Alles dreht sich um das Rad

Räder Alles dreht sich um das Rad

Auch wenn die Erfindung des Rads schon etwas zurück liegt, wird an der genialen Idee auch heute noch getüftelt und geforscht. Leichter und stabiler soll es werden. MOTORRAD zeigt die Entwicklung und Grundfunktion des Räderwerkes.

Achse, Speichen, Felge – fertig ist die wohl revolutionärste Entdeckung der Menschheit. Die kreisrunde Idee sorgt nicht nur beim Motorrad für federleichte Fortbewegung, sondern überträgt auch eine ganze Menge an Kräften und Momenten. Bremsen, Beschleunigen, Kurvenfahrten, stets ist das Rad enormen Kräften und Biegebelastungen ausgesetzt.
Genial und schön – das klassische DrahtspeichenradDamit beim flotten Ritt nichts bricht oder verbiegt, wurden die ursprünglichen Holzspeichen von Gottlieb Daimlers Reitwagen bereits beim ersten echten Motorrad von Hildebrand & Wolfmüller 1894 durch stabile, über Kreuz eingeflochtene Stahl-speichen ersetzt.
Über Kreuz deshalb, weil sich die Antriebs- und Bremskräfte mit radialen, also senkrecht zur Achse stehenden und auf Druck beanspruchten Speichen wie bei den hölzernen Wagenrädern nur schlecht übertragen ließen.
Bis Anfang der 70er-Jahre rollten so gut wie alle Motorräder auf den technisch wie optisch genialen Speichenrädern. Genial deshalb, weil die drei Bauteile Nabe, Speichen und Felge im Falle eine Beschädigung relativ einfach ersetzt werden konnten. Zudem garantiert das Speichenkorsett dem Felgenring gewisse Federeigenschaften, die speziell auf schlechten Straßen dem Fahrkomfort zuträglich waren. Mit ein Grund, warum in allen Motocross- und Enduro-Maschinen bis heute ausschließlich Drahtspeichenräder verbaut werden. Versuche mit Guss- und Verbundrädern in den 80er-Jahren wurden nach wenigen Offroad-Einsätzen ernüchtert abgeblasen.
Der Nachteil bei der industriellen Großserienfertigung war das relativ hohe Gewicht und das überwiegend nur in Hand-arbeit mögliche Einfädeln und Spannen der üblichen 36 oder 40 Speichen. Schließlich hing die Widerstandsfähigkeit und Dauerhaltbarkeit von der gleichmäßigen und korrekten Spannung der Speichen ab. Un-regelmäßig angezogen, übertrugen sich die Antriebs- und Bremskräfte lediglich auf die zu stark vorgespannten Speichen, die unter der hohen Zugbelastung letztlich brachen. Dann wird aus dem ursprünglich runden Rad eine taumelnde Scheibe, der sogenannte „Achter“.
Nur wenn sich die Belastung auf alle Speichen gleichmäßig verteilt, funktioniert diese Konstruktion mit einer hohen Zuverlässigkeit. Eine Sache, die früher eine ganze Reihe von Spezialbetrieben, die Radspan-nereien, erforderte. Schon allein das Einfädeln der Speichen nach einem bestimmten System war eine Sache für die Spezialisten. Zudem musste man unterscheiden zwischen Innen- und Außenspeichen und zwischen links und rechts. Auch die Anordnung, wie oft sich die Speichen kreuzen, war zu beachten. Speichenlänge, Kröpfung und Bohrungswinkel in der Felge, die sogenannte Bunsung, mussten perfekt aufeinander abgestimmt sein. Das große Geheimnis aber war die richtige Spannung der Speichen. Über die Schraubnippel mit der Felge verbunden, kann die Speichenspannung meist über den Klang synchronisiert werden. Ein kleiner Schlag mit dem Speichenschlüssel entlockt der Speiche einen mehr oder weniger hohen Ton, der bei allen Speichen gleich sein sollte. Diese handwerkliche Kunst wurde im Lauf der Jahre durch Messgeräte ersetzt, die die Durchbiegung der Speichen unter einer bestimmen Last bestimmen. Billiger, aber kaum besser – das VerbundradHonda preschte mit der CX 500 „Güllepumpe“ vor, die man auf sogenannte „Comstar-Räder“ stellte. Hier wurden die Nabe und die luftdichte, und damit für schlauchlose Rei-fen geeignete Alu-Felge mit Blechpress-Profilen verbunden. Unlösbar verschraubt und vernietet, kaum leichter und von einer eher billigen Optik geprägt, waren diese Verbundräder nur als eine Übergangslösung bis zur Ära der Gussräder geeignet. Zudem sorgten losgerüttelte, nicht reparable Nietverbin-dungen für Ärger bei der Honda-Kundschaft.
Das Verbund-Prinzip wurde noch mit einem Mix aus Magnesium-Speichen, verschraubt mit superleichten Kohlefaser-Fel-gen, im Rennsport eingesetzt, bevor die ers-ten kompletten Kohlefaser-Räder für Furore sorgten. Furore allerdings mehr im negativen Sinn. Ausgerechnet Honda-Werksfahrer Freddy Spencer brach bei Tests mit einer 500er-Rennmaschine das Hinterrad zusammen und sorgte für einen teuflischen Abflug des Mul-ti-Weltmeisters. Heute jedoch überstehen Kohlefaser-Bauteile auch brutalste Belastungen und dauerhaften Einsatz ohne Blessuren.Das Gussrad – vom Ochsen-karren-Design zur filigranen Dreispeichen-KonstruktionWas um alle Welt mussten sich die Kons-trukteure der ersten japanischen Guss-räder wohl gedacht haben? Wir erinnern uns mit Schaudern an die klobigen und bleischweren siebenspeichigen Yamaha-Gussräder der RD und XS-Baureihe, die den zierlichen Maschinen die formale Leicht-füßigkeit eines gehbehinderten Elefanten verpassten.
Der Grund für die übersoliden Kon-struktionen lag in der damals noch prob-lematischen Gusstechnik. Durch Luft-einschlüsse, sogenannte Gusslunker, geschwächtes Material machte die über-dimensionale Festigkeit notwenig, denn durchgehende Kontrollen mittels Ultraschall oder Röntgenstrahlen waren im Großserienbau nicht zu bezahlen.
Diese Kontrollen wären in den 70er-Jahren für die vielen kleinen Hersteller von Magnesium-Gussrädern angeraten ge-wesen. In vielen Hinterhof-Klitschen entstanden federleichte (spezifisches Gewicht Magnesium 1,8 zu 2,75 g/cm? von Aluminium), aber ebenso brüchige Räder für den Renneinsatz. KUMA (Helmut Kustermann) in Deutschland oder SMAC (Eric Offenstadt) aus Frankreich versorgten als Pioniere des Leichbaus die Rennszene mit ihren heiklen Produkten. Stürze und Unfälle durch zerborstene Räder waren damals an der Tagesordnung, auch weil die korrosionsempfindlichen Magne-siumlegierungen bei kleinsten Verletzungen der beschichteten Oberfläche als feines Granulat zerbröselten.
Im Großserienbau versuchte man derweilen Gewicht und Stabilität durch ein statisch durchdachtes Speichensystem unter einen Hut zu bringen. Mit Doppel-speichen, radial oder tangential angeordnet, geschwungen oder geradlinig, in Y-Form oder als Kreuz, wollte man den Rädern auch eine dynamische Form verleihen.
Der gewagte Schritt zum leichten Dreispeichenrad Mitte der 80er-Jahre zeichnete einen klaren Weg auf, der sich bis zum heu-tigen Tag bei einem Großteil der aktuellen Maschinen behauptet hat.
Der Trend allerdings geht wieder klar zum Mehrspeichenrad, das bei der Verwendung dünner Felgenbetten eine bessere Stabilität unter extremen Belastungen garantiert. Zudem bleibt wegen der dünn-wandige U-Profile bei den Speichen und großer, hohlgegossener Naben auch in Sachen Gewicht und rotierender Massen Spielraum nach unten.
Dennoch werden sich die Fortschritte diesbezüglich nicht mehr in den Bereichen abspielen, in denen man in den vergangenen 20 Jahren abgespeckt hat. Wog das 2.5x17-Zoll-Vorderrad einer Honda Hawk 650, Baujahr 1988, ohne Bremsscheiben und Reifen satte 5,1 Kilogramm, bringt es das dreispeichige 3.5x17-Zoll-Rad der Honda CBR 600 RR auf gerade mal 3,8 Kilogramm.
Nicht nur die Steifigkeit, auch die Bruchsicherheit und Zähigkeit moderner Alu-Gusslegierungen hat sich enorm verbessert, weshalb sich verformte Räder/Felgen in Grenzen richten lassen. Stabil, robust und superleicht – das Rad der ZukunftDas Gewicht im Allgemeinen und speziell das der rotierenden Massen steht im Blickpunkt der Konstrukteure. Leichte Räder haben den Vorteil, dass sie nicht nur das Gesamtgewicht senken, sondern auch die beim Beschleunigen entstehenden rotierenden Massenkräfte verringern. Das Rad muss quasi zweimal beschleunigt werden, was in jedem Fall die Fahrleistungen verschlechtert und den Verbrauch erhöht.
Zudem verbessern leichte Räder, die zu den ungefederten Fahrzeugmassen zählen, Federungskomfort, Ansprechverhalten und Handlichkeit der Maschine. Und so ist es nicht verwunderlich, dass das Rad zwar auch in Zukunft nicht neu erfunden, aber bis ins letzte Detail optimiert wird. Dazu gehören jetzt schon die im Gesenk geschmiedeten Magnesium-Räder. Auch neue leichte und robuste Werkstoffe könnten die Aluminium-Bauteile früher oder später ablösen.

Das Rad – Bewegung und Stillstand zu gleich

Das Rad, die einfachste Sache der Welt, dreht sich um die Achse – fertig. Aber wussten Sie auch, dass das Rad als optimales Transport-mittel ganz schön kompliziert sein kann? Denn nicht das Rad transportiert unser Motorrad, sondern die Achse. Das Rad hingegen dreht sich um das Zentrum, also genau diese Achse. Dabei entspricht die Umfangsgeschwindig-keit des Reifens (ohne Schlupf) exakt der Fahrgeschwindigkeit des Motorrads. In unserem Beispiel rollt die Maschine, und damit die Achse, mit konstant 100 km/h über den Asphalt. Misst man von einem Fixpunkt der Straßenoberfläche aus die Geschwindigkeit am Reifenaußendurchmesser, stellt sich heraus, dass sich die Relativgeschwindigkeit des Reifens am Aufstandspunkt auf null reduziert. Die Achse rollt sozusagen über den Reifen-aufstandspunkt hinweg.
Im Gegensatz dazu erreicht der Reifen genau über der Achse die doppelte Geschwindigkeit, also 200 km/h, weil sich die Fahrgeschwindigkeit von Achse/Fahrzeug und die Umfangs-geschwindigkeit des Reifens addieren (siehe Skizze unten). Sehr anschaulich wird dieser Vorgang beim Betrachten eines Kettenfahrzeuges. Dort steht das untere Kettentrumm der Antriebskette relativ zum Untergrund still, während die Achsen darüber hinweg rollen.
Ein definierter Reifenaufstandspunkt beschreibt während der Fahrt keinen Kreis, sondern eine bogenförmige Bewegung, die sich permanent wiederholt. Erst wenn sich ein gewisser Schlupf, also ein leichtes Durchdrehen des Reifens einstellt,
ist es mit dem Stillstand vorbei.

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