Üblicherweise lernen Kinder den Umgang mit einem Zweirad zwischen dem fünften und achten Lebensjahr. Aber es kann schon viel früher mit dem Einüben der motorisch anspruchsvollen Fertigkeiten des Zweiradfahrens begonnen werden. Auf einem Alu- oder Holzmotorrad (siehe Kasten). Das Schöne daran: Die Eltern müssen dem Kleinkind nichts erklären, es lernt das Fahrradfahren spielerisch wie von selbst. Vorausgesetzt, das Kind hat vorher weder auf einem Dreirad noch auf einem Fahrrad mit Stützrädern gesessen. Denn die Fahrphysik dieser Gefährte, die darauf nötigen Lenkbewegungen stehen dem Gleichgewichthalten auf zwei Rädern im Wege.
In der ersten Lernphase nimmt das Kind das Rädchen wie ein Steckenpferd zwischen die Beine und läuft damit herum. Das klappt schon mit knapp zwei Jahren und sogar mit einem Windelpaket. Um dahin zu kommen, wo es hin will, hebt das Kind das Holzrad am Lenker an und zerrt das Vorderrad in die gewünschte Richtung.
In Phase zwei lenkt das Kind schon leicht ein. Im Stand setzt es sich auf den Sattel, steht jedoch zum Fahren wieder auf. Während der dritten Phase bleibt das Kind beim Fahren sitzen. Zum Voranschieben bewegt es beide Beine langsam nach hinten, hält an und zieht die Beine langsam wieder nach vorn. Beide Füße haben
ständig Bodenkontakt. In Phase vier fängt
das Kind an, die Beine wechselseitig wie beim Gehen zu bewegen, es hat also
nur noch einen Fuß konstant am Boden.
Dieses Voranschieben geht in der fünften Phase in ein wechselseitiges Abstoßen über. Sobald das abstoßende Bein hin-
ten vom Boden abhebt, setzt im nächsten
Augenblick vorn das andere schon wieder auf, wobei das Rädchen ein wenig nach rechts und links kippt.
So hatte es sich der alte Drais mit
seinem Laufrad vorgestellt. Er wollte nur laufen, schneller freilich als auf Schus-
ters Rappen. Und jetzt wird es spannend. Vor unseren Augen spielt sich ab, was vor mehr als 150 Jahren mit der Draisschen Erfindung geschah und zum Durchbruch des Zweirads führte.
Das passiert in der sechsten Phase: Die anfangs winzigen Augenblicke zwischen dem Abstoßen mit dem einen Fuß und dem Aufsetzen des anderen werden größer und größer, und das Rädchen kippt weniger hin und her. Wenn das Abstoßen kräftig genug geschieht, kann das Kind
einige Momente lang erleben, wie es ungestützt fährt und dabei den Einfluss des Lenkens spüren, mit dem sich das Kippen zur anderen Seite hin verzögern oder sogar ganz abstellen lässt.
Danach bedarf es keines langen Trainings mehr, bis das Kind spontan versucht, gleichzeitig beide Füße hoch zu nehmen. Bei genügend Tempo schließlich streckt es beide Beine weit nach hinten. Ein Zeichen dafür, dass jetzt volle Sicherheit erreicht ist. Kein Vergleich zum unsicheren Herumfuhrwerken auf einem Dreirad!
Von nun an bereitet das Fahren höchste Freude. Die Kurven werden immer
gewagter, nicht nur das Tempo, auch
die Sicherheit nimmt zu. Und bald kommt
der Tag, da die Eltern es wagen können, ein richtiges Kinderfahrrad anzuschaffen. Aber auf keinen Fall darauf kann man nicht oft genug hinweisen sich ein Vehikel mit Stützrädern aufschwatzen lassen. Allerdings sollten zunächst die Tretkurbeln abmontiert werden es dauert eh nur
wenige Tage des spielerischen Übens, bis sie wieder dran dürfen, danach klappt das Radfahren sofort.
Die Jüngsten, die das schaffen, sind noch nicht einmal drei Jahre alt. Ohne ein Wort des Erklärens haben sie ganz von selbst die kompliziertesten Bewegungskombinationen gelernt, bis hin zum Lenk-
impuls, den man Erwachsenen oft mühsam beibringen muss.
Doch Vorsicht, Eltern sollten sich
von der souveränen Fahrfertigkeit ihres Kinds nicht dazu verführen lassen, mit ihm
den Spielplatz oder eine andere verkehrsfreie Zone zu verlassen. Wenn ein Auto entgegenkäme, wüsste das Kind nicht,
auf welcher Seite es daran vorbeifahren müsste. Von Einsicht selbst ins einfachste Verkehrsgeschehen noch keine Spur. Das dauert noch etliche Jahre.
Kleinst-Einsteiger : Kleinst-Einsteiger
Es macht Spaß zu sehen, wie der Nachwuchs ohne Anleitung auf zwei Rädern unterwegs ist, meint Bernt Spiegel, Autor des Standardwerks »Die obere Hälfte des Motorrads«.

Foto: Sdun