Käme Harley-Davidson etwa auf die Idee, einen Supersportler zu bauen? Genau! Warum also, in Gottes Namen, schickt sich jetzt Ducati an, einen Cruiser von der Leine zu lassen? Die Antwort soll das Motorrad selbst bei der Präsentation im spanischen Malaga geben. Unter andalusischer Sonne drücken mir die Roten abends freudig erregt einen Empfangs-Sekt in die Hand und am nächsten Morgen voller Stolz den Diavel-Zündschlüssel. Dazwischen lauschen wir den Ausführungen der Ducati-Crew: Die Räder sind wieder mal runder, die Kette gefetteter, der Motor spritziger und die Sitzbank flauschiger. Aha. Nebenbei tastet das Auge das neue Teil ab, von Scheinwerfern bestrahlt, ins Zentrum gerückt. Ungewohnte Formen, eine völlig neue Art von Bike, von der roten Mannschaft beinah wie ein Gott verehrt. Aber warum haben sie dem Ding dann den Namen Diavel (Teufel) verpasst? Projektleiter Giulio Malagoli erklärt das so: Ein Mitarbeiter hätte beim Anblick des Prototypen erschreckt gerufen: „Der reinste Teufelsbraten!“ Gut, dass der Mann beim Anblick nicht in Ohnmacht gefallen ist – Ducati Koma klänge komisch.
Da also ist er, der Zündschlüssel. Ein Teil, das wie bei der Multistrada per Funk funktioniert. Der Fahrer trägt ihn einfach in der Tasche. Den ausklappbaren Schlüsselbart braucht man nur, um den 17-Liter-Tank zu öffnen oder die Sitzbank zu entriegeln. Erwartungsfroh umkreise ich die Diavel, von der es neben der Basisversion auch eine Karbon-Variante gibt, die mit leichten Kohlefaserteilen sowie geschmiedeten Felgen gepimpt ist. Ansonsten sind sie Zwillinge. Der Sitz mehr eine Mulde, nur 770 Millimeter hoch. Das Heck ein Stummel, Blinker und Leuchten wie Zahnreihen, aber übereinander angeordnet. Die Beifahrerfußrasten sind stilvoll integriert, zum Ausklappen bei Bedarf, ebenso wie der Haltegriff für den Sozius. Einarmschwinge, riesige Tankform, 240er-Hinterreifen, Alulenker, nettes und zweigeteiltes Display.
Im Pressetext heißt es: „Die Diavel wirkt wie ein kraftvoller Athlet im Startblock.“ Hmm, mörderschwer sieht sie aus, denke ich. Dieses Ding hat gar nichts Feminines an sich. Ein raues Männerbike, maskulin, gnadenlos, unbeugsam. Die Kiste fährt garantiert rüpelig und hat schlechte Manieren.

Denkste. Schon als der Seitenständer hochklappt, ich die vollgetankte Diavel über den Alulenker lässig zwischen den Beinen hin und her wippe, wird mir bewusst, dass die Roten nicht übertrieben haben: 210 Kilogramm ohne Betriebsstoffe – Wahnsinn, der sich gut anfühlt. Harleys Rods wiegen 60 Kilo, Yamahas Vmax sogar zwei Zentner mehr. Wenn überhaupt, dann sind das die Gegner der Diavel, denn diese Maschine ist eine Mischung aus Dragster, Musclebike und Cruiser. Doch eine mit überwiegend sportlicher DNA.
Start. Seelenruhig schleppt der Anlasser die Kurbelwelle im Zeitlupentempo um ihre Achse. Etwas rappelig nimmt der aus der Multistrada abgeleitete und auch aus den Supersportlern bekannte 1198 Kubik starke Testastretta-Zweizylinder seine Arbeit auf. Ohne Drosselklappenkörper und Betriebsstoffe wiegt er nur 63 Kilogramm. Los geht’s. Dieser Sound, klasse! Bassig, potent, kernig. Man möchte ihn am liebsten aufnehmen. Und vor dem Einschlafen nochmal die Gehörgänge damit fluten – die etwas andere Gutenacht-Sonate.
Das erste Ziel ist die Autobahn. Um ein Gefühl davon zu bekommen, wie stabil die Diavel geradeaus läuft. Davor gilt es, lavalangsam fließende Autokorsos zu umschlängeln und zwei, drei Kreisverkehre zu durchsurfen... Aber in welchem Film bin ich hier? Ein Monster mit 1590 Millimeter Radstand, 62 Grad Lenkkopfwinkel, 130 Millimeter Nachlauf, 24 Milimeter Gabelversatz und einem Hinterreifen, der den Neid der meisten Mittelkassewagenbesitzer aufkeimen lässt, flitzt so agil durch die Straßen, dass man ernsthaft darüber nachdenkt, ob die vor 25 Jahren im jugendlichen Leichtsinn probierten leichten Drogen plötzlich Spätwirkung zeigen können. Nie gab es ein äußerlich wuchtiger wirkendes Motorrad mit 240er-Schlappen, aber so kooperativem Lenkverhalten. Du siehst die Winternarben im Asphalt und die Lkw-Rillen auf dich zufließen, verkrampfst instinktiv und erwartest, dass dir jemand das Heck aus der Spur haut. Doch nichts dergleichen passiert. Es gibt Cruiser, ja sogar Sportbikes mit 200er-Besohlung, die wesentlich heftiger auf Unebenheiten reagieren. Das Geheimnis? Während die Konkurrenz teilweise auf 18-Zoll-Hinterrädern mit flach konturierten Reifen rollt, ist die Ducati mit einer 17 Zoll großen und acht Zoll breiten hinteren Felge bestückt, auf der ein speziell für die Diavel entwickelter Pirelli Diablo Corsa II sitzt. Seine Kontur ist dachförmiger, spitzer als die der Konkurrenz. Das macht den italienischen Teufel agiler und mindert das Aufstellmoment. „Wir haben das Motorrad um den Reifen herum entwickelt“, hatte Projektleiter Malagoli erklärt. In Gedanken sieht man die Techniker jetzt flitzen, den Reifen auf dem Boden, Teile aus dem Ducati-Regal schleifen und rumexperimentieren. So war’s natürlich nicht. In Wirklichkeit testete man zunächst mit handelsüblichen Reifengrößen, kam aber bald zur Erkenntnis, dass die Diavel handlicher sein muss als die Konkurrenz. Deshalb wurde Pirelli ins Boot geholt.

So klappt man die Fuhre dann über den breiten Alulenker lässig ab und erreicht mit kleinem Zwischenspurt die Auffahrt zur Schnellstraße. Upps! Statt Einfädelspur setzen die Spanier auf Vorfahrt-achten-Schilder. Rein in den Anker. Volle Verzögerung! Und völlig stressfrei, denn ABS ist serienmäßig an Bord. Radial verschraubte Brembo-Festsättel in Monobloc-Bauweise attackieren 320er-Bremsscheiben vorn, hinten beißt ein Zweikolben-Bremssattel in eine 265-Millimeter-Scheibe. Das ganze Ensemble wird von einem Bosch-ABS der neuesten Generation dirigiert. Die vorn verbauten Anker stammen direkt aus Ducatis Supersportlern. An der Diavel, durch ihren langen Radstand gegen unfreiwillige Stoppies immun, beweisen sie eindrücklich, wozu sie in der Lage sind. Die Verzögerung ist so brutal, so immens, beinah wie gegen eine unsichtbare Wand geprallt. Da muss man aufpassen, dass man nicht stumpf umfällt, so schnell steht die Fuhre. Also schnell Füße von den Rasten, durchatmen. Schulterblick. Noch zwei Autos, dann kanns losgehen. Frei! Gaaas! Die Diavel schnalzt vor. Das Triebwerk hämmert durchs Drehzahlband. Härter als eine Harley Rod, doch eigentlich überraschend unspektakulär. Hmmm. Schalten bei 8000/min, rund 10000 sind möglich, die Gänge rasten sauber, kuppeln geht dank neuer Ölbadkupplung ohne übermäßigen Kraftaufwand. Skeptisch prüfender Blick auf das zweigeteilte Display – oha, böser Fehler, ich fahre im Urban-Modus!
Peinlich, diesen Dragster in Pussy-Abstimmung zu bewegen. Wie die Multistrada bietet auch die Diavel drei Fahrmodi zur Wahl: Urban, Touring und Sport. Im Urban-Modus werden nur 100 PS abgerufen, die Traktionskontrolle regelt früh, nimmt die Power schon vor dem leichtesten Rutscher zurück, und der Motor reagiert auf Gasbefehle wie eine antiautoritäre Mutter auf Argumente ihrer Kinder. Gut für Regenfahrten und den Ritt über gerollsplittete Straßen, aber nichts für den Spaß auf griffigem Asphalt. Der Touring-Modus aktiviert die vollen 153 PS des Twins, spricht direkter an, und die Traktionskontrolle greift nicht ganz so früh ein wie in der Urban-Einstellung. Ein Wechsel zwischen den Modi ist während der Fahrt möglich. Aber ich will’s ja wissen und schalte sofort in den Sportmodus. Das bedeutet eine viel später eingreifende Traktionskontrolle plus nahezu digitaler Umsetzung der Gasbefehle.

Gelassen rollt der Teufel im dritten Gang dahin, 100 km/h, 5000 Touren. Jetzt mal Gas schlagartig auf! Oha, eine völlig andere Welt. Was gut 50 PS mehr ausmachen. Plötzlich verwandelt sich der Gasgriff in den Abzug einer scharfen Waffe. Und die von mir erst als Mulde belächelte Sitzbank – die nebenbei bemerkt recht komfortabel ist – macht jetzt Sinn. Der Schub des Motors ist derart gewaltig, dass es einen nach hinten presst, und ich froh bin, mich mit dem Hintern gegen die Beschleunigung abstützen zu können. Wer den Motor über 5000/min aufreißt, weckt ein Monster. Ein Beschleunigungsmonster. Unglaublich.
Nächster Versuch, jetzt der Spurt aus dem Stand. Parkplatz anvisieren, beschleunigen im Sportmodus. Was nun kommt, kann man nur mit einer mittelalterlichen Streckbank vergleichen. Kein Schlupf, der Pirelli verzahnt sich mit dem Asphalt. Leider. Die Arme werden lang, eine unsichtbare Faust drückt meinen Kopf nach hinten – die Kiste will ohne mich weg. Hier, in Spanien, auf der Autobahn. Das lass’ ich nicht zu. Hände krampfen, die Nacken wird gezerrt. Später am Abend wird mir Ducati-Presseboss Francesco Rapisarda lachend auf den Rücken klopfen. Er nennt nur einen Wert, aber der sagt alles: 2,6 Sekunden. Von Null auf Hundert. Aufgerundet. Denn eigentlich wären es 2,58 Sekunden. Aber als Italiener sei man ja großzügig. Bei Testfahrten im Hochgeschwindigkeitsoval von Nardo haben die Roten ihrem Testfahrer Alessandro Valia, einem Ex-Superbike-Piloten, die Diavel untergeschoben, und gesagt: „Hau rein! Alles was geht!“ Mit der Originalübersetzung stanzte Valia angeblich jene 2,58 Sekunden in den Asphalt. Mit einem 41er- statt 43er-Kettenrad sollen es sogar nur 2,4 Sekunden gewesen sein. Zum Vergleich: Der von MOTORRAD gemessene bisherige Bestwert liegt bei 2,7 Sekunden von Null auf Hundert, mit Yamaha Vmax.
Mittlerweile fühle ich mich, als ob der Testastretta auch das Blut durch meine Adern hämmert. Dieser Motor ist der Wahnsinn. Für seine 153 PS braucht er 9500 Touren. Und 8000/min, um sein maximales Drehmoment von 122 Newtonmetern abzugeben. Für die Diavel ist die Gesamtübersetzung kürzer als in den Supersportlern.
Und durch eine riesige Airbox, die unter dem Tank steckt, atmet er kräftiger als in der Multistrada. Durch 58-Millimeter-Krümmer scheucht der Twin die verbrannten Gase ebenso effektiv raus. Eine auf Durchzug und Kraft aus dem vielzitierten Keller ausgelegte Ventilüberschneidung trägt mit dazu bei, diesen Teufel anbetungswürdig erscheinen zu lassen, wie sein geringes Gewicht.

Eine Stunde später irgendwo im spanischen Hinterland. Vor den Rädern rollt sich der Kurvendschungel aus. Jetzt heißt es sachte runterbremsen. Mit rund 60 km/h durchstochere ich vorsichtig die erste Kehre. Taste mich langsam weiter talwärts, Radius um Radius. Werde immer waghalsiger, warte auf das bei solchen Flachmännern übliche Kratzen. Warte und warte... Nichts. 41 Grad Schräglagenfreiheit soll die Diavel haben. Das reicht für Eifel und Alpen. Und in Norddeutschland brauchst du sowie nur 23 Grad, harhar. Erst ganz spät setzt sie dann doch auf, ritzt mit den Fußrasten zarte Autogramme in den Teer. Stabil liegt die Diavel selbst in schnell gefahrenen, weiten Kurven.
Das voll einstellbare Fahrwerk trägt seinen Teil dazu bei. Es ist straff abgestimmt, aber nicht komfortfrei. Der Gitterrahmen aus Stahlrohren ist steif und leicht, das selbsttragende Rahmenheck besteht aus Kunststoffelementen. Was willst du mehr?
Die Abendsonne leckt über den Muskelkörper der Diavel. Das neue italienische Spielzeug für Erwachsene hat eindeutige Antworten auf die eingangs gestellte Frage geliefert: Diese Ducati ist leichter, agiler, sportlicher und stärker als alle bislang bekannten Cruiser und Musclebikes. Sie hat Potenzial, um sich auf der Landstraße mit den meisten Naked Bikes zu duellieren, und stiehlt so manch teurem Custombike die Show. Dabei muss man für die Diavel nicht mal seine Seele verkaufen. 16995 Euro tun es auch. Wenn das nicht teuflisch verführerisch ist...
Hier geht's zum Video der Diavel-Präsentation:
Technische Daten

Motor:
Wassergekühlter Zweizylinder-Viertakt-90-Grad-V-Motor, je zwei oben- -liegende, zahnriemengetriebene Nockenwellen, vier Ventile pro Zylinder, Schlepp- und Kipphebel, desmodromisch betätigt, Nasssumpfschmierung, Einspritzung Ø 56 mm , Lichtmaschine 480 W, Batterie 12 V, 10 Ah, hydraul. betätigte Mehrscheiben-Ölbadkupplung (Anti-Hopping), Sechsganggetriebe, Kette, Sekundärübersetzung 43:15.
Bohrung x Hub 106,0 x 67,9 mm
Hubraum 1198 cm³
Nennleistung 112,8 kW (153 PS) bei 9500/min
Max. Drehmoment 122 Nm bei 8000/min
Fahrwerk:
Gitterrohrrahmen aus Stahl, Upside-down-Gabel, Ø 50 mm, verstellbare Federbasis, Zug- und Druckstufendämpfung, Einarmschwinge aus Aluminium, Zentralfederbein mit Hebelsystem, verstellbare Federbasis, Zug- und Druckstufendämpfung, Doppelscheibenbremse vorn, Ø 320 mm, Vierkolben- Festsättel, Scheibenbremse hinten, Ø 265 mm, Zweikolben-Festsattel, ABS.
Speichenräder mit Alufelgen 3,50 x 17; 8,00 x 17
Reifen 120/70 ZR 17; 240/45 ZR 17
Maße und Gewichte:
Radstand 1590 mm, Lenkkopfwinkel 62,0 Grad, Nachlauf 130 mm, Federweg v/h 120/120 mm, Trockengewicht 210 kg, Tankinhalt 17 Liter.
Garantie zwei Jahre
Farbe Rot/Schwarz Preis 16690 Euro
Nebenkosten 305 Euro