Bislang nur im brandneuen Supersportler RSV mille eingesetzt, wird der kräftige V2-Motor künftig auch die Tourer und Naked Bikes von Aprilia in Schwung bringen. MOTORRAD nahm den Rotax-Twin unter die Lupe.
Bislang nur im brandneuen Supersportler RSV mille eingesetzt, wird der kräftige V2-Motor künftig auch die Tourer und Naked Bikes von Aprilia in Schwung bringen. MOTORRAD nahm den Rotax-Twin unter die Lupe.
»Der praktische Fahrversuch im Motorrad ist durch keinen Computer der Welt zu ersetzen, deshalb testen wir seit Monaten die neuen V2-Motoren auf der Straße und im direkten Vergleich zur Konkurrenz - und die heißt Ducati 916.« Helmut Schön, Projektleiter der neuen Rotax/Aprilia-Motoren-Generation, ist überzeugt davon, daß selbst ein hervorragender Motor nur so gut sein kann wie das Drumherum. »Vibrationen, Schaltung, Leistungsentfaltung, Lastwechselreaktionen- alles Dinge, die sich weder auf dem Prüfstand und schon gar nicht auf dem Computer simulieren lassen.« Das diese Praxistests Zeit und Geld verschlingen, liegt auf der Hand, doch bei der rund 15 Millionen Mark teuren Entwicklung des 60-Grad-V2-Motors für
Aprilias Zukunft wollte man keine unnötigen Risiken in Kauf nehmen. Zumal dieser Motor nicht als Kleinserie für eine Handvoll Rennmaschinen herhalten muß, sondern in leicht modifizierter Form die geplante Tourer- und Naked-Bike-Palette des innovativen Aprilia-Werks befeuern soll. Nach der erfolgreichen Zusammenarbeit im Bereich Serienmotorräder, Roller und Rennmaschinen, die in fünf Weltmeistertiteln gipfelte, setzte Aprilia-Chef Ivano Beggio auch bei seinem jüngsten Projekt auf die Erfahrung und Zuverlässigkeit der Motoren-Schmiede aus dem oberösterreichischen Gunskirchen.
Rund drei Jahre ist es her, als der gemeinsame Einstieg ins Big Bike-Segment beschlossen wurde. Die verbindlichen Unterschriften der verantwortlichen Rotax- und Aprilia-Manager auf der ersten Konstruktionszeichnung besiegelten den Kooperationsvertrag, die Eckdaten waren festgelegt: V2-Viertakmotor mit einem Zylinderwinkel von 60 Grad, das Ganze möglichst kompakt und kurz, mit elektronischer Einspritzung, drehzahlfest und leistungsfähig für den Rennsport, aber auch pflegeleicht und wartungsfreundlich im Straßenbetrieb. Nicht mehr und vor allem nicht weniger.
Der aufrecht stehend im Aluminium-Fahrwerk verschraubte 60-Grad V2-Motor erlaubt es im Gegensatz zu den 90-Grad-Twins der Konkurrenz (Ducati, Suzuki TL 1000 S, Honda VTR 1000) Radstand und Motorplazierung freier zu gestalten. Nachteil des 60 Grad-Zylinderwinkels sind die verstärkt auftretenden Motorvibrationen, die einige Gegenmaßnahmen notwendig machten. Außer der vor der Kurbelwelle rotierenden Balancerwelle, sitzt, von einem Zwischenrad angetrieben, eine zweite Ausgleichswelle zwischen den beiden Nockenwellen des hinteren Zylinderkopfs (Foto Seite 42). Nur so ließen sich die Massenkräfte erster Ordnung auf das gewünschte Niveau reduzieren. Eine Labyrinthbohrung im Ausgleichsgewicht führt über die hohlgebohrte Welle und eine Schlauchleitung in den Luftfilterkasten und übernimmt so die Motorentlüftung, wobei überschüssiges Motoröl durch die Zentrifugalkräfte in den Nockenwellenraum zurückgeschleudert wird.
Um die Kosten von Produktion und Lagerhaltung zu minimieren, verwendet Rotax vorn und hinten baugleiche, aber spiegelbildlich montierte Zylinder mitsamt Köpfen. Dies erfordert einen auf beiden Motorseiten verlaufenden Ventiltrieb über je ein Zwischenrad und konventionelle Hülsenkette zu den obenliegenden Nockenwellen.
Ungewöhnlich, aber für jeden Mechaniker eine Hilfe, sind die schrägen Zylinderkopfdeckel, die den Bereich um die Steuerkettenräder großzügig freigeben und somit genügend Raum für die Montage und Ventileinstellung der direkt im Aluminium gelagerten Nockenwellen schaffen.
Vier relativ kleine Ventile (Einlaß 36, Auslaß 31 Millimeter) teilen sich den Brennraum mit den beiden zwölf Millimeter-Kerzen der Doppelzündung und werden via Tassenstößel mit untenliegenden Einstellplättchen betätigt.
Je vier Stehbolzen halten Köpfe und die Gilasil beschichteten Alumium-Zylinder in Open-deck-Bauweise auf dem vertikal geteilten Motorgehäuse. Auch die Idee eines sogenannten Monoblock-Gehäuses wie beim Honda VTR 1000-Motor, bei dem die obere Gehäusehälfte und die Zylinder als einteiliges Gußstück gefertigt ist, wurde diskutiert- und wieder verworfen. Letztlich einigte man sich auf die konventionelle, montage- und reparaturfreundliche Lösung verschraubter Zylinder.
Bis auf die Getriebewellen der großzügig dimensionierten Sechsgang-Schaltbox ist der Rotax-Motor vollständig mit laufruhigen Gleitlagern ausgetattet. Doch die verlangen nach einer unter allen Umständen absolut zuverlässigen Druckschmierung. Und die gewährleistet nach Meinung der Rotax-Crew nur die Trockensumpfschmierung mit separatem Öltank.
Zur Überraschung der Versuchsabteilung stellten sich jedoch selbst damit Probleme ein. Bei einem simulierten Bremsvorgang aus 250 km/h und anhaltend hoher Drehzahl schwappte zuviel Motoröl ins vordere Gehäuseteil, die Förderpumpe zum Öltank zog Luft, die Versorgung der Druckölpumpe war gefährdet. Die Lösung: überschüssiges Öl, das bis dato durch das Überdruckventil ins Motorgehäuse entwich, wird jetzt auf kürzestem Wege wieder direkt der Druckölpumpe zugeführt.
Doch die Schmierung sollte nicht das einzige Problem auf dem langen Weg zur Serienreife bleiben. Mit rund 80 PS Spitzenleistung hinkte der 1000er Motor anfänglich allen Erwartungen hinterher. Selbst penible Änderungen am Kennfeld von Einspritzung und Zündung brachten so lange keinen Fortschritt, bis es den Rotax-Mannen zu bunt wurde und sie dem Twin einen Satz ordinäre Vergaser verordneten. Und ,schwuppdiwupp war Leistung da. Des Rätsels Lösung: Der Einspritzwinkel in die 51 Millimeter großen Saugrohre war vom japanischen Hersteller Denso falsch angegeben worden. In korrigierter Version und nach etlichen kleinen Änderungen war das Ziel erreicht: 128 PS bei 9250/min am Getriebeausgang, satte 107 Nm Drehmoment und eine homogene Leistungsentfaltung. »Eine sanfte Motorcharakteristik und absolute Fahrbarkeit stand ganz oben im Lastenheft, und die haben wir erreicht. Jetzt möchten die Jungs im Versuch eigentlich nur noch Aprilia fahren und kaum einer mehr 916«, freut sich der Projektleiter und heimliche Ducati-Fan Helmut Schön über die neue RSV mille.
Zur spielerischen Fahrbarkeit soll auch das Rotax-Patent PPC beitragen. Hinter dem Kürzel verbirgt sich ein genial einfaches, aber einfach geniales pneumatisch betätiges Kupplungssystem, das den Unterdruck im Saugrohr bei geschloßenen Drosselklappen nutzt und über eine Gummi-Membran die Kupplung gegen den Federdruck entlastet (siehe Foto Seite 47). Zwei Vorteile mit einem System: Es reduziert das bei Zweizylindern typische Hinterradstempeln beim Anbremsen mit geschlossenem Gasgriff, gleichzeitig verringert sich die Handkraft beim Schaltvorgang um rund 20 Prozent.
Auch die Superbike-Motoren der RSV 1000 mille brummen schon kräftig durch die Prüfstandshallen. Optimistische 168 PS sollen die Renntriebwerke auf die Rolle drücken und dabei mehr als 11 000/min schadlos überstehen. Noch mehr Power ist in Planung, dann allerdings mit einem deutlich kürzeren Bohrungs/Hubverhältnis (jetzt 97 x 67,5 Millimeter). Das wäre zweifelsohne ein prima Einstieg für die Newcomer aus Noale. Bis die ersten Aprilia-Superbikes jedoch gegen die Nachbarn aus Bologna antreten, werden wir noch ein Jahr warten müssen. Erst 1999 ist der werksseitige Einstieg in die Superbike-WM geplant.
Für alle anderen, die mit der RSV mille liebäugeln, könnte die Wartezeit bald vorbei sein. Noch im Mai sollen die ersten Aprilias mit Rotax-Big-Twin zum Preis von 22 275 Mark in Deutschland ausgeliefert werden.
Massenkräfte erster Ordung: Bei Hubkolbenmotoren wird der Kolben in den beiden Totpunkten jeweils bis zum Stillstand abgebremst und dazwischen wieder auf maximale Kolbengeschwindigkeit beschleunigt. Dadurch entstehen freie Massenkräfte erster und zweiter Ordnung. Das heißt Massenkräfte, die mit Motorfrequenz (I. Ordnung) und doppelter Motordrehzahl (II. Ordnung) wirken. Durch Gegengewichte auf der Kurbelwelle können die daraus resultierenden Vibrationen zu einem gewissen Teil ausgeglichen werden. Zusätzlich werden ein- oder zweizylindrige Motoren meist mit einer oder zwei Ausgleichswellen ausgestattet, die gegenläufig zur Kurbelwelle rotieren und mit einem Gegengewicht ausgestattet sind. Diese Ausgleichswellen wirken den störenden Massenkräften der Kurbelwelle entgegen.Gilasil: Dies ist ein geschützter Markenname für die von der Firma Gilardoni/Itialien direkt auf dem Alumiuim-Zylinder galvanisch aufgebrachte, extrem harte und abriebfeste Nickel-Siliziumcarbid-Beschichtung.Open-deck: Bei dieser Zylinderbauart ist die Zylinderlaufbuchse im Bereich der Kopfdichtung nicht mehr mit Stegen zum Wassermantel abgestützt, sondern frei tragend. Der Vorteil: weniger unrunder Verzug bei Erwärmung, einfachere Herstellung der Gußformen.Trockensumpfschmierung: Im Gegensatz zur Naßsumpfschmierung, bei der der Ölvorrat in einer Ölwanne gebunkert wird, befindet sich der Schmierstoff hier in einem außerhalb des Motors befindlichen Öltank. Von dort wird er über eine Schlauchverbindung von der Ölpumpe abgesaugt und an die Lagerstellen gepreßt. Eine zweite Ölpumpe fördert das überschüssige Motoröl, das aus den Lagerstellen austritt und sich im tiefsten Punkt des Motorgehäuses sammelt, zum Ölreservoir zurück. Vorteile: sichere Ölversorgung unter extremen Fahrzuständen (Bremsen , Wheelies, usw.), niedrige Motorenbauhöhe durch Wegfall der Ölwanne. Nachteile: mehr Bauteile, höhere Kosten, höheres Gewicht.