Mit der FX 1200 Super Glide versuchte Harley-Davidson 1971 erstmals ein Custom-Bike von der Stange anzubieten. Die Käufer verschmähten sie wegen ihres eigenwilligen Designs, heute ist sie ein rares Motorrad.
Mit der FX 1200 Super Glide versuchte Harley-Davidson 1971 erstmals ein Custom-Bike von der Stange anzubieten. Die Käufer verschmähten sie wegen ihres eigenwilligen Designs, heute ist sie ein rares Motorrad.
Rahmen, Federbeine, Schwinge samt Hinterrad sowie der 1200er-Shovelhead-Motor stammen von der Electra Glide. Auch die Tankhälften mit den integrierten Armaturen kommen aus dem Regal der FL. Die dagegen zierlich wirkende Gabel mit Vorderrad und Scheinwerfer liefert die kleinere Sportster. Der Zwei-in-Eins-Auspuff war eine Neuentwicklung. Während die Electra Glide eine Zwei-in-Zwei-Anlage besaß, trug die Sportster zwei einzelne Auspuffe. Auf den E-Starter verzichtete Harley, ein Kickstarter musste genügen. Er entsprach dem damaligen Klischee von Männlichkeit. Erst 1974 startete die Super Glide wahlweise elektrisch, als FXE.
Die vorne verbaute Aluminium-Hochschulterfelge scheint nicht so recht zur stählernen Flachschulterfelge des Hinterrads zu passen. Für neun Dollar Aufpreis (damals etwa 32 Mark) stand sie im Sonderausstattungsprospekt. Die Kombination aus leichter Frontpartie mit dem relativ schmalen 3.75 S 19-Pneu und dem mächtigen, gedrungen wirkenden hinteren Fahrzeugteil mit dem dominierenden Shovelhead-Motor und dickem 5.10 S 16-Reifen sollte wie ein Dragster anmuten, Aggressivität und Schnelligkeit ausstrahlen. Ihr geradezu herausragendes Merkmal war ihre ungewöhnliche Heckverkleidung, an der sich schon 1970 die Geister schieden.
In dem „Boat Tail“ genannten Gfk-Heck mit integriertem runden Rücklicht, sahen manche den Düsenaustritt eines Jets, andere das Heck eines Sportboots oder eines Zuges. „Call it the night train“ lautete der markige Spruch in einem Werbeprospekt. Das Bauteil aus glasfaserverstärktem Kunststoff war schon zuvor als Zubehör für die Sportster im Programm. Weil es vielen Käufern nicht gefiel, bot das Werk die Super Glide ab 1972 mit einem herkömmlichen Schutzblech aus Stahl und einer Stufensitzbank für zwei Personen an - mit Erfolg. Das Boat-Tail-Heck wanderte wieder in die Zubehör-Liste. Ein anderes ungewöhnliches Detail ist die hintere Bremse. Sie wird hydraulisch betätigt, wie auch seit 1958 in der Duo Glide. Vorne ist dagegen eine per Seilzug betätigte mechanische Simplex-Trommel eingespeicht. Ab 1973 erhält die FX die Scheibenbremsanlage der Electra Glide.
Die Zeitschrift „Cycle“ prognostizierte in ihrer Novemberausgabe von 1970: „Diese Maschine wird hierzulande einschlagen, wie noch kein Harley-Modell eingeschlagen hat“. Darin sollte sich der Redakteur jedoch irren, denn zumindest in dieser Form blieb die FX ein Ladenhüter - trotz ihrer guten Fahrleistungen. 62 PS bei 5400/min genügten, um die 279 Kilogramm Stahl, Gummi und Glasfaserkombinat auf 177 km/h zu beschleunigen. Immerhin war sie fast einen Zentner leichter als ihre große Schwester Electra Glide. Am besten verkaufte sich das Modell in der „Sparkling America“-Lackierung. Das weiß-blau-rote Design sprach viele patriotische Amerikaner an. Harley bot das Motorrad, wie abgebildet, auch im schwarzen Kleid und in den Farben Birch White, Sparkling Green, Burgundy, Blue, Turquoise, Red und Copper an. Angeblich fanden diese Varianten jedoch kaum Käufer. Im ersten Jahr konnte das Werk insgesamt 4700 Exemplare der FX 1200 absetzen. 1972 waren es 6500 Maschinen - nachdem Harley reagiert und ein traditionelles Heck verbaut hatte.
Motorräder aus Milwaukee gelangten damals nur in homöopathischen Stückzahlen nach Deutschland, was sicher auch an den Preisen lag. Motorrad-Restaurator Mike Kron, Besitzer unseres Fotomodells, hat die Maschine im Originalzustand in Amerika entdeckt und nach Deutschland geholt. Die Super Glide war damals Harleys Topmodell. Sie kostete 1971 laut MOTORRAD-Katalog 14 198 Mark - das übertraf selbst die als exorbitant teuer angesehene Münch 4-1200 TTS, die mit vergleichsweise günstigen 10 780 Mark in der Liste stand.