Bei den Engländern tropft das Öl, Italiener sind zickige Diven, deutsche Bikes wenig aufregend. Klischees beflecken den Ruf einer Motorrad-Nation – oder rücken sie ihn ins rechte Licht? MOTORRAD fragte nach.
Bei den Engländern tropft das Öl, Italiener sind zickige Diven, deutsche Bikes wenig aufregend. Klischees beflecken den Ruf einer Motorrad-Nation – oder rücken sie ihn ins rechte Licht? MOTORRAD fragte nach.
Mit einem japanischen Motorrad fährt man problemlos um die Welt. Fahrer einer italienischen Maschine sollten die Mobilitätsgarantie immer dabeihaben. Arrogante BMW-Verkäufer stellen gepfefferte Rechnungen aus. Im Harley-Store treffen sich mehr Ärzte als Biker. Und bei einem britischen Bike sollte man über den ein oder anderen Öltropfen unterm Motor hinwegsehen. Übertreibungen? Gewiss. Vorurteile? Möglicherweise. Oder doch auch zumindest im Ansatz Realität? Egal: Hand aufs Herz, man nickt im Geiste doch genüsslich, wenn sich der Stammtisch der Klischee-Kiste bedient.
Aber Klischees und Vorurteile müssen nicht zwangsläufig negativ behaftet sein, schließlich greifen die Vereinfachungen auch in positiver Hinsicht. Made in Germany, Passione italiana oder American Way of Life – die Hersteller bedienen sich bewusst der Sonnenseite der Pauschalierungen. Oder anders ausgedrückt: Die nationale Identität wird als Instrument zur Imagebildung gezielt genutzt: amerikanische Freiheit, deutsche Gründlichkeit, italienische Begeisterungsfähigkeit, britische Eigenständigkeit oder japanische Perfektion.
Allerdings: Die Welt ist kleiner geworden, nationale Grenzen verwischen zunehmend. Nicht nur Zulieferteile werden längst weltweit zugekauft, selbst ganze Modellpaletten entstehen mittlerweile außerhalb der Stammwerke. BMW produziert die jüngst vorgestellte G 310 R in Indien, Triumph baut die Modern Classic-Reihe in Thailand, die japanischen Hersteller produzieren ohnehin längst an über die ganze Welt verteilten Standorten. Und selbst Harley fertigt beispielsweise die Street 750 in Indien. Kommuniziert wird das nur verhalten. Weshalb, zeigt das Beispiel China. Ohne gewachsene Firmenhistorie und mit zweifelhaftem Ruf in Sachen Produktqualität tun sich selbst Branchenriesen wie Zongshen oder Shineray schwer. Unter eigenem Namen bekommen die Chinesen keinen Fuß in den internationalen Markt, bedienen sich daher europäischer Kooperationspartner mit einschlägiger Historie wie Benelli oder SWM. Der Erfolg hält sich trotzdem in Grenzen.
Was zu der Frage führt: Wie viel nationale Identität steckt eigentlich noch in den Bikes der wichtigsten Herstellerländer? MOTORRAD hat die gängigen Stereotypen über länderspezifische Eigenheiten auf motorradonline.de zur Wahl gestellt. Knapp 2.000 User stimmten ab, die Ergebnisse sehen Sie in diesem Artikel. Ist eine Harley also amerikanischer als eine BMW deutsch? Kann ein Guzzi-Käufer auch ohne den ADAC leben? Kennt der Suzuki-Pilot seine Werkstatt nur vom Hörensagen? Und was legt der Triumph-Besitzer beim Parken unters Motorrad?
Amerika ist Harley-Davidson. Punkt. Kein anderer Hersteller knüpft sein Image so eng an seine nationalen Wurzeln wie Harley. Das brillante Marketing zwingt sogar die Konkurrenz, sich dem Diktat des Platzhirsches aus Milwaukee zu unterwerfen. Auch Indian und Victory geben sich patriotisch.
Die Belegschaft von Harley-Davidson kann Peter Fonda und Dennis Hopper noch heute auf Knien danken. Deren Film „Easy Rider“, in dem sich das Duo auf langgabeligen Harleys mit dem muffigen Amerika anlegt und beide letztlich den Märtyrertod im Motorradsattel sterben, erschuf die bis heute gültigen Zutaten für das Markenimage von Harley: Rebellion, der Traum von Freiheit und trotz allen Spießertums das Loblied auf das eigene Land. God bless America – und die „Captain America“. Knapp 50 Jahre nach dem Erscheinen des Kult-Streifens pflegen die Marketing-Strategen aus Milwaukee noch immer dieses Image. Doch der Nimbus allein würde den Erfolg der Marke – Harley verkauft heute jährlich 250.000 Maschinen – sicher nicht erklären. Harley bleibt sich selbst unverrückbar treu. Kein anderer Hersteller wagt es, sein Selbstverständnis mit einer einzigen Motorkonfiguration, dem 45-Grad-V2, auszudrücken. Das Markenzeichen kultivieren die US-Konstrukteure unablässig. Kein Antrieb schafft es, den Spagat zwischen den samtig massierenden Good Vibrations bei Standgas und ordentlicher Laufkultur in Fahrt so zu kombinieren wie die amerikanischen Big Twins. Amerika ist Harley – und Harley ohne Amerika nicht vorstellbar.
Diese prägende Dominanz des Platzhirschs müssen sogar die einheimischen Konkurrenten anerkennen. Sowohl Indian als auch Victory laufen modellpolitisch im Windschatten von Harley-Davidson. Bei beiden Herstellern pochen großvolumige V2-Motoren in massigen Fahrwerken. Zielpublikum und Image der Marke decken sich eins zu eins mit Harley. Der Mythos der Route 66, Freiheitsliebe und die Überzeugung, dass bigger auch better ist, schwingen omnipräsent mit. Deshalb könnte die Konkurrenz sogar den geflügelten Spruch der Harley-Marketing-Strategen übernehmen: Sie kaufen ein Lebensgefühl, das Motorrad gibt es gratis dazu. Insofern: Bei keinem anderen Produzenten spiegelt sich der Geist einer Nation klarer wider als bei den US-Herstellern.
… sind technisch rückständig
Ja | Nein |
71% | 29% |
Traktionskontrolle oder Schräglagensensorik vermisst man an den US-Straßengleitern kaum, daher besitzen sie das auch nicht. Immerhin hat die simple, veraltete Technik auch ihr Gutes: In der Hitliste der MOTORRAD-Dauertests liegt die Harley-Davidson Road King auf dem beeindruckenden zweiten Rang, eine Victory Hammer S immerhin im Mittelfeld. Doch innovativ wirkt der V2-Einheitsbrei der US-Bikes sicher nicht.
… sind nur für die Show
Ja | Nein |
61% | 39% |
Und noch einen auf die Zwölf: Deutlich mehr als die Hälfte der User glauben, US-Biker machen einen auf dicke Hose. Schließlich zeigt der extrovertierte Harley-Besitzer gern auf Treffen, Ausstellungen und Paraden, was er hat. Und was er investiert hat, nämlich viel Geld in chromblitzende Extras und möglichst spektakuläre Umbauten. Trotzdem denken knapp 40 Prozent darüber anders. Ob das alles Harley-Fahrer sind?
… besitzen einen hohen Wiederverkaufswert
Ja | Nein |
87% | 13% |
Rückständige Technik (siehe oben) kann auch ihr Gutes haben. Denn bei Gebrauchtkäufern stehen die archaischen V2-Boliden hoch im Kurs. Faustregel: je größer der Hubraum, desto geringer der Wertverlust. Mit dem Reiz des Besonderen reüssiert auf dem Gebrauchtmarkt allerdings nur Harley-Davidson. Eine gebrauchte Indian und Victory müssen mit deutlich größeren Abschlägen an den Mann gebracht werden.
… fahren besser, als viele denken
Ja | Nein |
39% | 61% |
Die Zeiten, in denen Harleys nur unzureichend bremsten und federten, sind allmählich passé. Dennoch: Mit sperriger Fahrwerksgeometrie und holzigen Reifen verweigern sich Cruiser und Chopper höheren Ansprüchen. Nicht alle sehen das so. Wohl genau diejenigen, die die US-Dickschiffe auch nicht für Show-Bikes halten. Schwacher Trost: Viele nicht amerikanische Chopper fahren auch nicht besser.
Quadratisch, praktisch, gut – mit diesem Slogan könnte statt Schokoladen-Hersteller Ritter Sport auch BMW werben. Die bayerische Marke steht für vernunftorientierte und pragmatische Motorräder. Also typisch deutsch – meint man zumindest im Ausland. Und findet die Teutonen-Bikes mittlerweile auch dort gut, hierzulande ohnehin schon lange.
BMW Motorrad – der Name signalisiert Selbstbewusstsein. Denn seit geraumer Zeit verwenden die Bayern den Zusatz Motorrad auch in allen internationalen Märkten. Die Anregung für das Ignorieren der Sprachbarriere haben sich die Münchner dabei wohl in der nächsten Nachbarschaft geholt. Mit dem auch im Ausland nicht übersetzten Slogan „Vorsprung durch Technik“ positioniert sich Audi seit den 70er-Jahren weltweit als innovativer Hersteller. Die offensichtlich Erfolg versprechende kühle und technokratische schwarz-rot-goldene Attitüde spiegelt sich auch in den Modellbezeichnungen der bayerischen Motorradbauer wider. Statt auf Panigale, Bonneville, Stelvio oder Electra Glide hört die BMW-Modellpalette auf die Kürzel GS, XR oder RT.
Kardanantrieb, die Rolle des Pioniers bei ABS und ESA oder die Idee, Heizgriffe für ein Superbike anzubieten, damit untermauern die Münchner ihre Rolle als vernunftorientierter und damit wohl typisch deutscher Hersteller. Das war früher wenig sexy, heute hingegen schon. Außer in Deutschland führt BMW mittlerweile die Zulassungsstatistiken im Segment über 500 cm³ in 24 weiteren Nationen an. Selbst bei den ersten emotionsdominierten Modellen, dem Superbike S 1000 RR und dem Retro-Boxer R nineT, bewiesen die Münchner deutsche Akribie. Beide Modelle trafen den Geist und die Bedürfnisse der jeweiligen Zielgruppe und dominieren ihr Segment unangefochten.
Wie wertvoll ein geschichtsträchtiger Markenname und eine klare technische Ausrichtung der Produkte sind, hat auch der zweite deutsche Hersteller erkannt. Mit der VR6 schlüpft auch Horex in die Rolle des technikverliebten, typisch teutonischen Produzenten. Grundsätzlich ist das keine schlechte Idee. Dennoch fehlte den Augsburgern die stilistische, konzeptionelle oder ideelle Anbindung an den 1956 verblichenen hessischen Hersteller. Neben technischen Kinderkrankheiten ist das vielleicht auch ein Grund, weshalb das deutsche Start-up auch in neuen Händen derzeit noch mit Anlaufschwierigkeiten kämpft.
… sind zuverlässig
Ja | Nein |
66% | 34% |
In dieser Beziehung hallt wohl manch unerfreulich verlaufener BMW-Dauertest von MOTORRAD nach, vielleicht spiegeln sich darin jedoch auch Erfahrungen von BMW-Fahrern wider. Immerhin ein Drittel der User ist vom Label „Made in Germany“ nicht überzeugt. Ein krasser Gegensatz zu dem Urvertrauen, das in dieser Hinsicht japanischen Motorrädern (siehe unten) entgegengebracht wird.
… sind teuer
Ja | Nein |
92% | 8% |
In Sachen Preispolitik bekommen die Deutschen in der Online-Umfrage eine Klatsche. Deutsche Motorräder – und da denken wohl alle an BMW – gelten als teuer. Allerdings: Wer genau hinschaut, erkennt: Die Grundpreise der BMW-Bikes liegen in der Regel kaum über Marktniveau. Teuer wird’s erst durch – bei der Konkurrenz oft nicht erhältliches – Zubehör. Und das wird bei Neukäufen kräftig mitbestellt.
… sind eher was für ältere Fahrer
Ja | Nein |
42% | 58% |
Opa fährt BMW. Das war vielleicht einmal so, aber diesen Ruf haben die Bayern abgelegt. Selbst im traditionellen Kernsegment wie den Reiseenduros entstaubte BMW die Modelle mit innovativer Technik, emotionalem Design und begeisternder Dynamik. Kein anderer Hersteller hat den Image-Transfer erfolgreicher bewältigt. Dazu passend: Im Sog der Retrowelle begeistern sich selbst Youngster für alte Zweiventil-Boxer.
… sind technisch innovativ
Ja | Nein |
85% | 15% |
Ehre, wem Ehre gebührt. Nicht nur mit jeder Menge elektronischer Assistenzsysteme zeigen die Bayern Innovationsfreude. Auch der Sechszylinder-Motor der K 1600-Baureihe oder jüngst der umgedrehte Zylinderkopf der G 310 R sorgen für frischen Wind in der Technik. Selbst Flops wie die Sportenduro G 450 X scheiterten durch technischen Overkill in Ehren. Und Horex? Neues Projekt, neuer Motor – Innovation pur.
Italien – nichts ist in diesem Land so sicher wie die Veränderung. GP-Siege und wirtschaftliche Schwierigkeiten wechseln sich in stetem Rhythmus ab. Doch eine Konstante bleibt: die Leidenschaft, mit der in dieser Nation Motorräder entstehen.
Hier hat der Volksmund recht. Über Geschmack lässt sich nicht streiten. Denn zum Thema italienisches Design herrscht einmütiger Konsens: Jeder Strich sitzt. Nicht von ungefähr stammen Meilensteine der Motorrad-Gestaltung nahezu ausnahmslos aus Italien. Aprilia RSV4, Ducati 916 oder MV Agusta Brutale bilden nur die Spitze eines Eisbergs der Eleganz – der die italienische Motorradindustrie wie eine Arche Noah einst vor der Angriffswelle der japanischen Hersteller rettete. Denn auf der Apenninen-Halbinsel produzieren bis heute mit Aprilia, Ducati, Moto Guzzi und MV Agusta vier Motorrad-Werke neben kleineren Initiativen wie Benelli, Bimota, Moto Morini, SWM und dem Offroad-Spezialisten Beta. Südlich der Alpen besitzt man Begeisterung, Mut – und Visionäre. Männer wie Claudio Castiglioni, der im Jahr 1997 mit der F4 das Edel-Label MV Agusta wieder zum Leben erweckte. Oder Massimo Tamburini, der Design-Ikonen wie jene Ducati 916 zeichnete.
Doch man besitzt in diesem Land auch den Mut zur Lücke, zur Finanzierungslücke. Pekuniäre Schlingerkurse gehören genauso zu Italiens Motorrad-Kultur wie die perfekte Linie im Designstudio. Weil allzu häufig Rennsport vor Kundenbetreuung oder spektakuläre Technik vor Wartungsfreundlichkeit geht, gerät das auf Herzblut schwimmende Fundament italienischer Motorradproduktion immer wieder ins Wanken. Insofern kann die Befestigung durch externe Stützen durchaus hilfreich sein. Auch wenn das nicht immer funktioniert. Während Aprilia und Guzzi das Netz des finanzstarken Piaggio-Konzerns unter sich gespannt sehen, versickerten bei MV Agusta die injizierten Finanzspritzen von Proton, Harley und wohl auch AMG-Mercedes im Sand. Das mag in der Vergangenheit für die italienische Motorradindustrie nicht ganz untypisch gewesen sein, zukunftsfähig ist es eher nicht. Insofern wird Ducati – seit dem Jahr 2012 vom Mutterkonzern Audi mit viel Fingerspitzengefühl gelenkt – nicht nur erfolgreichster italienischer Hersteller bleiben, sondern auf Sicht wohl auch der typischste.
… haben ein tolles Design
Ja | Nein |
87% | 13% |
Hier stellt sich nur eine Frage: Wer sind die 13 Prozent? BMW-Fans? Sei’s drum. Mit 87 Prozent Zustimmung erzielt die Beurteilung der Optik von Italo-Bikes den Rekordwert. Zu Recht. Zumal die italienischen Designer die Welt der Schönen nicht alleine erobern müssen. Auch die Controller gestatten herrliche, aber auch teure Detaillösungen (polierte Rahmen bei Aprilia, Desmo-Ventilbetätigung bei Ducati). Viva Italia.
… sind unzuverlässig
Ja | Nein |
51% | 49% |
Ist das Glas halb voll oder halb leer? Beim Thema Zuverlässigkeit italienischer Technik zuckt die Hälfte der User zusammen. Nicht zu Unrecht. In der Rangliste aller Dauertest-Maschinen von MOTORRAD taucht die beste Italienerin (Ducati Multistrada 1200 S) auf Platz 18, die zweitbeste (Aprilia RSV4) auf Platz 33 auf. Insofern: Die Qualitätskontrolle ist südlich der Alpen noch ausbaufähig. Ein typisches Problem.
… sind eher was für jüngere Fahrer
Ja | Nein |
33% | 67% |
Das lesen die Modellplaner gern. Zwei Drittel der Leser fühlen sich jung genug für ein italienisches Motorrad. Der Grund dafür dürfte vor allem in der Modellpolitik liegen. Die meistverkauften italienischen Maschinen des Jahres 2016 (Stand September) sind nämlich keine Supersportler, sondern alltagstaugliche Konzepte. Bei Aprilia: Tuono V4 1100 RR; bei Ducati: Scrambler; bei Moto Guzzi: V7; bei MV Agusta: Brutale 800.
… sind problematisch bei Garantie und Service
Ja | Nein |
59% | 41% |
Und wieder tut’s weh. Mehr als die Hälfte meint, dass es bei der Nachsorge italienischer Maschinen nicht gut aussieht. Erfahrungswerte oder Klischee – wer weiß? Doch schon der Blick auf die Dauertest-Resultate von MOTORRAD (Frage oben) lässt vermuten, dass der Kontakt zwischen Händler und Kunde ein intensiver ist. Enger jedenfalls als bei den Pendants der japanischen Hersteller (siehe unten).
Auch wenn der Stern der japanischen Hersteller in den vergangenen Jahren nicht ganz so hell leuchtete – die großen Vier punkten nach wie vor mit ihren typischen Stärken, mit brillanter Produktqualität und hohem Entwicklungsgrad. Nur eines beherrschen sie weniger: die große Show. Auch wieder typisch asiatisch.
Was ist das Typische an japanischen Motorrädern? Dass sich die japanischen Hersteller niemals der Herkunft ihrer Produkte rühmen würden. Das Ego zurücknehmen, der Aufgabe verpflichtet sein – das ist die Philosophie, mit der sie den Weltmarkt eroberten.
Damit sind sie groß geworden, haben den Weltmarkt dominiert. Mittlerweile tun sich die Asiaten hierzulande jedoch schwer. Honda und Yamaha kämpfen nach Marktführer BMW Kopf an Kopf um Platz zwei der Verkaufshitliste. Kawasaki rangiert hinter KTM und Harley-Davidson nur auf Position sechs, Suzuki auf Rang sieben (Stand September 2016). Was ist geschehen? Die europäischen Hersteller verbreitern ihre Modellpaletten, bauen Supersportler, Nakeds und Reiseenduros. Sie drehen an der Leistungsschraube und rüsten elektronisch hoch. Und Japan? Schaut zu, wägt ab. Fragt sich: Muss das alles sein? Was bringt’s? Und findet oft lange keine Antwort. Weil alles diskutiert, zigfach erprobt und mit großen Reserven konstruiert werden muss. Beispiel Honda Africa Twin. Ride-by-Wire? Zu empfindlich im Dreck. Alu-Rahmen? Schwer zu schweißen irgendwo im Nirgendwo. Semiaktives Fahrwerk? Eine gut abgestimmte Federung funktioniert genauso gut. Das Ergebnis: eine famose Reiseenduro mit außergewöhnlichen Offroad-Qualitäten. Vielleicht etwas spät, aber bestimmt nicht zu spät. Oder Yamahas MT-Reihe – Masters of Torque. Reihenmotoren mit unregelmäßiger Zündfolge. Bewährte Technik, neu verpackt. Modellpolitik der kleinen Schritte. Technisch eher Evolution statt Revolution. In emotionaler Hinsicht aber dennoch eine andere Welt.
Am anderen Ende der Fahnenstange Kawasaki ER-6 – ein vollwertiges Motorrad für nicht einmal 6500 Euro. Seit Jahren Bestseller der Marke. Kleine Ursachen, große Wirkung. Viel Engagement, wenig Aufhebens. Immer der Aufgabe verpflichtet sein. Typisch japanisch. Nebenbei bemerkt: Unter den ersten zehn der Dauertest-Bestenliste von MOTORRAD befinden sich acht japanische Motorräder. Das ist Japan.
… sind zuverlässig
Ja | Nein |
94% | 6% |
Rekord! Kein anderes Kriterium konnte eine derart hohe Zustimmungsrate erreichen. Den Grund, weshalb die Asiaten nicht jedem technischen Trend hinterherlaufen, versteht man vor dem Hintergrund dieses Ergebnisses. Zumal der User-Einschätzung auch Fakten zugrunde liegen. Von den besten zehn Maschinen der Dauertest-Rangliste von MOTORRAD stammen acht aus Japan.
… sind langweilig
Ja | Nein |
34% | 66% |
Wer japanische Bikes bislang für langweilig hielt, stellt fest: Er befindet sich in der Minderheit. Zudem ist ein farbloser Modellcharakter Definitionssache. Seidenweich schnurrende Vierzylinder, das traditionelle Markenzeichen japanischer Produzenten, kann man einschläfernd nennen, aber auch hoch entwickelte Laufkultur. Unbestritten ist: Neue Trends greifen die Japaner erst nach reiflicher Überlegungszeit auf.
… sind günstig
Ja | Nein |
73% | 27% |
Dreiviertelmehrheit: Japaner sind günstig. Die Rolle der Meinungsbildner dürften in dieser Hinsicht sicher die Einsteiger-Modelle übernommen haben. Mit der Honda CB 650 F, der Kawasaki ER-6, der Suzuki GSX 650 F oder den Yamaha MT-07 und MT-09 bieten die Japaner solide Technik zu Neupreisen bis hinunter zu etwa 6500 Euro an. Die exzellente Haltbarkeit relativiert die moderaten Preise umso mehr.
… besitzen innovative Technik
Ja | Nein |
76% | 24% |
Das Ergebnis erstaunt. Denn in der jüngeren Vergangenheit waren es die Europäer, die technische Trends (Schräglagen-ABS, Ride-by-Wire, semiaktive Federung) initiiert haben. Doch vielleicht bei den Japanern der hohe Entwicklungsgrad aller Neuerungen honoriert, zudem wohl auch weniger spektakuläre Aspekte wie moderater Spritverbrauch oder Wartungsfreundlichkeit.
Von der einst dominierenden Motorradindustrie Großbritanniens ist wenig geblieben. Doch dank Triumph flattert der Union Jack wieder kräftig im Wind. Mit dem ursprünglichen Hersteller hat die Initiative des Unternehmers John Bloor allerdings nur den Namen gemeinsam.
Kann man sich eine BMW S 1000 Nürburgring vorstellen? Oder eine R 1200 Hockenheim? Schwerlich. Bei Triumph gehören die Namen von Rennstrecken traditionell zu den Modellbezeichnungen. Mit Bonneville, Thruxton oder Daytona – damit bekennt sich der britische Hersteller einerseits zu seiner nationalen Identität, den eigenen Rekordversuchen, ganz sicher auch zu England, dem Mutterland des Motorsports. Andererseits auch zu den eigenen Ursprüngen. Den Modellen, welche das Mutterhaus prägten – auch wenn das 1983 in Konkurs geratene Triumph-Werk mit dem heutigen Unternehmen nur den Namen gemeinsam hat.
Denn Bauunternehmer John Bloor, der 1990 unter dem Triumph-Label den Neustart initiierte, wusste, wie wertvoll eine Heritage, eine Firmengeschichte, für die Identifikation mit einer Marke ist. Triumph stand seit der in den frühen 70ern aufgelegten Trident für Dreizylindermotoren, Twins galten als Überbleibsel britischer Technik. Bis heute bespielen die Modellplaner geschickt beide Felder. Vom ersten Triumph-Modell nach der Wiedergeburt, der Trident 900, über die legendäre Speed Triple bis zur 1200er Tiger Explorer zieht sich der hochtonig pfeifende Drilling wie ein roter Faden durch die neue Firmengeschichte.
Den traditionellen Maschinenbau nehmen die „modernen Klassiker“ auf. Ob der in Pre-Unit-Design gehaltene Motor, welche die in England früher übliche Bauart mit getrenntem Motoren- und Getriebegehäuse imitiert, die in Vergaser-Hüllen gesteckte Einspritzanlage – die neue Technik in historischer Hülle wirkt authentisch und kommt an. Die Bonneville avancierte hierzulande zur bestverkauften Triumph. Dass gerade diese so urbritische Modellreihe in Thailand produziert wird, stört offensichtlich nicht, ist vielleicht sogar ein Zeichen der Zeit. Es kommt drauf an, was draufsteht und was drinsteckt, aber weniger, wo’s zusammengesteckt wird. Zur perfekten Illusion fehlt eigentlich nur noch eines: der Ölfleck unterm Motor.
… besitzen moderne Technik
Ja | Nein |
60% | 40% |
Mehr als 60 Prozent Zustimmung waren nicht zu erwarten. Denn speziell mit der Klassik-Linie negieren die Briten – äußerst gekonnt – jede Anmutung moderner Technik. Vergessen wird dabei offensichtlich die Dreizylinder-Modellpalette. Mit Ride-by-Wire, semiaktivem Fahrwerk und jeder Menge elektronischen Helfern zeigen sich vor allem die Tiger-Reiseenduros in Sachen Ausstattung und Technik auf der Höhe der Zeit.
… gehen technisch und optisch einen eigenen Weg
Ja | Nein |
84% | 16% |
Triumph hat zuletzt vieles richtig gemacht. Maßgeblich für die große Zustimmung dürfte die Baureihe der modernen Klassiker sein. Der eigenständige und stilsichere Auftritt von Bonneville und Co. imponiert. Auch die Speed Triple zeugt als im Lauf der Jahre selbst zum Klassiker gewordenes Konzept von der eigenen Identität der Marke. Lediglich die Reiseenduros lehnen sich zu stark an die Vorbilder von BMW an.
… halten zu sehr an der Vergangenheit fest
Ja | Nein |
31% | 69% |
Und wieder hat die Szene Respekt. Das Bekenntnis zum Retro Bike-Segment wird den Briten nicht als Entwicklungsschwäche oder Ablehnung moderner Technik ausgelegt. Wahrscheinlich trifft sogar das Gegenteil zu. Die Modellplaner meistern die Kombination von aktueller Technik mit einer klassischen Hülle hervorragend, schaffen dadurch die Akzeptanz und letztlich den Markterfolg dieser Baureihe.
… müssen zwei oder drei Zylinder haben
Ja | Nein |
64% | 36% |
Ist das nun ein Auftrag oder Freibrief? Denn so groß fiel die Zustimmung für die Fokussierung der Marke gar nicht aus. Immerhin ein Drittel der User würde den Briten einen Ein- oder Vierzylindermotor zugestehen. Den Vierling hat Triumph schon lange hinter sich. Und ein Single? Wäre irgendwie typisch britisch. Aber Einzylinder haben es derzeit schwer –, zumindest wenn sie nicht aus Österreich stammen.
Soll man es die Gnade der späten Geburt nennen? Oder hat es geholfen, in einem Land ohne nennenswerte Historie im Motorradbau angesiedelt zu sein? KTM hat es geschafft, sich ein Markenimage aufzubauen, das auf ganz anderen Pfeilern als nationaler Identität basiert.
Warum wurde Österreich nicht in der MOTORRAD-Umfrage berücksichtigt? Gegenfrage: Welche typischen Attribute würde man österreichischen Motorradbauern denn zuordnen? Bereits der Plural wäre nicht korrekt. Denn mit Puch verschwand in den 70ern der neben KTM einzige nennenswerte Motorrad-Hersteller der Alpenrepublik. Insofern: nationale Identität? Fehlanzeige. Und was tut KTM? Legt sich ein eigenes, globales Image zu: Abenteuerland. Nationalfarbe Orange. Das Grundgesetz: Ready to Race, radikales Design, gewagte Modellentscheidungen, Mut zur Nische und Courage für Neues.
Die Österreicher gehen ihren eigenen Weg. Schaffen den Aufstieg mit von der Konkurrenz stiefmütterlich behandelten Offroad-Maschinen. Lancieren dicke, sportliche Singles, als kein anderer Hersteller mehr etwas auf die Zukunft der Einzylinder gibt. Sie formen aus der Asche des unglücklichen Superbike-Projekts RC8 die Reiseenduro 1190 Adventure und die spritzige Super Duke. Und sie holen den indischen Konzern Bajaj ins Boot, produzieren dort die 125 und 390 Duke.
Dass die Youngster-Flitzer in Fernost hergestellt werden, braucht KTM nicht einmal zu verheimlichen. Die junge Kundschaft wird’s eh nur schulterzuckend zur Kenntnis nehmen. Allerdings: Markentreue bleibt auf der orangefarbenen Partymeile auf der Strecke. Wenn modellpolitisch oder qualitativ etwas aus dem Ruder läuft (Beispiel: Hochgeschwindigkeitspendeln der 1190 Adventure), entern die Fans ein anderes Partyboot.
Möglicherweise griff KTM-Chef Pierer deshalb zu Beginn des Jahres 2013 zu, als BMW seinen Offroad-Versuchsballon Husqvarna loswerden wollte. Seitdem wird keine Gelegenheit ausgelassen, der jungen Konzerntochter die 113-jährige Motorrad-Heritage des ehemals schwedischen Herstellers zu implantieren. Gewissermaßen nach dem Motto: besser eine gekaufte Historie als gar keine.
Die Welt wächst zusammen, nationale Identitäten verschwimmen. Klischees werden aufgeweicht: Eine BMW ist plötzlich höchst emotional, eine Ducati multifunktional. Dennoch oder gerade deshalb schärfen die Hersteller ihre Konturen, schlagen bewusst den Bogen zu nationaler Herkunft und Markentradition.