupt nicht bekannt“, so die Erfahrung von Klein (siehe Fragen und Antworten zum Thema). Und wie gehen betroffene Hersteller mit dem Thema um? Rudolf-Andreas Probst, Pressesprecher BMW Motorrad, räumt ein, dass „trotz der hohen Qualitätsansprüche und Absicherungsmaßnahmen im Produktionsprozess Abweichungen entstehen können. Es passieren Dinge, die nicht passieren sollen und die niemand will, die aber dennoch passieren“, sagt Probst. Böse Folge: Das Image der Münchner hat nach einer Serie von Pannen gelitten. Dieser Schaden ist gravierender als die immensen Kosten, die Rückrufe verursachen.
Wichtige Fragen und Antworten
Besteht eine Meldepflicht für Hersteller an das KBA, wenn Informationen vorliegen, dass von einem Produkt wegen möglicher Defekte eine Gefahr ausgeht?
Ja, dazu sind die Hersteller nach dem Geräte- und Produktsicherheitsgesetz verpflichtet. Das Gesetz enthält ein abgestuftes Eingriffs-instrumentarium. Bevor das KBA aktiv wird, hat der Hersteller Gelegenheit zum Handeln.
Wer verantwortet die Rückrufaktionen?
Grundätzlich immer der Hersteller selbst. Er kann freiwillige Rückrufe einleiten – sie werden meist Serviceaktion genannt –, sobald Produktmängel bekannt werden. Bei freiwilligen Rückrufen prüft das KBA zunächst, ob eine ernste Gefährdung besteht. Ist dies der Fall, kontrolliert die Behörde, ob die vom Hersteller getroffenen Maßnahmen ausreichend sind, und überwacht den freiwilligen Rückruf. Um ernste Gefahren möglichst schnell und vollständig auszuräumen, müssen die Hersteller die Halteranschriften aus dem zentralen Fahrzeugregister des KBA verwenden. Auch in weniger gravierenden Fällen nutzen die meisten Motorradproduzenten aber freiwillig die KBA-Daten, um möglichst viele Betroffene zu erreichen. Werden die Halter direkt vom KBA angeschrieben, so handelt es sich nur um eine Serviceleistung im Auftrag des Herstellers.
Was ist eine ernste Gefährdung?
Etwa wenn ein Defekt plötzlich und unvorhersehbar auftreten kann – beispielsweise wenn sich die Bremsbeläge von der Grundplatte lösen können. Keine ernste Gefährdung liegt dagegen vor, wenn etwa der Bremskraftverstärker ausfallen kann und das Motorrad mit höherem Bremsdruck verzögerbar bleibt.
Kann das KBA Rückrufe anordnen?
Ja, das kommt infrage, wenn eine ernste Gefährdung vorliegt und die vom Hersteller getroffenen Maßnahmen nach Meinung des KBA nicht ausreichen, um die Gefahr zu beseitigen.
Müssen Motorradfahrer der Aufforderung folgen, wenn sie per Rückrufaktion in die Werkstatt gebeten werden?
Ja, dem sollte man umgehend Folge leisten. Auch wenn das Anschreiben verharmlosend so formuliert sein kann, dass beim Kunden der Eindruck entsteht, die Maßnahme sei nicht so dringlich. Aber nicht nur im Interesse der eigenen Sicherheit darf die Sache nicht auf die lange Bank geschoben werden. Reagiert ein Fahrzeughalter nicht, obwohl er mehr-
fach über einen gefährlichen Mangel informiert wurde, kann die Zulassungsbehörde die Benutzung des Fahrzeugs verbieten. Am Ende von Rückrufaktionen wegen besonders gefährlicher Mängel meldet das KBA nicht reparierte Fahrzeuge den Zulassungsbehörden.
Was sollen Motorradbesitzer tun, die ein Schreiben erhalten haben, die Werkstatt aber auf fehlende Ersatzteile verweist?
Die Betroffenen sollten sich an den Hersteller oder Importeur in Deutschland wenden. Rückrufaktionen werden in der Regel erst dann vom KBA unterstützt, wenn die Ersatzteilversorgung sichergestellt ist.
Wie sieht es aus, wenn das Fahrzeug von einem Rückruf betroffen ist, der Halter aber noch nicht angeschrieben wurde?
Sie sollten sicherheitshalber dennoch schleunigst beim Händler nachfragen, ob die Rückrufaktion Ihre Maschine betrifft oder nicht. Anhand der Fahrgestellnummer kann das jeder Händler feststellen und Auskunft geben, was zu tun ist.
Was tun, wenn ein Rückrufanschreiben kommt, das Motorrad aber inzwischen verkauft wurde?
In solchen Fällen muss dem Hersteller die Adresse des neuen Fahrzeugbesitzers mitgeteilt werden. Da man sich unter Motorradfahrern unterstützt, ist es aber ein Gebot der Höflichkeit, als Verkäufer den Käufer zu informieren.
Und wenn der Verdacht besteht, das gebraucht gekaufte Bike könnte betroffen gewesen, aber nicht repariert worden sein?
Anhand der Fahrzeugdaten kann dies beim Vertragshändler über eine zentrale Datenbank überprüft werden.
Wer zahlt das Ganze?
Eine rechtliche Pflicht auf Übernahme der Kosten für Reparatur seitens des Herstellers bzw. Händlers besteht nicht. Um das Markenimage und den Erfolg des Rückrufs nicht zu gefährden, übernehmen sie jedoch üblicherweise die Kosten. Ein Anspruch auf ein kostenloses Ersatzfahrzeug besteht nicht.
Rückruf-Chronik letzte 18 Monate
Datum | Hersteller | Modell
Bauzeitraum/ | Fahrzeug-Identnummer Anlass | |
6/2014 | BMW | R 1200 GS | Oktober 2012 bis August 2013 | Wellendichtring am Getriebe-ausgang kann sich lösen
|
6/2014 | BMW | R 1200 RT
Modelljahr 2014 | Kolbenstange des hinteren | Federbeins kann brechen |
6/2014 | Yamaha | SR 400 | Modelljahr 2014: JYARH051000000302 bis …0867 | Bremsleuchte blendet |
6/2014 | Harley-Davidson | CVO Ultra Limited,
1. Juli 2013 bis 7. Mai 2014 | Vorderradbremsleitungen | sind falsch verlegt |
5/2014 | Honda | CB 500,
29. Oktober 2012 bis 15. August 2013 | Verschlussstopfen der | Kipphebelwellen löst sich |
5/2014 | BMW | C 600 Sport, C 650 GT,
| 18. November 2012 bis 11. Oktober 2013
Der Seitenständerschalter ist | undicht, kann zum Absterben des Motors führen |
2/2014 | Yamaha | YZF-R1, XT 1200 Z | YZF-R1: JYARN221000000301 bis …10656
Ausfall der Hauptscheinwerfer | |
2/2014 | Yamaha | YP 400 R, MT-09, XV 950/R (alle mit ABS) | YP 400 R: VG5SH072000000101 bis …0694
Ausfall des ABS | |
11/2013 | Yamaha | YZF-R1 (Typ RN221) | Modelljahr 2010:
Kabelbaum der Motorsteuerung | defekt |
11/2013 | Suzuki | GSX-R 600, GSX-R 750, GSX-R 1000 | GSX-R 600 und -R 750: Modelljahre 2004 bis 2013 GSX-R 1000: Modelljahre 2005 bis 2013 | Vorderrad-Hauptbremszylinder defekt |
10/2013 | Yamaha | X-Max 400 (Typ SH07) | VG5SH071000001600 bis …2424 | Defekt an der Hinterrad- bremsleitung |
10/2013 | Honda | SH 125, SH 150 | 7. Juli 2012 bis 30. Juli 2013:
Ausfall der Kraftstoffpumpe | |
10/2013 | BMW | F 700 GS, F 800 GS
1. Juli 2011 bis 18. Oktober 2012 | | Seitenständerschalter defekt
|
9/2013 | Triumph | Daytona 675, Street Triple
Modelljahr 2013 | Gaszug verklemmt und geht nicht mehr in Leerlaufstellung | |
8/2013 | Triumph | Speed Triple/R, Tiger 1050, Sprint ST/GT | Modelljahre 2012 und 2013: …535379 bis …562630 | Seitenständerschalter außer Funktion |
8/2013 | Triumph | Street Triple/R | Modelljahre 2013 und 2014:
Lose Seilzugführung kann | Lenkung blockieren |
8/2013 | Triumph | Street Triple/R, Daytona 675/R | Baujahr 2013: …564948 bis …572547 | Gaszüge im Lenkkopfbereich verklemmen |
7/2013
| BMW
| Maxi-Scooter C 650 GT
| 25. Februar 2011 bis 23. Mai 2013
| Gepäckbrücke löst sich
|
4/2013 | Triumph | Street Triple,
| Modelljahre 2012 bis 2013:
Blinkerhalter knicken ab | |
1/2013 | Kawasaki | Ninja 250 R | Modelljahre 2008 bis 2012 | Defekter Neigungswinkelsensor |
Beispiel BMW
Rückrufe aus zwei Dekaden:
Juni 2014
▶ R 1200 GS Wellendichtring am Getriebeausgang löst sich
▶ R 1200 RT mit Sonderausstattung Dynamic ESA, Kolbenstange des hinteren Federbeins kann brechen
Mai 2014
▶ C 600 Sport Seitenständerschalter undicht
▶ F 700 GS ▶ C 650 GT
▶ R 1200 R ▶ R 1200 GS
▶ F 800 GS Seitenständerschalter undicht.
Oktober 2013
▶ F 800 GS ▶ F 700 GS Seitenständerschalter defekt
Juli 2013
▶ Maxi-Scooter C 650 GT
Gepäckbrücke löst sich
Dezember 2012
▶ K 1200 Weicher Handbremshebeldruckpunkt wegen verschäumter Bremsflüssigkeit im Behälter
April 2012
▶ S 1000 RR Pleuelschrauben
können sich lösen
Februar 2011
▶ K 1300 ▶ K 1200 Federbeinumlenkhebel kann brechen
Februar 2011
▶ F 650 GS Befestigungsschrauben der Vorderbremsscheibe lösen sich
▶ G 650 Xcountry ▶ G 650 Xmoto ▶ G 650 Xchallenge
Halter der oberen Kettenanlaufrolle kann brechen
Juli 2010
▶ F 800 R ▶ K 1300 S/R/GT Funktionsstörungen des Kombischalters
November 2009
▶ R 1200 GS ▶ R 1200 GS
Adventure Ausfall der Kraftstoffpumpenelektronik
August 2009
▶ F 800 GS Vorderrad-Steckachse kann brechen
Februar 2009
▶ F 800 GS ▶ F 650 GS Kettenrad am Hinterrad kann sich lockern
Oktober 2008
▶ HP2 Vordere Verschraubung der Paralever-Strebe löst sich
Juli 2008
▶ R 1200 GS Handprotektoren können sich verdrehen
April 2008
▶ R 1200 GS ▶ R 1200 R
▶ R 1200 ST mit Bremssystem
Conti-Teves mögliche Rissbildung am Anschluss der vorderen Bremsleitung zum ABS-Modul
April 2006
▶ K 1200 ▶ K 1200 S ▶ K 1200 R
Integral-ABS kann bei extremer Belastung ausfallen
Oktober 2000
▶ R 1100 S Der Lenker kann sich bei hoher Belastung verdrehen
Pannenstatistik

