Impression Uno TL 1000 S
Werners Fünfte

Werner Koch baut Motorräder, seit er denken kann. Der Tausendsassa der MOTORRAD-Testmannschaft, den es krank macht, wenn eine Maschine nicht so funktioniert, wie sie soll. Oder er meint, wie sie könne. Der Mann, der dann bei Mensch und Material vor nichts zurückschreckt. Sein fünftes Großprojekt: die Uno TL 1000 S. Suzuki-Technik im Home-made-Gitterrohr-Chassis. Weil der TL-V2 der rattenschärfste Zweizylinder sei, der herumfahre und ein ordentliches Fahrwerk verdient habe.

Der Schlüssel. Wieder mal weg. Einfach verkramt. Saudumm. »Keine Ahnung, wie das passieren konnte.« Werner grinst ein wenig verlegen. Der Schlüssel, das Fahrtenbuch, die rote Nummer - irgendwas fehlt immer. Werner weiß es, ich weiß es, alle wissen es. Montagmorgen, strahlender Sonnenschein und lange vorbereiteter Fahrtermin für die Uno TL 1000 S. »Dann schließen wir sie halt kurz, kein Problem.« Improvisation ist alles. Dumm nur, dass die Karre bei Werner zu Hause steht und er jetzt nach Hockenheim zum Testen muss. Aber vielleicht sei der Ersatzschlüssel ja im Werkzeugkasten, in der Garage, gleich hinter der Tür. Im Geiste blase ich schon alles ab. Doch die Werkzeugkiste ist ein Volltreffer. Nur leider ist die Batterie leer. »Äh, Werner...« Keine große Sache, meint er, liese sich prima anschieben. Notfalls würde seine Frau gerne helfen. Tschüssi! Wer ein ganzes Motorrad gebaut hat, hält sich mit solchen Lappalien nicht auf. Ich mache mich auf die Suche nach einem Starthilfekabel.
Der strahlende Tag hat die besten Stunden bereits hinter sich, als ich in Werners Hofeinfahrt vor einem wunderschönen, schwarzen Motorrad stehe und nach der Batterie fahnde. Nicht einfach bei einem Eigenbau, den mit der Serien-Suzuki im Wesentlichen nur noch Armaturen, Tank, Räder und Schwinge verbinden. Über der besagten Batterie wölbt sich ein cooler Rennhöcker, davor breitet sich ein stählerner Gitterrohrrahmen mit Streben, dick wie Kinderarme aus. Vorn schließt eine zierliche 250er-Aprilia-Verkleidung ab, die TL 1000-Instrumente samt ihrer ehemals elegant wirkenden Trägerplatte in Karbonimitat mit leeren Bohrlöchern ein wenig bezugslos vor der zerzausten Verkleidungs-Innenansicht tragend. Egal. Bagatellen. Ähnlichkeit mit lebenden TL 1000 sind weder zufällig noch beabsichtigt.
Irgendwann nach der zehnten Schraube, dem vierten Splint und letzten gelösten Haltgummi entdecke ich schließlich neben dem Hinterrad einen hilfreichen kleinen Bowdenzug und das Sitzkissen fällt mir entgegen. Ich bin drin. Jetzt Strom dran und – mir fliegt schier der Kopf weg. Was da auf Knopfdruck aus den Schühle-Auspufftüten ins Stuttgarter Wohnviertel trompetet, ist schlichtweg irre. Ein bisschen illegal, logo, aber nur ein bisschen. Gerade so, dass die Bauarbeiter die Köpfe drehen und die Nachbarskatze drei Schritte zurückweicht. Nicht der volle Bass einer Ducati, auch nicht das helle Blechblasen der Serienanlage - irgendwo dazwischen. Tenor vielleicht. Passt jedenfalls zum Motor, der ohne Umschweife zur Sache kommt. Auf kleinste Gasstöße reagiert. Starterkabel ab, Höcker drauf - es kann losgehen.
Jesus, was für eine Sitzhöhe! Heck und Federbasis bis zum Anschlag hoch-, jedwede Dämpfung zugedreht, Lenkerstummel tief angeklemmt - »grad’ recht für d’ Rennstreck«, Werners Lieblingsabstimmung. Alles knochenhart und knochentrocken, direkt ohne Ende. Alles spürbar, jede Fuge im Asphalt, jedes verirrte Splitsteinchen. »Feedback«, nennt Werner das. Klar gehe es auch softer, aber er wollte »diese ganze unnötige Federbewegung aus dem Motorrad raus haben«, erklärt er später. Stimmt, die ist raus.
Vorsichtig fädele ich mich durch den Stadtverkehr, während das Ding über Fahrbahnmarkierungen und Kanaldeckel trippelt wie ein Ferrari auf der Zielgeraden. Dann freie Strecke, und die Maschine ist in ihrem Element. Fast digital beantwortet der Motor alle Gaskommandos, lustvoll und hochmotiviert schiebt er voran, pfeilt die Drehzahlskala hinauf bis zum roten Ende. Ein paar winzige, blaue Lenkergewichte bemühen sich rührend, aber vergebens, die Vibrationen des mittragenden Triebwerks in den Griff zu bekommen. Auf Werners Kiste ist Feeling angesagt. Und Respekt. Zum Beispiel vor dem gewaltigen Hebel oben rechts. Die Bremse. Ein Griff, der aussieht, als brächte er mit seiner schieren Größe sogar einem Containerschiff die Punktbremsung bei. Mit einer xx-PVM-Pumpe und den Tokico-Sechskolbensätteln der alten GSX-R 750 verzögert das Motorrad, als schlage ein Scheunentor zu. Peng und das Ding steht! Völlig kontrolliert, exakt dosierbar - fühlen, was man bremst. Werner hat nicht gespart.
Gerade recht für die 128 PS, die er an der Fieberkurve des Prüfstandsausdrucks abgelesen hat. Er habe noch ein bisschen an den Zylinderköpfen herumgewerkelt, erzählte er, in seiner Werkstatt im Keller, mit einem alten Zahnarztbohrer. Prima gehe das. In diesem magischen Raum hinter der Waschmaschine, den Fahrrädern und der Heizung. Da, wo Werners gesammelte Werke das Licht erblickten: Bikes, wie die zu einem Tourer mutierte Yamaha R1, der aus einer XV 535 kreierte Allrounder, der Enduro-Single im Rennfahrwerk und und und. Kreationen, die ihn dort für Wochen wie in einem Bermudadreieck verloren gehen lassen, wütende Redaktionskollegen und entnervte Chefredakteure vergessend. Treuer Freund in solchen Stunden ist dann Sam. Sam aus Unterschellenbach und Inhaber der Fahrwerks-Firma Uno. Treu setzt er Werners Ideen immer wieder mit Rahmenlehre und Schweißgerät in leibhaftiges Rohrwerk um. Auch im November 1998, als Werner hoffnungsvoll mit einer havarierten TL 1000 im Schlepp auftauchte und einen Kopf voller schlauer Pläne, die in der Redaktion schon keiner mehr hören wollte. Zusammen nahmen sie die Motoraufhängungspunkte ab, zeichneten ein neues Rahmenlayout mit 20 Millimetern mehr Radstand als die Serie, 67 Grad Lenkkopfwinkel und knapp zwei Zentimeter weiter vorn platziertem Motor. So wollten sie dem berüchtigten Auftrieb der leichten Suzuki samt dem gefährlichen Lenkerschlagen den Garaus machen. Dann wurde statt des problematischen Serien-Drehflügeldämpfers ein Zentralfederbein gezeichnet und bei Technoflex in Auftrag gegeben, und Sam konnte sich ans Rohrebrutzeln machen.
Bereits sechs Wochen später, Silvester 1998/99, drehten Werner und Sam in Spanien die ersten Testrunden. Das Motorrad war 16 Kilo leichter als die Serien-TL 1000 S, fuhr damals schon ganz gut, funktionierte aber noch nicht perfekt. Was dann folgte, war die Endlosigkeit der Feinabstimmung. »Bestimmt zehn mal habe ich die Gabel ausgebaut, zerlegt und immer wieder andere Shims montiert, bis das Ding optimal ansprach«, erinnert sich Werner. Das neue, direkt angelenkte Federbein warf ebenfalls Probleme auf. Wegen der knappen Platzverhältnisse musste es mit kargem Arbeitsweg und einer entsprechend harten Feder auskommen. Aber nur so konnte die Originalschwinge verwendet werden. Und das war wichtig, da die beiden damals schon überlegten, einen erschwinglichen Rahmenkit als Bausatz für frustrierte TL1000-Besitzer anzubieten.
Allmählich lege ich den Respekt vor der Uno ab. Langsam läuft da nix. Sie ist Extrem-Sportlerin. Braucht einen gewissen Speed, um dann dafür wie schwerelos ums Eck zu pfeiffen. Ich krieche geradezu in sie hinein, werde eins mit ihr, erlebe kompromisslosen Kontakt zur Fahrbahn. Eine Fahrmaschine pur. Erst als die Straßen schlecht werden, beginnt das zweite Leben der Wernerschen Fahrwerksabstimmung. Ungezogen schlägt die Uno um sich, bockelt über Bodenwellen, boxt mit dem Heck, zuckt trotz kleinen Lenkungsdämpfer sogar einmal mit dem Lenker. Eigentlich wäre sie damit durchgefallen, doch es spielt keine Rolle mehr. Ich bin ihr bereits verfallen. Kurve um Kurve, Hügel um Hügel fliegt dahin, ich bin völlig vertieft, habe kaum noch einen Schimmer, wo ich mich befinde. Immer vertrauter wird ihre Eigenwilligkeit, werden ihre Extreme. Inzwischen jeden Muskel fühlend, der irgendeine Halte- oder Stütztätigkeit ausführt, fahre ich dennoch wie hypnotisiert weiter. Der Tag sollte 100 Stunden haben. 6500 Mark kostet der Fahrwerkskit, rund 10000 eine gebrauchte TL 1000, ertappe ich mich bereits beim Rechnen.
Doch jetzt muss die Uno erst mal zurück, der Schlüssel in den Briefkasten. Ein kleiner Notizzettel noch. »Lieber Werner, schade, dass jetzt doch nicht nicht die mega-perfekte TL rausgekommen ist, die du mit Sam bauen wolltest. Aber das macht gar nix! Ich find deine Karre geil!!! Tschüssi.«

Unsere Highlights

Technische Daten

Uno TL 1000 S
Technische Daten

Motor: Suzuki TL 1000 S-Zweizylinder-Viertakt-90-Grad-V-Motor, elektronische Saugrohreinspritzung, Bohrung/Hub 98/66 mm, Hubraum 996 cm3, Verdichtung 11,3:1, Leistung 94 kW (128 PS) bei 8500/min.Fahrwerk: Stahl-Gitterrohrrahmen von Uno, Rahmenheck, Schwinge, Räder original TL 1000 S, Gabel mit modifizierter Abstimmung, Federbein Technoflex, Bremsen Suzuki GSX-R 750 Baujahr 1999/PVM. Fahrwerksdaten: Lenkkopfwinkel 67 Grad, Nachlauf 88 mm, Radstand 1420 mm. Gewicht 204 kg. Preis Rahmen-Kit: 6800 Mark inklusive Federbein.Vertrieb: Suzuki Speer, 72770 Reutlingen.

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MOTORRAD 12 / 2023

Erscheinungsdatum 26.05.2023