»Ich bin doch nicht blöd, du bist doch nicht blöd, er, sie ist doch nicht blöd. . . «Unweigerlich hämmert sich die Radiowerbung beim Frühstück ins Hirn. Die kleinen Preise sind es, die beworben werden und zum Kauf von Elektronikartikeln animieren sollen. Verschließen wir uns diesen handfesten Argumenten, wird gleich an unserem Verstand gezweifelt. So leicht geht das. Die Motorradszene bedient sich bisweilen ebenso hieb- und stichfester Argumente, deren Mißachtung dann bei den Kollegen nur mitleidiges Kopfschütteln erzeugt. Nicht die niedrigen Preise - Motorradfahren ist einfach nicht billig. Aber was mehr Leistung hat, sich schneller und handlicher fährt, leichter zu beherrschen und perfekt zu steuern ist, muß auch mehr Spaß machen. Wer anders denkt, kann nicht ganz dicht sein. So gesehen stößt der Vergleichstest zwischen einer Harley Davidson Dyna Super Glide, einer Moto Guzzi California 1100 i und einer Triumph 900 Thunderbird, die jede auf ihre Art Technik, Fahreigenschaften oder zumindest die Optik längst vergangener Motorradepochen verkörpern, heute bei so manchem auf Unverständnis.
Die Skeptiker hätten sicher recht, würden sich die drei Nostalgik-Bikes auf der Flucht vor dem Winter auf eine der vielen Rennstrecken in Südfrankreich oder Spanien verziehen. Stattdessen rollen die Dickschiffe über den Alpenhauptkamm gen Süden, um am Gardasee die letzten warmen Sonnenstrahlen vor Wintereinbruch einzufangen, die bizarre Landschaft zwischen schroffem Hochgebirge und mediterraner Landschaft ohne Hektik in ruhiger Fahrt zu genießen. Die Harley: Eine amerikanische Legende. Die Ausfahrt Rovereto-Süd auf der Autostrada vom Brenner in Richtung Modena kommt in Sicht. Endlich! Nach fünfhundert Kilometern langweiliger Autobahn-Tuckerei steigt die Vorfreude: kein stures Geradeausfahren mehr. Von nun an werden nur noch kurvenreiche Straßen, steile Pässe, enge Serpentinen und schöne Uferpromenaden den Reiseverlauf bestimmen. Bei Tempo 120 waren die letzten fünf Stunden gar nicht so nach dem Geschmack des Harley-Fahrers.
Die Sitzposition auf der Dyna Super Glide ist auf Dauer ausgesprochen ermüdend. Am hohen Buckhorn-Lenker drohen die Arme bald abzufallen, und die Füße finden auf den weder wirklich weit vorn noch hinten plazierten Fußrasten keinen richtigen Halt zum Abstützen, um gelegentlich das eine oder andere Körperteil zu entlasten, sich zu entspannen. Und wie war das noch beim letzten Stammtischgespräch, das Gerede vom bulligen Harley-Sound und vom satten, hämmernden Durchzug des 1340er V-Twins? Die Realität ist ernüchternd. Hält man sich brav an die gesetzlichen Spielregeln, läßt die Serien-Enddämpfer dran und fummelt auch nicht an den Vergasern rum, so bleiben ein säuselndes Auspuffgeflüster und sanfte Beschleunigung, die mit steigender Geschwindigkeit immer zäher wird. Aber wer braucht schon gesteigerte Geschwindigkeiten? Der letzte Gang und niedrigste Drehzahlen verheißen mehr Glück.
Auf einer leeren Fernstraße steigt im Geiste gleich das Bild vom »american way of drive« empor: endlos lange Geraden, Wärme, weit und breit kein Auto, nichts als Landschaft. Auf der Autostrada aber geht's anders zu, da wird der fehlende Punch schon vermißt. Hat nicht Harley eine ganze Stange Geld im Porsche-Entwicklungszentrum in Weissach gelassen, um die Altersschwäche der »Evolution-Engine« zu kurieren? Verbesserungen an Luftfilter und Auspuffanlage sollten dem Ende 1993 nur noch 49 PS starken Twin wieder sieben zusätzliche PS, also deren 56 bescheren. Doch davon ist wenig zu spüren. Und eine spätere Messung bestätigt den subjektiven Eindruck: Keine 50 PS bleiben übrig, nicht mehr als bei einer im Frühjahr gemessenen Super Glide.
Dennoch, die Freude am Harleyfahren können solche Hiobsbotschaften schwerlich erschüttern. Harley fahren heißt relaxen: die sanften Erschütterungen des Twins einsaugen und mit niedrigen Drehzahlen durch die Lande gleiten. Ein beruhigendes Spiel, das bereits an der Ampel beginnt. Mit einem harten »Klonk« wird die erste Schaltstufe eingelegt. Sanft Gas geben, auskuppeln, durchschalten. Spüren, wie sich ein paar Drehzahlen mehr pro Minute in sanften Schub umsetzen. Die Dyna Super Glide wälzt sich wie ein sanfter Riese vorwärts, mächtig schüttelt der Motor in seinem Fahrwerk. Zu spüren ist davon wenig, aber umso deutlicher zu sehen. Lediglich ein leichtes Zittern und Stampfen durchfährt den Körper des Fahrers. Von nun an sind inner- wie außerorts nur noch vierter und fünfter Gang im Eingriff. Rücken- und Armmuskulatur haben sich wieder erholt.
Wie auf einer Wolke gleitet die Harley über den buckligen Asphalt, schwingt weich durch jede Bodenwelle, als wäre sie in Watte gepackt. An der Sensibilität der Telegabel und den beiden Stoßdämpfern gibt es wahrlich nichts auszusetzen. Nur sind sie klar unterdämpft, was man deutlich zu spüren bekommt, wenn sie bei einer Schaglochserie zu trampeln beginnen oder bei schnellen, welligen Passagen die Fuhre schaukeln lassen. Stolze 295 Kilogramm stemmt die Super Glide auf die Waage. Eine Menge Stahl, die sich aber erstaunlich leicht rangieren und dank der niederigen Sitzposition gut ausbalancieren läßt. Erst wenn kurvenreiche Straßen auf dem Fahrplan stehen, mutiert die Harley zur trägen Masse. Mit Nachdruck will sie in jede Kurve eingelenkt und anschließend wieder aufgerichtet werden.
Den Bogen hat man schnell raus. Ein flüssiger, runder Fahrstil erleichert den Umgang mit der Harley. Doch Vorsicht: in Rechtskurven setzt der Auspuffträger erstaunlich früh auf. Ein Thema für sich sind die Bremsen. Hier heißt es umdenken. Die Einzelscheibe im Vorderrad ist wirklich nicht der Hit. Sie verzögert nur ordentlich, wenn man kräftig zulangt. Umso besser geht's mit der hinteren Scheibe. Wie heißt es doch: gemeinsam sind wir stärker. Und genau so bremst man eine Harley. Die Moto Guzzi: in guter Tradition. Bereits ein paar wenige Kilometer auf der California genügen, um festzustellen, daß sie all das hat, was sich Harley-Fahrer von ihrem Untersatz am Stammtisch erzählen: einen satten Klang, einen kraftvollen Motor und stilechte Vibrationen.
Also starten wir durch auf dem amerikanischen Traum »made in Italy« mit seinen satten 75 PS, die nur selten vonnöten sind, um sich gekonnt in Szene zu setzen. Ein Knopfdruck genügt, dann bollert der längs eingebaute V-Twin los, läßt das Fahrwerk erzittern und mit jedem aufwärmenden Gasstoß zur Seite kippen. Gang rein, und ab die Post. Die 274 Kilogramm schwere Cali erhebt sich aus ihren Federn und schüttelt davon. Sauber und ruckfrei dreht der Motor hoch, setzt jede Gasdrehgriffbewegung gleich in Vortrieb um. Die Weber-Marelli-Einspritzanlage hat der California spürbar gut getan. Schon deshalb, weil sich das Gas viel leichter aufziehen läßt als bei der Vergaserversion. Gleich mehrere Spielarten des Motorradfahrens beherrscht die Cali. 75 PS reichen einerseits locker, um hohe Autobahnschnitte zu erzielen, andererseits verführt die füllige Drehmomentkurve des Motors zu schaltfauler, niedertouriger Fahrweise, wie man sie zu genüßlicher Überlandfahrt gerne nützt.
Das kernige Schütteln und Stampfen des 1064 cm3 großen Zweizylinders weicht mit zunehmender Drehzahl einem dumpfen Ansaugröcheln und dem bollernden Klang aus den beiden verchromten Endrohren. Dazwischen mischt sich penetrantes Rasseln und Klappern des aus Steuerkette, Stoßstangen und Kipphebel bestehenden Ventiltriebs. Aber keine Sorge, die Guzzi ist drehzahlfest, auch wenn man sie zum schnellen Vorwärtskommen kaum je aus der Reserve locken muß. Und weil der Fahrer so bequem aufrecht sitzt und auch der Sozius ein lauschiges Plätzchen findet, sind ausgedehnte Touren quasi vorprogrammiert.
Doch halt - nicht für jedermann. Die Sitzposition sorgt nicht bei allen für eitel Freude. Lange Lulatsche werden gewiß über den schlechten Knieschluß am knubbeligen Tank nörgeln, Kleinere sich ärgern, daß sie zu hoch hocken und die plüschige Sitzbank zu breit ausfiel, als daß sie den schweren Koloß mit den Füßen am Boden sicher rangieren könnten. California-Neulinge müssen zuvor sowieso noch trainieren: Beinarbeit nämlich im Umgang mit Trittbrettern, Schaltwippe und Integralbremssystem. Denn die Hauptbremskraft geht vom Fuß aus. Ein sanfter Druck aufs Pedal genügt, um eine Scheibe im Vorderrad und die hintere Scheibenbremse zu aktivieren und die Cali schnell und sicher zu stoppen. Nur muß man dafür den Fuß vom Trittbrett heben. Fürs Schalten gilt das gleiche, denn die Wippe ist so hoch angebracht, daß sie ohne Fußlupfen schwer zu erreichen ist. Wenn das Auf und Ab der Füße erst mal sitzt, gerät Califonia fahren so richtig zum Genuß.
Die verwinkelten italienischen Sträßchen sind ihr, wen wundert's, wie auf den dicken Leib geschnitten. Von wegen unbewegliche Masse. Der Koloß wuselt durch Kurvengeschlängel, als hätte er gerade eine Abmagerungskur erfolgreich abgeschlossen. Die Guzzi-Gabel mit Bitubo-Einsätzen bietet in der weichsten Einstellung ordentlichen Komfort und auch die Dämpfer hinten kommen mit voller Beladung bestens zurecht. Die Triumph: ein moderner Klassiker.
Der dritte Wandergeselle im Bunde stammt aus England, und er macht ganz gewaltig auf alt. Rundliche Kotflügel und Seitendeckel, geradlinige Sitzbank, zigarrenförmige Endschalldämpfer, viel Chrom und Applikationen, die wie die Tankform deutlich an die 60er Jahre erinnern. Aber mit der nostalgischen Optik hört das Althergebrachte bereits auf. Unter dem vielen Blech werkelt Motorradtechnik der 90er Jahre. Wen wundert's da, daß sich die Triumph im direkten Vergleich mit der Harley und Guzzi keine kauzigen, liebenswerten Schwächen und Kompromisse leistet. Der in so vielen Vergleichstests als charaktervoll bezeichnete und in der Thunderbird nur noch 70 PS starke Dreizylinder bleibt zwar, gemessen an den beiden großvolumigen Twins in seiner Leistungsentfaltung etwas blaß.
Doch die meßbare Wahrheit sieht bisweilen anders aus: Ganz unspektakulär, nur leise und heiser röchelnd, läßt der 900er Dreizylinder in allen Drehzahllagen seine lieben Kollegen richtig alt aussehen. Als wären 237 Kilogramm Eigengewicht die leichteste Sache der Welt, spurtet er auf und davon. Ohne schallendes Klack und Klonk sind die fünf Gänge flugs durchgeschaltet. Im Fünften zeigt sich dann, wie gut es um die Elastizität des Drillings bestellt ist. Bis 40 km/h runter fährt die Thunderbird ohne Ruckeln und Bocken, nimmt sauber Gas an, beschleunigt spontan und kraftvoll, sobald der Gasgriff aufgezogen wird. Zum zügigen Überholen runterschalten wäre reine Zeitverschwendung.
Kurzum, die auf alt getrimmte Thunderbird kann ihre jugendliche Frische nicht verhehlen: Leicht im Handling, zielgenau, neutral und stabil beim Kurvenfahren - die Beste im Terzett. Komfortabel ist die Federungsabstimmung, sofern man es gemütlich angehen läßt. Gemessen aber an aktuellen Big Bikes, muß sich die nostalgische Thunderbird schon einige Kritik gefallen lassen muß. Schließlich hat sie ein modernes Fahrwerk. Und das darf keine gravierenden Mängel zeigen: Etwa, daß die Telegabel bisweilen durchschlägt, oder das Zentralfederbein, daß schon bei einem 90 Kilo-Mann gnadenlos auf den Silentblock einschlägt, wenn der Straßenbelag holprig und wellig wird. Mögliches Anheben der Federbasis bringt nur wenig.
Da überlegt sich jeder schwer, ob er noch jemanden hintendrauf mitnimmt, obwohl ausreichend Platz vorhanden wäre. Bei flotter Fahrt und schwerer Last kommt auch die einsame Scheibenbremse im Vorderrad schnell an ihre Grenzen. Eine Doppelscheibenbremse wäre nicht nur wegen der besseren Bremsleistung angemessen, sondern auch deshalb, weil beim kräftigen Zulangen jeder spürt, wie sich die Telegabel unter der einseitig wirkenden Kraft verwindet. Auf Dauer bequem und kraftschonend ist die Sitzposition, die mit dem niedrigen Lenker (Triumph-Zubehör) auch für höhere Reisegeschwindigkeiten taugt. Der Schluß: das liebe Geld Unter zwanzigtausend Mark geht nicht viel. Zumindest nicht, wenn die nostalgischen Brummer mit Windschild und Packtaschen auf Reisetauglichkeit getrimmt sind.
Mit dem Harley-Faktor kommt die Dyna Super Glide auf über 25 000 Mark. Die Triumph Thunderbird bietet sich, samt einem 25 Prozent günstigeren Komplett-Set aus Ledertaschen und Windschild nebst vielen zusätzlichen Chromteilen, für etwas mehr als 21 000 Mark an. Die löbliche Ausnahme macht die Moto Guzzi: Die Italo-Kalifornierin mit dicken 40 Liter- Koffern statt magerer Ledertaschen, großem Windschild und Stürzbügeln kommt für 19 400 Mark einem Sonderangebot gleich. Bei den Sturz- und Verschleißteilen schneidet die Guzzi nicht minder günstig ab. Da liegt sogar noch die Triumph über der Harley. Erwartungsgemäß aber sammelt die Engländerin Pluspunkte bei langen Inspektionsintervallen und niedrigen Inspektionskosten. Aber da geht's um Vernunft, und das gehört jetzt hier nicht her.