MOTORRAD-Rätschentreffen 2003/Nürburgring

MOTORRAD-Rätschentreffen 2003/Nürburgring Die Mischung macht’s

Brillante Renner, schrille Eigenbauten, minutiös restaurierte Klassiker – beim Zweitakttreffen in der Eifel gab’s all das zu bestaunen.

Die Mischung macht’s Gargolov

Nürburgring, Fahrerlager. Die zweite Auflage des MOTORRAD-Zweitakttreffens. Und die Freunde der nebulösen Verbrennungsmaschinen mit dem rätschenartigen Sound ließen sich nicht zweimal bitten. Volles Programm gleich am ersten Tag, den so manche nicht ohne zünftigen Stammtisch ausklingen lassen wollten.
Doch die Versorgung kommt lange vor der Geisterstunde ins Stocken. »Nur noch zwei Flaschen Bier da – aber fünfzig Liter Zweitaktöl.« »Egal«, brüllt’s aus der bajuwarischen Ecke, »dann sauf mer’s Öl.« Schallendes Gelächter, aber Gott sei Dank ist die bayerische Fraktion für solche Fälle gerüstet, und schwups, steht eine Kiste Bier auf dem Tisch. Die erste Depression ist abgewendet, eine zweite nicht in Sicht. Box Nummer 32 lebt und lacht. Allesamt total verbrannte Zweitakt-Freaks, von 18 bis 80 Jahren, vom Nordkap-Tourer bis zum Racer.
Der erste Tag war gut, und die Nacht wird nicht schlechter, weil die Geschichte vom Kolbenklemmer in der Südkehre genauso fesselnd kommt wie der »Verbrauch« von neun Kolben auf tausend Kilometer. Zugegeben, nicht jeder Kradfahrer findet Zugang zum Thema Zweitakter und den Storys drum herum, aber für die, die sie mögen, sind diese Maschinen das Größte. Und Relikte aus einer grandiosen
Motorradepoche. Schon deshalb, weil die versuchte Wiederbelebung des Schnürle-Zweitakters endgültig gescheitert ist und die Übrigbleibsel aus der rauchenden Ära zu gesuchten Stücken werden.
Als die Sonne aufgeht, lichtet sich der Nebel in der Box und in der Eifel. Auf der von MOTORRAD ausgeschriebenen Landstraßen-Tour »rund um die Nordschleife« allerdings bleibt der große Zweitaktnebel aus. Dafür drängelt sich das Publikum um den MOTORRAD-Stand. Alte Bekannte vom ersten Treffen auf der Solitude bei Stuttgart winken sich freundlich zu, bestaunen die todschicken Eigenbauten, freuen sich am Konvoi eins zu eins aufgebauter Kawasaki-Dreizylinder und können kaum glauben, dass die RG-500-Reiter aus Bayern einen gültigen TÜV-Kleber auf ihren Geschossen spazieren fahren. Stramme 150 PS bei knapp 170 Kilogramm. Einfach klasse. »Wann’st richtig a Gas gibst, sann fuchzehn Liter weg«, beschreibt Georg Lorenz den Preis für seine Leidenschaft im Mick-Doohan-Look.
Ganz anders Günter Knauer. Mit 83 Jahren der älteste Zweitakt-Freak am Nürburgring, kradelt der rüstige Rentner seit 30 Jahren mit seiner schmetterlingsgelben Kawasaki S1 durch die Landschaft. Ausgerechnet jetzt am Ring läuft die 250er-Rätsche nicht – Zündschlüssel verlegt. Was die MOTORRAD-Mannschaft dank ihrer Uhrmacher-Fähigkeiten in Windeseile erledigt und der Rentner zum Dank mit einem Wheelie durchs Fahrerlager stiebt. Je oller, desto doller.
Und es kommt noch doller. Waldemar Schwarz, technischer Leiter bei MOTORRAD und mit einem gewissen Talent zum Marktschreier gerüstet, beglückwünscht unter dem Applaus eines höchst fachmännischen Publikums die Besitzer der schönsten und skurrilsten Zweitakt-Geräte. Dass dabei die Suzuki RG 500
mit einem kompletten Alu-Eigenbau-Fahrwerk auf Platz eins landet, ist nicht verwunderlich. Den Satz Reifen hat sich der Georg Lorenz hart verdient.
»Dieses Ding hätte vor ein paar Jahren eigentlich von Yamaha kommen müssen.« So schließt Waldemars Laudatio auf Platz zwei, den die rattenscharfe RD 500 im NSR-500-Design von Ede Schubrikoff einheimst. Alles zu viel Plastik, zu modern? Bitte schön, es geht auch anders. Eine Suzuki T 20, Ende der 60er Jahre ein richtiger Knaller. Nimmt man die polierten Aluteile aus, bis ins Detail absolut echt. Leider reicht es nicht zu einem Platz unter den ersten Fünf. Eine atemberaubende Mischung aus Racing und Streetfighter landet auf Rang drei: Ralf Kremers giftgrüne Kawasaki H2. Mag sein, dass es gar nicht so richtig gut fährt, aber aussehen tut’s brachial, das Teil.
Bei Platz vier schwankt die Jury. Eine dreifuffziger Yamaha mit grünen anstatt blauen Startnummerfeldern – kann man so was prämieren? Man kann, die liebevoll auf TZ getrimmte Yamaha geht jederzeit als Gesamtkunstwerk durch. Drahtspeichenräder mit Akront-Hochschulterfelgen und so.
Eigentlich hätte die Jury auch die restlichen fünfzig Schätzchen aufs Podium stellen können. Darunter eine ganz normale TZR 250. Eigentlich. Nur dass unter der Verkleidung ein stehender 500er-Zweizylinder-Boxer in die beiden dicken Auspuffbirnen bläst. Der schwäbische Tüftler Martin Raichle steckte zwei Yamaha-Cross-Zylinder auf sein Eigenbau-Motorgehäuse, bastelte jahrelang wie ein Wilder an Abstimmung und Haltbarkeit. Jetzt läuft die Rakete, braucht nur noch passende Vergaser.
Zum guten Schluss macht sich der Großteil der Zweitakt-Rätschen zur Hatz über die Grand-Prix-Strecke auf. Mit mächtigem Gekreische und einem Riesenspaß am hemmungslosen Heizen. Hellbraun hergebrannte Kerzenbilder und Auspuffröhrchen, verschwitzte Gestalten mit grinsenden Gesichtern. Na dann,
vielen Dank für den Besuch und bis zum nächsten Jahr. Da haben wir auch die Getränkeversorgung im Griff. Fünfzig Liter Bier und zwei Flaschen Zweitaktöl. Das sollte reichen.

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