Keine Charakterfrage, sondern ums Niveau von Motorradfahrwerken geht es. Das sollte immer das ideale Verhältnis von Positiv- zu Negativfederweg ausweisen. Der neue Nivomat-Dämpfer von Wilbers regelt das automatisch.
Keine Charakterfrage, sondern ums Niveau von Motorradfahrwerken geht es. Das sollte immer das ideale Verhältnis von Positiv- zu Negativfederweg ausweisen. Der neue Nivomat-Dämpfer von Wilbers regelt das automatisch.
Gibt es beim Motorrad etwas Wichtigeres als ein gut funktionierendes Fahrwerk? Wohl kaum. An einen rumpelig laufenden Motor kann man sich gewöhnen, ein schlechtes Fahrwerk vereitelt jeden Fahrspaß. Ein wichtiger Aspekt bei den Federelementen ist das korrekte Verhältnis von Positiv- zu Negativfederweg. Egal ob allein oder zu zweit, die Relation sollte immer im Bereich ein Drittel Negativ- und rund zwei Drittel Positivfederweg liegen. Negativfederweg ist der Anteil des Federweges, der durch das Eigengewicht von Maschine und Beladung aufgebraucht wird. Der Positivfederweg ist die Größe, die als weiterer Einfederweg vorhanden ist.
Da sich Veränderungen bei der Zuladung deutlich stärker hinten als vorne auswirken, muss besonders der Dämpfer vor Fahrtantritt angepasst werden. In der Praxis heißt das: die Vorspannung ändern. Schließlich soll die Geometrie des Fahrzeugs im Idealzustand bleiben. Mit dem Einzug von elektronisch geregelten Federelementen hat sich in diesem Bereich viel getan. Ein Klick am Lenkerende und das Federbein ändert die Vorspannung. „Eine Person“, „eine Person mit Zuladung“ oder „voll beladen“ lauten die Vorgaben in den meisten Fällen. Dass diese Vorauswahl recht grob und damit nicht ideal ist, liegt auf der Hand. Genauer machen die Sache Bauteile wie beispielsweise bei der Aprilia Caponord 1200 Rally. Ein Sensor misst, wie weit das Federbein bei Beladung einsackt, und stellt die Vorspannung automatisch ein. Das kommt dem Ideal ziemlich nahe.
Problematisch ist: Es ändert sich nur die Geometrie, die Federrate bleibt gleich. Eigentlich müsste bei mehr Zuladung die Feder härter ausfallen. Wie sich diese Anforderung erfüllen lässt, demonstrieren Federbeine wie der neue Nivomat-Dämpfer von Wilbers. BMW verbaute solche Typen bereits in den 1970er- und 1980er-Jahren in der R 100 RT und der K 100 LT, bei Pkws waren unter anderem Modelle von Volvo oder VW mit ihnen ausgerüstet. Zusammen mit ZF hat Wilbers nun einen Nivomat-Dämpfer für Motorräder entwickelt, den MOTORRAD vorm Serienanlauf in einer Suzuki Bandit 1250 S testen konnte.
Bevor es auf die ausführliche Proberunde geht, noch ein paar Worte zur Funktion. Der Nivomat besitzt zwei getrennte Ölkammern sowie eine mechanische Pumpe mitsamt Rückschlagventil. Nimmt bei ihm die Zuladung zu, wird sein mechanischer Höhenregler aktiviert und die integrierte Pumpe fängt an zu arbeiten. Diese nutzt die während der Fahrt auftretenden Bewegungen als Energie. Die Pumpe fördert Öl aus dem Tank, also aus der Niedrigdruckkammer, in die Hochdruckkammer (siehe Grafik), in der sich ein Gaskolben befindet.
Der Druck in dieser Kammer wirkt direkt auf die Kolbenstange. Sie wird aus dem Federbein herausgedrückt, das wieder seine Nulllage erreicht. Da das Öl in der Hochdruckkammer den Gaskolben umschließt, steigt der Druck progressiv an, nimmt mit zunehmender Beladung zu. Das Gasvolumen wirkt sich wie eine Feder im Gesamtsystem Dämpfer aus, wird bei höherer Beladung immer mehr komprimiert – mit bis zu 120 bar – und bringt mit diesem Druck auch die Kolbenstange wieder in die Norm-Position. Dieser Bereich umfasst einige Millimeter, in denen die Pumpe nicht arbeitet. Federt der Dämpfer weiter aus, fließt über eine Bypass-Bohrung das Öl aus der Hochdruckkammer wieder in den Tank, bis die Nulllage erreicht ist. Da zudem beim Ausfedern der Druck der Hochdruckkammer nur auf die Kolbenstange und nicht mehr auf die Pumpe wirkt, erfolgt diese Bewegung mit weniger Kraft, was einer sich stetig anpassenden Zugstufe gleichkommt.
Zusätzlich zur Gasfeder verfügt der Wilbers Nivomat über eine Tragfeder, die wegen der progressiven Federrate des Gasdämpfers etwa 30 Prozent weicher als üblich ausfällt. Das verspricht ein sensibles Ansprechverhalten, das Top-Tester Georg Jelicic jetzt prüft.
Die Pflichtübung heißt Rübenacker. Wenig später fließen die Daten der an der Suzuki montierten Federwegsensoren in den Laptop. Und der zeigt ein überzeugendes Bild, weil mit 80-Kilogramm-Georg der dynamische Dämpfer-Federweg im Mittel immer im Bereich um 32 Millimeter lag. Maximal federte der Nivomat hinten 79 Millimeter ein. Das lässt bei 120 Millimetern Gesamtfederweg noch genügend Luft. Trotz der Reserven tastet sich der Dämpfer sensibel an den harten Kanten der Strecke entlang, wirkt nie bockig-überdämpft. Ganz im Gegenteil: Ungewohnt komfortabel, aber ohne nachzuwippen, meistert der Nivomat diese Aufgabe. Das ändert sich auch bei höheren Zuladungen nicht, wie der Autor erfahren konnte. Der steht schon bereit und bringt mehr Gewicht auf die Suzuki. Die erste Messung im Stand – nachdem Georg abgestiegen ist – verdeutlicht das. 100 Kilogramm drücken nun aufs Federbein. Das sackt im Stand weiter als bei Georg ein. 32 Millimeter waren es bei ihm, 4,7 Zentimeter sind es beim Autor. Damit die Pumpe arbeiten kann, muss Bewegung rein, daher los. In Fahrt hat sich der Nivomat nach 270 Metern Strecke unter der Mehrbelastung wieder auf seine Nulllage eingestellt. Selbst bei 100 Kilogramm Zuladung liegt der dynamische Federweg im Mittel mit 35 Millimetern immer im optimalen Bereich, der Anschlagpuffer bleibt trotz der höheren Last unberührt.
Ein ähnliches Bild ergibt die Fahrt zu zweit. Im Stand sackt der Dämpfer 86 Millimeter ein, nach einigen Hundert Metern arbeitet er im Schnitt wieder im Bereich um 40 Millimeter – bei 180 Kilogramm Zuladung. Selbst die maximal genutzten Federwege fallen nur wenig länger als bei den Einzelfahrten aus. Sie verdeutlichen, wie progressiv die Gasfeder arbeitet. Laut Wilbers weist sie eine Spreizung der Federrate von 109 bis 160 N/m auf.
Szenenwechsel: Aus der Holperstrecke wird eine Kurvenachterbahn. Den Nivomat beeindruckt das nicht. Er wird bei großen Schräglagen nur wenig durch die Fliehkräfte komprimiert, was sich positiv auf die Schräglagenfreiheit auswirkt. Die Geometrie der Bandit in den Größen Nachlauf und Lenkkopfwinkel verändert sich kaum, wovon die Fahrstabilität profitiert. Als rein mechanisches Bauteil hat der Nivomat damit gezeigt, welches Potenzial in einem herkömmlichen Dämpfer steckt, für den ZF den Grundkörper an Wilbers liefert, welche die Finalisierung samt Adaption ans Motorrad übernehmen.
Ab März 2017 soll der Nivomat-Dämpfer für die 1250er-Bandit bei Wilbers inklusive ABE für 799 Euro erhältlich sein, weitere Typen für andere Motorräder sind bereits in Planung.
Der Test des Wilbers Nivomat-Dämpfers erfolgte auf einer holperigen und kurvigen Strecke mit bis zu 180 Kilo Zuladung. Wie sich der Dämpfer unter dieser Belastung auf der mit vielen Flickstellen versehenen Strecke schlug, zeigt das Diagramm anhand der roten Linie. Auf den ersten Metern federt der Dämpfer bis zu 105 Millimeter ein.
Da der Nivomat unterhalb der Nulllage arbeitet, ist die Pumpe aktiv. Die nutzt die Energie der Auf- und Ab-Hübe, um Öl in die Hochdruckkammer zu fördern. Der Druck auf die Kolbenstange wächst, diese wird aus dem Dämpfer herausgedrückt. Nach gut 270 Metern arbeitet der Nivomat dadurch wieder im optimalen Arbeitsbereich.
Der Nivomat-Dämpfer besitzt zwei Ölspeicher. Bei einem 80 Kilogramm schweren Fahrer ist der Druck in beiden gleich, beträgt etwa 60 bar. Der Dämpfer arbeitet in seiner Nulllage. Steigt die Zuladung, sackt der Dämpfer ein. Der integrierte Höhenmesser wird aktiviert und die in der Kolbenstange sitzende Pumpe saugt durch die Bewegungen des Dämpfers Öl aus dem Tank/Niederdruckspeicher an, pumpt es in den Hochdruckspeicher. Der wirkt direkt auf die Kolbenstange. Diese fährt wegen des höheren Drucks aus. Das durch eine Membran im Hochdruckspeicher von Öl getrennte Gas sorgt dafür, dass der Druck progressiv zunimmt. Hierdurch ändern sich Federrate und Druckstufendämpfung. Damit der Dämpfer bei hohen Drücken – es herrschen bis zu 120 bar in der Hochdruckkammer – nicht unkontrolliert ausfedert, passt der Nivomat auch die Zugstufe an. Beim Einfedern wirken auf Pumpe und Kolbenstange bis zu 120 bar, beim Ausfedern sorgen Ventile dafür, dass die Pumpe nicht mit dem Hochdruckbereich verbunden ist, sondern mit dem Tank. Hier ist der Druck viel geringer. Die Differenz zwischen den beiden Speichern beträgt bis zu 100 bar. Dadurch federt der Nivomat kontrolliert aus – und zwar immer gemäß dem Druckverhältnis zwischen den Kammern.
Wird die Niveaulage nach oben überschritten – wenn beispielsweise ein Sozius absteigt –, fließt das Öl per Bypass direkt aus der Hochdruckkammer in den Tank. Der Druck auf die Kolbenstange sinkt, der Dämpfer sackt ein. Ein Dämpfungskolben mit Shimpaket für die Zug- und Druckstufe auf der Kolbenstange (wie bei herkömmlichen Federbeinen) sowie eine Tragfeder runden den Aufbau des Nivomat-Dämpfers ab.