Wenn ein Blinder rotsieht, ein Tauber das Gras wachsen hört oder sich zwei Glatzköpfe in die Haare kriegen, was ist das? Das ist jeweils ein Widerspruch in sich, auch Paradoxon genannt. Die Suzuki-Marketing-Abteilung hat da auch was auf Lager. Auf ihrer Homepage www.suzuki.de bewirbt sie ausgerechnet die vollverkleidete jüngste Kreation des Hauses mit dem ebenso formidablen wie fast unsichtbaren Motor mit dem Slogan: "Warum verstecken, was man hat?"
Ja, warum nur? Schließlich, um es gleich vorwegzunehmen, wartet auch der aus der legendären Kilo-Gixxer der Baujahre 2005 bis 2008 entlehnte und für mehr Punch in der Mitte leicht überarbeitete Reihenvierer mit einer Eigenschaft auf, die ebenso als Paradoxon durchginge: Die auf dem PS-Prüfstand ermittelte maximale Hinterradleistung liegt mit 146 PS gleichauf mit der in den Papieren offiziell ausgewiesenen Höchstleistung an der Kurbelwelle. Und das wiederum hat weniger mit Zauberei oder einem höchst effizienten Antriebsstrang zu tun, sondern vielmehr mit einer eher legeren Drosselung des einstmals je nach Modelljahr rund 180 PS starken Vierzylinders. In seinem neuen Umfeld lässt er nachgezählte 156 Rösser auf die Kurbelwelle los. Respekt.
Dennoch verwundert es ein wenig, dass die Suzi bis 150 km/h sogar die Fireblade, einen lupenreinen Sportler, ausbeschleunigt, wenn auch nur um eine Zehntelsekunde. Danach ist kein Kraut gegen die Gewalt der gemessenen 180 PS sowie der dann zum Tragen kommenden besseren Aerodynamik der Honda gewachsen. Ducati und Kawasaki haben zu diesem Zeitpunkt schon abreißen lassen müssen.
Suzuki GSX-S 1000 F

Zumindest in der Theorie, denn im richtigen Leben stehen die Drosselklappen des lieben Lappens wegen selten voll auf Durchzug. Denn ohne den müssen Zweiräder Pedale haben.
Außer der recht harten Gasannahme, hier werden die Drosselklappen noch per Gaszug und nicht per Elektronik bedient, und dem rauen Lauf gibt es am Antrieb kaum was zu bekritteln. Das Getriebe schaltet sich fluffig, wenngleich nicht so präzise wie das der Kawa oder gar der Honda. Dennoch mag der Funke nicht so recht überspringen. Viele schwarze und nicht eben edel wirkende Verkleidungselemente verbreiten eine gewisse Tristesse, der sich auch das Mäusekino unterwirft.
Obwohl Suzuki die "Eff" explizit nicht als Tourensportler, sondern als ernsthaftes Bügeleisen für eine Klientel, die des Bückens überdrüssig geworden ist, verstanden wissen will, findet sich der Fahrer auf einem durchaus kommoden Arbeitsplatz wieder. Der nicht verstellbare Windschild sorgt je nach Körpergröße für mehr oder weniger Windschutz bzw. Getöse. Und obwohl das Lenkeisen, eine Fatbar vom Zulieferer Renthal, so weit nach vorne gedreht ist, dass die Lenkerenden nach oben statt nach unten zeigen, ergibt sich eine relativ passive und gewöhnungsbedürftige Sitzposition.
Auch beim Fahrwerk ist noch Luft nach oben. Vor allem die Gabel spricht nicht sonderlich feinfühlig an, besonders harte Kanten wie Kanaldeckel gehen ordentlich auf die Handgelenke. Das kann die Hinterhand etwas besser, wenngleich bei forciertem Tempo schnell klar wird, dass die Grundabstimmung generell etwas soft ist. Das hört sich jetzt dramatischer an, als es ist. Für sich betrachtet ist die Suzuki ein feines Wetzeisen, das mit 12.795 Euro auch reell ausgepreist ist.
Details zur Suzuki GSX-S 1000 F


Die Front erinnert an einen Vogelschnabel. Die Scheibe darüber ist genauso verstell- wie hier sichtbar: gar nicht.

Das Digitalcockpit ist ziemlich gesichtslos und auch nicht sonderlich gut ablesbar.

Die Bremse erledigt ihren Job besser als die nicht besonders gut ansprechende Gabel.
Kawasaki Z 1000 SX

Genau so viel kostet die Kawasaki Z 1000 SX, steht also in direkter Konkurrenz zur Suzuki. Dafür gibt es knapp 20 Kilogramm mehr Material, was wohl zum größten Teil auf den massigen Doppelauspuff zurückzuführen ist. Die Kawa wirkt hochwertiger als die Suzi, in der Auslegung ist sie dafür weniger radikal. Schließlich gibt es für sie, neben der verstellbaren Scheibe, auf Wunsch sogar ein Kofferset. Doch dies nur am Rande. Im Auslieferungszustand wollte sich die mit Bridgestone S 20 in Spezifikation „M“ besohlte Kawa nur widerwillig in Schräglage werfen lassen, und verlangte, dort angekommen, ständig Druck am kurvenäußeren Lenkerende, um die Linie zu halten. Dazu gesellte sich ein erhebliches Aufstellmoment beim Anlegen der Bremse in Schräglage.
Bei der Wahl der Erstbereifung hat Kawasaki keine glückliche Hand gehabt. Die Praxis nämlich zeigt, dass die "Zett" mit anderen Gummis vom Schlage eines Pirelli Angel GT oder Michelin Pilot Road nicht mehr wiederzuerkennen ist. Erst nach der dank Handrad kinderleichten Erhöhung der Vorspannung des hinteren Federbeins auf etwas über die Mitte des möglichen Verstellbereichs zeigte die Test-SX ein passables Einlenkverhalten. Im Gegensatz zum Federbein ist die Upside-down-Gabel auch in der Druckstufe einstellbar. Allerdings nur am rechten Gabelholm, links beansprucht der ABS-Sensor diesen Platz. Zugstufe und Federbasis hingegen sind an beiden Holmen zu finden.
Nettes Detail am Rande: Der zur Einstellung der Federbasis nötige (Ring)Schlüssel befindet sich im Bordwerkzeug. Generell lässt sich sagen, dass die Upside-down-Gabel sensibel anspricht und sauber die Nachlässigkeiten der Straßenbauer herausfiltert. Bei den wie heute üblich radial angeschlagenen Bremszangen vertraut Kawasaki auf japanisches Material, geschmückt mit eigenem Logo. Wirkung und Handkraft liegen auf dem hohen Niveau der Konkurrenz, die unisono auf Brembo setzt.
Weder per Handrad noch sonst wie zu beeinflussen ist eine weitere Eigenart der Test-Kawa. Der grundsätzlich recht rau laufende Vierzylinder entwickelt zwischen 7000 und 9000 Touren dermaßen derbe Vibrationen, dass man diesen Bereich tunlichst meidet. Was angesichts der präzise zu bedienenden Schaltbox kein Problem ist.
Zudem treten von den versprochenen 143 Pferden auf der Rolle nur 137 ihren Dienst an. Vielleicht hatte dieser Motor einfach das Pech, der erste zu sein, der Montagmorgen nach Schichtbeginn montiert wurde. Die Sitzposition ist deutlich aktiver als auf der Suzuki, aber immer noch komfortabel genug, um den im Kniebereich recht breit bauenden 19-Liter-Tank auch mal am Stück leer zu fahren.
Details zur Kawasaki Z 1000 SX


Ein großer Teil des Mehrgewichts der Kawa dürfte vom massigen Auspuff kommen.

Da freut sich das Auge: analoger Drehzahlmesser. Aber: Zwischen der 7 und der 9 wird‘s arg kribbelig.

Die Kawa bremst als Einzige nicht mit Brembo, sondern mit japanischer Ware.
Honda Fireblade SP

Um dies bei der Honda Fireblade zu tun, ist schon ein wenig Leidensfähigkeit vonnöten. Zwar ist die Ergonomie bei modernen Supersportlern im Vergleich zu den älteren Generationen à la Ducati 916 nachgerade choppermäßig, dennoch liegen die Lenkerenden auf einer Höhe mit dem Sitzbrötchen, was eine entsprechende Last auf den Unterarmen mit sich bringt. Die drei Kolleginnen liegen mit rund 20 Zentimeter Differenz zwischen Bank und Lenker in etwa gleichauf.
Dass die 2008 vorgestellte Fireblade mittlerweile etwas in die Jahre gekommen und gegenüber aktuellen Sportlern à la Yamaha R1 etwas ins Hintertreffen geraten ist, merkt man nicht nur an der Spitzenleistung von "nur" 180 PS, die übrigens vollzählig auf der Prüfstandsrolle antraten, sondern auch am weitgehenden Fehlen moderner Elektronik. Es gibt zwar einen elektronischen Lenkungsdämpfer und ein ABS-System, bei dem stets vorne und hinten gebremst wird, aber das war's dann auch schon. Der fehlende Schaltassistent wird auf der Landstraße wenig vermisst, eine Traktionskontrolle aber durchaus. Schließlich drückt der Honda-Motor gewaltig an und muss sich in der Midrange-Power nicht vor den neuesten Sportlern verstecken.
Ab 4000/min, wenn die Auspuffklappe öffnet und der Ton knurriger wird, zieht der Vierer richtig an der Kette, beißt in der Mitte kräftig zu und dreht obenraus munter weiter bis rund 12.500/min. Da hat die Konkurrenz längst die Segel gestrichen.
Generell fühlt sich die Blade bei den Möglichkeiten, die die Landstraße zulässt, unterfordert, um nicht zu sagen gelangweilt. Das gilt besonders für die in diesem Test mitmischende SP-Version. Mit einem stolzen Preis von 18.290 Euro liegt sie stramme 5495 Euro über Suzuki und Kawa, einen guten Tausender oberhalb der Ducati und 3100 Euro über der Standard-Blade. Für dieses Geld bekommt man vorne wie hinten feinste Ware von Öhlins, Brembo-Monoblock-Zangen sowie andere Gabelbrücken mit etwas tiefer angeklemmten Lenkerstummeln. Zudem entfällt der Soziusplatz, und das Rahmenheck fällt dementsprechend filigraner und leichter aus.
Trotz der Tatsache, dass die Grundabstimmung des Fahrwerks für die Belastungen auf der Rennstrecke gedacht ist, für die Landstraße also recht straff ausfällt, ist besonders die Gabel ein Gedicht. In Sachen Ansprechverhalten und Rückmeldung macht ihr keiner etwas vor. Ebenso präzise gelingt das Einlenken. Linie anvisieren, Schenkeldruck, fertig. Lediglich in schnellen Wechselkurven muss sie sich der unschlagbar wuseligen Monster beugen.
Die montierten Pirelli Diablo Supercorsa SP-Gummis tragen ihren Teil zum präzisen Einlenkverhalten und der guten Rückmeldung bei, sind aber reinrassige Sportpellen, die Temperatur brauchen, um richtig zu arbeiten. Um so wünschenswerter wäre eine Traktionskontrolle. Dennoch ist die Blade ungeachtet ihres Alters ein ebenso kostspieliger wie formidabler Brenner, dessen Potenzial auf der Landstraße nicht ansatzweise ausgelotet werden kann.
Details zur Honda Fireblade SP


Im Cockpit herrscht digitales Allerlei. Der Balkendrehzahlmesser dominiert das Geschehen.

In puncto Materialanmutung spielt die Honda in einer eigenen Liga. Der Beweis: Aluschwinge mit wunderschönen Schweißnähten.

Das Rahmenheck der SP wird nicht mit einem Sozius belastet und fällt entsprechend filigran aus.
Ducati Monster 1200 S Stripe

Bleibt die Ducati Monster, die hier in der Top-Version S Stripe antritt. Wie weiter oben bereits angedeutet, ist sie die Queen of Handling. Keine wuselt agiler durchs Winkelwerk, wobei die Monster konzeptbedingt auch die besten Voraussetzungen hat. Der Pilot sitzt aktiv, hat den breitesten Lenker in der Hand und unter sich die schmalste Kurbelwelle im Feld, die zudem noch tendenziell am wenigsten dreht und somit auch nur geringe Massenträgheitsmomente aufbaut.
Zudem scheint diese Test-Monster bei der Wahl ihrer Fertigungstoleranzen ein glückliches Händchen gehabt zu haben. Selten ist der Redaktion ein derartig geschmeidig laufender L-Twin untergekommen. Zudem übertrifft er seine Werksangabe von 138 PS auf der Rolle um fünf Pferdchen, auch beim Drehmoment ist der V2 ein Quell der Freude und ein Garant für hochgezogene Mundwinkel. Was zum Teil auch an dem kräftigen Geboller liegt, das den beiden fetten Auspuff-Stumpen entweicht. Leider bauen sie so breit, dass bei sportlicher Fußhaltung stets die rechte Ferse dagegen stößt.
Die drei Vierzylinder gerieren sich akustisch deutlich zurückhaltender, was bei sensibler Nachbarschaft nicht unbedingt ein Fehler ist. Dass bei der Duc dennoch nicht alles Gold ist, zeigt das Getriebe, welches sich vergleichsweise harzig schalten lässt. Zudem benötigt die Kupplung, die als einzige hydraulisch bedient wird, die höchste Handkraft.
Eitel Sonnenschein herrscht wieder bei den Federelementen. Auch hier kommt feine Ware von Öhlins zum Einsatz, und bis auf eine leichte Tendenz zum Stuckern der Gabel gibt es kaum Grund zum Klagen. Die Balance zwischen Front und Heck ist die mit Abstand beste im Feld, und so kommt es, dass man mit dieser Monster noch völlig unbekümmert über Straßen der vorletzten Ordnung bügelt, während man sich auf der Suzuki schon beim Rodeo wähnt. Soweit zur Hardware.
Software-technisch bietet die Monster so ziemlich alles, was heute möglich ist. ABS ist ohnehin gesetzt, dito die Traktionskontrolle. Beides ist zusätzlich noch individuell einstellbar. Hinzu kommen neben dreierlei Designs des farbigen TFT-Cockpits noch mehrere Mappings, wobei die Einstellung "Sport" den 1200-Kubik-Bigbore-Twin doch arg ruppig ansprechen lässt. Im "Touring"-Modus geht das herrlich weich, sodass in der Praxis zumeist dieser aktiv ist. Im Übrigen lassen sich die Cockpit-Designs und die Einstellungen der Fahrhilfen quasi frei konfigurieren.
Die gefahrene Version Stripe verdankt ihren Namen einem längs übers Fahrzeug gehenden „Rallyestreifen“ und kostet einen Tausender mehr als die unbestreifte Schwester S. Neben besagter Zierde gehören auch diverse Karbon-Applikationen wie das Nichts von vorderer Radabdeckung sowie eine äußerst knapp geschnittene Lampenmaske zu Ducatis Stripe-Paket. Dass es dennoch mau aussieht beim Windschutz, liegt nun mal in der Natur der Sache eines Naked Bikes. Ansonsten sind die beiden S-Monster identisch. Und so ist es keineswegs paradox, dass die Ducati am Ende des Tages die meisten Punkte in diesem Vergleichstest einheimst. Und dabei sind die allen italienischen Motorrädern innewohnenden Faktoren emozione und passione noch gar nicht berücksichtigt.
Einen noch zum Schluss: Paradox ist, wenn ein Veganer Schmetterlinge im Bauch hat. Gut möglich, dass er kurz davor Monster gefahren ist.
Details zur Ducati Monster 1200 S Stripe


Schön ist anders: Die linke Motorseite versteckt sich hinter einem Gewirr von Schläuchen.

Das TFT-Display bringt nicht nur Farbe ins Cockpit, sondern informiert umfassend und in mehreren Designs. Hier im Touring Mode.

Feine Öhlins-Ware führt das Vorderrad. Das knappe Leibchen schmückt mehr als es schützt.
Technische Daten und Messwerte

Leistungsdiagramm

Beim Blick auf die Leistungskurven wird klar, dass die Suzuki auf einem ehemaligen Sportmotor beruht, denn trotz geringerem Hubraum als die Kawasaki entwickelt sie deutlich mehr Leistung als diese. Zudem gibt sich der blaue Vierer sehr drehfreudig, sodass der Drehmomenthänger weniger ins Gewicht fällt, als das Diagramm befürchten lassen könnte.
Wie es auch gehen kann, zeigt die sehr hoch drehende Honda, und obwohl sie bei den Supersportlern leistungsmäßig nicht mehr ganz vorne mit dabei ist, reicht das Gebotene für die Landstraße mehr als aus. Viel mehr.
Eine ganz eigene Sprache spricht die Ducati. Zugegebenermaßen profitiert sie von ihrem Hubraumvorteil, aber Fakt ist: In dem in der Praxis realistischerweise nutzbaren Drehzahlbereich von 3000 bis zirka 7000 Umdrehungen hat sie die Nase ganz weit vorn.
Fazit

Testergebnis

1. Ducati Monster 1200 S Stripe
Der Sieg fällt knapp aus, aber gewonnen ist gewonnen. Besonders der beim Testbike extrem geschmeidige Antrieb holt massig Punkte. Auch in Sachen Handling macht dieser Monster keiner etwas vor. Aber man muss sie sich nicht nur leisten wollen, sondern auch können.

2. Honda Fireblade SP
Wie jetzt, der Supersportler bügelt nicht das Feld? Im Prinzip schon, denn Fahrwerk und Antrieb spielen auf einem anderen Level. Die Sitzposition mag man, oder man mag sie eben nicht, aber die Absenz einer Traktionskontrolle kostet letztlich die Punkte zum Sieg.

3. Suzuki GSX-S 1000 F
Ein Durchmarsch sieht anders aus, aber man muss auch die Preisdifferenz von weit über 4000 Euro im Auge behalten. Mit besser ansprechenden Federelementen und einer aktiveren Sitzposition wäre deutlich mehr drin. Wirkt im Testfeld trotz ihres Hammer-Motors etwas bieder.

4. Kawasaki Z 1000 SX
In diesem Feld das mit Abstand touristischste Bike. Das passt zwar prima zur Landstraße, aber das arg träge Handling samt hohem Aufstellmoment beim Bremsen und der zwischen 7000 und 9000 Touren derb vibrierende Motor vermasseln ihr ein besseres Ergebnis.