Royal Enfield Himalayan im Test

Royal Enfield Himalayan im Test Reiseenduro für Deutschland?

Die 25 PS starke und 200 Kilo schwere Einzylinder-„Reiseenduro“ Royal Enfield Himalayan unternimmt den Versuch, sich am deutschen Markt zu platzieren. Wir haben sie getestet.

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Tag 1: Die Royal Enfield Himalayan kommt in der Redaktion an. Ungefragt, aber feixend bezieht die Vollgastruppe vom Schwesterheft PS Stellung: „Brutales Gerät. Kommst du mit so viel Leistung überhaupt zurecht?“ Überaus witzig. Zwar bin ich durchaus ­Anhänger der „Weniger ist mehr“-Schule, doch das Weniger an Motor und Ausstattung dürfte sich dann auch in weniger Gewicht bemerkbar machen. Hier aber trifft augenscheinlich wenig Schwung auf nicht so wenig Masse, muss ein Einzylinder wirklich vier Zentner wiegen?

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Am Lenkerende findet sich ein Choke-Hebel, hat man lange nicht gesehen. Markus „Bibi“ Biebricher, unser Reiseonkel, will mich einnorden: „Dachte auch zuerst, meine Güte, was für eine müde Gurke. Aber letztes Jahr, bei der Ausfahrt in Indien, war die Royal Enfield Himalayan ideal. Wirst sehen, ist ein prima Motorrad.“ Ich schiebe es auf die dünne Luft im Hochgebirge. Des Abends findet meine Partnerin: „Die sieht super aus. Voll authentisch.“ Was ist bloß mit allen los?

"Aus England?" "Nein, Indien." "Eine Indian?"

Tag 2: „Oh, Royal Enfield! Aus England!“ „Nein, Indien.“ „Eine Indian?“ „Nein, aus Indien. Eine Royal Enfield!“ „Oh, wie schön!“ Die Royal Enfield Himalayan und der Redakteur stehen vor der Stuttgarter Filiale eines großen Zubehörspezialisten, man führt denselben Dialog gefühlt zum zehnten Mal: „Nein wirklich, ganz neu. Eben vom Band gerollt.“ „Genau, Einzylinder. 411 Kubik.“ „Ja, neuer Motor. Luftgekühlt, zwei Ventile. Langhub, wie früher. 25 PS.“ „nur 4.600 Euro“ – so lauten die Antworten.

Klar ist: Wie bei allen Royal Enfields darf man sich auch und besonders auf der Himalayan der wohlmeinenden Aufmerksamkeit seiner Umwelt erfreuen. Nicht nur Petrolheads, auch Normalos, Kinder und Senioren umschwirren sie. Der knuffig-robuste Military-Look, das weiche Trecker-Geboller wie anno Tobak, der Name „Royal Enfield“ – für viele pure Romantik. Ich aber wäre bei den winterlichen Temperaturen eigentlich lieber woanders. Kollege Jens schwärmte eben noch von der H2 SX-Präsentation in Portugal, macht jetzt mit Top-Tester Karsten die Küsten Sardiniens unsicher – auf Maschinen, die vier- bis fünfmal so teuer sind wie die Royal Enfield Himalayan. Die Kollegen Schmieder und Roman powercruisen irgendwo in Südfrankreich, Peter Mayer, der Motocross-Haudegen, tigert durchs Atlasgebirge. Nur ich habe die Vergabe der heißen Geschichten verpennt. Was hat man bloß verbrochen, sich durch die kalte Jahreszeit frieren zu müssen? Ein Hoch soll uns einen makellos sonnigen Wintertag bescheren und die Alb auf muckelige zwei Grad einheizen... Super Aussichten.

"Ich überstehe auch einen Atomkrieg"

Tag 3: Ich darf die mit 40 Kilometern nahezu unberührte Royal Enfield Himalayan – so ist es mit dem Importeur vereinbart, weil der Produktionsplan drückt – bei Minustemperaturen einfahren. Während die Kollegen im Süden auf sündhaft teuren Edeleisen ihrem Tagwerk nachgehen, tuckere ich mich unter grau grieselndem Himmel aus Neckartenzlingen über Bempflingen Richtung Dettingen. Kilometerstand: 117. Keine Griffheizung.

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Zweckmäßigkeit als Leitsatz: Konstruktion und Ausstattung sind robust. Die Verarbeitungsqualität ist teils gut (Edelstahlauspuff, Motorgehäuse), teils rustikal.

An sich kann das Einfahren eines neuen Motorrads ja etwas Schönes sein. Ein beinahe intimer Akt, der die Bindung zwischen Mensch und Maschine erheblich fördert. Doch die Einfahrprozedur eines bei Vollgas und Nenndrehzahl 18 Kilowatt leistenden Kraftrads erfordert eine Geduld, die aufzubringen mir auf der falschen Seite des Gefrierpunkts kaum gelingen will. Auf ebener Fläche ist bei rund 4.500 Touren oder Tacho 90 Schluss, bergauf geht noch weniger. Zapfig kneift die Albluft durch den dicksten Winterhandschuh. Aus Justingen Richtung Schelkingen stellt ein Lkw ein unüberwindbares Hindernis dar – den Überholvorgang bringe ich bei diesem Kilometerstand nicht übers Herz. Immerhin sitzt es sich sehr gut. Schmale Taille, niedrige Rasten, gefällig hoher, nicht zu breiter Lenker, dazu eine bemerkenswert komfortabel gepolsterte Sitzbank. Sympathisch.

Bei Öpfingen (oder Dächingen?) muss Leberkäse und Kaffee her. Die Bäckerin schaut mitleidig, als käme ich vom Mond. Lächelt dann aber, als sie draußen die Royal Enfield Himalayan erblickt. Auch ihr entgeht nicht: Dieses Motorrad umgibt sich mit der Aura des unerschütterlichen Nutzwerts. Ein Klappspaten auf Rädern. Stahl, der noch nach Stahl aussehen darf, vorne ein Schmutzfänger, der Schmutz fängt. Um den 15-Liter-Tank eine Art Sturz- und Packbügelgerüst, an dem sich in Verbindung mit der kräftigen Brücke hinten wohl eine indische Kleinfamilie verzurren ließe. Erstere trägt sogar innen verschweißte Muttern, man könnte Anbauten montieren. Dick aufgetragene, doch ansehnliche Schweißnähte, eine Badewanne von Kurbelgehäuse, Motorschutz, Bürst-Abdeckungen, sogar Edelstahlauspuff und Stahlflex. Frei liegende Schräubchen hat man nicht immer akkurat abgelängt, aber die Auspuffniete mit Zinkfarbe überpinselt. Die Optik kommuniziert: „Ich überstehe auch einen Atomkrieg.“ Der Stallgeruch ehrlicher Handarbeit – langsam finde auch ich Gefallen an der Sache.

Pseudo-Stöller von Pirelli passen gut

Also weiter Richtung Westen: Hayingen, Gammertingen, Trochtelfingen. Größere Landstraßen meiden, um den frostigen Griffeln und dem LS410 genannten sohc-Single Schonung zu verschaffen. Man sucht die Sträßchen kleiner und kleinster Kategorien, findet querfeldein Schotter- und Waldwege. Das Tempo sinkt, und es passiert etwas: Zwischen Maschine und dem groberen Terrain stellt sich eine Art Gleichgewicht ein, die Royal Enfield Himalayan findet ihren Wohlfühlbereich. Bollert mit ­ihrer fetten Schwungmasse und langem Hub, bei 65 und Halbgas nur unwesentlich langsamer als zuvor, aber weniger angestrengt und mit seelenschmeichelnd-klassischem Einzylinder-Schlag. Die bevorzugte Bandbreite des Zweiventilers: untere Drehzahlmitte bis obere Drehzahlmitte, so etwa 2.500 bis 4.500 Touren. Sekundär­tugenden sind neben unbedingtem Charakter seine eigentlichen Stärken: leichtgängige Kupplung, cremiges Getriebe, perfekte Ganganschlüsse

Besohlt mit brasilianischem Pseudo-Stöller Pirelli MT 60 (hat man auch lange nicht gesehen, funktioniert unter diesen Umständen aber gut), im enduromäßigen 21- bzw. 17-Zoll-Format, umschifft die Royal Enfield Himalayan mit gämsiger Trittsicherheit Frostaufbrüche und Eisplatten. Verliert mit ihren langen 200 Millimeter Federweg auch dann nicht die Fasson, wenn man träumt und voll in ein Schlagloch kracht. Fühlt sich überhaupt nicht nach 200 Kilo an. In diesen Momenten trauere ich dann auch keiner H2 SX oder V4-Panigale nach. Im krassen Gegensatz auch zu den heißblütigen europäischen Einzylinder-Boliden kann man dieses Motorrad praktisch nebenher fahren. Anders gesagt: Wenn die Aufgabe ist, ein Brot zu buttern, ist das Buttermesser dem Skalpell vorzuziehen. Mir ist, als ob etwas Sonne durch die Wolken blitzt. Bei Kilometer 281 die Erleuchtung: Ich fahre hier kein Motorrad ein. Dies ist das Eintragen eines Wanderschuhs. Dazu muss man Ruhe mitbringen. In einem Wanderschuh kann man nicht rennen. Versucht man es trotzdem, macht man sich lächerlich.

Royal Enfield Himalayan im Berufsverkehr

Tag 4: Des Morgens vollbringt die Royal Enfield Himalayan im Berufsverkehr Großes. Hoch und schmal genug, die Blechlawinen zu durchsurfen, sympathisch genug, dass auch freche Manöver von den Cayenne-Muttis nur ein Lächeln ernten. Ich erlaube mir, den Motor beim Ampelstart etwas ranzunehmen. Es scheint, er habe sich tatsächlich etwas frei gefahren, als hätte er in der Mitte 1, 2 PS und Newtonmeter gefunden. Vielleicht, hoffentlich, wird sich auch die Bremse in gleicher ­Manier steigern. Selbst auf winterlichem Pökelsalz und mit vollstem Einsatz ist das ABS vorne nicht in den Regelbereich zu bringen.

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Gut ablesbar und chic gemacht, besitzt das Cockpit neben Ganganzeige (und exakt acht Grad voreilender Temperaturanzeige) sogar einen echt praktischen Kompass.

Kilometerstand 330, eben genug zur Verbrauchsrunde. Und endlich auch ein herrlich sonniger Wintertag. Notiere: Nicht die Himalayan ist zu langsam, das Tempo der Bundesrepublik ist zu schnell! Mit Wohlfühlspeed 80 werde ich, morgens halb zehn in Deutschland, von allem überholt, was Räder hat. Gehetzte Sprinterfahrer vollstrecken, auf einem Stück Schnellstraße wittert ein zorniger 125er-Pilot seine große Chance. Ich rechne mir aus, ihn so gerade in Schach halten zu können, möchte aber weder Verbrauch noch Verschleiß steigern. Außerdem mahnt der Single ab 5.500 fein zitternd: Wandern, Junge, wandern! Derart gedemütigt, beame ich zwischen Frittlingen und Wellendingen die Royal Enfield Himalayan und mich Kraft der Fantasie an den Fuß des Nanga Parbat. Dort, wo die Straßen nur Pisten sind, wo eine 250er schweres Gerät darstellt, ja dort ist man auf so einer Himalayan sicher der König der Welt. Träumen bis zur Zapfsäule in Orschel-Hagel. Nach exakt 100 Kilometern gluckern 3,05 Liter in den 15 Liter fassenden Tank – ergibt nach Adam Riese eine theoretische Reichweite von beinahe 500 Kilometern. Der Pächter: „Ah, eine Royal Enfield! Aus England!“ „Indien.“ „Nein, eine Royal Enfield!“ „Ja, stimmt genau.“ „Schön!“

Kilometerstand 450. Statt Navi und Landkarte folge ich dem im charmanten Cockpit verbauten Kompass (ein wirklich tolles Feature) Richtung Südost. Und finde statt Everest den Rossberg. Am Gipfel angelangt trinkt man Tee und genießt den Ausblick. Wie Wandersleute das eben so tun. Am liebsten würde ich der Royal Enfield Himalayan ein Stück Salami in den Tank werfen – hätte sie sich verdient.

"Bei -4 Grad hat sie keinen Choke gebraucht!"

Tag 5: Prüfstand und Fahrleistungen. Schorschi: „Ob die überhaupt echte 100 schafft? Für die Durchzugsmessung muss ich wohl einen Kalender mitnehmen.“ Ich will widersprechen, aber mir fällt keine gute Antwort ein. „Ist wohl eher was zum Wandern“, bemerkt der Tester nach getaner Messung, „und die Bremse kannst’ mal voll vergessen!“ Stimmt auch, aber dass das letzten Endes keine große Rolle spielt, lässt sich auch an seinem Blick ablesen: Auch er findet die Royal Enfield Himalayan gut.

Tag 6: In der Testkonferenz erzählt Harry, dass die Dauertest-R1 am Morgen kaum ansprang, obwohl die Batterie über Nacht am Ladegerät hing. Auch die Fireblade zickt bei der Kälte rum. „Meine Himalayan hat heute früh bei minus vier Grad nicht mal Choke gebraucht!“, sage ich und alle lachen. „Wie Hase und Igel“, findet Roman. Wer jetzt noch sagt, dass die Himalayan schwach und schwer ist, hat schon recht. Aber nicht verstanden.

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