Mit diesem Anruf hatte ich am Freitagnachmittag wirklich nicht gerechnet. »Walter Nieser, grüß Gott. Ich hab gehört, du hättest am Wochenende nix zu tun. Willst du auf dem Nürburgring eine meiner RS 125 fahren?« meldete sich der Chef des historischen Maico-Rennteams. Und ob ich will, keine Frage. Also schnell die Klamotten gepackt und ab auf den Ring zum Klassikrennen um den Jan-Wellem-Pokal. Ich auf der Maico 125, der RS 3. Startnummer R 20, die Klasse der Grand-Prix-Maschinen bis Baujahr 1978. Herrgott, wer hätts gedacht?
Rückblick. Anfang der siebziger Jahre als Halbstarker mit 5,3-PS-Moped hatte mich bereits der Rennvirus befallen waren die Maicos groß im Kommen. Am Samstagmorgen wurden die 100 Kilometer von Stuttgart nach Hockenheim runtergerissen. Durch ein Schlupfloch im Zaun der Nordkurve gings unbemerkt ins Fahrerlager. Dieter Braun, Phil Read, Giacomo Agostini alles da, was Rang und Namen hatte. Mittendrin die schwäbische Legion aus Pfäffingen. Walter Nieser, der Drahtzieher und Macher der Maico RS-Production-Racer, umringt vom Schweden Börje Jansson, seinem erfolgreichen WM-Werksfahrer, und einer ganzen Meute Maico-Privatiers. Toni Gruber, Gert Bender, Rolf Minhoff unsere Helden. Nicht nur Autogramme gabs, sogar auf die Renner durften wir draufsitzen. Der Himmel auf Erden.
Zurück zum Ring. »Auf, s pressiert, nach der Abnahme gehts gleich los.« Walter Nieser gibt der Maico einen Schubs räääng, räääng, räääng. Sie läuft, nein, kreischt, schreit. Und zack, ist es wieder da, das Prickeln im Bauch, die Konzentration, die Anspannung Racing eben.
Noch fünf Minuten bis zum Zeittraining, und ich habe keinen Plan, auf was es hier eigentlich ankommt. Hennes Fischer, alter Spezl und eigentlich in der Yamaha-Produktplanung tätig, machts kurz: »Die meisten fahren locker ihre Runden, einfach so. Und dann gibts ein paar, die haben immer noch eine Meise. Der mit der 39, der Erich Sander, da musst du aufpassen, der kennt keine Verwandtschaft.« Sander, Sander? Irgendwo schon mal gehört. Egal jetzt, es geht los.
Sauber, wie der kleine Drehschiebermotor losbrennt, kein Loch, kaum Vibrationen, aber Schmackes bis 12500/min. Stramme 30 PS, vom Prüfstand beglaubigt, schieben das Rennerle hurtig über die Zielgerade. Nicht ganz stilecht, aber mit Biss staucht die Scheibenbremse die Flunder zusammen. Zackig einbiegen, Gasschnur auf Anschlag, und die Maico bügelt den ersten Pulk auf der Außenbahn.
Oha, selbst auf der Bergaufpassage drängelt der Schwabenpfeil aus dem Windschatten und macht kurzerhand noch einen Verbund aufrecht gerittener Ducati 350 und TZ-Yamaha platt. Doch die Euphorie erstickt im dumpfen Knall einer Honda CB 450 mit schickem Drixton-Fahrwerk in Rot. Der ältere Herr schießt von außen heran, schwenkt mit knisternden Kniepads direkt vors Vorderrad und stiebt auf und davon. Kommen jetzt die mit der Meise angeflogen? Ich dreh mich um: NEUNUNDDREISSIG!!! Das Startnummerschild, so groß wie eine Kinoleinwand, keine Handbreit hinter meinem Sitzhöcker. Um Gottes Willen - der Sander. Die schwarz-weiße Flagge rettet mich vor, tja, vor was eigentlich?
Kaum aus dem Leder, wird schon die Trickkiste fürs Rennen ausgepackt. Mechaniker Walter lauscht gespannt. »Einen halben Zahn kürzer übersetzen, eine Nummer magerer bedüsen, hinten die Federn mehr vorspannen, und eigentlich müssten härtere Reifen drauf, die sind am Ende.« Walter grinst zufrieden, denn das gefällt ihm Rennsport eben. In der Box nebenan hockt die Mannschaft schon bei Bier und Brotzeit, scheppert und lacht, dass es nur so dröhnt. Chefkoch Michael köpft ein Schwarzwälder Tannenzäpfle und baggert mir vom schwäbischen Gulasch »Reusten Art« eine Riesenportion auf den Teller. Lecker.
Sonntag. Das Rennen. »Bist aufgeregt?« fragt der Walter. »Ja, als obs um die WM geht.« »Das ist prima«, grinst der Meister, flutet den Vergaser und verabschiedet mich mit einem Klapps auf die Schulter. Der Plan steht: vom Start weg volle Suppe.
12000 Umdrehungen, Kupplung schleifen lassen, den Oberkörper flach auf den Tank gepresst. Hektisch zwing ich mein 75-Kilo-Hupferle um die erste Kurve, reiße harsch am Gas, drücke hastig die Gänge durch. Aber die Maico mag solche Hektik nicht. Jetzt schaukelt sich das Gestühl auch noch auf, eiert, tanzt aus der Spur. Ich treffe gar nichts mehr, keine Linie, keinen Bremspunkt. Nur den Sander mit der Nummer 39 treffe ich. Oder besser: er mich. Auf der Bremse von der 39 flott gemacht, klinke ich die Maico sofort im Windschatten ein, bereit zum Konter. Doch der wird in der Bit-Kurve massiv durchkreuzt, der rüstige Herr haut mir erbarmungslos die Türe zu und segelt in elegant flüssigem Stil langsam, aber sicher aus dem Blickfeld.
Na gut, dann machen wir eben einen auf gleichmäßig. »Es geht ja um nichts bei den Klassik-Rennen«, hat man mir erzählt. Einfach seine Runden drehen, nicht schnell, Gott bewahre, nur schön gleichmäßig, denn dafür gibts Punkte. Doch wie hat der ehemalige Redaktionskollege und Klassik-Rennfahrer Siegfried Güttner immer gepredigt: »Gleichmäßig auf der letzten Rille ist auch gleichmäßig.« Recht hat er.
Schwabenpfeil
Gegen den strikten Willen von Firmenchef Otto Maisch entwickelten Ende der 60er Jahre einige Maico-Mitarbeiter auf Basis der MD 125- Straßenmaschine die erfolgreichen 125er-Renner. Stolze 146 Stück der 4900 Mark teuren RS 2 rasten um die Rennstrecken der Welt. Mit unzähligen nationalen Meistertiteln und Platz drei in der WM 1971 unter Borje Jansson etablierte sich die hauptsächlich für Offroad-Maschinen bekannte Marke auch im Straßensport. Ingenieur Günther Schier und die Truppe um Walter Nieser und Hans Hinn entwickelten den Einzylinder-Drehschiebermotor mit kleinstem Etat permanent weiter. 1974 entstand die elegante, knapp 30 PS starke RS 3 mit Wasserkühlung. GP-Fahrer Peter Frohnmeyer war einer der eisernen Maico-Piloten, die sich hartnäckig gegen die überlegenen Zweizylinder-Maschinen von Morbidelli, Derbi und Malance zur Wehr setzten. Mitte der 70er Jahre ging die Ära der Maico-Renner zu Ende. Infos und Kontakt zum Maico-Historic-Racing-Team: Telefon 07073/6568 oder www. classic-motorrad.de.