Indian Challenger (2020) im Fahrbericht
Erste Fahrt mit dem neuen Bagger

EICMA 2019

Big American V-Twins sind bräsige Geradeaus-Flanierer? Einspruch von Indian: Deren neuer Bagger, die Challenger, ist ein arger 1800er-High-End-Hot-Rod mit Radio und Koffern. Pow-Wow mit 122 PS und 178 Newtonmetern.

Indian Challenger
Foto: Indian, Barry Hathaway

Beef ist Rindfleisch und Umgangssprache für Zoff: Den eskalieren die Indianer aus Minnesota nun weiter, indem sie der großen anderen US Traditionsmarke, der aus Milwaukee, einen von Grund auf neu entwickelten Bagger samt brandheißem „Power-Plus“-Treibsatz ins Stammrevier bomben. Noch ein Bagger? Nun, Trends kommen und gehen, selbst beim Big American V-Twin. Dessen bekannte Servierform, als klassischer Fulldresser mit Beinschild und Topcase gilt als altherrig. Der schlichte Cruiser? In Amerika nicht tourentauglich genug. Die angesagte Fasson für mächtige V-Motoren: großes Vorderrad, hoch aufragende Front mit rahmenfester Schale, nach hinten flach abfallende Silhouette, schließlich natürlich feste Koffer. Bagger sind der heiße Scheiß, da spielt im lukrativen US-Markt jetzt die Musik. Alles klar?

EICMA 2022

Frontalangriff auf Harleys Road Glide

„Challenger“, „Herausforderer“, ist als Name der neuesten Indian dann Absichtserklärung. Herzstück des Frontalangriffs auf Harleys Road Glide: der neue Motor, ein wassergekühlter 60-Grad-V2. Vierventiltechnik, je eine obenliegende Nockenwelle, Verdichtung 11:1, Hydrostößel und Schlepphebel, zwei mächtige 52-mm-Saugrohre, schließlich, good God, sogar ­eine ins Kurzhubige tendierende Auslegung – moderne Technik also. Und doch amerikanisch, weil der Kessel feiste 1.768 Kubik misst.

Indian Challenger
Indian, Barry Hathaway
Der Big American V-Twin voll auf der Hoehe der Zeit. Premium nicht nur in der Machart, sondern auch in Technik und Fahrverhalten.

Den salzigen Duft des Pazifiks in der Nase, breitet sich vor uns der kalifornische Highway One zwischen Santa Barbara und San Jose als stimmige Kulisse so gewaltig aus wie das Motorrad selbst: 2,50 Meter Gesamtlänge, 360 Kilo Trockengewicht. Wir nehmen Platz und registrieren: Urbequeme Sitzbank, Platz ohne Ende, Langstrecken-Cruiser-Ergonomie, die aber nicht vollends Richtung Großvaters Ohrensessel entgleitet; es passt. Mit einem wuchtigen, finsteren Hämmern verkündet der 108-Cubic-Inch-Motor seine Schaffenslust, geht schon im Stand auf Distanz zum Lanzbulldog-schwungmassigen Gluckern luftgekühlter Stoßstangen-Motoren. Vibrationen? Er lebt, atmet vor allem, aber schüttelt nicht. Vorsichtiger Zupfer am Gasgriff: Hui.

122 PS und 178 Newtonmeter

Spontanes, freies Hochdrehen, und herrlich dreckiger, verheißungsvoller Rotz ’n’ Roll aus den Kaminrohren. Trotz Servounterstützung braucht die Seilzugkupplung eine Pranke, rückt in kaltem ­Zustand zudem etwas rupfig ein – ein Umstand, der sich mit Betriebstemperatur geben wird. Die wäre erreicht, versprochene 122 PS und 178 Newtonmeter, die übrigens auch mit restriktiverer EU-Homologation galoppieren sollen, möchten überprüft sein. Stehen lassen, von ganz unten bis ganz oben: Schon vor 1.500 Umdrehungen läuft der Twin schön rund, nimmt die Challenger gelassen Schwung auf. Bis 2.500 folgt ein angenehm elastischer Fahrbereich mit souveräner, aber angesichts des Fahrzeuggewichts nicht erdrückender Kraft – die kommt ab der genannten Marke.

Indian Challenger
Indian, Barry Hathaway
Die Indian Challanger ist in den Farben Grau, Schwarz, Rot und Blau erhältlich.

Durch die Drehzahlmitte hindurch trommelwirbelt der Motor zunehmend enthemmt, bald zornig ballernd, schließlich heiser schmetternd, um erst deutlich jenseits des roten Bereichs bei 6.000 Umdrehungen mit nicht wirklich verebbendem Elan in einen weichen Begrenzer zu hämmern. Neue Sphären für dicke US-Twins, und heftig, wie dieses Motorrad den Asphalt unter sich wegreißt. Auch was für einen herben Klangteppich es dazu ausbreitet. Ob wir Europäer auch in diesen Genuss kommen? Der Punch jedenfalls ist American Muscle, versprüht Hot-Rod-Vibes. „Power Plus“ beherrscht Flanieren, animiert aber mit seinem Werks­tuning-Wesen zum Durchladen.

Indian Challenger mit anständiger Schräglagenfreiheit

Eine Gangart, mit der das Chassis umzugehen weiß: Ein sehr verwindungssteifer Alu-Rückgratrahmen, feste USD-Gabel, für ein Ami-Schiff relativ lange Federwege (einwandfreier Komfort), Doppelscheibe und Brembo Monoblocks als Edel-Bremserei, ganz anständige Schräglagenfreiheit, als Sahnehäubchen einen eigens aufgelegten Metzeler Cruisetec mit feinem Grip – diese Kugelstoßerin tanzt, und wenn’s sein muss, Rumba.

Indian Challenger
Indian, Barry Hathaway
Die ausladende Verkleidung schützt den Oberköper effektiv vor Wind, der Schild lässt sich elektrisch ausfahren. LED-Lichtspielerei. Schön?

Lenkt mit vertretbarem Kraftaufwand ein, das bis zum späten Schrappeln ganz neutral und überraschend zielgenau, dämpft korrekt, kaschiert ihre Masse recht clever und bietet doch dieses kinetische Abrissbirnen-Fahrgefühl, wie es eben nur Motorräder der Sieben-Zentner-plus-Liga bieten. Entscheidend: Diese Abrissbirne schwingt nur dorthin, wo du sie auch haben willst. Die Indianer sind sich ihrer Sache so sicher, dass sie bei der Präsentation einfach das Konkurrenzprodukt mitfahren ließen. Unter Vorbehalt: Rein objektiv kann die Challenger alles besser als eine Road Glide, vieles sogar sehr viel besser.

22,7 Liter passen in den Tank

Auch an Bord sind Bosch-IMU gefüttertes ABS und schräglagenabhängige Traktionskontrolle (sehr gutes Regelverhalten), drei Fahrmodi und mit dem „Ride Command“ ein hervorragendes Connectivity-Infotainment, welches sogar Wetterinfos über die aktuelle Navigation legen kann – ein Feature, das man sich schon lange wünschte. Damit, mit 22,7 Litern im Tank und natürlich mit den Koffern, die immerhin einigen Platz bieten, wird so eine Challenger bestimmt auch ein prima Reisemotorrad.

Power-Plus-Motor

Indian Challenger
Indian, Barry Hathaway
Der Big American V-Twin mal ganz ohne Nostalgie gedacht. Resultat sind gute Laufkultur und ein heftiger Leistungs-Output: kein schwungmassiger Schüttler, sondern Hot Rod ab Werk.

V2, 60 Grad Zylinderwinkel, je eine obenliegende Nockenwelle und vier Ventile, ­Hydrostößel und Schlepphebel, 2 x 52 Millimeter Saugrohreinspritzung, relativ kurzhubige 1.768 Kubikzentimeter: der Big American V-Twin mal ganz ohne Nostalgie gedacht. Resultat sind gute Laufkultur und ein heftiger Leistungs-Output: kein schwungmassiger Schüttler, sondern Hot Rod ab Werk.

Fazit

Als einzige Kritikpunkte führen wir eine Stereoanlage an, von der wir uns mehr erhofft hatten, sowie die Tatsache, dass die Abrisskante des elektrisch verstellbaren Windschilds (guter Schutz des Oberkörpers) störend im Sichtfeld liegt. Ansonsten haben wir viel „California Love“ für die neue Indian empfunden: der Big American V-Twin voll auf der Höhe der Zeit. Premium nicht nur in der Machart, sondern auch in Technik und Fahrverhalten. Stichwort Premium: Preise stehen noch nicht final fest, dürften sich aber je nach Ausstattung zwischen 30 und 35 Mille einfinden.

Die aktuelle Ausgabe
MOTORRAD 12 / 2023

Erscheinungsdatum 26.05.2023