Fahrbericht Yamaha XVS 950 A Midnight Star
Soundmaschine

Einst spielte Yamaha mit der XV 535 eine Hauptrolle in Sachen gemütliche Fortbewegung. Der Cruiser XVS 950 A soll die drei Stimmgabeln wieder zum Klingen bringen.

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Foto: Enzmann

Nicht nur in den USA, auch in Europa liegen Cruiser im Aufwind. Seit 2004 finden immer mehr Motorradfahrer Gefallen an Chrom und tiefen Sitzbänken, fließenden Linien und lecker präsentierten V-Motoren. Noch ist allerdings die Popularität, die Langgabler in den 90er Jahren genossen, nicht wieder erreicht – damals schwang sich die Yamaha XV 535 zum meistverkauften Motorrad Deutschlands auf, 57000 Stück dieses klassischen Einsteiger-Bikes wurden hierzulande an den Mann oder die Frau gebracht.

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Heute sind Hochlenker ebenso passé wie Instrumente im Chromtöpfchen und Drahtspeichenräder. Lang und niedrig steht Yamahas neuer Cruiser auf seinen Achtspeichen-Gussfelgen, in der massigen Gabel dreht sich ein 18-Zöller mit eigens für die XVS 950 A entwickeltem Niederquerschnittsreifen von Dunlop oder – beim gefahrenen Exemplar – Bridgestone. Breit und flach erstreckt sich der 17-Liter-Tank vor der ausladenden Sitzbank, gekrönt von einem Zentralinstrument; das Zündschloss sitzt schwer nostalgisch in einer kleinen Konsole über dem Scheinwerfer. Stimmig ist die Erscheinung der Midnight Star, eine gelungene Balance von Masse und Dynamik, Chrom und sichtbarer Mechanik. Im Zentrum dieses Ensembles harrt ein neu entwickelter, luftgekühlter V2 mit 942 Kubikzentimeter Hubraum – das ist heute Einsteigerklasse.

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Lang und niedrig lehnt die XVS auf ihrem Seitenständer.

Und was für eine. 278 Kilogramm schwer, aber alles andere als bleiern. Schon beim Griff zum extra breiten, weit nach hinten gezogenen Lenker spürt man, dass dieses Motorrad es seinem Fahrer leicht machen will. Der lässt sich in den 675 Millimeter niedrigen Sattel fallen und registriert: Hier passt alles. Lenkergriffe, Trittbretter und Sitzfläche ergeben eine leicht nach vorn geneigte, völlig entspannte Haltung. Den Startknopf gedrückt, und der Einspritzer bollert sanft vor sich hin. Butterweich flutscht der erste von fünf Gängen in Position, und bereits auf den ersten Metern verfallen auch die Ohren dem Charme der XVS. Raues Schnorcheln aus der Drei-Liter-Airbox, trockenes Ballern aus dem Zwei-in-eins-Rohr, ungetrübt von mechanischem Gezirpe und Gerassel: So muss ein Cruiser klingen. Dem „sound engineering“ haben die Entwickler viel Aufmerksamkeit gewidmet: Führung der Ansaugluft, ungleichmäßige Zündfolge des 60-Grad-V2, Verzicht auf eine Ausgleichswelle, Ventilbetätigung über Rollenkipphebel, sorgfältige Auspuffkonstruktion und ein geräuscharmer Zahnriemen als Endantrieb sind nur einige der Elemente, die den klaren, dunklen Ton der Yamaha prägen.

Fahrverhalten

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Trockenes Ballern entlässt der schlanke Endtopf, mechanische Geräusche werden konsequent unterdrückt.

Das Konzert klingt bei jeder Drehzahl, bei jeder Gasgriffstellung anders und immer gut. Dass dieses Aggregat lebt, kann man nicht nur hören, man spürt es beim Hochdrehen auch in den Trittbrettern. Weil der V2 auf Drehmoment optimiert ist, verlässt man die obere Hälfte des Drehzahlbands gerne wieder, um weiterhin in sanft vibrierendem Schub und Wohlklang zu baden.

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Touren ist die komfortable XVS nicht abgeneigt. Scheibe, Koffer und Sissybar gibt's bei Yamaha als Extra.

In Fahrt gibt sich die XVS unerwartet gelenkig. Cruiser-typische Gebrechen wie Taumelneigung bei niedrigem Tempo, unwilliges Einlenken und unverhofftes Hineinklappen in die Kurve kennt sie nicht. Neutral, willig und präzise lässt sich die Yamaha lenken, locker schwingt sie durch Kurven. Nur die Untugend des frühen Aufsetzens mit den Trittbrettern besitzt sie in ausgeprägter Form; zum Glück klappen die Fußablagen hoch. Dass vom weit entfernten Vorderrad keine Rückmeldung kommt und der ausladende Lenker beim Wenden sehr lange Arme erfordert, muss man akzeptieren. Kupplung und Bremsen funktionieren ohne Kraftaufwand, Dosierbarkeit und Verzögerungsleistung der beiden Scheiben sind bestens, nur ABS gibt es nicht.

Dass Geschwindigkeit nicht im Lastenheft der XVS stand, beweisen die Höchstleistung von 54 PS und die Vmax von 155 km/h. Wer aber unbeschwertes Motorradfahren ohne Leistungsdruck genießen möchte, der wird den Klang und die unaufgeregte Lässigkeit der Yamaha schätzen.

Technische Daten Yamaha XVS 950 A Midnight Star

Motor
Luftgekühlter Zweizylinder-Viertakt-60-Grad-V-Motor, je eine oben liegende Nockenwelle, vier Ventile pro Zylinder, Rollenkipphebel, Nasssumpfschmierung, Einspritzung, Ø 35 mm, geregelter Katalysator, Lichtmaschine 460 W, Batterie 12 V/11 Ah, mechanisch betätigte Einscheiben-Trockenkupplung, Fünfganggetriebe, Zahnriemen.
Bohrung x Hub 85,0 x 83,0 mm
Hubraum 942 cm³
Nennleistung 39,4 kW (54 PS) bei 6000/min
Max. Drehmoment 76,8 Nm bei 3000/min

Fahrwerk
Doppelschleifenrahmen aus Stahl, Telegabel, Ø 41 mm, Zweiarmschwinge aus Stahl, Zentralfederbein mit Hebelsystem, verstellbare Federbasis, Scheibenbremse vorn, Ø 320 mm, Doppelkolben-Schwimmsattel, Scheibenbremse hinten, Ø 298 mm, Einkolben-Schwimmsattel.
Alu-Gussräder 3.50 x 18; 4.50 x 16
Reifen 130/70-18; 170/70-16

Maße + Gewichte
Radstand 1685 mm, Federweg v/h 135/110 mm, Sitzhöhe 675 mm, Gewicht vollgetankt 278 kg, Zuladung 210 kg, Tankinhalt 17 Liter.
Garantie zwei Jahre
Preis keine Angabe

Plus / Minus

PLUS:
Motor mit viel Drehmoment und tollem Klang
Sitzposition entspannt und bequem
Federung spricht fein an
Lenkeigenschaften neutral und fügsam
Handling für einen Cruiser leicht

MINUS:
Trittbretter setzen sehr früh auf
Lenker beim Wenden sperrig
Vorderrad gibt wenig Feedback
Höchstgeschwindigkeit begrenzt

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MOTORRAD 20 / 2023

Erscheinungsdatum 15.09.2023