Vergleichstest Cruiser von Harley-Davidson, Moto-Guzzi und Victory

Harley Softail Deluxe, Guzzi California 1400 Custom und Victory Judge
Drei Cruiser im Vergleichstest

Zuletzt aktualisiert am 20.06.2013

Vergleichstest Cruiser Teil 1

Der Moloch spuckt Feuer. Rot glühende Ströme flüssigen Metalls bahnen sich ihren Weg durch Rinnen im Sand. Die Hitze ist schier unerträglich, wild flimmert die Luft. Am Rande des Lavastroms aus 1500 Grad heißem Roheisen steht wie ein Wesen von einem anderen Stern ein Arbeiter in einem dicken silbernen Schutzanzug. Über ihm ragt ein rotbrauner Industriedom in den blauen Himmel: Beim Hochofen-Abstich gibt das Eisenerz den begehrten Rohstoff frei. So muss es gewesen sein auf der 1986 stillgelegten Völklinger Hütte. Ehrfurcht vor der Knochenmaloche in dieser Kathedrale der Arbeit ist heute noch angebracht.

Ein passender, würdiger Rahmen ist das für drei zweirädrige Straßenkreuzer. Vereint bringt das Trio fast eine Tonne auf die Waage. 969 Kilogramm Schwermetall. Verteilt auf 313 Kilogramm der Victory Judge , 322 der Moto Guzzi California 1400 Custom und gar 334 Kilo der Harley-Davidson Softail Deluxe. „Schwere Maschinen“, die so ganz ohne Verkleidungen, Scheiben oder Satteltaschen perfekt den Hunger nach Stahl verkörpern. „Great Pieces of Iron“, große Eisen!

In der Völklinger Hütte standen die Hochöfen im Zentrum des Geschehens, bei den drei Giganten sind es ihre Motoren. Ideell, technisch und optisch. Diese drei Triebwerke sind wörtlich zu nehmen, weit mehr als schnöder Antrieb. Sie geben den drei besonderen Motorrädern ihre technische Seele, sind ihre Herzkammern. V2 hoch drei. Luft- und zusätzlich ölgekühlt, verkörpern sie den konstruktiven Kern ihrer Marke.

Die Moto Guzzi California 1400 Custom pflegt ihre Tradition

Wie beim italienischen Herausforderer der beiden US-Motorradschmieden. Seit 1992 hatten alle Moto Guzzi Californias 1064 Kubik. Doch nun geht Guzzi in die Vollen, mit satten 1380 Kubikzentimetern!

Der Achtventiler mit 90 Grad Zylinderwinkel der Moto Guzzi California 1400 Custom basiert auf den bisherigen 1200ern; er teilt mit Stelvio, Griso & Co 81,2 Millimeter Hub. Doch neun Millimeter mehr Bohrung, nun 104 Millimeter, machen ihn zu Europas größtem V2. Die zentrale, 52 Millimeter messende Drosselklappe unterm Fahrersitz steuert ein Stellmotor per Ride-by-Wire. Synchronisierungsprobleme? Das war früher. Lange Ansaugwege führen y-förmig zu den Brennräumen. Um die Flammwege zu reduzieren, zünden je zwei Zündkerzen je Zylinder das Gemisch. Drei verschiedene Mappings verändern die Gasannahme von weich bis direkt. Dazu bietet der Italo-V2 eine dreistufig einstellbare Traktionskontrolle, Tempomat und LED-Tagfahrlicht. Volle Breitseite, Guzzi macht Ernst.

Die Victory Judge will anders sein

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Den Ventiltrieb übernimmt eine Abfolge aus einer kettengetriebenen Nockenwelle je Zylinder, kurzen Stößeln und Kipphebeln. Während sich die beiden US-Bikes am Zahnriemen reißen, treibt die Moto Guzzi California 1400 Custom ihren 200er-Hinterreifen via neu konstruiertem, rechts verlegtem Kardan an. Die lange Schwinge kommt ohne Momentabstützung aus. Typisch ist die nun hydraulisch betätigte Einscheiben-Trockenkupplung zwischen Motor und angeflanschtem Getriebe. Erstmals in der Geschichte von Guzzis V-Twins ist der Motor nicht mehr mittragend direkt mit dem Stahlrahmen verschraubt. Eine elastische Aufhängung in Gummi-Elementen soll Vibrationen dämpfen. Um den Thermohaushalt kümmert sich ein riesiger Ölkühler mit elektrischem Lüfter. Ein Techno-Cruiser.

Die Victory Judge spreizt ihre turmhohen Hochöfen von Zylindern um 50-Grad. Sie nimmt sich die Freiheit, etwas anders zu sein. Den „Freedom Engine“ pumpen mächtige 101er-Kolben und 108 Millimeter Hub auf volle 1731 Kubikzentimeter auf. Das würde selbst für ein mittleres Auto reichen. Der größte, real stärkste V2 des Trios macht in schwarzen Zylindern mit silbernen Außenrändern der Kühlrippen auf cool.

Dampflok auf zwei Rädern: Harley-Davidson Softail Deluxe

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Raffiniert. Clean, aufgeräumt wirkt der mächtige Motor, genau wie bei der Harley-Davidson Softail Deluxe sieht man von außen fast keine Kabel. Im Gegensatz zur Harley krönt beim V2 der Victory Juge seine Zylinderköpfe mit je einer obenliegenden, kettengetriebenen Nockenwelle und vier Ventilen. Für effektivere Gaswechsel und bessere Füllung.

„Weltkulturerbe“? Das ist für Harley-Fahrer ganz klar der traditionelle 45-Grad-V2. Sie sind Jünger dieses Bauprinzips, erheben sie zur Religion. Gerade weil diese Ikone so herrlich antiquiert ist. Ein ansehnlicher Motor mit anschaulicher Technik. Funktion erschließt sich hier beim Betrachten. Die Harley-Davidson Softail Deluxe ist eine Dampflok auf zwei Rädern: zwei untenliegende, von Zahnketten angetriebene Nockenwellen betätigen über vier Stoßstangen und Kipphebel nur je ein Ein- und Auslassventil pro Zylinder. Das muss reichen.

Das Motoröl bunkert im verchromten, hufeisenförmigen „Horseshoe“-Öltank rechts unterm Fahrersitz. Für klassische Motorenbaukunst steht der Primärantrieb per Duplexkette hinterm riesigen, quadratmeterweise verchromten Motordeckel links. Urig ist der längste Hub, gewaltige 111,1 Millimeter. Ergibt bei 98,4 Millimetern Kolbendurchmesser 1690 cm³. Bei allen Softails rotieren zwei Ausgleichswellen, sodass der funkelnde V2 der Harley-Davidson Softail Deluxe starr im Rahmen verschraubt werden kann: „Twin Cam 103 B“ meint bei 103 Kubikinches zwei Nocken- und Ausgleichswellen (Balancers). Modern: rein elektronische Betätigung der beiden 46er-Drosselklappen. Wartungsfreie Hydrostößel haben beide US-Bikes.

Zündung!

Zündung! In den Herzen brennt Benzin. Pulsschlag aus Stahl setzt ein. Badoumm, badoumm, badoumm. Die Moto Guzzi California 1400 Custom wackelt im Rhythmus des 1400er-Motors. Ihr recht flacher Custom-Lenker tanzt im Takt dazu. Vor, zurück, vor, zurück. Fröhlich tickern die Ventile. Dieser V2 hängt fein und direkt am Gas, antwortet spontan. Jedes Zucken am Griff dreht die Cali erst nach rechts, dann wieder zurück in die Ausgangslage. Rückdrehmoment als Gruß aus dem Tiefparterre von der längsliegenden Kurbelwelle.

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Good Vibrations hat die Harley-Davidson Softail Deluxe reichlich. Herzerweichend puncht und pulsiert sie im Leerlauf. Im Stand lässt der V2 den gesamten Vorbau erbeben. Er pröttelt sanft aus den zwei rechts verlegten Schalldämpfern, potato-potato-potato. „Ungleichmäßige Zündfolge“ wird hier begreifbar.

Wie auch auf der Victory Judge. Mit sanftem Ruhepuls blubbert sie vor sich hin. Sie schüttelt sich am wenigsten. Noch. Beruhigende Leerlaufdrehzahl 850, 900, 850 vermeldet der digitale Drehzahlmesser mit LCD-Ziffern im Tacho. Ebenso hält es die Harley-Davidson Softail Deluxe mit ihrem digitalen Tourenzähler.

Vergleichstest Cruiser Teil 2

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Los geht’s, die eisernen Pferde satteln. Kraft braucht die stramme Kupplung Victory Judge. Ihr Drag-Bar-Lenker liegt weit entfernt, zieht beim Wenden die Arme lang. Ist halt ein echtes Männer-Motorrad, die Judge. Kadusch, mit einer Unerbittlichkeit finden die Zahnräder des ersten Gangs zueinander. In der digitalen Ganganzeige prangt „1“. So muss es sich angefühlt haben, als Eisenbahnwärter einst die Weichen von Hand stellten. Eine gesunde Härte. Passt perfekt zum Macho-Konzept.

Auf der Harley-Davidson Softail Deluxe fällt dein Hintern ins Erdgeschoss, 67,5 Zentimeter überm Boden. Bei ausgeschaltetem Motor klebte ihre Kupplung noch extrem, ließ sie sich bei eingelegtem Gang kaum schieben. Doch nun, wo ihr Seelenmasseur von einem V2 läuft, gibt sich die Deluxe umgänglich. Ihren leichtgängigen Kupplungshebel titulieren Lästerer als „Pussy-Clutch“. Etwas Einfühlungsvermögen erfordert das knochighölzerne Getriebe. Es hat wie das von der Moto Guzzi California 1400 Custom und Victory Judge sechs Gänge, macht aber Leerlaufsuche beim Anhalten zum Geduldsspiel.

Jedes Detail wirkt wuchtig

Der recht stark gekröpfte Lenker der Harley-Davidson Softail Deluxe liegt nah vor der Brust. Der im hinteren Bereich breitere der beiden US-Tanks spreizt die Beine mehr. Fakt ist, dass die Harley es kleinen Leuten am einfachsten macht. Zwei-Meter-Männer dagegen leiden eher. Sie können mit den Knien lenken.

Genau umgekehrt hält es die lang gestreckte Moto Guzzi California 1400 Custom: Lange Kerls freuen sich über den prima zur Hand liegenden Lenker. Müssen nur aufpassen, mit den Knien nicht an den Zylindern anzuecken. Kleine Leute müssen sich trauen, so gewaltig sind die Abmessungen. Die Cali schiebt und wendet sich am schwersten. Lang und schwer, ein echtes Schiff. An diesem Motorrad wirkt jedes Detail wuchtig. Fast 1,69 Meter Radstand bedeuten fünf Zentimeter mehr zwischen den Achsen als bei der Harley-Davidson Softail Deluxe. Optisch wirkt es mit der langen, flach angestellten Gabel eher nach einem halben Meter. Schon das In-die-Senkrechte-Hieven erfordert bei der California den ganzen Mann. Ihr Schwerpunkt und ihr Sitz (75,5 Zentimeter) liegen am höchsten.

Das Guzzi-Drehmoment überholt die Victory schon im Standgas

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Gleiches gilt fürs Drehzahlniveau. Ihr Hubraummanko kann die Guzzi auch mit modernster Technik nicht wettmachen. Sie braucht deutlich mehr Sprit als die beiden Amerikanerinnen. Verkehrte Welt. Lästig: die zu früh leuchtende Reserveleuchte des Mandello-Bikes. Das gemessene maximale Drehmoment der Moto Guzzi California 1400 Custom, 110 Newtonmeter, überflügelt die Victory Judge bereits bei Standgas-Drehzahl. Genauso ungeduldig geht die Judge nach vorne los. Wenn man am konventionellen Gasgriff dreht, werden die Silhouetten der Völklinger Hütte in den Rückspiegeln rasch kleiner. Aus dem Stand heraus spurtet die Victory vehement. Schlicht der Hammer, wie der Ami-Motor seine kräftige Drehmoment-Keule schwingt: potente 153 Newtonmeter.

Ein echtes Muscle Bike, diese Victory Judge, volle 100 PS stark. Ab etwa 2500/min untermalen metallischharte Vibrationen ihren starken Vortrieb. Dieses Motorrad lebt, zieht sich und dich gelassen durch den Orbit. Im sechsten Gang riegelt die Elektronik bereits kurz nach der 4000er-Marke ab, bei echten 180 Sachen. Zum hohen Erlebniswert trägt der volltönend satte Bass-Sound einen gehörigen Teil bei. Gestatten? „Dr. Jekill und Mister Hyde“ heißt die extrem teure (1960 Euro) Zubehör-Auspuffanlage mit EG-Zulassung. Klangteppich oder Dröhnmusik? Zwei Auspuffklappen (die Harley-Davidson Softail Deluxe hat eine) lassen sie im Messbereich die Bestimmungen einhalten, doch im realen Fahrbetrieb ist sie ziemlich laut. Etwas für eher böse Jungs.

Harley macht auf personifizierte Sanftmut

Dagegen macht der V2 der Harley-Davidson Softail Deluxe auf personifizierten Sanftmut. Ein echter Gummibandmotor. Nur eben eher schlaff gespannt. Mit Rasanz hat es die Softail nicht so. Warum auch? Gelassen gleiten und genießen, sehen und gesehen werden: Dies gilt bei ihr im urban-industriellen Umfeld wie auf einsamen Landstraßen. Im langen sechsten Gang, dem Overdrive, gibt sie sich unelastisch, verpufft ihre Power. Jeder 600er-Vierzylinder zieht besser durch. Zurückschalten hilft. Oder sich einfach treiben lassen, innere Ruhe finden. Stress und Hektik perlen plötzlich von dir ab. Dazu trägt der sanfte Blubbersound bei. Easy Going!

Da ist die Moto Guzzi California 1400 Custom viel rasanter, im sechsten Gang sogar flotter als die Victory Judge unterwegs. Kürzerer Übersetzung sei Dank. Für richtig harmonischen Rundlauf sollten in den oberen Gängen schon mindestens 3000 Touren anliegen. Besonders sanft lässt sich das Guzzi-Getriebe betätigen. Nur in Sachen „Sound and Feeling“ fällt der Italo-V2 ein wenig hinter die Ami-Bikes zurück. Er vibriert weniger, klingt höher, „lebt“ weniger. Das spürt man oder frau auch in der zweiten Reihe. Zu großen Touren lädt keine der drei Maschinen einen Sozius ein; dafür sind die Rückbänkchen einfach zu klein, fallen unglücklich nach hinten ab. Wobei die Cali einem Passagier noch den am wenigsten schlechten Platz offeriert.

Italian Way of schleif

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Während Victory Judge und Harley-Davidson Softail Deluxe im Soziussitzkissen spürbar pulsieren, je nach Gusto stimulierend oder störend, vibriert bei der Moto Guzzi California 1400 Custom hinten rein gar nichts. Gut gelungen ist das Italo-Fahrwerk. Es setzt Lenkbefehle eins zu eins um, genau im richtigen Maß. Trotz des fetten Heckschlappens bleibt die Guzzi in Schräglage schön neutral. Und sie ist am handlichsten. Positiv wirkt offenbar die längs zur Fahrtrichtung liegende Kurbelwelle. Spur- und linientreu zieht die 1400er ihre Bahn, prima austariert. Ein echter Kurvencruiser. Schluckfreudig-komfortabel geben sich die Federelemente, ohne schwammig zu sein. Fein abgestimmt.

Allerdings addieren sich eher weiche Stereo-Federbeine und leichte Kardanreaktionen zu minimalem Wippen des Hecks. Eigen: Kleine Kunststoffklötzchen unter den Trittbrettern setzen in Kurven zunächst sanft auf. Italian Way of schleif. Aus Plastik sind übrigens auch die schwungvollen Schutz-„Bleche“ der Moto Guzzi California 1400 Custom. Bestens ankert die einzige Doppelscheibe vorn. Und das serienmäßige ABS hat eine hohe Regelgüte.

Die Harley kommt mit eingebautem Warnhinweis zur Mäßigung

Da kann die Harley-Davidson Softail Deluxe nicht mithalten. Ihr extrem clever verstecktes ABS regelt plumper, den Bremsen fehlt der letzte Biss. Eile mit Weile gilt auch fürs Fahrwerk. Das Chassis aller Softail-Modelle sieht mit dreieckigen Hinterradschwingen aus Rundstahlprofilen wie gechoppt aus, ohne Hinterradfederung. Solche Starrrahmen nennen die Amerikaner „Hardtail“. Tatsächlich haben die Softails zwei verborgene, parallel unter Motor und Getriebe liegende Federbeine. Der Name ist ein Wortspiel, heißt frei übersetzt „weiches Ende“. In unserem Fall die Luxus-Ausführung.

Fette Kotflügel umhüllen die schlauchlosen Weißwandreifen auf dicken Chrom-Speichenrädern. Abgedichtete Felgenbänder machen’s möglich. Durch die spezielle Umlenkung sind die Federbeine auf Zug belastet, werden beim Einfedern des Hinterrads länger. Weich sind sie und unterdämpft. Mit Passagier oder bei Bodenwellen in Schräglage schaukeln sie sich auf. Obacht. Dann setzt die ganze Fuhre hart auf: mit dem Seitenständer oder den Auslegern der Trittbretter. Ein eingebauter Warnhinweis zur Mäßigung. Die Harley-Davidson Softail Deluxe ist schließlich ein Kreuzer, kein Schnellboot.

Anabolika auf Rädern

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Die Judge - zu Deutsch: Richter - hat einen schärferen, sportlicheren Anspruch. Ihre 16-Zoll-Fünfstern-Felgen mit polierten Rändern und Reifen mit weißer, erhabener Schrift und hohem Querschnitt erinnern an Hot Rods der 70er-Jahre. Ein Camaro auf zwei Rädern. Klasse! Statt ausladender Trittbretter weit vorn hält die Victory Judge dir mittig platzierte Fußrasten hin. Bedingt eine aktiv wirkende Sitzposition mit viel Körperspannung. Glühend mattoranger Lack steht im Kontrast zu schwarz eloxiertem wie lackiertem Metall an Schwinge, Motor und Auspuffen. Kein Chrom, nirgends. Nur das Tachogehäuse funkelt und glänzt.

Angedeutete Startnummernfelder unterm Sitz stehen für ständige Sprint-Bereitschaft und Ampelduelle. Anabolika auf Rädern. Da lässt sich das Fahrwerk nicht lumpen. Zielgenauer als die komfortbetonte Harley, frecher, verwegener sticht die Victory Judge bei Lust und Laune ins Winkelwerk. Der gefahrene Strich ist sauberer. Das Macho-Bike Judge rollt vorn auf einem breiten 130er, hinten auf einem schmalen 140er. Es fühlt sich im positiven Sinne steif an. Klappt zwar leicht ab, untersteuert am Kurveneingang aber ein wenig.

Ein exklusiver, geiler Hocker

Passend zum Konzept will die Victory Judge hart angefasst werden. Sie liegt satt, straff gedämpft. Trotz minimalistischen Federwegs des Zentralfederbeins, nur 75 Millimeter, gibt sie sich ausreichend komfortabel. Die Gabel spricht fein an, taucht aber beim beherzten Griff zum kräftigen vorderen Vierkolbenstopper weit ab. Beim Bremsen in Kurven stellt sich die Judge mächtig auf. Aufpassen: Nur die Victory hat kein ABS an Bord. Der Heckstopper überträgt viel Bremskraft, blockiert jedoch ziemlich früh.

Dies relativiert gut 3500 Euro Ersparnis zur Moto Guzzi California 1400 Custom und fast 6000 zur Harley-Davidson Softail Deluxe ein wenig. Trotzdem ist die Victory eine coole Karre, eine echte Bereicherung. In puncto Fahrspaß ist sie tatsächlich der Siegertyp. Ein exklusiver, geiler Hocker. Trotzdem findet die Harley mehr Bewunderer. Emotion in Motion. Sie hat dick Make-up aufgetragen, alle Register des Glänzens gezogen. Auffälligen, aufpreispflichtigen grünen Metallic-Lack etwa. „Hard Candy Lucky Green Flake“ heißt der im Harley-Jargon. Dessen besonders große Metallic-Partikel sollen für eine besondere „Tiefenwirkung“ stehen. Ride with Pride, fahre voller Stolz. Ziel erreicht. Damit kann man nirgends unbemerkt anhalten.

So macht die nervöse Alarmanlage Sinn. Ansatzweise Understatement kann allein die Moto Guzzi California 1400 Custom. Technisch liegt die California Custom vorn. Ihre Schwester California Touring wirkt optisch noch stimmiger, zitiert sie doch die Guzzi-Geschichte. Und sie ist der bessere, wenngleich nochmals 23 Kilo schwerere Begleiter auf Tour. So oder so, die Wege der drei Eisen sind bei allen Parallelen erstaunlich eigenständig. Charmantes Schwermetall mit ausgeprägten Charakteren sind diese US- und Italo-Cruiser.

MOTORRAD-Fazit

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Victory Judge
Sie ist die sinnliche, starke Interpretation eines Power-Cruisers. Lieber angasen als dezent gleiten. Reduziert auf das Wesentliche? Nein, fokussiert auf das Maximum! Denn in Sachen Fahrspaß wie cleanem Look fährt die coole Victory Judge voraus. Schlecht: noch kein ABS an Bord. Gut: günstigster Grundpreis.

Harley-Davidson Softail Deluxe
Mild und wild: geringste Sitzhöhe und manierliche Umgangsformen erleichtern die Beziehung mit der Deluxe. Diese funkelnde Harley-Davidson Softail Deluxe wirkt fast feminin. Ein braves Mädchen-Motorrad? Nein, passend zum Konzept ist Terminators Schwester nur sanftmütiger, beseelt von vertrauten Formen und zeitloser Aura.

Moto Guzzi California 1400 Custom
Die Guzzi ist klar das amerikanischste aller europäischen Motorräder. Oder das italienischste unter allen amerikanischen? Funktional überzeugt die 1400er-Cali auf ganzer Linie: beste Bremsen, bestes Fahrwerk, modernste Konstruktion. Nur bei Abmessungen und Gewicht schießt Moto Guzzi California 1400 Custom übers Ziel hinaus.

Leistungsmessung

Archiv

Parallel liegen die Leistungskurven der US-Bikes von Harley und Victory. Wobei der Newcomer den Trendsetter klar überflügelt. Bärige 153 Newtonmeter und kräftige 100 PS stemmt die Victory Judge. Da verblassen die maximal 131 Newtonmeter der Harley-Davidson Softail Deluxe fast: für 1690 Kubik eine eher magere Ausbeute - das drückt die Judge bereits bei 1800 statt 3200 Touren. Immerhin erreicht die Harley ihre Werksangaben. Die Victory liegt sogar deutlich über den Prospektwerten. Ganz italienisch, bleibt die Moto Guzzi California 1400 Custom recht deutlich hinter den Werksangaben zurück. Zudem kann sie ihr klares Hubraummanko - „nur“ 1380 cm³ - nicht verbergen. Im Vergleich ist der einzige Kurzhubmotor des Trios erheblich drehfreudiger. Oder drehzahlbedürftiger? Und im Gegensatz zu den US-Boliden hat die Drehmomentkurve der Guzzi eher die Form eines Reh- statt eines Büffelrückens. Zwischen 3000 und 5500 Touren sinkt das Drehmoment von 110 Newtonmeter auf deren 105 bei der 4000er-Marke ab.

Weltkulturerbe Völklinger Hütte

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Sie steht auf einer Stufe mit den Pyramiden von Gizeh und der Chinesischen Mauer: 1994 erlangte die saarländische Völklinger Hütte als weltweit erstes Industriedenkmal den Status eines UNESCO-Weltkulturerbes der Menschheit. Nicht nur das Ruhrgebiet bietet grandiose Industriekultur, auch die Region Saarland - Lothringen - Luxemburg war einst eine Hochburg der Eisen- und Stahlindustrie. In der Hochzeit der Hütte in den 1960er-Jahren arbeiteten hier 17 000 Menschen. 1986 wurde die Roheisenproduktion stillgelegt und das weltweit einzige komplett erhaltene Eisenwerk unter Denkmalschutz gestellt. Seither ist die Eigenwerbung „Einer der spannendsten Orte der Welt“ Programm.

Die Völklinger Hütte lädt ihre Besucher zu vielfältigen Entdeckungsreisen in einem gigantischen Industriekomplex ein. Insgesamt fünf Kilometer lange Wege führen tief hinein in dunkle Gänge wie auch hoch hinauf in luftige Höhe, auf die Aussichtsplattform am Hochofen. Von dort bietet sich ein herrliches Panorama über den riesigen Organismus aus Stahl, Eisen und Beton. 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche hat dieses Werk Roheisen produziert, jahrein, jahraus. Ein riesiger Schrägaufzug beschickte den Hochofen mit Eisenerz und Koks. Den Koks als Brennstoff lieferte eine eigene Kokerei auf dem Werksgelände. Drei bei Nacht rot illuminierte Cowper, stählerne Kolosse von Zylindern, heizten den Wind, der das Feuer in den Hochöfen anfachte, auf 1100 Grad Celsius auf.

Die Multimedia-Erlebniswelt im „Science Center“ erklärt die Geschichte der Eisenerzeugung. Aber die Völklinger Hütte bietet noch viel mehr: Als „Europäisches Zentrum für Kunst und Industriekultur“ ist sie Schauplatz und Bühne faszinierender Ausstellungen und Konzerte. Als Motorradfahrer empfiehlt sich ein Besuch im Rahmen einer Wochenendtour durch den herrlichen Pfälzer Wald oder die Eifel. Oder doch lieber ein Familienausflug? Zwölf Euro Eintrittsgeld (Familien 25 Euro) sind bestens investiert in unvergessliche Erlebnisse. Geöffnet ist täglich von 10 bis 19 Uhr, ab 2. November bis 18 Uhr. Infos: Telefon 0 68 98/ 9 1001 00 und www.voelklinger-huette.org

Technische Daten

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Harley-Davidson Moto Guzzi Victory
Softail Deluxe California 1400 Custom Judge
Motor 
Bauart/Einbaulage Zweizylinder-Viertakt-
45-Grad-V-Motor/quer
Zweizylinder-Viertakt-
90-Grad-V-Motor/längs
Zweizylinder-Viertakt-
50-Grad-V-Motor/quer
Einspritzung Ø 46 mm Ø 52 mm Ø 45 mm
Kupplung Mehrscheiben-
Ölbadkupplung
Einscheiben-
Trockenkupplung 
Mehrscheiben-
Ölbadkupplung
Bohrung x Hub 98,4 x 111,1 mm 104,0 x 81,2 mm 101,0 x 108,0 mm
Hubraum 1690 cm3 1380 cm3 1731 cm3
Verdichtung 9,6:1 10,5:1 9,4:1
Leistung 58,0 kW (79 PS)
bei 5250/min
71,0 kW (97 PS)
bei 6500/min
66,0 kW (90 PS)
bei 5300/min
Drehmoment 132 Nm bei 3250/min 120 Nm bei 2750/min 141 Nm bei 2800/min
Fahrwerk
Rahmen Doppelschleifenrahmen
aus Stahl
Doppelschleifenrahmen
aus Stahl
Doppelschleifenrahmen
aus Stahl
Gabel Telegabel, Ø 41 mm Telegabel, Ø 46 mm Telegabel, Ø 43 mm
Bremsen vorne/hinten Ø 292/292 mm Ø 320/282 mm Ø 300/300 mm
Assistenzsysteme ABS ABS, Traktionskontrolle ­–
Räder 3.00 x 16; 3.00 x 16 3.50 x 18; 6.00 x 16 3.5 x 16; 3.5 x 16
Reifen MT 90 B 16; MU 85 B 16 130/70 R 18; 200/60 R 16 130/90 B 16; 140/90 B 16
Bereifung Dunlop D 402/F Dunlop D 251 Dunlop D 491
Maße + Gewichte
Radstand 1635 mm  1685 mm  1647 mm 
Lenkkopfwinkel 58,0 Grad 58,0 Grad 58,3 Grad
Nachlauf 147 mm 155 mm 170 mm
Federweg v/h 130/91 mm 120/110 mm 130/75 mm
Sitzhöhe** 675 mm 755 mm 705 mm
Gewicht vollgetankt** 334 kg 322 kg 313 kg
Zuladung** 192 kg 225 kg 209 kg
Tankinhalt/Reserve 18,9/3,8 Liter 20,5/5,0 Liter 17,0/– Liter
Service-Intervalle 8000 km 10000 km 8000 km
Preis inkl. NK 20445 Euro 17950 Euro 14590 Euro
Preis Testmotorrad inkl. Nebenkosten 21315 Euro*** 17950 Euro 16500 Euro****
MOTORRAD-Messwerte
Höchstgeschwindigkeit* 195 km/h 195 km/h 180 km/h¹
Beschleunigung
0–100 km/h 5,2 sek 4,4 sek 4,2 sek
0–140 km/h 10,0 sek 8,5 sek 8,5 sek
Durchzug
60–100 km/h 7,1 sek 4,7 sek 5,7 sek
100–140 km/h 8,1 sek 6,7 sek 6,3 sek
140–180 km/h –  11,7 sek 11,7 sek
Verbrauch Landstraße 5,0 Liter/Super 5,8 Liter/Super 4,5 Liter/Super
Reichweite Landstraße 378 km 353 km 378 km
* Herstellerangabe; **MOTORRAD-Messungen; *** Preis inkl. Lackierung „Hard Candy Lucky Green Flake“; **** inkl. Zubehörauspuff „Dr. Jekill & Mr. Hyde“ (1960 Euro ohne Einbau)