Yamaha-Neuling Valentino Rossi war bei seinem ersten Test auf der Vierzylinder-M1 schon fast so schnell wie früher mit der V5-Honda. Bis zum Saisonstart in Südafrika hat er noch gut zwei Monate Zeit.
Yamaha-Neuling Valentino Rossi war bei seinem ersten Test auf der Vierzylinder-M1 schon fast so schnell wie früher mit der V5-Honda. Bis zum Saisonstart in Südafrika hat er noch gut zwei Monate Zeit.
Fast drei Monate lang hatten Fans und Journalisten auf das Yamaha-Debüt von Valentino Rossi hingefiebert, und als der Superstar zum lang ersehnten Auftakt einer neuen Ära im MotoGP-Sport in Malaysia eintraf, ging das Warten erst einmal weiter. Am Samstagmorgen, dem 24. Januar 2004, glitten zwar pünktlich die Rolltore der Yamaha-Box nach oben, doch zunächst blieb es bei der Präsentation eines schwarzen, notdürftig mit der Nummer 46 und einigen Sponsorlogos beklebten Motorrads. Der zugehörige Fahrer demonstrierte, dass er mit einem Wechsel der Marke noch lange nicht den seines Lebensstils verknüpft, und traf kurz nach zehn im Fahrerlager ein.
Dass er deutlich ausgeschlafener war als all jene, die schon eine Sunde lang auf ihn gewartet hatten, bestätigte sich, als er in den Sattel stieg. Rossi umkreiste die Sepang-Rennstrecke mit stehendem Start in 2.16 Minuten, dann in 2.11, 2.09, 2.07,5 Minuten. Flink zupfte das Dutzend italienischer Journalisten an der Boxenmauer malaysische Ringgit-Scheine aus der Tasche und begann, auf mögliche
Tagesbestzeiten zu wetten.
Als der Weltmeister die 2.06er-Marke durchstieß, wurden die Zaungäste aus der Boxengasse verbannt. Um trotzdem ja nichts zu verpassen, kletterten sie auf die Haupttribüne gegenüber der Honda-Box, wo sie Rossis Zeiten mit Armbanduhren und Handys stoppten und nicht schlecht staunten, als der Doktor am Spätnachmittag den Wert von 2.03,8
Minuten knackte.
Damit war er nach wenigen Stunden auf dem neuen Motorrad schon mal schneller als die Kawasaki-Piloten Alex Hofmann (2.04,5) und Shinya Nakano (2.04,6) sowie die Suzuki-Stars John Hopkins (2.03,9) und Kenny Roberts (2.04,4), die sich die Strecke in den
Tagen zuvor mit dem Honda-Werksteam geteilt hatten.
Rossi feierte den geglückten Einstand auf der Yamaha M1 mit einem Wheelie entlang der gesamten Zielgeraden und schüttelte damit den letzten Rest von
jener Nervosität ab, die ihn über die
letzten Monate hinweg begleitet hatte. »Ich gebe zu: Ich hatte Angst«, hatte er
in seinem ersten Interview des neuen Jahres noch erklärt. »Ich wollte nicht mehr bei Honda bleiben. Dort wurde ich nicht als Weltmeister, sondern wie ein Angestellter im öffentlichen Dienst behandelt. Außerdem hatte ich alles erreicht, was
es zu erreichen gab. Trotzdem habe ich die Entscheidung so lange wie möglich hinausgezögert. Irgendwann saß ich im Restaurant und nahm mir vor: Das machst du jetzt!«
Wer wagt, gewinnt. Während Rossi die ersten Stunden mit Modifikationen
am Lenker, der Sitzbank und den Fußrasten zugebracht hatte und sich mit
einer Version der Reihenvierzylinder-M1 warm fuhr, die im Wesentlichen einer
alten Carlos-Checa-Maschine entsprach, machte er sich am zweiten Tag ernst-
haft auf die Suche nach dem eigenen Set-up. Er probierte auch bereits einen der Evolutionsmotoren mit mehr Durchzug, die Yamaha für diesen Test vorbereitet hatte.
Und die Rundenzeiten purzelten weiter. Rossi brannte am dritten und letzten Testtag eine Bestzeit von 2.02,75 Minuten in den Asphalt und hatte sich auf
seinem neuen Motorrad schon wieder
in den Orbit der Weltelite geschossen. Er war schneller als die Honda-Piloten Nicky Hayden (2.03,2), Colin Edwards (2.03,3) und Makoto Tamada (2.03,5) und nur noch knapp von Max Biaggi (2.02,58)
und Sete Gibernau (2.02,7) sowie seinem
eigenen inoffiziellen Rundenrekord im Grand-Prix-Training im vergangenen
Oktober (2.02,48) entfernt. »Das hätte
ich nicht erwartet. Schon jetzt fährt sich das Motorrad mehr oder weniger wie eine Honda. Ich habe Spaß am Gasgeben«, strahlte Valentino, machte allerdings auch klare Unterschiede aus.
Einer davon ist die viele Elektronik
an der Yamaha im Motormanagement ebenso wie im Cockpit, in dem es funkelt wie in der Disco. »Da gibt es jede Menge luxuriöser Anzeigen wie den Zeitabstand zwischen zwei Runden. Ich brauche
nur Drehzahl und Rundenzeit«, erklärte der Italiener. Ein zweiter ist das Fahrverhalten. So lässt sich die Yamaha nur schwer mit dem Hinterrad lenken das Motorrad hat beim Herausbeschleunigen aus der Kurve Traktion, als wäre es wie eine Achterbahn in Schienen eingeklinkt. Und wenn der Fahrer besonders brachial
am Gas dreht, stellt sich die Maschine nicht etwa sanftmütig quer, sondern
beginnt wild mit der Heckpartie zu
schlingern. »Die Yamaha produziert
keine Slides«, stellte Umsteiger Rossi kurz und bündig fest. »Kontrollierte Slides machen aber nicht bloß Spaß, sie sind außerdem eine wunderbare Methode, selbst dann noch schnelle Rundenzeiten zu fahren, wenn die Reifen abbauen.
Daran müssen wir arbeiten.«
Laut Cheftechniker Jerry Burgess liegt der Schlüssel dazu weniger in Fahrwerksmodifikationen als in der derzeitigen
Motorcharakteristik. Dort zeigt sich ein dritter markanter Unterschied. »Der Motor setzt keineswegs abrupt ein, die Leistungscharakteristik ist überraschend gleichmäßig. Doch im Vergleich zur Honda fehlt ihm Power. Ich kann nicht genau sagen, wie viel, denn ich weiß nicht
einmal genau, was die Honda leistet
ich habe ein paar Mal zu fragen versucht, aber immer nur ein Achselzucken zur Antwort erhalten«, plauderte Rossi. »Vor allem bei den letzten 500 Umdrehungen zur Höchstdrehzahl von 16500 Touren
im vierten, fünften und sechsten Gang fühlt sich die Yamaha vergleichsweise schlapp an. Das war ein Bereich, der bei der Honda stets zur Verfügung stand und in vielen Situationen eine echte Hilfe war.«
Die schlechtere Leistungsentfaltung erwies sich als ein Manko aller Honda-Herausforderer, von Ducati vielleicht abgesehen. Waren schon die satten 245 PS der letztjährigen RC 211 V unantastbar, so hatte Suguru Kanazawa, Präsident
der Honda Racing Corporation, letzten Herbst mit einem schlummernden Potenzial weiterer 15 Prozent gedroht, woraus sich satte, Schwindel erregende 280 PS errechnen lassen. Einem Teil der
möglichen Extra-Pferdchen ließ Honda
in Malaysia versuchsweise freien Lauf, worauf der zum Testfahrer degradierte Tohru Ukawa mit 318 km/h an der
Lichtschranke vorbeiflitzte. Fünf km/h schneller als Max Biaggi, acht km/h schneller als Sete Gibernau und rund 13 km/h schneller als Nakanos Kawasaki. Suzuki hinkte gar um bis zu 19 km/h hinterher. Über sämtliche Rundenzeiten und Topspeedwerte wusste man bei Yamaha übrigens präzise Bescheid
die Höchstgeschwindigkeit der eigenen Viertakt-Renner behielt man aber vorsichtshalber für sich .
»Zusätzliche Leistung wird nicht immer mit besseren Rundenzeiten belohnt«, spielte Masao Furusawa, Generalmanager von Yamahas Technology Development Division, der die MotoGP-Gruppe mit rund 80 Ingenieuren unterstellt ist, das Wettrüsten herunter. »Schon jetzt
gibt es in der MotoGP-Klasse ein kaum mehr beherrschbares Leistungsgewicht von weniger als einem Kilogramm
pro PS. In Zukunft kommt es deshalb
mehr auf die Leistungscharakteristik, auf Durchzug und Ansprechverhalten an.«
Um speziell diesen Bereich zu verbessern, hatte Yamaha in Malaysia bereits vier verschiedene Motorvarianten
im Gepäck, darunter eine »Big Bang«-Version mit eng aneinander gerückter Zündfolge und Vierventilköpfen. Der Prototyp konnte nicht wie gewünscht eingesetzt werden, weil sich die neue Magneti-
Marelli-Einspritztechnologie auf myste-
riöse Weise mit der von Yamaha selbst entwickelten Elektronik zur Milderung
der Motorbremswirkung in die Quere kam. Spektakulär war die versuchsweise Abkehr vom bisher als Nonplusultra dargestellten Gaswechsel mit fünf Ventilen pro Zylinder trotzdem: Es beweist, dass Yamaha alte Zöpfe abzuschneiden bereit ist, wenn es dem sportlichen Erfolg mit dem neuen Megastar dient.
Rossis sonst eher zurückhaltender Cheftechniker Jerry Burgess zeigte sich denn auch in glänzender Laune. »Wir
wollen uns bei den Rennen nicht mit
monumentalen Entwicklungsaufgaben aufhalten. Unser Ziel ist, in den verbleibenden zweieinhalb Monaten bis zum Saisonstart in Südafrika ein Motorrad
zu bauen, mit dem Valentino guten
Gewissens antreten kann«, erklärte der Australier. »Die Ingenieure brauchen
Valentino nur zuzuhören, dann kann nichts schief gehen. Er impft seinem
Umfeld Selbstvertrauen ein. Jeder sieht, wie Valentino vorausmarschiert, und wird davon angesteckt.«
Schon für den nächsten Test zwei Wochen nach dem Debüt könne man, so Burgess, mit einem viel versprechenden Paket neuer Teile rechnen. »Wir sind
jetzt schon happy, und beim nächsten Test wird Valentino noch glücklicher sein. So glücklich, dass er gar nicht mehr mit Lachen aufhören wird!
Geoff Duke 1953 Der Doppelweltmeister 350/500 des Jahres 1951 holte 1952 einen weiteren
350er-Titel auf Norton, musste die Halbliter-Weltmeisterschaft aber Gilera-Werksfahrer Masetti
überlassen. Nicht nur ein Unfall, auch die Überlegenheit der italienischen Vierzylinder gegenüber
den britischen Singles waren der Grund, weshalb Duke 1953 zum Verdruss seiner britischen Fans
auf Gilera umstieg. Mit den italienischen Bikes schaffte Duke den Hattrick die 500er-WM-Titel 1953, 1954 und 1955.
Mike Hailwood 1966 Vier Mal hintereinander hatte »Mike the Bike« von 1962 bis 1965 auf MV Agusta die Krone der Königsklasse erobert und wurde dann von Honda geködert, wo man nach Erfolgen in allen anderen Klassen bislang vergeblich auf den Durchbruch bei den 500ern gewartet hatte. Hailwood holte 1966 und 1967 zwar jeweils den 250er- und 350er-Titel für die Japaner, ließ es auf der 500er aber mit insgesamt acht Einzelerfolgen bewenden. 1968 stieg Honda aus und machte Hailwood zum Zuschauer
die Vertragssumme wurde ausbezahlt, dafür durfte der Brite auf keiner anderen Maschine antreten.
Giacomo Agostini 1974 Am Ende von neun triumphalen Jahren mit sechs 350er- und sieben 500er-Titeln auf MV Agusta wurde Giacomo Agostini 1973 von seinem jungen Teamkollegen Phil Read besiegt und reagierte auf die Schmach mit einem Wechsel von den italienischen Viertaktern auf die Zweitakter von Yamaha. 1974 holte er dort den 350er-Titel, 1975 gewann er als Krönung seiner Laufbahn die 500er-WM. Ago kehrte später noch einmal zu
MV zurück, aber die Ära der Viertakter im GP-Sport war vorerst abgelaufen.
Marco Lucchinelli 1982 Drei verheerende Jahre lang, von 1979 bis 1981, hatte sich Honda mit
der Viertakt-Fehlkonstruktion NR 500 im Grand-Prix-Sport blamiert, worauf man 1982 ein Einsehen hatte und den Dreizylinder-Zweitakter NS 500
präsentierte. Marco Lucchinelli, amtierender Weltmeister auf Suzuki, wurde für die damals ungeheuerlich anmutende Gage von einer Million Dollar
ins Boot gezogen, blieb den Beweis seiner Fähigkeiten aber schuldig: Fünf fünfte Plätze und ein achter Gesamtrang waren die magere Ausbeute für Honda, Suzuki stellte mit Franco Uncini abermals den Weltmeister. Erst 1983 schaffte Honda den Durchbruch
mit Freddie Spencer.
Eddie Lawson 1989 In sechs Jahren auf Yamaha hatte »Steady Eddie« drei Mal, 1984, 1986 und 1988, den Titel bei den 500ern erobert, war seines selbstherrlichen Teamchefs Giacomo Agostini dann aber überdrüssig. 1989 kletterte er auf eine Honda, wurde im Team von Erv Kanemoto erneut Weltmeister und blieb für den Rest seiner Karriere Vagabund: 1990 kehrte er mit Kenny Roberts als Teamchef zu Yamaha zurück und verpasste den Titel nach einem unverschuldeten, durch einen ungesicherten Bremsbelag ausgelösten Unfall. Zum Ende seiner Karriere setzte Lawson einen weiteren Paukenschlag und ging zu Cagiva.
Valentino Rossi 2004 1996 in den GP-Sport eingestiegen, setzte das Wunderkind zu einem atemberaubenden Durchmarsch an: 125er-Weltmeister 1997, 250er-Weltmeister 1999, Champion der
Halbliter-Zweitaktklasse 2001 und in den letzten
beiden Jahren souveräner Beherrscher der reformierten Oberstufe mit 990-cm3-Viertaktern. Weil
es nach insgesamt 33 Laufsiegen auf Honda in der MotoGP-Königsklasse nichts mehr gab, was der
beste Fahrer auf dem besten Motorrad hätte beweisen können, brauchte der 24-Jährige dringend eine neue Herausforderung und öffnete mit seinem Autogramm unter einem Yamaha-Vertrag ein neues, aufregendes Kapitel der GP-Geschichte.
Bleibt Valentino Rossi Chef im Ring? Bekommt Max Biaggi endlich seine Titelchance, oder geht gar Loris Capirossi auf der Ducati als Sieger der Saison 2004 durchs Ziel? Das Rennen in der Königsklasse scheint offener denn je. Auch Sie, liebe Leser, können gewinnen: Wenn Sie Ihren persönlichen
Favoriten als MotoGP-Weltmeister tippen, auf eine Postkarte schreiben und bis zum 16. Februar 2004 an die Redaktion MOTORRAD, Kennwort MotoGP-Weltmeister, 70162 Stuttgart, schicken. Unter allen richtigen Tipps wird am Saisonende eine Replika des agv-Rossi-Helms (Foto) im Wert von 469 Euro verlost.