Ich bin ein Star holt mich hier raus? Nicht doch. Harley-Davidson Fat Boy S und Moto Guzzi California Custom sind Leinwandhelden und waschechte Traummaschinen. Für Filmemacher und Geschichtenerzähler.
Ich bin ein Star holt mich hier raus? Nicht doch. Harley-Davidson Fat Boy S und Moto Guzzi California Custom sind Leinwandhelden und waschechte Traummaschinen. Für Filmemacher und Geschichtenerzähler.
Motorräder sind Maschinen, die unsere Fantasie beflügeln und uns zum Träumen anregen. Sie machen uns zum Darsteller im Film unseres Lebens, oder sie nehmen selbst eine Hauptrolle ein. Sie transportieren uns an Orte des Geschehens oder machen gleich die Straße zum Schauplatz. Manchmal bringen sie uns in brenzlige Situationen, manchmal holen sie uns aus ihnen heraus. Sie sind Helden, oder sie machen Helden – auf der Leinwand oder im wahren Leben.
Das gilt nicht nur, aber in besonderem Maße für die großen Cruiser, wie Harley-Davidson Fat Boy S und Moto Guzzi California Custom. Mächtige Maschinen. Viel Metall, klassische Formensprache, gewaltige Motoren. Für coole oder gut abgehangene Protagonisten und deren großen Auftritt. Und für maximalen Erlebniswert. Hier gibt es was zu sehen und was anzufassen. Die Funktionalität ist maximal reduziert auf das Wesentliche: genussvolles Fahren. Keine Koffer, keine Windschilde, keine Probleme. Wenig Federweg, wenig Schräglagenfreiheit. Ist egal, Reiseausstattung und sportliche Ambitionen stören beim verträumten Wochenend-Dreh eh bloß.
Wenn es um die zweirädrige Traumindustrie geht, sitzen Sie bei Harley-Davidson und Moto Guzzi in allererster Reihe. Und die schicken diesmal zwei Akteure mit verheißungsvollen Namen zum Set: Harley-Davidson Fat Boy S und Moto Guzzi California Custom. Wie die schon klingen. Selbsterklärend und selbstverständlich. Sogar für all jene, die von Motorrädern nicht die geringste Ahnung haben. Die klingen so richtig wie Dodge Charger oder Ferrari Daytona. Die klingen nach Gelassenheit und Kraft, nach Sonnenbrille, Freiheit, Abendrot in der Prärie oder an der Côte d’Azur. Und nach jeder Menge anderer Cruiser-Klischees. Prächtig. Damit steht das Drehbuch fest, die Darsteller werden zum Vorspielen vorstellig.
Die Harley-Davidson Fat Boy hat für diesen Vergleich einen Personal Trainer gebucht und tritt an als brandneues, voll fettes S-Modell. Trägt also statt des üblichen 103ers- den 110-Cubic-Inch-„Screaming Eagle“-Motor, der bislang den limitierten Custom Vehicle Operations (CVO)-Modellen vorbehalten war. Das bedeutet: 1801 statt 1690 Kubikzentimeter, 93 PS statt 79 und 146 Nm maximales Drehmoment statt derer 132. Um es vorwegzunehmen: Im Serienbau stellt dieser Motor die Definition eines standesgemäßen Cruiser-Antriebs dar. Er ist so amerikanisch wie der Colt Peacemaker, Kaliber 45.
Dagegen nehmen sich die Eckdaten der Moto Guzzi California Custom, dem amerikanischsten aller europäischen Motorräder, beinahe bescheiden aus. Der Adler aus Mandello muss sich mit 1380 Kubikzentimetern begnügen, immerhin der dickste Twin aus Old Europe. Aber: Dank kürzeren Hubs, höherer Verdichtung und Vierventiltechnik stehen dennoch stramme 97 PS im Fahrzeugschein und werden 120 Nm maximales Drehmoment versprochen. Eine Begegnung auf Augenhöhe also. Welche Darbietung bringt den Regisseur zum Applaudieren? Ruhe am Set, Kamera läuft, Action!
Schon rein optisch repräsentieren beide Motorräder die unterschiedlichen Philosophien, das unterschiedliche Erbgut, das in ihnen steckt. Die Harley-Davidson Fat Boy S macht ihrem Namen alle Ehre. In der Nahaufnahme: fette Gabel, fetter Tank, fette Scheibenräder, fette Lampe, fetter Hirschgeweihlenker, oberfetter Motor. Das Ganze üppig in edlem Mattschwarz finalisiert, ein Hauch Chrom punktgenau da, wo es hingehört – fertig ist die Neuinterpretation einer jungen Ikone. Alles an ihr wirkt wie aus dem Vollen gefräst, wie aus einem Guss. Insofern jedenfalls hat sich auf den ersten Blick nicht viel getan in 25 Jahren Fat Boy.
Aber die Technik hat Harley-Davidson stets mit den richtigen Updates bedacht. So gehören heute ABS, Sechsganggetriebe, Tempomat und Bordcomputer zum guten Ton. Die Sitzposition ist bester Cruiser-Standard, nur die seltsame Kröpfung des Lenkers stört ein klein wenig das Hollywood-Schaukel-Feeling. Überhaupt nicht schaukelig ist hingegen – überraschende Wendung – das Fahrverhalten. Zwar hievt der dicke Junge ebenfalls namensgerechte 334 Kilo auf die Waage, aber der Schwerpunkt ist so niedrig wie das Niveau der Dialoge im „Transformers“-Film. Dazu ist das Chassis deutlich steifer als bei älteren Fat Boys, die Reifendimensionen fahrtauglich und die Geometrie gelungen. Damit fährt die Harley-Davidson Fat Boy S im Rahmen ihrer Möglichkeiten schön rund und homogen, ist in Verbindung mit der sehr niedrigen Sitzhöhe von nur 670 Millimetern wirklich ein, hust, Easy Rider.
Sicher, die 86 Millimeter Federweg der beiden unter dem Motor liegenden Federbeine sind bescheiden wie die Handlung in „Sharknado“, sensiblen Naturen wird es hier an Komfort fehlen. Für Fans der Milwaukee-Schmiede aber macht genau das den echten Rock'n Rolla. Das passt, Charakterdarsteller und so. Allein der einsame vordere Vierkolben-Bremssattel muss sich arg mühen, an der 300er-Scheibe den Speed abzubauen. Überhaupt verlangt die Harley-Davidson Fat Boy S verbindlichen Input in Sachen Bremse, Getriebe, Kupplung, Lenkung. Wer keine Muckis hat, kann sich hier welche antrainieren.
Das entlohnt einem die Harley-Davidson Fat Boy S dann mit reichlich, reichlich V2-Schub. Der Twin Cam 110 B hängt schön sanft am Gas, puncht aber, wenn es drauf ankommt, wie ein wilder Stier. So sollte eigentlich jede Harley gehen. Dazu klingt sie herrlich bassig, sonor und rotzig, in feinstem Dolby Sound – und das bei absolut vertretbarer Lautstärke. Sie röhrt und rennt jedenfalls so prächtig, dass man sich manches Mal dann doch ein wenig mehr Schräglagenfreiheit wünschen würde. Allzu leicht haben Trittbretter und Asphalt eine unheimliche Begegnung der dritten Art.
Die Moto Guzzi California Custom dagegen präsentiert sich bei aller Cruiser-Schwergewichtigkeit geschliffener, filigraner. Europäischer, wenn man so will. Schon die Sitzposition zeigt an, wohin sich die Handlung entwickelt. Deutlich höher sitzt man (755 Millimeter), mehr auf als im Motorrad, der Lenker etwas weiter vorne, die Füße etwas weiter hinten. Nicht sportlich, aber ein wenig engagierter. Im Detail wirkt die Custom eleganter, verspielter, durchdesignter. Man beachte allein den Scheinwerfer, die Tachoeinheit oder die LED-Heckleuchten. Diese Aufmerksamkeit findet sich durchaus auch bei der Harley-Davidson Fat Boy S, der blitzsauberen Verarbeitung der Guzzi allerdings stehen teils hemdsärmelige Schlossschrauben gegenüber. Den gediegenen Auftritt der California unterstreicht auch die Bedienung: Kupplung leichtgängig, Getriebe feingliedrig, Bremse bissig, Fahrwerk ansprechend und mit Reserven gesegnet.
Tatsächlich beeindruckt, wie die Moto Guzzi California Custom lange Bögen mit der stoischen Ruhe eines Clint-Eastwood-Helden durchzieht. Lange läuft eben, und 1685 Millimeter Radstand sowie 155 Millimeter Nachlauf sind schon verdammt lang. Zwar liegt ihr Schwerpunkt spürbar höher, was sie insbesondere in der Stadt etwas kippeliger wirken lässt, und sie lenkt träger ein, fahrwerkt aber eben merklich besser und hat zudem das entscheidende Quäntchen mehr an Schräglagenfreiheit. Nein, auch das ist nicht sportlich, immerhin hat die Moto Guzzi mit vollgetankt 323 Kilo gerade einmal zehn Kilo weniger auf den Rippen als die Harley-Davidson Fat Boy S. Dennoch verfügt sie, das spürt man besonders auf der Landstraße, über jene Finesse, auf die man bei Harley wohl recht bewusst pfeift.
Auch wenn der Guzzi-1400er nicht ganz den Super-size-me-Hubraum der Fat Boy S vorweisen kann und auf dem Prüfstand ein paar Pferdchen vom Winde verweht sind – der Guzzi-Twin ist ebenfalls ein toller Cruiser-Motor. Er packt untenrum kräftig zu und scheut keine Drehzahlen, gibt sich regelrecht drehfreudig. Der Blick auf die Fahrleistungen beweist es: Moto Guzzi California Custom und Harley-Davidson Fat Boy S schenken sich bei Beschleunigung und Durchzug absolut nichts. Die Good-Vibrations-Wertung aber geht, zweite Wendung, klar nach Italien. Der 1400er rumpelt und pulsiert so herrlich feist, dass der doppelt ausgleichsbewellte Ami dagegen fast ein wenig zahm wirkt.
Abschließend sei bemerkt, dass die Reifenprüfung im deutschen Herbst bei beiden beinahe das Prädikat "Alarmstufe Rot" erfordert. Nässe, Kälte und die Dauerläufer-Dunlops der Testmaschinen sind so gar nicht ziemlich beste Freunde. Immerhin verfügt die Moto Guzzi California Custom über eine feinfühlig agierende dreistufige Traktionskontrolle – moderne Zeiten. Und sie begnügt sich mit der bescheideneren Gage. 18.000 Euro inklusive erscheinen, betrachtet man den reellen Gegenwert im Vergleich zur Harley, als ein unmoralisches Angebot. Trotzdem, die rund 1300 Euro Aufpreis für den starken 110er-S-Motor der Harley-Davidson Fat Boy S gegenüber dem Standardmodell sind absolut fair.
Aber damit wirklich genug des schnöden Faktenchecks. Man muss zwei Weltstars nicht unbedingt mit Waage und Klimmzugstange zu Leibe rücken. Genießen wir stattdessen lieber, wie sie uns mit ihrem Auftritt verzaubern. Wären sie wirklich Schauspieler, die Harley-Davidson Fat Boy S wäre wohl Arnold Schwarzenegger in „Terminator 2“, wer sonst. Harte Schale, dicke Muckis, schwarze Lederjacke. Verbindlich, zupackend, aber irgendwo tief drinnen doch ein weicher Kern. Ein sympathischer Actionheld mit Herz. Die Moto Guzzi California Custom, sie wäre wohl eher Monica Bellucci in „Matrix“. Eine elegante schwarzhaarige Schönheit, betörend, perfekt gestylt bis ins kleinste Detail. Eine dunkle Verführerin, die eher die Herzen der Guten als die Knochen der Bösen bricht. Echte Stars, Charakterdarsteller für den Film deines Lebens, das sind sie beide. Und Schnitt!
Immer über 120 Nm, in der Spitze gewaltige 143 Nm: So schaut die Macht des schieren Hubraums aus. Der Screaming Eagle 1800er ist eine Sahneschnitte von einem Motor, schiebt die fast sieben Zentner Motorrad in jedem Drehzahlbereich einfach bärig vorwärts. Aktuell der wohl mächtigste Cruiser-V2 am Markt. Doch auch die Moto Guzzi California Custom rennt prächtig, 110 Nm unter 3000 Touren sind kein Pappenstiel. Die Drehmoment-Senke stört im Fahrbetrieb nicht, vielmehr gefällt die regelrechte Drehfreude. Der 1400er scheut keine Drehzahlen und bleibt obenheraus locker an der Harley-Davidson Fat Boy S dran. Zwei tolle Motoren.
Großer Cruiser, einmal amerikanisch interpretiert und einmal europäisch. Die Harley-Davidson Fat Boy ist sich selbst dermaßen treu geblieben, erst recht als „S“ mit dem ganz dicken Motor. Der allein ist schon eine Wucht, unterstreicht perfekt das Hollywood-Flair der ganzen Maschine. Das technisch raffiniertere Motorrad ist die Moto Guzzi California Custom, doch das spielt eigentlich keine Rolle. Entscheidend ist: Auch sie schreibt sich auf jedem Kilometer ihr eigenes Drehbuch. Das Leben ist schön.
"I’ll be back!" raunt Arnie im Action-Klassiker „Terminator 2“ am Ende des Streifens dem Publikum zu. Im Film feierte 1991 auch die Harley-Davidson Fat Boy ein Jahr nach ihrem Erscheinen ihren großen Auftritt, diente dem Terminator als imagebildendes Vehikel. Und umgekehrt. Arnie ist irgendwann tatsächlich wiedergekommen, die Harley-Davidson Fat Boy war nie weg. Der Softail-Ableger mit den charakteristischen Scheibenrädern ist seit damals eine verlässliche Konstante im Programm von Harley, wurde über die Jahre behutsam modellgepflegt. Zunächst mit 1338 Kubik und 56 PS, das Sequel ab dem Jahr 2000 mit 1449 cm³ und, ganz wichtig, einer Ausgleichswelle für den rahmenfest verschraubten Motor. 2007 dann Teil drei mit 1584 Kubik und Sechsganggetriebe. Zuletzt komplettierte der Dicke 1690er die Reihe.