Sport-Motorradstiefel bis 250 Euro im Test
Für und Wider bei Synthetikware

Besonders verletzungsanfällig beim Sturz: die Füße. Gute Motorradstiefel sind also ein Muss, wenn es sportlich zugeht – egal ob auf der Landstraße oder dem Rundkurs. Zehn Motorradstiefel bis 250 Euro müssen im Test zeigen, was sie draufhaben.

Für und Wider bei Synthetikware
Foto: Dentges

Bei anderen Sportarten schon lange Standard: Plastik-Turnschuhe. Echtledertreter mit Stollen, um das Runde ins Eckige zu bringen? Unter Sepp Herberger sicherlich noch selbstverständlich, aber schaut man sich die Messis, Ronaldos und Götzes dieser Tage an, umschließen dünnwandige und kräftig farbstrahlende Kunststoffe die Füße der Profis. Ähnlich beim Basketball. Vorbei die Zeiten, als sich die 1980er-Legenden Magic Johnson und Larry Bird gegenseitig unterm Korb noch auf ihre sackschweren Converse-Lederbotten traten. Der jüngere Superstar Michael Jordan katapultierte sich schon Anfang der 1990er mit federleichten Synthetikschuhen zum Slam Dunk. Und, liebe Skifahrer: Wer von euch schnallt heute noch „a g’scheits“ Leder-Schuhwerk auf die Bretter? Wer jetzt „Ich!“ ruft, benennt vermutlich auch Motorräder von BSA, Bultaco oder Norton als aktuell voll wettbewerbstaugliche Sportmaschinen.

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Testsieger Sportstiefel bis 250 Euro (MOTORRAD 9/2014)
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Stichwort „Wettbewerb“: Im Motorradsport mag man nach wie vor echtes Leder. Weil das Material extrem reiß- und abriebfest ist und bei Stürzen dementsprechend gut schützt. Und weil nach gebührender Eintragezeit selbst vergleichsweise schwere Motorradstiefel bequem wie Turnschuhe sitzen und jede noch so verquere Bewegung auf den Rasten prima mitmachen. Aber wenn der Fahrer sich unfreiwillig von Rasten und dann womöglich auch noch vom Motorrad löst, verhindert ein guter und fester Stiefel allzu verquere Bewegungen, sprich Torsionen und Überstreckungen, und kann vor Verletzungen schützen.

Kunstleder muss keinesfalls schlecht sein

Also: Genau wie eine hochwertige Lederkombi und Hauteng-Lederhandschuhe passen knackig geschnittene Lederstiefel auch wunderbar, wenn das Ziel die schnellste Rundenzeit ist – dieses Vorhaben aber des Öfteren im Kiesbett endet. Leder ist auf allen Rennstrecken dieser Welt deshalb noch weit verbreitet. Aber in diesem Vergleichstest? Nur ein Anbieter schickt in der Preisklasse bis 250 Euro – nebenbei bemerkt: eine stolze Summe für ein Paar Schuhe – einen Sport-Motorradstiefel aus Vollleder ins Rennen. Warum ist das so?

Dentges
Häufiges Bremsen und Schalten auf einer Gebirgsstraße: Test von Passform und Tragekomfort der Sportstiefel.

Zur Erklärung vielleicht noch mal das Stichwort „Wettbewerb“. Diesmal nicht von sportlichen, sondern von der wirtschaftlichen Betrachtungsweise. Leder ist nämlich verdammt teuer geworden. Als Hauptgrund nennen Branchenkenner den Wachstum der asiatischen Märkte. Vereinfacht gesagt: Wenn sich eine aufstrebende chinesische Mittel- und Oberschicht gerne genau wie wir Bewohner etablierter Industrienationen auf feine Ledersofas fläzen möchte, benötigt die Möbelindustrie Abermillionen Quadratmeter des Rohstoffs Leder mehr. Die Nachfrage ist nun also höher als das Angebot, und die Materialkosten bei der Fabrikation eines Motorradstiefels steigen. Also liegt es nahe, dass sich die Schuhproduzenten vom Naturprodukt Leder und dessen Preisschwankungen möglichst unabhängig ­machen möchten. Sie setzen nun also vermehrt auf Synthetik: „Microfiber“, „Lorica“ oder eine sonstwie modern klingende Bezeichnung wird dann gerne benutzt. Denn der Begriff „Kunstleder“ klingt nach Kirmesware und zu billig, schließlich möchte man seine Produkte möglichst teuer verkaufen. Um im harten Wettbewerb gut bestehen zu können.

Bleiben wir aber fair: Kunstleder muss keinesfalls schlecht sein. Bei den Materialien handelt es sich um extrem dünne Mikrofasern, meist aus Polyamid, etwa tausendmal dünner als ein Seidenfaden. Gewebe aus diesen Fasern bilden eine Mikroporen-Struktur, die Atmungsaktivität verspricht. Die Oberfläche ähnelt äußerlich der von natürlichem Leder, selbst Kenner müssen da zweimal hinschauen. Im Labor erreichen gute Kunstleder ähnlich hohe Zug- und Abriebfestigkeitswerte wie echtes Leder. Und mal andersherum: Billig gegerbtes Naturleder, dessen schlechte Qualität durch dicken Lack überkaschiert wurde, ist weder atmungsaktiv noch besonders strapazierfähig. Wer also mit dem Rotstift partout einen technisch anspruchsvollen Sport-Motorradstiefel herstellen möchte, ist mit Leder nicht immer gut bedient. Das spricht für Synthetikware. Das Für und Wider bei der Materialwahl erklären stellvertretend zwei Hersteller aus diesem Test.

Merkt der Fahrer den Unterschied?

Und, merkt der Fahrer den Unterschied? Vermutlich kaum, denn unabhängig vom Obermaterial entscheidet in erster Linie die Konstruktion beziehungsweise Passform. Die Schwierigkeit bei Sport-Motorradstiefel besteht darin, optimale Stabilität und Verwindungssteifigkeit mit hoher Beweglichkeit unter einen Hut zu bringen. Also irgendwo zwischen Basketball- und Skistiefel. Der Grat zwischen Sturzschutz (passive Sicherheit) und Fahrkomfort (aktive Sicherheit) ist schmal. Umso erfreulicher – dieser Testvergleich zeigt es –, dass sich die Hersteller dieser Problematik erfolgreich stellen. Und wirklich klasse Motorrad-Turnschuhe bauen.

Alpinestars S-MX 6

mps-Fotostudio
Die Alpinestars S-MX 6 sind extrem bequem und ohne Punktabzüge in der Sportwertung.

Anbieter
Alpinestars, Telefon 00 39/ 04 23/52 86 (Italien),
www.alpinestars.com

Preis: 219,95 Euro
Größen: 36 bis 50
Schafthöhe: 32 cm
Gewicht: 831 g
Obermaterial: Polyamid, Poly­urethan

Dentges
Feste Kunststoffschienen schützen bei den Stiefeln von Alpinestars vor Sprunggelenk-Torsionen.

Plus
Stabile seitliche Kunststoffschienen sorgen für guten Schutz gegen Torsionen im Knöchelbereich, Ferse stabil und sicher eingebettet in solide Kunststoff-Hinterkappe; feste Klettabdeckung mit guter Überlappung; vorbildliche Beweglichkeit; langer Schleifer.

Minus
Schienbeinschützer etwas zu kurz; leichtes Schluppen im Mittelfußbereich.

Fazit
Extrem bequem und ohne Punktabzüge in der Sportwertung. Der gut verarbeitete Alpinestars S-MX 6 verkörpert die Gattung moderner Kunststoff-Sport­stiefel mit Tourenpotenzial bravourös.

MOTORRAD-Urteil: sehr gut

Büse GP

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Der knackig enge Büse GP erfordert unbedingt eine Anprobe.

Anbieter
Heino Büse MX, Telefon 02 41/1 26 90,
www.buese.com

Preis: 149,95 Euro
Schafthöhe: 32 cm;
Gewicht: 805 g
Größen: 40 bis 46
Obermaterial: Polyamid, Polyurethan

Plus
Angenehmes 3D-Mesh-Futter sorgt für gute Klimatisierung; klasse Grip auf den Rasten; sehr guter Fersenhalt, hohe Stabilität im Mittelfußbereich, genügend Platz am Vorfuß; sehr gute Schlagdämpfungswerte; Schleifer gut positioniert; Gehkomfort gut.

Minus
Am Spann sehr eng geschnitten, Anziehen jedes Mal ein Kraftakt; punktuelles Kneifen; etwas klobiger Schaltschutz.

Fazit
Der knackig enge Büse GP erfordert unbedingt eine Anprobe, ob er für den Fußtyp passt. Unterm Strich bietet der solide, preisgünstige Kunstlederstiefel aber guten Schutz und Gegenwert.

MOTORRAD-Urteil: gut

Dainese TR Course

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Der sehr sportliche Dainese TR Course mit hohem Textilgewebeanteil bietet gute Sicherheit, aber nur mäßigen Komfort.

Anbieter
Dainese, Telefon 0 89/35 82 72 70,
www.dainese.com

Preis: 229 Euro
Größen: 39 bis 47
Schafthöhe: 29 cm
Gewicht: 860 g
Obermaterial: Polyamid, Polyurethan

Dentges
Heckeinsteiger – gute Idee, Anziehen gestaltet sich bei den Stiefeln von Dainese aber als fummelig.

Plus
Großer, gut umschließender Knöchelprotektor; hohe Stabilität und Torsionssteifigkeit; gute Beweglichkeit trotz engem Sitz;
ordentlich verarbeitet; gutes Fußklima auch bei Temperaturen über 20 Grad; sehr gute Schlagdämpfungswerte auf dem Prüfstand.

Minus
Starkes Drücken durch Reißverschluss hinten; An- und Ausziehen eher eine Geduldsprobe; vergleichsweise kurzer Schaft.

Fazit
Der sehr sportliche Dainese TR Course mit hohem Textilgewebeanteil bietet gute Sicherheit, aber nur mäßigen Komfort. Das Prinzip „Reißverschluss hinten“ verkompliziert das Handling.

MOTORRAD-Urteil: gut

Daytona Carver

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In Sachen Tragekomfort ist der handwerklich einwandfreie Lederstiefel ungeschlagen.

Anbieter
Frey Daytona, Telefon 0 87 21/9 64 40,
www.daytona.de

Preis: 234,95 Euro
Größen: 34 bis 49
Schafthöhe: 29,5 cm
Gewicht: 680 g
Obermaterial: Rindsleder

Dentges
Daytona: griffig, großflächig und gummiert. Komfortable Reißverschluss-Bedienung.

Plus
Guter Abstreifschutz; sehr komfortables An- und Ausziehen, langer, prima zu bedienender Zentral-Reißverschluss; schlanke, jedoch sehr bequeme Passform, Schaft liegt gut an, hervorragender Fersenhalt; griffige Sohle; hochwertiges, geschmeidiges Leder; leicht.

Minus
Beim Labortest zum Schienbeinschutz Schlagdämpfungswerte relativ schlecht; Stabilität im Knöchelbereich eher mäßig.

Fazit
In Sachen Tragekomfort ist der handwerklich einwandfreie Lederstiefel ungeschlagen. Reinschlüpfen, wohlfühlen! Der Schienbeinschutz ist hingegen mäßig, ansonsten ein sehr guter Stiefel.

MOTORRAD-Urteil: gut

Difi Bilbao

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Sehr angenehmer Sportstiefel mit vorbildlichem Sitz und gutem Tragekomfort.

Anbieter
Motoport, Telefon 0 44 51/91 52 10,
www.motoport.de

Preis: 149,95 Euro
Größen: 37 bis 48
Schafthöhe: 33,5 cm
Gewicht: 757 g
Obermaterial: Polyamid, Polyurethan

Dentges
Difi: Die verschraubten ­Seitenschleifer lassen sich problemlos austauschen.

Plus
Hohe Stabilität, Fuß sehr fest eingebettet; sportliche, sehr gelungene Passform, vorbildlich eng anliegender Schaft; guter Schienbeinschutz, Schlagdämpfungswerte auf ordentlichem Niveau; geringes Gewicht.

Minus
Sehr enger Schnitt im Knöchelbereich, Anziehen etwas umständlich und fummelig; Gehkomfort eher mäßig; kühlen schnell aus.

Fazit
Sehr angenehmer Sportstiefel mit vorbildlichem Sitz und gutem Tragekomfort. Verarbeitung und Materialqualität gehen beim Difi Bilbao voll in Ordnung – bei diesem Preis kann man zugreifen.

MOTORRAD-Urteil: gut, MOTORRAD-Kauftipp

FLM GP

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Der FLM GP möchte gerne ein waschechter Sportstiefel sein, aber der insgesamt zu lockere Sitz vereitelt diesen Anspruch.

Anbieter
Polo Motorrad und Sportswear, Telefon 0 21 65/8 44 03 00,
www.polo-­motorrad.de

Preis: 199,95 Euro
Größen: 40 bis 47
Schafthöhe: 32 cm
Gewicht: 827 g
Obermaterial: Polyamid, Poly­urethan

Plus
Angenehm beim Laufen; griffige Sohle; Vorfuß liegt gut eingebettet; gute Sensibilität beim Schalten und Bremsen; langer Reißverschluss, einfacher Ein- und Ausstieg.

Minus
Zu weiter Schnitt am Knöchel, Verwindungssteifigkeit am Sprunggelenk nur mäßig; ­Fersenhalt schwach, Fuß rutscht beim Anbremsen; Schlagdämpfungswerte mäßig.

Fazit
Der FLM GP möchte gerne ein waschechter Sportstiefel sein, aber der insgesamt zu lockere Sitz vereitelt diesen
Anspruch. Für normale sporttouristische Ausflüge aber ein ordentlicher Stiefel.

MOTORRAD-Urteil: befriedigend

Gaerne G-RW

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Bei jedem Testkriterium punktet der eher schmal geschnittene Gaerne G-RW sehr solide.

Anbieter
Heino Büse MX, Telefon 02 41/1 26 90,
www.buese.com

Preis: 209,95 Euro
Größen: 40 bis 46
Schafthöhe: 31 cm
Gewicht: 892 g
Obermaterial: Polyamid, Polyurethan

Plus
Ferse optimal und sehr fest eingefasst, Stiefelschaft liegt gut am Bein an; im Knöchelbereich stabil, guter Schutz gegen Verwindung; vorbildlicher Griff auf Rasten.

Minus
Geringe Größenbandbreite; im Vorfußbereich sehr schmal geschnitten; sehr enger Einstieg, Reißverschluss läuft nur mit Nachdruck über Spann; dicker Gummi-Schaltschutz vermindert Sensibilität für Hebel.

Fazit
Bei jedem Testkriterium punktet der eher schmal geschnittene Gaerne G-RW sehr solide. Keine echten Patzer, aber bei der Handhabung gibt er sich sperrig und erfordert sportliches Engagement.

MOTORRAD-Urteil: gut

IXS Estoril

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Passform und Tragekomfort des sehr schmalen Ixs Estoril sagten den Testern nicht zu.

Anbieter
Hostettler, Telefon 0 76 31/1 80 40,
www.ixs.de

Preis: 249,90 Euro
Größen: 38 bis 47
Schafthöhe: 33 cm
Gewicht: 1021 g
Obermate­rial: Polyamid, Polyurethan

Dentges
Ixs: Die Sperrtaste des Ratschenverschlusses klemmte des Öfteren im Test. Nervig.

Plus
Schlagdämpfungswerte bei Labortest im Vergleich gut, ordentlicher Schienbeinschutz; sehr hohe Stabilität und guter
Verwindungsschutz; guter Sitz des Schafts.

Minus
Tragekomfort bei normaler Fußform stark eingeschränkt, da Vorfußbereich sehr ­schmal, schmerzhaftes Drücken; Ratschenverschluss hakig und fummelig; hohes Gewicht.

Fazit
Passform und Tragekomfort des sehr schmalen Ixs Estoril sagten den Testern nicht zu – selbst probieren, ob’s passt. An der Schutzwirkung hingegen lässt sich nichts kritteln: ein sicherer Stiefel.

MOTORRAD-Urteil: gut

Sidi Cobra

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Ordentlich gemachter Sportstiefel mit leichten Komforteinbußen.

Anbieter
Jopa Racing Products, ­Telefon 00 31/5 47/38 27 17,
www.jopa.nl

Preis: 239,95 Euro
Größen: 37 bis 50
Schafthöhe: 33 cm
Gewicht: 810 g
Obermaterial: Polyamid, Polyurethan

Plus
Schleifer gut positioniert, vermitteln bei ­extremen Schräglagen gutes Gefühl; guter Fersenhalt, Knöchel bombenfest und sicher gegen Verwindungen eingebettet; leicht.

Minus
Schaltschutz etwas steif und unkomfortabel; Schaftweite zu großzügig bemessen; Vorfuß sehr schmal, leichtes Drücken an Zehen; kühlt bei 15 Grad sehr schnell aus; Schlag­dämpfung am Schienbein eher mäßig.

Fazit
Ordentlich gemachter Sportstiefel mit leichten Komforteinbußen. Der Sidi Cobra ist eine gute Wahl für sommerliche Ausflüge auf die Rennstrecke und schnelle Runden auf der Hausstrecke.

MOTORRAD-Urteil: gut

Die aktuelle Ausgabe
MOTORRAD 20 / 2023

Erscheinungsdatum 15.09.2023