Motorradbekleidung für den Frühling, Herbst und Winter
Schichtbetrieb

Richtig angezogen darf es selbst im tiefsten Winter auf Tour gehen. Mit welchen Klamotten und wie am besten anziehen? Wir zeigen es.

Schichtbetrieb
Foto: Foto: mps-Fotostudio

Sind eigentlich schon mal jemandem auf dem Motorrad Zehen oder Finger abgefroren? Was bei Extrembergsteigern teilweise als normales Blutopfer angesehen wird, kommt bei Zweirad-Wintertouristen zum Glück wohl so gut wie gar nicht vor. Weil man ja jederzeit rechts ranfahren kann und nicht wie am Mount Everest in eisigen Höhen bei Schneesturm am Hillary Step festsitzt. Aber dass einem die Flossen wehtun, Füße sich wie gelähmt anfühlen, dass man sich bibbernd ­minutenlang am Handtrockner auf dem Klo der Autobahnraste ­aufwärmt, davon können leidgeplagte Motorradfahrer ein Lied singen. Logisch, wer zu blauäugig bei niedrigen Temperaturen ausrückt, muss sich nicht wundern, wenn es ihn unterwegs kalt erwischt. Stichwort „Hypothermie“, also Unterkühlung.

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Was also tun um der Unterkühlung vorzubeugen? Die Lösung ist das allgemein bekannte Zwiebelprinzip. Dabei arbeitet man mit mehreren, eng anliegenden Schichten, sodass die dazwischenliegende Luft Körperwärme gut speichern kann. Außerdem sollten Körperfeuchtigkeit gut nach außen geleitet und Nässe und Wind von außen abgehalten werden. Das kann nur ausgeklügelte Funktionsbekleidung, denn wer einfach nur drei, vier Pullis übereinanderzieht, büßt notwendige Bewegungsfreiheit auf dem Motorrad ein.

Das schöne dabei ist, je nach Wetterlage (Herbst, Winter, Frühling) können Schichten weggelassen werden um das optimale Wohlbefinden auf der Maschine zu garantieren.

Baselayer 1: Feuchtigkeitstransport

Wie eine zweite Haut! Günstige Sets sehr körpernah sitzender Sport-Funktionswäschen aus Polyamid-, Polyester-, Polypropylen- oder Merino-Geweben gehen ab gut 50 Euro los.

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Moto Energizer von X-Bionic.

Reine Baumwollwäsche nimmt Körperfeuchtigkeit zwar auch auf, kanalisiert und transportiert sie aber nur unzureichend weiter. Folge: Auskühlung. Leider ist es bei Billig-Funktionswäschen um Funktion, Dauerhaltbarkeit und Geruchsbildung oftmals nicht gut bestellt, nach zwei Jahren sind sie manchmal schon reif für die Tonne. Mit der zwar auf den ersten Blick beinahe unverschämt teuren Wäsche Moto Energizer von X-Bionic (Ober-/Unterteil 129/109 Euro, Socken Marathon 19,95 Euro, www.x-bionic.com) hat die Redaktion ­jedoch beste Erfahrungen gesammelt: Top-Feuchtigkeitstransport bei allen Wetterlagen, bleibt auch nach Hunderten von Waschgängen in Form, stinkt nicht. Die Investition zahlt sich über die Jahre aus!

Baselayer 2: isolieren

Hauchdünn, fast wie eine Sportwäsche trägt sich auch das Merino-Shirt Warmwool Mock Neck with Zip von Aclima (90 Euro, www.aclima.com) und ist daher ein Tipp als zweite Schicht.

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Merino-Shirt Warmwool Mock Neck with Zip von Aclima.

Getragen über dem ersten Baselayer isoliert das Oberteil Körperwärme und transportiert zugleich Körperfeuchtigkeit gut weiter. Unterwäsche aus Wolle von Merinoschafen zeichnet sich bei geringem Materialeinsatz durch beste Wärmeleistung aus und ist bei Outdoor-Bekleidung mittlerweile häufig Standard. Wer nicht empfindlich auf Wolle reagiert, kann Merino-Baselayer auch direkt auf der Haut tragen.

Für kältere Tage empfiehlt sich die zwar etwas dickere, aber immer noch erstaunlich dünn auftragende Woll-Unterwäsche Zip Turtleneck 400/Long Johns 400 von Woolpower (139,90/109,90, www.woolpower.de) als zweiter Baselayer über der Sportwäsche.

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Zip Turtleneck 400/Long Johns 400 von Woolpower.

Je nach Kälteempfinden reicht diese Kombination als einzige Unterkleidung unter der Motorradjacke und -hose bei Temperaturen über 15 Grad, das Oberteil mit hoch aufschließendem Kragen ersetzt einen dicken Pulli. Das schlingenartige Mischgewebe aus Merino und Polyamid wärmt klasse und lässt sich sogar bei 60 Grad waschen. Praktisch!

Midlayer: Wärme speichern

Noch einen draufpacken kann man und frau mit der grandiosen Strickjacke Full Zip Jacket 600 von Woolpower (189,90 Euro, www.woolpower.de) mit durchlaufendem Frontreißverschluss.

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Full Zip Jacket 600 von Woolpower.

Dicker gestrickt als die 400er-Ware vom gleichen Hersteller, eignet sich diese Jacke als äußerst effizienter Midlayer bei Außentemperaturen zwischen null und 15 Grad. Trotz nun drei Schichten unter der Biker­jacke bleibt dem Fahrer genügend Bewegungsfreiheit, und die Luftschichten zwischen den Layern bilden eine zusätzliche Isolation und speichern die Wärme besonders gut.

Als ärmellose Alternative hat sich in unserem Motorrad- und Testalltag die formidable Thermoweste Klim Intake Vest (155 Euro, www.klim.com) zum Lieblings-Midlayer gemausert. 

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Klim Intake Vest.

Die bauschige Thinsulate Platinum-Kunstfaserfüllung kann mit Mega-Wärmeleistung beeindrucken. Von Vorteil ist die Weste besonders bei Jacken mit eng anliegenden ­Ärmeln und straffem Ellenbogen-Protektorensitz, um an dieser Zone keine zusätzlich beengende Schicht in seine Fahrerausstattung einzubauen. Die Klim ­Intake lässt sich wie ein Paar Socken leicht verstauen.

Wärmeleistung wie bei einem Schlafsack bietet mit Primaloft-Kunstfasern gefülltes dünnes Ripstop-Polyestergewebe, so wie es tatsächlich auch bei Penntüten für Bergsteiger zum Einsatz kommt.

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Houdini Fly.

Mit der langärmligen, extrem leichten Thermojacke Houdini Fly (199,95 Euro, www.houdinisportswear.com/de) als Midlayer und somit zweiter bis dritter Schicht unter der Motorradkombi ist der Fahrer auf jeden Fall für die kalte Jahreszeit und Temperaturen unter null Grad bestens gerüstet. Kunstfasern sind anders als Daunen unempfindlich gegen Nässe oder auch punktuelle Druckstellen, wie sie beim Tragen eines Rucksacks auftreten. Die Jacke kann abseits vom Motorrad auch solo getragen werden.

Halstuch/Nierengurt: vor Auskühlung schützen

Essenziell wichtig bei Kälte ist ein wirksamer Schutz des Halsbereichs, denn die dort verlaufenden Blutbahnen nehmen eine wichtige Rolle bei der Körpertemperaturregulierung ein.

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Buff Thermonet.

Das Multischlauchtuch Buff Thermonet (23,95 Euro, www.buff.eu), dicht gewoben aus Primaloft-Kunstfasern, hat uns im Test besonders gut gefallen: Tragefreundlich, trocknet schnell und wärmt ausgezeichnet! Vielseitiger als sperrige Schals oder normale Winter-Halskrausen, da es sich äußerst klein zusammenrollen und in jeder Jackentasche verstauen lässt.

Der Begriff „Nierengurt“ ist irreführend, denn das Teil sitzt zwar auf Nierenhöhe, wärmt die innen liegenden Organe aber nicht wirklich. 

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Held Falun.

Richtiger wäre der Begriff „Körpermittenwärmer“, und zum Beispiel der Held Falun (29,95 Euro, www.held.de) mit abtrennbarem Wärmefutter aus Primaloft-Fasern schützt die besonders viel Wärme produzierende Bauch- und Lendenwirbelzone vor Auskühlung und fixiert gleichzeitig die Unterkleidung. Unter der Hose getragen, wird es je nach Gurtdicke und Hosenweite allerdings oft eng am Bund. Vorher checken!

Socken: kräftig wärmen

Schon Oma empfahl Wollsocken, und wir tun das auch, setzen aber lieber auf Hightech-Mischgewebe aus Merinowolle und Kunstfasern.

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CEP Ski Merino (l.), Woolpower Socks 800 (r.).

Der Hersteller des CEP Ski Merino (49,90 Euro, www.cepsports.de) entwickelt seit Jahrzehnten medizinische Kompressionsstrümpfe, und auch seine Sportsocken sorgen für bessere Durchblutung und schützen so vor Auskühlung. Die relativ dünnen Skisocken funktionierten bei Fahrtests um 5 °C auf dem Motorrad jedenfalls prima. Wenn es kälter wird: Mit eher klassisch bequemem Wollsockenschnitt aus schwerem frotteegestrickten Material (70 % Merino-Anteil) und enormer Wärmeleistung treten die Woolpower Socks 800 (38,90 Euro, www.woolpower.de) auf. Heißer Tipp für kalte Füße!

Stiefel, Handschuh, Haube: vor Unterkühlung schützen

Ausgewiesene Motorrad-Winterstiefel gibt es nicht.

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Daytona Traveller GTX.

Aber gute, sicher vor Nässe schützende Tourenboots aus dickem Leder wie unser Favorit Daytona Traveller GTX (389,95 Euro, www.daytona.de). Der Schnitt ist bei gewohnter Größe weit genug für einen dünnen Sportsocken und dicken Übersocken. Wärmt gut bis in Minusgrade hinein.

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Übersicht Fünf-Finger-Winterhandschuhe.

Drei-Finger-Winterhandschuhe wie der Thermoboy Wintertouren 3.0 (49,99 Euro, www.polo-motorrad.de) plus dünnen Unterhandschuhen bieten Kälte geringere Angriffsfläche und Fingern mehr isolierenden Luftraum als Fünf-Finger-Pendants. Kuppeln und bremsen mit „Schweinepfoten“? Wenig feinfühlig! Nur sinnvoll bei Minusgraden. Alternativ dazu der Testsieger im Handschuh Test: Held Tonale (129,95 Euro, www.held.de)

Ein Rundumschutz auch unterm Helm ist bei sehr niedrigen Temperaturen fast schon ein Muss, denn über den mächtig durchbluteten Kopf wird an­sons­ten zu viel Körperwärme abgeführt.

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Buff Balaclava Thermonet.

Die gewiefte Sturmhaube Buff Balaclava Thermonet (29,95 Euro, www.buff.eu) aus klasse klimatisieren-dem und wärmendem Thermonet-Material speichert Wärme gut, sitzt top, trägt sich hautfreundlich und besitzt wirkungsvolle Atemauslässe an Nase und Mund.

Außenschicht: Sitz prüfen

Als Oberbekleidung ist im Herbst und Winter eine Touren-Textil-Kombination angesagt. Ein gutes Beispiel dafür gibt die Held Carese II (Jacke 599,95, Hose 429,95 Euro, www.held.de) mit verlässlicher Gore-Tex-Klimamembran. 

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Held Carese II.

Unter diesem knackig sitzenden Anzug ohne serienmäßigem Thermofutter können frei wählbare Midlayer wie die von uns zuvor empfohlenen getragen werden. Nun noch prüfen: Sitzt alles gut und frei von Wülsten, sind Jacke und Hose gekoppelt, kann etwas verrutschen und dadurch eine Wärmebrücke entstehen? Schließlich Helm aufsetzen, möglichst mit Pinlock-Visier (bewährter Anti-Beschlagschutz), und dann kann es losgehen! Auch an sehr, sehr frische Luft.

Immer noch am frieren? Dann hilft vielleicht als Überanzug die bauschige Wintertouren-Kombi 1.0 von Thermoboy (149,99 Euro, www.polo-motorrad.de).

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Wintertouren-Kombi 1.0 von Thermoboy.

Den Overall sollte man jedoch mindestens eine Nummer größer wählen, damit er über die normale Oberbekleidung passt. Man sieht zwar aus wie das Michelin-Männchen, aber mit dieser Maßnahme sind auch bei Minus-graden längere Touren möglich. Achtung: Bewegungsfreiheit spürbar eingeschränkt, nur was für hartgesottene Winterfahrer!

Als Ultima Ratio für Frostköttel und Eis-Biker muss elektrisch betriebene Heiz(unter)kleidung herhalten. Ein umfangreiches Sortiment bietet Spezialist Gerbing (Infos und Preise: www.­gerbing.de). 

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Elektrisch betriebene Heiz(unter)kleidung von Gerbing.

Die unerschrockensten Winterfahrer in der Redaktion haben damit schon auf 100-Kilometer-plus-Fahrten bei minus zehn Grad gute Erfahrungen gemacht. Alle Komponenten werden über Bordstrom gespeist, gekoppelt und zentral gesteuert. Klingt kompliziert, ist es auch. Nimmt dem Winter aber den Schrecken.

Meinung

Nicht-Motorradfahrer halten einen ja schon für verrückt, wenn man bei etwas Nieselregen aufs Moped steigt. Ich grinse dann und bringe Mutters Lieblingsspruch:

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Thorsten Dentges, Redakteur bei MOTORRAD.

„Wir sind doch nicht aus Zucker!“ Allerdings würde mir das Grinsen bei miesen Anziehsachen wohl vergehen, wenn Kälte und Nässe fies auf die Haut kriechen. Dann frieren selbst trainierte Winterfahrer sogar bei recht milden Verhältnissen schon nach wenigen Minuten, und bei einer richtigen Unterkühlung hört der Spaß auf – Sturzgefahr. Mein Appell daher: Leute, wagt ruhig das Abenteuer Winterfahrt, aber zieht euch clever warm an! Schicht für Schicht.

Die aktuelle Ausgabe
MOTORRAD 12 / 2023

Erscheinungsdatum 26.05.2023