Die Welt steht Kopf. Bäume jagen in atemberaubender Geschwindigkeit vorbei, formieren sich zu einem engen Tunnel, der unwiderstehlich die Richtung bestimmt. Weiße Wolkenfetzen fliegen wie von einem Orkan getrieben über den stahlblauen Himmel, tauchen die bizarre Szenerie immer wieder in kurze, kühle Schatten. So dynamisch kann Cruiserfahren sein: die Welt als flüchtiges Zerrbild, als Spiegelung in einem riesigen verchromten Lampengehäuse.
Wandert der leicht gesenkte Blick dann wieder nach oben, herrscht schlagartig Ruhe. Die Wolken hängen brav am Himmel, die Bäume stehen weit entfernt am Straßenrand, und der Rest der Welt bewegt sich eher gemächlich auf Roß und Reiter zu. Das ist Cruiserfahren in der Realität. Oder strang nach Traum, ganz wies beliebt. Im vorliegenden Fall so oder so auf höchstem Niveau, denn die Gleitmittel in diesem Vergleich gehören nicht in die Kategorie Kinderspielzeug. Vielmehr handelt es sich um die richtig dicken Dinger, die Hubraum-Helden der Landstraße.
Harley Davidson Fat Boy, ein Name, der eigendlich keine Fragen mehr zuläßt, aber dennoch etwas irreführt, weil es im Leben immer noch dicker kommen kann. In Form der Kawasaki VN 1500 Classic beispielsweise. Mehr Hubraum, mehr Gewicht, mehr Radstand, mehr Kotflügel. Kawasaki hat es bei der Neuauflage der VN Classic aber nicht nur bei äußeren, eher unscheinbaren Retuschen belassen, sondern sich auch der ernsthaften Probleme mit dem Ventiltrieb angenommen. Die vereinzelt aufgetretenen und vorübergehenden Herzstillstände früherer VN-Motoren sind nach gründlicher Überarbeitung des hydraulischen Ventilspielausgleichs jetzt nicht mehr zu erwarten.
Getoppt wird das alles allerdings vom jüngsten Mitglied der Cruiser-Gilde, Suzukis VL 1500 Intruder. Mit nahezu identischem Hubraum, lediglich einem mageren Kilogramm mehr an Masse, aber den Ausmaßen eines Tiefladers übertrifft die Neuerscheinung die beiden Konkurrenten bei weitem. Mehr Eindruck schindet keine. Allein die Sitzbank hat die Außmaße eines gutbürgerlichen Ecksofas, und mit der Menge an Chrom ließe sich der halbe Eifelturm dauerhaft vor Rostfraß schützen.
Obendrein versteht Suzuki perfekt, Illusionen zu inszenieren. Fast nichts ist, wie es scheint oder was es scheint. Das dreieckige, verchromte Luftfiltergehäuse, stilecht rechts zwischen den beiden Zylindern platziert, ist leer. Nach Öffnen des Schnellverschusses taucht nicht der erwartete Luftfilter, sondern ein kleines Staufach für persönlichen Kleinkram auf. Der riesige Tank bunkert kein Benzin, sondern versteckt jenen eben noch vermißten Luftfilter. Der Treibstoff schwappt dafür in einem Blechbehältnis unter der Sitzbank, und das Bordwerkzeug, das dort normalerweise zu finden ist, versbirgt sich hinter dem glänzenden linken Getriebedeckel. Ja, ja, früher war eben alles anders.
Ob früher auch alles besser war, darf allerdings bezweifelt werden. Immerhin gestalten Dinge wie Kardanantrieb, Tageskilometerzähler, Benzinuhr oder hydraulisch betätigte Kupplung das Cruiserleben eher bequemer.
Unverändert dagegen das Gefühl, wenn die Hubraumboliden ihre ersten Lebensäußerungen abgeben. Alle drei Motoren benötigen relativ lange die tatkräftige Unterstützung der Gemischanreicherung, ehe sie mit der ihnen eigenen Gelassenheit nahezu lautlos vor sich hindampfen. Nur der klassische Stoßstangen-Vau der Fat Boy unterlegt dabei seinen Ruhepuls mit leichten Vibrationen.
Die steigern sich dann mit zunehmender Drehzahl vor allem in den ausladenden Trittbrettern zu einem derart mächtigen Schütteln, daß dem Fahrer bei Maximaldrehzahl fast das Fleisch von den Schienbeinknochen abfällt. Aber wer fährt schon mit Maximaldrehzahl auf einer Harley, selbst wenn diese bei nur rund 5000/min liegt?
Höchstens derjenige, der einen VN oder VL-Fahrer zum Kumpel hat und deshalb mit eher untypischen Kraftakten motorische Unterlegenheit überspielen muß. Am lockersten kann es der Suzuki-Fahrer nehmen. Die gemessenen 66 PS seiner VL mögen angesichts der 1,5 Liter Hubraum seines Treibsatzes zwar recht ärmlich wirken, reichen aber vollkommen aus, um dem Begriff Cruisen Leben einzuhauchen. Zum streßfreien Dahingleiten im großen Gang nämlich, da reichen diese 66 Ponies vollauf.
Dabei gilt jedoch für die Suzi wie für alle anderen Beteiligten, daß der große Gang erst ab zirka 60 km/h sinnvoll einzusetzten ist. Wer langsamer unterwegs ist, den konfrontieren die sonst so zahmen Motoren mit wildem Ruckeln und Bocken. Da hilft nur: Schluß mit lässig und runterschalten. Wer bislang nur auf Erfahrungen mit einem großen Vierzylinder à la Bandit 1200 oder ZRX 1100 zurückgreifen kann, wird von der sprichwörtlichen Souveränität und Durchzugsstärke der Cruiser mehr als entäuscht sein.
Vor allem das Original aus den USA verlangt nach reger Schaltarbeit. Ob im Stadtverkehr oder auf der Landstraße: Die mangelnde Durchzugskraft erzwingt immer wieder lautstark krachende Gangwechsel. Wer bei lockerem Landstraßentempo um die 80 Sachen an Geschwindigkeit zulegen will, sei es aus Spaß an der Freud oder um noch langsamere Fahrzeuge zu überholen, der sollte es ruhig zweimal im Getriebe krachen lassen, um den nötigen Vortrieb sicherzustellen.
Suzuki und Kawasaki vermitteln ein deutliches Plus an Souveränität, sind der Harley in Motorleistung, Beschleunigung und Durchzug um Längen voraus. Vor allem die Suzuki gefällt durch etwas mehr Bums in mittleren und oberen Regionen. Mit störenden Vibrationen hebt sich das amerikanische Original von den beiden wassergekühlten Japan-Cruisern ab. Lediglich ein angenehmes, beruhigendes Pulsieren der bewegten Maßen entlassen sie dem Inneren ihrer stählernen Herzen. Die Gänge flutschen, wenn auch nicht ganz lautlos, so doch wesentlich leichter und dank der ergonomisch besser gestalteten Schaltwippen wesentlich lässiger rein als bei der Harley, die sich auch hier traditionell grober Mechanik verpflichtet fühlt.
Alles andere als lässig sind dagegen die Trinkgewohnheiten der drei Probanden. Betrachtet man die nicht eben üppige Leistungsausbeute, das niedrige Drehzahlniveau und die eher spärlichen Fahrleistungen der Hubraum-Riesen, dann stehen die Spritverbräuche dazu in ungesundem Mißverhältnis. Selbst die sparsamere Suzuki kann da nur als Einäugige unter den Blinden durchgehen. Auch der ungeregelte Katalysator in Verbindung mit dem Sekundärluftsystem der Kawasaki, politisch korrekt und umwelttechnisch äußerst wirksam, kann diesen Mißstand nicht schönen.
Zum genußvollen Windjammern gehört allerdings nicht nur ein kräftiger Antrieb, sondern auch ein ordentlicher Rumpf und eine breite Segelstange. Und einmal mehr kann die Intruder die Konkurrenz überragen. Doch ihr superlatives Äußeres hat auch Nachteile, nämlich dann, wenn der Fahrer in der Länge weniger als 170 Zentimeter mißt. Dann nämlich rücken Lenkerenden und Trittbretter in fast unerreichbarer Ferne, und für Wendemanöver mit großem Lenkeinschlag fehlen gut zehn Zentimeter Armlänge.
Geht es um Handlichkeit (was für ein lustiges Wort angesichts dieser drei Stahlrösser), liegt die Harley gut im Rennen. Wer von der Suzuki auf die Fat Boy umsteigt, denkt sofort an Yamaha XV 535. Schmal, niedrig und bei Richtungswechseln jeder Art ungewöhnlich leichtfüßig. Nur schade, daß die Federelemente nicht so richtig spuren. Wellen und Schläge werden von der Hinterhand einfach ignoriert und nahezu unbearbeitet weitergegeben.
Auf schlechteren Straßen bereitet die Kawasaki noch am wenigsten Kreuzzerbrechen. Die Absage an die unter Cruiser-Fans so beliebte Starrahmenoptik lohnt sich. Auf schlechtem Untergrund leisten die dick vermummte Telegabel und die beiden konventionellen Federbeine gute Arbeit. Hier ist wirklich so eine Art modernes Fahrwerk zu spüren. Damit macht sich die VN auch schnell zum Liebling der gemarterten Testcrew. Nicht so leicht zu dirigieren wie die Harley, fährt sie zumindest der Suzuki auf kurvigen Sträßchen locker davon. Erst wenn die Straßen wieder ebener und vor allem gerader werden, kann die etwas schwerfälligere Intruder Boden gutmachen. Die allesamt früh aufsetzenden Trittbretter bürgen dabei für Tempi streng innerhalb der Legalität.
Was aus drei Gründen auch ganz gut ist. Erstens: Wer sich die Welt auf einem Cruiser zum Freund machen will, sollte keine Eile verspüren. Zweitens: Bei Geschwindigkeiten über 140km/h ist es mit der Fahrwerksstabilität nicht mehr allzu weit her. Und drittens: Die spärlichen Bremsanlagen geraten bei moderatem Bummeltempo seltener an den Rand ihrer Leistungsfähigkeit. Denn alle drei Cruiser müssen sich mit einer einzelnen Scheibenbremse pro Rad begnügen. Jede mit nur maximal zwei Kolben pro Zange. Nur gut, daß die riesigen Fußbremspedale einen kräftigen Tritt mit dem Stiefel vertragen. Bis auf die recht ordentliche Vorderradbremse der Suzuki läßt sich mit Feingefühl nämlich nur wenig erreichen. Wenn auch die Zeiten vorbei sind, in denen sich Easy Rider bei jeder Inspektion statt der Bremsbeläge die Stiefelabsätze erneuern ließen: Von einer gut dosierbaren, wirkungsvollen Funktion ist man vor allem bei der Fat Boy immer noch ein gutes Stück entfernt.
Ein geeigneteres Feld, traditionelle Werte zu pflegen, bieten da die Instrumenten-Konsolen. Jeder anständige Cruiser schwört darauf, auch wenn die prächtigen Tachos und Lämpchen bei Verwendung eines Integralhelms leider aus dem Blickfeld rutschen. Nützliche Informationen liefern sie dennoch: So zeigt eine Tankuhr dem Kawasaki-Surfer, wann mit Ebbe im Tank zu rechnen ist, die Intruder kann sich gleich zwei digitale Tripwerte merken, Nur die Harley versucht wie gewohnt, ihre zu kleinen Kontrolleuchten mittels schwacher Lämpchen gänzlich nutzlos zu machen. Dafür ist der abschließbare Zündschalter auf dem Harley-Tank ein Genuß. Echt bequem und durchaus nachahmenswert.
Obwohl es bei den dicken Gleitern auf ein Paar Kilogramm mehr kaum ankommt, sei von längeren Touren mit Begleitung abgeraten. Nicht weil die Maschinen überfordert wären, sondern eher aus humanitären Gründen. Selbst wenn das Soziuskissen der Suzuki in seiner Dimensionierung dem Fahrersofa kaum nachsteht, ist die erhöhte Sitzposition mit leicht nach vorn gebeugter Beinstellung auf Dauer ziemlich unbequem.
Überhaupt, die Bequemlichkeit: Mag die Sitzhaltung auf den ersten 100 Kilometern auch so locker und relaxt erscheinen, stellt sich doch bald heraus, daß Cruisen durchaus sportliche Nehhmerqualitäten voraussetzt. Kaum ein Rückenmuskel, der dem Cruiser-Lehrling nach einem Tag engagierten Herumbummelns nicht höllisch schmerzte. Den Verkaufsstrategen sei deshalb empfohlen, beim Kauf eines solchen Cruisers gleich zehn Gutscheine für eine Massage beizugeben.
Angesichts der stolzen Preise von 20 670 Mark für die Kawasaki und der 19 490 Mark der Suzuki sollte sowieso noch das ein oder andere Extra in die Kalkulation passen. Die Harley Fat Boy dagegen spielt in einer Klasse für sich. Daß ihr Preis nach der Mehrwertsteuer- Anhebung um 770 Mark nach oben korigiert wurde, macht den Kohl längst nicht mehr fett. Mit 30 880 Mark für das Basismodell stellt sie den unangefochtenen Sieger in dieser Disziplin. Wer sich für eine metallic Lackierung, die zweifarbige Variante oder gar das Jubiläumsmodell entscheidet, kann noch mal bis zu 1620 Mark draufpacken. Aber Mythen werden nicht in Mark oder Dollar berechnet. Wer tauscht schon ein Autogramm von Elvis gegen eins von Guildo Horn?
Zubehör - Cruiserzubehör: Spielfeld für Individualisten
Es gibt praktisch nichts, was es nicht gibt. Ob Sissybar, verchromte Achskappen, Zusatzscheinwerfer oder Windschutzscheiben, wer Cruiser kauft, bekommt auch gleich vom Importeur den passenden Zubehörkatalog unter den Arm geklemmt. Wahre Meisterwerke der Literatur tun sich dem interessierten Nachrüster auf, wie im Falle der gut 60 Seiten starken Ausgabe von Harley Davidson.Im Gegensatz zu den kleinen, aber nicht unbedingt billigen Accessoires wie Kühlerblenden oder Marken-Embleme für Seitendeckel und Luftfilterkästen ist in den Katalogen auch durchaus nützliches Zubehör zu finden. Windschutzscheiben stehen in der Rangliste ganz oben, wenn es darum geht, nicht nur die Optik, sondern auch die Lebensqualität zu Verbessern.Die Preise für die in unterschiedlichen Höhen angebotenen Scheiben liegen dabei je nach Ausführung zwischen 450 und 600 Mark. Und die sind gut angelegt. Denn jetzt kann endlich der Jethelm zum Einsatz kommen, der, wenn nicht aus Sicherheitsgründen, dann zumindest wegen des unangenehmen Prickelns beim Aufprall eines Mückenschwarms, sonst eher mit mulmigem Gefühl getragen wurde.Generell werden die Fahreigenschaften durch den Anbau der großen Windabweiser nicht beeinträchtigt. Lediglich bei höheren Geschwindigkeiten kann es zu leichten Pendelbewegungen und lauteren Windgeräuschen kommen, vor allem dann, wenn im Luftwirbel vorausfahrender Fahrzeuge gefahren wird.Im Vordergrund standen also die positiven Eigenschaften der Windschilde. Sie halten den Oberkörper nahezu frei von lästigem Winddruck, ermöglichen deshalb endlich und trotz der ausladenden Geweih-Lenker akzeptable Dauergeschwindigkeiten. Die Durchsicht durch die nur mäßig gewölbten und auch bei hohem Tempo kaum vibrierenden Scheiben ist auch bei Nässe einwandfrei. Und auch die Verarbeitung der Windschilde sowie ihrer überwwiegend chromblinkenden Anbauteile kann durchaus überzeugen.
Platz 1 - Suzuki VL 1500 Intruder
Die Suzuki sorgt von Anfang an für klare Verhältnisse. Riesig in ihren Abmessungen, gewaltig in ihrer Erscheinung. Obwohl sie sich mit ihrem wuchtigen Vau-Motor und der Starrahmenoptik an die Cruiser-Spielregeln hält, überrascht sie doch durch unkonventionelle Details wie die Unterbringung von Luftfilter und Tankfaß. Der breit bereifte Schwertransporter schiebt dank ausreichender Leistung noch standesgemäß voran und vermittelt zumindest auf gut ausgebauten Straßen dieses unbeschwerte Easy-Rider-Gefühl. Ein weiterer Pluspunkt sind die, verglichen mit der Konkurrenz, ordentlichen Bremsen.
Platz 3 - Harley Davidson Fat Boy
Wieder nur der letzte Platz für eine Harley? Was soll der Testfahrer dazu sagen? Ganz einfach: bessere Bremsen dranbauen, dem Stoßstangen-Vau 20 PS mehr einhauchen und ordentliche Federelemente verbauen. An der Grundidee der Fat Boy ist nämlich nichts zu beanstanden. Es sind nur die vielen Kleinigkeiten, wie schlampig am Lenker verlegte Kabel und Züge, die den hohen Preis in Frage stellen. Aus dem amerikanischen Traum läßt sich was machen, wie die meisten Harley-Besitzer mit eigenen Umbaumaßnahmen ja eindrucksvoll beweisen. Im Serientrimm können die Japaner heute aber deutlich mehr.
Platz 2 - Kawasaki VN 1500 Classic
Nur um Haaresbreite von der neuen Suzuki geschlagen, ist die Kawasaki dennoch eine gute Wahl. Ein kräftiger, kultivierter Motor, genug Masse für die standesgemäße Öffentlichkeitswirkung und das beste Fahrwerk in diesem Vergleich, mit dem sich auch schlechtere Straßen in den VN-Wirkungsbereich einbeziehen lassen. Die Kawa könnte allerdings eine zweite Bremsscheibe vertragen, wie sie auch im Schwestermodell Classic Tourer verbaut wird. Der hohe Kraftstoffverbrauch ist trotz der dank ungeregeltem Katalysator und Sekundärluftsystem guten Umweltverträglichkeit nur schwerlich zu tolerieren.