Früher war sowieso alles besser. Stimmt. Aber nur manchmal. Selbst wenn sich mit den Jahren einiges verklärt: Anfang der Achtziger war die Verarbeitungsqualität von Motorrädern aus heutiger Sicht teilweise schauerlich. Allerdings nicht, weil die Hersteller es nicht besser machen wollten. Nein, ihnen fehlten schlicht und ergreifend die Möglichkeiten. Vor allem die japanische Großserienfertigung konnte beispielsweise
keine maßhaltigen Rahmen ab Werk garantieren. Sie waren die Ausnahme, was MOTORRAD 1983 in einem großen Test zusammen mit dem Allianz-Zentrum für Technik aufdeckte.
Und heute? Was bieten einem die Hersteller für rund 10000 Euro? Wo liegen Schwachstellen, gibt es große Unterschiede zwischen Japan und dem Rest der Welt? Eine Momentaufnahme der Verarbeitungsqualität, unterteilt in drei Kriterien: Lackierung, Maßhaltigkeit des Rahmens und der Schwinge sowie eine allgemeine Beurteilung der Kandidatinnen. BMW R 1150 R, Ducati Supersport 800 und Triumph Sprint RS halten die wieder erstarkte europäische Flagge hoch, die Harley-Davidson Sportster 1200 Sport steht für höchst populären amerikanischen Motorradbau. Und die Honda CBR 600 RR stellt derzeit zweifelsohne die Speerspitze der japanischen 600er-Supersport-Armada dar.
Wobei ein Ergebnis schon vor der
eingehenden Untersuchung der fünf feststeht: Grobe Schnitzer können sich renommierte Motorradbauer heutzutage nicht mehr erlauben. Der Report soll
helfen, den Blick für Details zu schärfen. Verarbeitungsqualität spielt eine eminent
wichtige Rolle, ist gleichzeitig ein weites
Feld. Es reicht unter anderem von der
Auswahl der Werkstoffe über die Festlegung geeigneter Toleranzen, den Oberflächenschutz sowie Qualitätsmanagement bis hin zur Endkontrolle.
Lackqualität
Dieses sehr komplexe Thema lässt sich nicht erschöpfend ergründen. Sogar der aufwendige MOTORRAD-Langstreckentest gibt letztlich nur Auskunft über
die Qualität einer einzelnen Maschine. Aktuelles Beispiel: die Yamaha FJR 1300. Der Karosseriebau-Meister Jens Kopp (siehe Kasten Seite 32), der im Auftrag von MOTORRAD die Lackqualität der fünf Maschinen überprüfte, attestierte beispielsweise der FJR 1300 nach ihrem 100000-Kilometer-Marathon eine hervorragende Lackqualität. Bei den Leserzuschriften bemängelten dagegen einige FJR-Fahrer selbige, Yamaha gab zu
Serienbeginn zu, Probleme mit neuen, wasserlöslichen Lacken zu haben.
Umso wichtiger also, vor dem Kauf genauer hinzuschauen. Einem Fachmann wie Meister Kopp macht niemand etwas vor. Was er bei den Testkandidatinnen sieht, zaubert ihm ein anerkennendes
Lächeln ins Gesicht. »Die verstehen ihr Handwerk, alle fünf gefallen mir sehr gut.« Besonders die Honda, aber auch die
Ducati haben es ihm angetan. Bei der Italienerin fasziniert ihn der Gitterrohrrahmen. »Schwer zu lackieren, das machen die in einem elektrostatischen Verfahren.«
Dass seinem kritischen Blick nichts entgeht, zeigt sich bei der Triumph: »Auf die Schnelle habe ich drei Staubeinschlüsse am Tank bemerkt«, erklärt er. Für den Laien sind diese kaum erkennbar, weshalb er gleich einschränkt: »Nicht der Rede wert.« Und bei der BMW wird er am Tankstutzen fündig. »Knapp ein Millimeter Materialstärke, so dick kann man nicht lackieren, da ist vorher mächtig
ausgebessert worden.« Eine Qualitätseinbuße? »Nein, die Lackierung ist, wie bei den anderen auch, überdurchschnittlich, das Niveau kann man mit dem bei hochpreisigen Autoherstellern vergleichen.«
Rahmenvermessung
Rainer Schäfer, Zweiradmechaniker-Meister und Vermessungsprofi, zieht nach
einem Nachmittag konzentrierter Arbeit ebenfalls ein überaus positives Fazit. Zusammen mit seinem Geschäftspartner Bernd Scheibner hat er das m.a.x.-Rahmenmess-System entwickelt (siehe Kasten unten). Nach seinen Messungen steht fest: Großserienfertigung und Maßhaltigkeit schließen sich nicht aus im Gegenteil. »Wirklichen Pfusch ab Werk bekommen wir nur bei einigen Rollerherstellern und Baumarkt-Motorrädern zu Gesicht«, sagt Schäfer, »die Fertigung bei den renommierten Herstellern hingegen erreicht inzwischen einen so hohen Standard, dass die Qualitätsziele, die sie sich selber setzen, auch tatsächlich erreicht werden.«
Im Detail
Lackierungen durchweg in Top-Qualität, alle Rahmen bis auf das Chassis der
Harley maßhaltig. Die ersten beiden Punkte des Checks fallen also sehr
erfreulich aus. Bleibt noch der dritte Teil, eine allgemeine Begutachtung (siehe auch »Im Detail« ab Seite 34). Hier
offenbaren sich kleine, aber feine Unterschiede. Die Verkleidungsteile der Honda besitzen eine hohe Passgenauigkeit, während die Spaltmaße bei der Triumph und der BMW doch sehr unterschiedlich ausfallen, zudem lassen die Bayern bei
der Verlegung von Kabeln wenig Sorgfalt walten. Beides beeinträchtigt die Funktion nicht, kündet allerdings allem Zeitdruck bei der Montage zum Trotz von wenig Liebe zum Detail. Das gilt im Fall der Honda und der Harley für die Schrauben, deren Qualität und Auswahl teilweise nicht überzeugen.
Ab und an steckt der Teufel auch
in Kleinigkeiten: Eigentlich ist der schnell hochklappbare Tank der Ducati eine praktische Sache. Doch durch den Überlauf strömt Sprit aus. Davon abgesehen ist der urige Twin jedoch ein durchweg gut verarbeitetes Motorrad. Die sauber gezogenen Schweißnähte an seinem Gitterrohrrahmen sucht man an der deutlich teureren 999 vergeblich.
Unterm Strich schenken sich die
Hersteller bei den Testkandidatinnen in puncto Qualität nicht mehr so viel wie noch vor gut einem Jahrzehnt. Das
Niveau ist bei allen fünf erstaunlich hoch. Zwar wirkt die solide gemachte Harley-Davidson in einzelnen Punkten im Vergleich zu den anderen unverändert etwas grobschlächtig, was aber letztlich zum Markenimage gehört. Sie lag bei der Rahmen-Messung allerdings als Einzige mit einem Wert über der Toleranz. Sehr positiv ist die Entwicklung bei Triumph in den letzten Jahren. Die Engländer setzen auf hochwertige Zulieferteile und fertigen, falls notwendig, in Eigenregie. Das gilt ab 2002 beispielsweise für beinahe alle Verkleidungsteile. Triumph will so eine verbesserte Qualität gewährleisten. Die Sprint RS profitiert davon nicht mehr. Der Tourensportler fällt zum Bedauern vieler Fans 2004 aus dem Modellprogramm.
Lackqualität
Jens Kopp überprüft die Lackierung des Tanks, der Anbauteile und des Rahmens nach folgenden Kriterien: Lackstand (Gleichmäßigkeit), Glanzgrad, Verlauf der Lackierung und Staubeinschlüsse. Die Dicke der Lackschicht bestimmt er elektronisch. Das Gerät sendet einen Impuls, der vom Stahl reflektiert wird. Weil die Triumph einen Tank und die Honda eine Tankverkleidung aus Kunststoff besitzen, war hier am Tank keine Messung möglich. Die Lackdicke variiert bei den fünf Modellen von 120 µ (Rahmen Harley-Davidson Sportster 1200) bis 240 µ (Tank BMW R 1150 R), ist somit deutlich stärker als bei Autos (90 bis 120 µ). Mehr Lack bedeutet aber nicht zwangsläufig bessere Qualität. Im Fall der über-prüften Maschinen ist das Urteil des Fachmanns jedoch eindeutig: sehr gut.
Im Detail: BMW R 1150 R
Bei der Beurteilung der beliebten BMW R 1150 R (10200 Euro) störte das zu große Spaltmaß der rechten Tankverkleidung. Ebenfalls keine Augenweide: die schlichten Ausleger für die Soziusfußrasten. Die schlampige Verlegung von Kabeln, insbesondere im Lenkkopfbereich auffällig, beeinträchtigt zwar deren Funktion nicht, zeugt aber nicht gerade von übertriebener Sorgfalt. Dass die Bayern auch anders können, beweisen sie mit der gelungenen Schweißnaht am Längslenker und dem fein gemachten, spielfrei gelagerten Schaltgestänge. Ebenfalls von überdurchschnittlicher Qualität: Instrumente, Griffe und Schalter.
Das Messverfahren m.a.x.
Bei m.a.x. handelt es sich um ein computergesteuertes, photogrammetrisches Messverfahren (www.scheibner.de). Der Bügel mit zwei elektronischen Messkameras wird über Zentrierdorne in der Schwingenachse aufgenommen. Der Zielkörper mit den infrarot beleuchteten Messmarken ist auf der oberen Gabelbrücke befestigt. Ein PC übernimmt die Steuerung und Berechnung der Vermessung. Die Messmarken an der Vordergabel beschreiben eine Kreisbahn um die Drehachse (Lenkachse). Während der Drehung des Lenkers erfassen und berechnen die Kameras die exakte Position dieser Marken. Ein zusätzlicher Laser erlaubt die schnelle Vermessung des Rahmenhecks und der Schwinge. Die Toleranzen in der Tabelle basieren auf Erfahrungswerten und den Angaben einiger europäischer Hersteller, unter anderem BMW. Die deutliche Abweichung beim Hinterradversatz der Harley-Davidson hält Schäfer für unkritisch: »Das kann an den verwendeten Distanzbuch-sen liegen, aber auch gewollt sein, um einen größeren Abstand von Zahnriemen und Hinterrad zu erreichen.
Im Detail: Ducati SS 800
Bei der Ducati Supersport 800 (9800 Euro) überzeugen vor allem praxisrelevante Details. Für Wartungsarbeiten lässt sich ihr Tank wegen des Schnellverschlusses leicht hochklappen, die Batterie ist deshalb rasch zugänglich. Bei vollem Spritfass ergießt sich jedoch viel Benzin durch den Überlauf.Ebenfalls nichts zu mäkeln gibt es an der Gabelbrücke und den mächtigen Klemmungen der Lenkerhälften. Instrumente und Schalter sind guter Standard. Auch die filigrane Alufußrastenanlage weiß zu gefallen. Die billigen Kabelbinder schmücken den Stahlrohrrahmen mit seinen ansehnlichen Schweißnähten dagegen wenig. Das Spaltmaß am Sitzhöcker ist zu gering. Serienmäßige Stahlflexleitungen mit robusten Edelstahlfittings freuen dagegen sehr.
Im Detail: Honda CBR 600 RR
Hondas Supersportler (10240 Euro) glänzt auch mit äußeren Werten. Zum Beispiel mit hochwertigen Kunststoffteilen. Sie werden sorgfältig gefertigt, was sich an einer sehr hohen Passgenauigkeit und akkuraten Spaltmaßen erkennen lässt. Die Aluschwinge ist ein Hingucker, Gleiches gilt für das spielfrei gelagerte Schaltgestänge und das Rahmenheck. Heftig gespart wird bei Honda allem Anschein nach bei den billigen Sechskant-Schrauben, die beispiels-weise an hoch beanspruchten Stellen wie der Standrohr- oder Achsklemmung zum Einsatz kommen. Sie sind schlichtweg ein Ärgernis, ebenso wie der Kupplungszug, der am Alurahmen scheuert.
Im Detail: Triumph Sprint RS
Wer Triumph noch immer etwas grobschlächtige Verarbeitung unterstellt, den straft die Sprint RS (10600 Euro) Lügen. Die Engländer haben dazugelernt. Nur wenige Details künden von alten Zeiten. Beispielsweise ein sehr umständlich verlegter Kupplungszug oder der antiquierte Tachoantrieb am Vorderrad. Dafür entschädigen viele hochwertige Teile. Ummantelte Stahlflex-Bremsleitungen oder eine DID-Kette lassen den Controller erschauern, freuen aber die werte Kundschaft. Die edel gemachten Ausgleichsgewichte an den Lenkerhälften werden auch nach vielen Jahren noch dezent glänzen. Und das abgewinkelte Ventil am Vorderrad erleichtert die Kontrolle des Luftdrucks ungemein.
Im Detail: Harley-Davidson Sportster 1200 Sport
Die Harley-Davidson Sportster 1200 Sport (10555 Euro) versammelt im Lenkkopfbereich und an den Gabelbrücken geradezu ein Schraubenwirrwarr: Sechskant, zweimal Linsenkopf (Torx und Inbus), zylindrischer Inbus und zylindrischer Torx. Zwei Sorten wären eigentlich völlig ausreichend. Deutlich aufgeräumter präsentiert sich die Verlegung der diversen Leitungen. Außer den beiden Zündkabeln verbergen sie sich vorbildlich dezent. Ebenfalls edel gemacht: die aus dem Vollen gedrehte Vorderradnabe. Weniger erbaulich: die primitive, direkt an der Schwinge befestigte Soziusfußraste. Außerdem bekommt der hintere Schalldämpfer die Abgase des vorderen Pendants ab, auch nicht schön.