Porträt: Neckbrace-Erfinder Chris Leatt

Porträt Chris Leatt
Visite beim Neckbrace-Erfinder

Zuletzt aktualisiert am 14.02.2013
Visite beim Neckbrace-Erfinder
Foto: Marais
Marais

Kapstadt, Südafrika. Am grünen Rand der pulsierenden Millionenmetropole steht in einem umzäunten Industriepark ein kompakter, ockerfarbener Zweckbau von der Größe eines Mehrfamilienhauses. Der Name des Besitzers prangt in gelben Lettern an der Stirnseite: Leatt, daneben das Logo seiner Firma, eine eingekerbte Triangel. Symbol für das Produkt, das hier entwickelt wird: der Neckbrace, eine Art Hightech-Halskrause für Motorradfahrer. Chris Leatt, Jahrgang 1968, entspricht dabei selbst gar nicht dem Bild eines fanatischen Sicherheitsapostels mit erhobenem Zeigefinger. Motorradfahren ist für ihn von Kindesbeinen an die Leidenschaft.

"Ich liebe es, Rennen zu fahren."

Zunächst auf Minibikes im weitläufigen Gelände um Kapstadt, dann zunehmend auf Rennstrecken. Und das bis heute, wo er mit einer BMW F 800 R bei nationalen Cup-Rennen startet. Die blauen Augen unter den blonden Haaren strahlen: „Ich liebe es, Rennen zu fahren. Aber noch mehr stehe ich auf den Geruch von Zweitaktern. Die habe ich damals getunt, was das Zeug hielt.“ Yamaha RZ 50, Suzuki RGV 250 Gamma, 16 Bikes umfasst seine Sammlung, die er in seinem Haus verteilt hat. Und was ist sein Lieblingsbike? Eine Kopfbewegung deutet zu einem kleinen Raum in der Industriehalle, und schon eilt er voraus: „Die alten Motorräder sind schön anzuschauen, aber die hier ist schön zu fahren.“ Aus den Augen blitzt der Schalk, als er auf den Startknopf der Aprilia Dorsoduro 1200 drückt, und der Vau zwo aus offenen Leovince-Tüten losbellt: „Hey, Mann, das hier ist Südafrika!“

2001 passiert etwas, das das Leben von Chris Leatt auf den Kopf stellt. Ein guter Freund stürzt im Gelände, der Unfall sieht unspektakulär aus. Niedriges Tempo, Abgang über den Lenker, nicht dramatisch und doch: Die Halsverletzungen sind so schwer, dass jede Hilfe zu spät kommt. Das, beschließt Leatt, soll nicht noch einmal passieren. Vor allem seinen drei Kindern nicht - sein vierjähriger Sohn Matthew hatte am Wochenende zuvor die Feuertaufe auf einem Minibike bestanden. Der promovierte Neurochirurg packt sein Wissen zusammen und beginnt, nach Feierabend einen Halsschutz zu entwickeln, mit dem sich die gefährlichen Stauchungen und Überstreckungen der Halswirbelsäule minimieren lassen. Sein Ziel: „Mindestens 20 Prozent der Kräfte, die bei Stürzen auf den Kopf auftreten, müssen sich ableiten lassen!“ Den ersten Prototyp legt er seiner Frau Jacqueline wie ein Diamantcollier um den Hals, 2004 ist der erste Neckbrace fertig, und Chris Leatt hängt seinen Job als Arzt nach über 250 Hirntumoroperationen an den Haken, um sich mit seiner eigenen Firma der Entwicklung und dem Vertrieb seines „Leatt-Brace“ zu widmen. In den Folgejahren kann er BMW und KTM für sein Projekt begeistern, die ab Ende 2006 den Nackenschutz auch unter eigenem Label vertreiben.

Bei Offroadfahrern, vor allem aber bei den Rallyepiloten der Dakar fand der Neckbrace binnen kürzester Zeit großen Anklang. Denn Stürze über den Lenker durch ein auf dem Dünenkamm wegklappendes Vorderrad sind bei Wüstenrallyes keine Seltenheit. Und auf das Verletzungsrisiko ist die Halskrause abgestimmt. Mittlerweile tragen fast alle Fahrer der Dakar einen Neckbrace, sei es von Leatt oder Konkurrenten wie Alpinestars, Ortema oder EVS.

Halbe Million Neckbraces verkauft

Prominentester Testfahrer ist bis heute Dakar-Sieger Cyril Despres - im Verbund mit seiner Mutter: „Es kommt vor, dass Cyril mit Prototypen von uns unterwegs ist und seine Verbesserungsideen gleich von seiner Mutter mit Nadel und Faden einarbeiten lässt“, erzählt Chris Leatt beim Rundgang durch das Firmengebäude, in dem übrigens nur geforscht und entwickelt wird. Die ersten Neckbraces wurden noch in Südafrika produziert, mittlerweile hat man die Fertigung nach China ausgelagert. Am Stammsitz in Kapstadt arbeiten 28 Leute für die Leatt Corporation, weltweit sind es knapp 50. Gut eine halbe Million Neckbraces hat man inzwischen verkaufen können.

Das Herz der Firma ist das umfangreich ausgestattete Labor, in dem ein Team von Biomechanikern neue Protektorensysteme für den Nacken und andere Körperpartien auf diversen Fallprüfständen und per Computersimulation erproben kann. Laut Statistik, erzählt Leatt, ist der Nacken bei Unfällen in nur fünf Prozent der Fälle betroffen: „Aber dafür sind die Folgen schwerwiegend oder gar dauerhaft.“ Am Ende des Rundgangs stehen wir wieder vor der Dorsoduro, daneben parkt eine GS. Die Augen von Chris blitzen wieder auf: „Lust auf eine Tour ans Kap? Am besten über die Garden Route: Das sind die besten Kurven von Südafrika!“