Klage der Branche: Immer weniger Jugendliche begeistern sich fürs Zweirad. Aktion von MOTORRAD: Ride Now! In Stuttgart lief Mitte Juni die dritte von zehn Veranstaltungen.
Klage der Branche: Immer weniger Jugendliche begeistern sich fürs Zweirad. Aktion von MOTORRAD: Ride Now! In Stuttgart lief Mitte Juni die dritte von zehn Veranstaltungen.
Einen Tick schneller, eine Spur entschlossener, dann hätte es gereicht. So schafft sie es nicht ganz. Gerade als
sie mit der Linken die Sitzbank fassen will, geraten die 200 Kilo aus dem Lot und
kippen ihr unter der Hand weg. »Das da«, sagt einer ihrer Freunde, »würde ich mit meiner nicht machen.« »Das da«, sagt Hanna, »war voll easy. Aber war ja auch nicht mein Motorrad.« Dann grinst sie.
Gerade hat sie eine Runde gedreht, noch nicht auf dem Motorrad, sondern drum herum, die frei stehende Maschine mit einer Hand ausbalancierend. Oder eben nicht. Doch bevor die BMW F 650
auf die Seite schlägt, streckt der Instruktor eine rettende Hand zum Lenker. Nichts passiert, nur ein kleiner Adrenalinschub. Daran ist Hanna Brauns allerdings schon gewöhnt. Schuld ist ihr Bruder. Bei dem nämlich fährt sie als Sozia mit, über
die Schwarzwaldhochstraße zum Beispiel. »Und manchmal fährt er ziemlich schnell.« Selbst gefahren ist sie noch nicht. Wollte sie aber und hat sich, wie rund 2500 andere, um einen der 500 Plätze bei Ride Now! beworben: Fahren auch ohne Führerschein, komplett für lau, Motorräder und Klamotten werden gestellt.
Mit der Aktion stellt sich MOTORRAD, unterstützt von einem Sponsorenpool,
einer gruseligen Vorstellung entgegen: Bald wird Motorradfahren heißen, dass
bemooste Greise in Schnürjeans auf ihrer BMW (alternativ: Harley-Davidson) die Spazierwege im Garten des Altersheims entlangtattern. Warum? Weil herrje, was ist bloß aus der Jugend geworden? der Halbwüchsige von heute mit Klingeltönen nicht mehr ein Besorgnis erregendes
Geräusch aus dem Brennraum assoziiert, sondern irgendwelche Dudelmelodien fürs mobile Telefon. Damit kommuniziert er
sich denn bereitwillig um den Verstand, Motorrad fahren wollen hingegen immer weniger junge Leute. Das Durchschnittsalter der Biker steigt beständig. Weshalb es droht, dass der Motorradfahrer der
Zukunft irgendwann nur noch jener der Vergangenheit ist.
Daran wird, mit Verlaub, Claudia Schlüter nichts ändern. Obwohl sie sich als eine der vielen Teilnehmerinnen in Stuttgart nach der ersten Viertelstunde auf der BMW bereits sicher ist: »Heute Morgen hatte
ich noch überhaupt keine Ahnung, wusste nicht wo Kupplung, Gas, Bremse ist. Jetzt ist klar, dass ich weitermache. zum nächsten Geburtstag lasse ich mir die Klamotten schenken.« Claudias nächster Geburtstag allerdings wird ihr fünfzigster sein. »Ich habe vor 30 Jahren den Autoführerschein gemacht, mit dem darf ich ja 125er fahren, und das will ich in Zukunft auch, über sämtliche Alpenpässe.«
So lang will Stefanie Sazinger nicht warten. Auf eine 50er oder 125er hat sie bewusst verzichtet. »Ich spare für den
Einser.« Mit dem kann sie nächstes Jahr beginnen. Und ohne Führerschein schon bei Ride Now! fahren. Schleifpunkt suchen und losfußeln. Erst hat sie noch Bedenken, die Füße auf die Rasten zu stellen
»ich hab Schiss, dann kippe ich um«.
Eine Runde später rollt sie, beide Füße
auf den Rasten, so beherzt neben ihrem
Instruktor her, dass der in leichten Trab verfallen muss, um Schritt zu halten.
Danach resümiert sie: »Ich fands cool. Man lernt eine Menge.«
Nicht nur gelernt hat Daniela Hermann. Sie hat zudem gewonnen. Die Führerschein-Ausbildung im Wert von 1500 Euro, die bei jeder Veranstaltung verlost wird. Sie hätte auch Motorradklamotten im
selben Wert wählen können, aber die hat sie längst, weil sie bei ihrem Freund auf der Suzuki TL 1000 mitfährt. »Da sitzt sie aber nicht gerne hintendrauf«, sagt der. Na ja, muss sie bald nicht mehr.