Rallye-Werksmaschine Speedbrain Husqvarna TE 449 RR
Dakar-Motorrad von MOTORRAD getestet

Wer hätt’s gedacht? Die Dakar-Werksboliden von Husqvarna entstehen zum Gutteil in den Hallen des bayerischen Speedbrain-Teams. MOTORRAD durfte einen der Anden-Stürmer fahren.

Dakar-Motorrad von MOTORRAD getestet
Foto: Jahn

Fahrbericht der Rallye-Werksmaschine

Das ist der Schalter, um das Roadbook weiterzurollen … Vergiss nicht, den Seitenständer zu fixieren… Trau dich, du musst das Bike mit dem Hinterrad lenken… und ganz wichtig: …“ Das Stimmengewirr bringt meine von Stresshormonen überfluteten Gehirnwindungen an ihre Grenzen. Wem soll ich zuhören, wen anschauen? Welches Knöpfchen unbedingt drücken und welches auf keinen Fall? Ich weiß, ich weiß, es ist gut gemeint. Und ich sollte es zu schätzen wissen. Passiert einem schließlich nicht alle Tage, von vier Werkspiloten gleichzeitig in die Eigenheiten der Technik einer Rallyemaschine eingewiesen zu werden. Um ehrlich zu sein: überhaupt nie. Hätte Fotograf Markus die Situation nicht dokumentiert (Siehe Fotoshow) - nach solcher Prahlerei würden die Enkel in ferner Zukunft sicher die nächsthöhere Pflegestufe beantragen.

Kompletten Artikel kaufen
Rallye-Werksmaschine Speedbrain Husqvarna TE 449 RR
Dakar-Motorrad von MOTORRAD getestet
Sie erhalten den kompletten Artikel (6 Seiten) als PDF
2,00 € | Jetzt kaufen

Überhaupt rettet der Lichtbildner die Situation.

„Where is the bird - wo ist das Vögelchen?“ Joan Barreda, Alessandro Botturi, Matt Fish und Paulo Gonçalves, besagte vier Werkspiloten, grinsen amüsiert, rücken die Sponsorenkäppchen zurecht und bringen sich so artig in Position wie fürs Gruppenbild zum Oberprima-Abschlussball. Ähnlich ausgelassen ist auch die Stimmung, jetzt, vier Wochen vor dem Start zur populärsten, längsten und anspruchsvollsten Wüstenrallye der Welt, der Dakar. Denn die Generalprobe hat geklappt. Die Husqvarna TE 449 RR by Speedbrain, so ihr etwas sperriger Name, funktionierten tadellos. Das nächste Mal werden die Einzylinder erst wieder bei der technischen Abnahme der Rallye in der peruanischen Hauptstadt Lima losbellen.

Bis auf einen. Zwei Stunden - so lange wie fürs Mittagessen und die finale Gruppenbesprechung eingeplant sind - gibt uns Teamchef Wolfgang Fischer Zeit für eine Spritztour. Also, Schieber, Schalter, Seitenständer, wie war das noch mal? Ach egal, E-Start-Knopf gedrückt und der Single ballert los. Ballert? Nein, brüllt! Was steckt bloß im Titan-Schalldämpfer von Akrapovic? Wahrscheinlich nicht viel.

Kleiner Einschub: Sechs Wochen später hätte sich der Yamaha-Pilot und damalige Gesamtwertungsspitzenreiter David Casteu wohl sogar noch ein paar Dezibel mehr gewünscht. Der Franzose verlor die Führung auf der neunten Etappe ausgerechnet durch einen Zusammenstoß mit einer von seinem Motorrad überraschten Kuh.

Jahn
Viel Freund, viel Ehr. Es kommt nicht alle Tage vor, dass einem vier Werksfahrer gleichzeitig die Technik erklären.

Doch zurück ins südspanische Hinterland, wo der gewaltige Bass der Husky niemanden stört. Keine Menschenseele weit und breit. Wir rollen ein ausgetrocknetes Flussbett entlang, folgen in entgegengesetzter Richtung den Spuren, welche die vier beim Training erst kurz vorher in den sandigen Untergrund gefräst hatten. Haben Motorräder auch ein Gedächtnis? Man könnte fast daran glauben. Wie ein der Fährte folgender Jagdhund zerrt der Bolide unbeirrbar ein paar Handbreit neben den ausgefahrenen Spuren bolzengerade nach vorn. Vorsichtiges Kennenlernen? Sich aneinander gewöhnen? Pah, dieses Bike will den Quickie.

Aufstehen, Oberkörper nach vorn - und Gas. Vergessen ist die luftige Sitzhöhe von knapp einem Meter oder der wuchtig hinter dem Frontschild aufragende Instrumententurm mit denen sich das Bike zunächst so viel Respekt verschafft hatte. Jeder Zweifel am einvernehmlichen Miteinander löst sich schneller auf als eine Fata Morgana bei Sonnenfinsternis.

In voller Fahrt mit etwas Gas die Front über ein paar Bodenwellen heben, notfalls mit der mit einem einzigen Finger federleicht zu ziehenden Kupplung ein wenig nachhelfen - nicht das geringste Problem. Oder, besser noch, sich von kleinen Kanten über quer laufende Fahrspuren oder Rinnsale katapultieren lassen - mit links. Kein kickendes Heck, keine nach unten abtauchende Front. Die Husqvarna zeigt sich erstklassig ausbalanciert, liegt wie das sprichwörtliche Brett.

Die Rallye-Husky hatte eine schwere Kindheit

Jahn
Der Tank fasst 30 Liter: 8,5 Liter vorn, 2,5-Liter direkt hinter dem Zylinder und 19 Liter bunkert das Monocoque-Rahmenheck.

Was in der Rallyetechnik im Allgemeinen und bei der TE 449 RR im Besonderen nicht selbstverständlich ist. Schließlich schaut das noch junge Wüstenfüchslein auf eine schwere Kindheit zurück. Vor fünf Jahren, in der Saison 2008, pochte der 450-cm³-Single der jetzigen Rallye-Husky nämlich noch in der ersten von BMW gebauten Sportenduro, der G 450 X. Ob’s nun am rückwärtsdrehenden Motor, dem relativ flachen Zylinderwinkel, der konzentrisch auf der Schwingenachse gelagerten Abtriebswelle oder dem zierlichen Edelstahlrahmen lag, dem mutigen und unorthodoxen Projekt war wenig Glück beschieden. Genauso wenig wie der vom selben Motor befeuerten aktuellen Sportenduro TE 449 der BMW-Tochter Husqvarna.

Vielleicht sind es die mittlerweile geordneten familiären Verhältnisse, die das ehemalige Sorgenkind im Rallye-Gewand auf den Pfad der Tugend lenken. Denn während Husqvarna nach wie vor die geschätzt etwa 60 PS starken Motoren abstimmt und liefert, entsteht der Rest der Hardware in Eigenregie im ehemaligen Hauptquartier des BMW-Superbike-WM-Teams im bayerischen Stephanskirchen. Speedbrain nennt sich das Unternehmen von Wolfgang Fischer, dem Besitzer, Mastermind und Teamchef des Rallye-Projekts in Personalunion. Mit sechs Mitarbeitern konstruiert und baut der ehemalige Profi-Segler die Rallye-Flotte von der ersten Zeichnung bis zum fertigen Motorrad in Handarbeit auf. Ob der Stahlrohrrahmen, die Umlenkhebelei, das Kunststoff-Rahmenheck, die aus Karbon-Kevlar-Verbund gefertigte Verkleidung oder sämtliche Fräs- und Drehteile - alles entsteht direkt bei oder im Auftrag der Selfmade-Truppe.

Das Surren verrät, dass die Kurbelwelle rückwärts dreht

Jahn
Im Motor stecken die Gene der BMW G 450 X. Also läuft auch hier die Kurbelwelle rückwärts.

Noch immer hallt der Sound des 450er-Singles - hubraumstärkere Motoren sind seit vergangenem Jahr bei der Dakar nicht mehr erlaubt - von den senkrechten Rändern des Flussbetts wider. Weiter vorn hat sich ein Geröllweg durch das Ufer gebissen. Abbiegen. Ein Finger reicht, um mit der 298er-Scheibe im Vorderrad vehement zu ankern. Hätte man auch nicht anders erwartet.

Eher schon, wie sich die TE den Hang hinaufackert. Anstatt mit durchdrehendem Hinterrad wütend die Steine von sich zu werfen, klettert der Bolide mit ein paar Gasstößen wie ein aus den Fugen geratenes Trial-Bike stilsicher die Böschung hinauf. Erst jetzt hört man, wie das Surren der Zwischenwelle schüchtern daran erinnert, dass sich die Kurbelwelle des Kurzhubers rückwärts dreht. Das Konzept des mit der Schwingenachse konzentrischen Kettenritzels wurde durch den nach vorn gerückten Motor aber bewusst verworfen. Geschadet hats offensichtlich nicht.

Obwohl WP Suspension dem Dakar-Erzfeind KTM gehört, liefert die Gabel auch der Husky reserven

Und überhaupt: Wo verstecken sich die gut 150 Kilo? Immerhin sind die insgesamt 30 Liter fassenden Tanks - 8,5 Liter vorn, ein kleiner 2,5-Liter-Tank mit Benzinpumpe direkt hinter dem Zylinder und das 19 Liter bunkernde Monocoque-Rahmenheck - halb voll. Erst jetzt, im Bummeltempo, fällt die straffe Federungsabstimmung auf. Kleine Kanten geben das Federbein und die 52er-Werksgabel von WP Suspension - übrigens zum Konzern von Dakar-Erzfeind KTM gehörend - ungeniert weiter. Geht wohl nicht anders, wenn die Herren Barreda und Co auch mit vollen Spritfässern und Topspeed 170 noch Reserven brauchen.

Was hat Wolfgang gesagt? Zwei Stunden? Besser mal umgedreht. Uiuiui, ob der knappe Lenkeinschlag wohl reicht, um im schmalen Chile innerhalb der Landesgrenzen zu drehen? Auf dem Rückweg läuft das Erwachsenenprogramm: rasen und gleichzeitig orientieren. Die Kernkompetenz eines Dakar-Piloten. Fünfter Gang, sechster Gang. Die vorhandenen Spuren senken den navigatorischen Anspruch auf Krabbelgruppen-Niveau. Trotzdem, nebenbei im aufgerollten Roadbook die momentane Position zu suchen, sprengt schon meine koordinativen Fähigkeiten. Gerade mal 90 km/h zeigt das GPS an.

Barreda wird es beweisen: Die Husqvarna ist siegfähig

Mehr kann mein hastig vom zerfurchten Gelände auf das Instrumentengebirge wechselnder Blick nicht erfassen. Knöpfchen drücken, Schalter schalten, Roadbook lesen - wieder ersäuft mein Hirn in Adrenalin und Co. Bis das Multitasking funktioniert, ist das Tempo noch weiter abgesunken. Die Rennleitung würde mir wohl einen Bummelstreik unterstellen.

Starpilot Joan Barreda kann das ganz sicher nicht passieren. Denn sechs Wochen später wird der Spanier die Husky bei der Dakar 2013 - trotz eines heftigen Sturzes, defektem Hinterrad und Motorwechsel samt entsprechendem Zeitverlust zu beeindruckenden vier Etappensiegen gepeitscht haben. Und er wird bewiesen haben, was zu beweisen war: Die Husqvarna ist siegfähig. Na bitte. Ich hab’s ja gleich gesagt, da, mittendrin im spanischen Flussbett.

Husqvarna TE 449 RR

Speedbrain
Cockpit der Husqvarna: Zwei Tripmaster, Kompass, ein GPS-Gerät und Papier-Roadbook werden zur Navigation benötigt.

Cockpit
Rasen allein genügt nicht. Zur Navigation nutzen die Rallye-Piloten die Kombination aus Tripmaster (oben links), Kompass (oben rechts) und dem Papier-Roadbook (Mitte). Der zweite Tripmaster (unten links) dient zur Kontrolle, die Antenne (unten rechts) wird an das vom Veranstalter gestellte GPS-Gerät angeschlossen. Für Notfälle verfügt jeder Fahrer zudem über ein Satellitentelefon.

Tanks
30 Liter fassen die insgesamt drei Tanks der Rallye-Husqvarna. Vorn schwappen 8,5 Liter, im direkt hinter dem Zylinder positionierten Hilfstank 2,5 Liter. Das selbsttragende Monocoque-Rahmenheck nimmt 19 Liter auf und spart gegenüber einer Konstruktion mit aufgesetzten Tanks erheblich an Baubreite. Das Reglement verlangt eine Mindestreichweite von 250 Kilometern.

Räder
Um Platten auszuschließen, wird im Rallyesport statt mit Luftschläuchen grundsätzlich mit Moosgummiringen (Mousse) gefahren. Harte Schläge absorbieren die weniger komprimierbaren Schaumstoffe allerdings nicht so gut und geben die Belastung an die Räder weiter. Das Hinterrad der Maschine von Joan Barreda zeigt sich von den Strapazen der dritten Etappe der diesjährigen Dakar sichtlich gezeichnet.

Rahmen
Abgesehen von dem vom Husqvarna-Werk in Italien angelieferten Motor entsteht die TE 449 RR ausschließlich in Eigenregie des Speedbrain-Teams im bayerischen Stephanskirchen. Der Rahmen - siehe das vom Lenkkopf zum Schwingenlager gerade verlaufende Rohr - muss nach Reglement in seinen Grundzügen dem des ursprünglichen Basis-Motorrads, der BMW G 450 X, ähneln.

Motor
Die Gene der unkonventionellen BMW G 450 X schlagen sich auch im Motor des Husqvarna-Rallye-Bikes nieder. Die Kurbelwelle läuft rückwärts, die Kupplung sitzt direkt auf dem Kurbelwellenstumpf, ein Zwischenrad korrigiert die Drehrichtung. Mit über Schlepphebel betätigten Einlassventilen gilt der bei Kymco in Taiwan gefertigte Antrieb als drehzahlfest und zuverlässig. Die Spitzenleistung beschränkt sich zugunsten höherer Standfestigkeit auf 60 bis 65 PS.

Motorschutz
Um Platz für die voluminösen Tanks zu schaffen, müssen die Auspuffkrümmer bei Rallye-Bikes unterhalb des Motors nach hinten geführt werden. Die exponierte Position erfordert einen stabilen Schutz der Titankrümmer. Den Hohlraum zwischen der Karbon-Kevlar-Schutzwanne und dem Motor füllt ein Wassertank aus. Drei Liter Mindestvorrat an Trinkwasser schreibt das Reglement vor.

Dakar 2013- Das Finale

Jahn
Fünfter Sieg für Cyril Despress: "Die Dakar 2013 war extrem hart- aber wäre sie einfach, würde sie keinen Spaß machen."

Revanche in Orange

Nach der ersten Hälfte der diesjährigen Rallye Dakar in Südamerika sah das Werksteam von KTM - Hausfarbe Orange - wie der große Verlierer aus. Doch es verwundert kaum, dass es dabei nicht blieb.

Unerwartetes Zwischenergebnis nach der ersten der beiden Dakar-Wochen 2013: David Casteu, auf Yamaha eher ein Außenseiter, auf Platz eins, Titelverteidiger Cyril Despres vom seit elf Jahren ungeschlagenen KTM-Werksteam nur an fünfter Position, Javier Pizzolito als bester Vertreter der mit großem Aufwand zur Dakar zurückgekehrten Honda-Werksmannschaft nur an zehnter Position - lag da etwa eine kleine Sensation in der Luft?

Nein, das Resultat nach der achten von 15 Etappen war nur eine Momentaufnahme. Im Ziel belegten gleich fünf KTM die ersten Plätze, allen voran Despres, der seinen fünften Gesamtsieg feierte. Yamaha-Fahrer- Casteu war ausgefallen, sein Markenkollege Olivier Pain konnte Platz sechs retten. Selbst der bis dahin vom Pech verfolgte Honda-Werkspilot Hélder Rodrigues hatte noch den Sprung in die Top Ten geschafft. Joan Barreda vom Speedbrain-Husqvarna-Team war das verwehrt geblieben, obwohl er mit vier Etappensiegen einer der erfolgreichsten Motorradfahrer der Dakar 2013 war - Technikprobleme hatten ihn nach dem fünften Tag weit zurückgeworfen.

Auf Platz 85 kam Ingo Zahn am Zielort Santiago de Chile an und war zufrieden. „Bei rund 70 Fahrern der Eliteklasse ist für einen Privatfahrer nicht mehr drin“, sagte der einzige deutsche Starter im Feld - und plant bereits für die Dakar 2014.

Endstand Rallye Dakar 2013:
1. Cyril Despres (F), KTM, 43:24.22 h
2. Ruben Faria (P), KTM, +10.43 min
3. Francisco López (RCH), KTM, +18.48 min
4. Ivan Jakeš (SK), KTM, +23.54 min
5. Juan Pedrero (E), KTM, +55.29 min
6. Olivier Pain (F), Yamaha, +1:06.30 h
7. Hélder Rodrigues (P), Honda, +1:11.22 h
8. Javier Pizzolito (RA), Honda, +1:26.07 h
9. Frans Verhoeven (NL), Yamaha, +1:26.35 h
10. Paulo Gonçalves (P), Husqvarna, +1:28.20 h
85. Ingo Zahn (D), KTM, +15:56.07 h

Die aktuelle Ausgabe
MOTORRAD 20 / 2023

Erscheinungsdatum 15.09.2023