Kawasaki Vulcan S im Fahrbericht
Unkomp­liziert und einsteigerfreundlich

Einsteigerfreundliche Cruiser sind derzeit nicht gerade ein wachsendes Marktsegment, haben bei Kawasaki aber durchaus Tradition. Mit der Kawasaki Vulcan S knüpfen die Grünen an längst vergangene Tage an. Bald in einer Fahrschule in Ihrer Nähe …

Unkomp­liziert und einsteigerfreundlich
Foto: Kawasaki

Mist, jetzt ist es schon in der Einleitung rausgerutscht, das ­böse F-Wort! Aber Spaß beiseite und ganz im Ernst: Die hämische Bezeichnung „Fahrschulmotorrad“ verweist im Kern ja auf sehr positive Charaktereigenschaften, nämlich stressfreies Handling, einfache Bedienbarkeit und einsteigerfreundliche Ergonomie für Fahrer und Fahrerinnen jedweder Statur. Diese Tugenden mögen am 200-PS-Ellbogenschleifer-Stammtisch bestenfalls Schulterzucken ernten, spielen aber draußen in der realen Welt für Fahranfänger, Kleingewachsene und all jene, die einfach nur gemütlich und entspannt Motorrad fahren wollen, eine wichtige Rolle bei der Wahl des passenden Untersatzes. Das weiß man auch bei Kawasaki, folgerichtig standen eben jene Eigenschaften ganz oben im Lastenheft bei der Konstruktion der neuen Kawasaki Vulcan S, die die Vulcan-Cruiserfamilie ab jetzt nach unten abrundet.

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Die zentrale Rolle spielt dabei eine geringe Sitzhöhe – sie misst hier sehr niedrige 705 Millimeter und sorgt zusammen mit ­einer schmalen Taille und der daraus resultierenden kurzen Schrittbogenlänge für unschlagbar sicheren Bodenkontakt auch des nervösesten Nano-Novizen. Die Fußrasten der Kawasaki Vulcan S liegen cruisertypisch weit vorne und lassen sich um jeweils 2,5 Zentimeter nach vorne oder hinten verschieben, wobei die mittlere Position für den mit 1,72 Meter eher kompakten Autor perfekt passte.

Gegen Aufpreis gibt's zwei „längere“ und „kürzere“ Sitzbänke

Gegen Aufpreis sind zudem je zwei „längere“ und „kürzere“ Sitzbänke und Lenker erhältlich. Diese platzieren den Fahrer weiter ­vorne bzw. hinten im Motorrad, sodass für jeden eine passende Sitzposition zusammengezimmert werden kann. Weil auch Brems- und Kupplungshebel der Kawasaki Vulcan S mit einem praxisgerechten Einstellbereich aufwarten, darf der selbst gestellte Anspruch der maximalverträglichen Ergonomie als erfüllt gelten.

Als Antrieb der Kawasaki Vulcan S dient der bewährte 649-Kubik-Parallel-Twin der ER-6- bzw. Versys-Modelle. Dieser wurde für die Mission im Kompakt-Cruiser den genre­üblichen Umbaumaßnahmen unterzogen, erhielt rund 30 Prozent mehr Schwung­masse sowie andere Nockenwellen und ein angepasstes Mapping für mehr Druck bei niedrigen und mittleren Drehzahlen. Problemlos tritt der Achtventiler auch bei kühlen Morgentemperaturen im spanischen Almeria seinen Dienst an, pröttelt aber eine ganze Weile mit auf 2000 Touren erhöhter Standgasdrehzahl aus dem Underfloor-Auspuff, bevor er sich auf etwa 1100 Touren einreguliert. Die Kupplung der Vulcan S ist leichtgängig und gut dosierbar, und mit ­einem sanften Klack rastet der erste Gang der sechsstufigen, leicht und sauber zu schaltenden Gangbox ein.

So neutral und leichtfüßig wie kaum ein anderer Low-Rider

Vom Start weg gefällt der Twin mit guter Gasannahme. Ganz untenrum gibt sich der Motor der Kawasaki Vulcan S noch etwas unwillig, läuft erst ab knapp 3000 Touren richtig rund. Zwischen 4500 und 8000 Umdrehungen legt sich der Kurzhuber dann kräftig ins Zeug und gefällt mit ordentlicher Leistungsabgabe (Spitzenleistung immerhin 62 PS, 14 mehr als bei der großen Schwester Vulcan 900), smoothem Lauf und schöner Drehfreude. Seine Herkunft aus der quirligen ER-6 kann der Motor jedenfalls nicht verleugnen, auch wenn er ganz oben bis zum Begrenzer bei luftigen 10.000 Umdrehungen nicht mehr ganz den Pep der 11 PS stärkeren Naked-Schwester bietet. Zwar reicht der Durchzug auch bei niedrigen Drehzahlen für lässiges Dahinrollen, aber der Antrieb fühlt sich einfach am wohlsten um und oberhalb der Drehzahlmitte, sodass man sich meistens eben dort aufhält.

Cruiser-Bumms ganz aus dem Keller sucht man bei der Kawasaki Vulcan S also vergebens, doch das war angesichts des Organspenders eigentlich schon vorher klar. Diese Art der perfekt linearen Leistungsabgabe ist jedoch erstens einsteigerfreundlich und entwickelt zweitens in einem Cruiser ihren ganz eigenen Linksaußen-Charme. Auch klar dürfte sein, dass der akustische Auftritt ähnlich wie bei der ER-6 sehr japanisch-dezent ohne jedes Bollern auskommt.

Schräg­lagenfreiheit ist adäquat

Ebenfalls cruiseruntypisch, aber im besten Sinne, geriet das Handling. So neutral und leichtfüßig wie die Kawasaki Vulcan S fährt kaum ein anderer Low-Rider. Mit fahrfertig 212 Kilo (Werksangabe) geriet der Vulkanier, bedenkt man die rund 20 Kilo Mehrgewicht gegenüber der ER-6, zwar nicht außer­gewöhnlich leicht, aber im Reigen der Einstiegscruiser sind alle anderen schwerer – und das teils deutlich. Zudem merkt man dem Fahrverhalten an, dass die Kilos gut zentralisiert und weit unten liegen. Ohne nennenswerte Anstrengung lenkt die Vulcan S ein, geht dann sehr neutral und recht stabil in und durch die Kurve. Die Schräg­lagenfreiheit ist adäquat, Einsteiger dürfen sich freuen, wenn sie nach einiger Eingewöhnung mit den fetten Auslegern erste Striche in den Asphalt schrappeln.

Routi­niers ziehen dann ein wenig die Latschen ein und legen noch ein bisschen weiter ab, so bald setzt da nichts auf. Das Fahrwerk ist recht simpel, es bietet bloß eine siebenfach verstellbare Federvorspannung hinten. Sportskanonen werden die Dämpfung ­vorne wie hinten als zu lasch kritisieren, aber die Federelemente sprechen gut an und bügeln Unebenheiten sauber, mit ein ­we­nig Nachschwingen aus. Auch durch ­Boden­wellen in Schräglage lässt sich die Kawasaki Vulcan S nicht über Gebühr aus der Ruhe bringen, daher verdient das Fahrverhalten das Prädikat „Easy Rider“.

Cockpit stammt ebenfalls aus der ER-6

Absolut narrensicher gibt sich die Bremse der Kawasaki Vulcan S. Die beiden Einzelscheiben (vorne 300 Millimeter, hinten 250) gefallen durch sanftes Zupacken, gute Dosierbarkeit und, wenn man ordentlich reinlangt, ziemlich gute Verzögerung. Besonders lobenswert ist die Funktion des Bosch-ABS, welches mit feinen Regelintervallen seinen Job sehr überzeugend erledigt.

Was war noch? Das Cockpit stammt ebenfalls aus der ER-6 und gefällt mit ­großem, gut ablesbarem analogen Drehzahlmesser und ansonsten allem an In­for­ma­tion, was man so braucht. Die Verarbeitungsqualität stimmt ebenfalls, besonders die schicken Edelstahlkrümmer machen Eindruck. Die Kühlerblenden und die elegante Lampenfassung sind zwar aus Kunststoff, wirken aber nicht billig. In Sachen Durchschnittsverbrauch sind, glaubt man dem Bordcomputer der Kawasaki Vulcan S, fünf Liter und darunter bei zügiger Fahrt drin. Das ergibt bei 14 Litern Tankinhalt eine ordentliche Reichweite. Als Sonderausstattung stehen neben den erwähnten Sitzbank- und Lenkervarianten unter anderem eine Ganganzeige, Zwölf-Volt-Steckdose, eine kleine und große Tourenscheibe sowie Satteltaschen zur Verfügung.

Im Herzen noch immer mehr Sportsgeist als Chopper-Bumms

Alles in allem präsentierte sich die ­Kawasaki Vulcan S als etwas eigenwilliger, aber sympathischer und sehr umgänglicher Cruiser. Der Antrieb trägt im Herzen noch immer mehr Sportsgeist als Chopper-Bumms, was an sich aber zum eher sport­lichen Charakter des Fahrwerks passt. Das S trägt der Vulkanier jedenfalls nicht ganz zu unrecht im Namen. Wer auf das, was man landläufig so als „good Vibrations“ bezeichnet, keinen Wert legt und einen unkomp­lizierten und einsteigerfreundlichen, nie­drigen Cruiser sucht, sollte eine Probefahrt machen.

Tatsächlich findet sich am Markt, vielleicht abgesehen von der Honda CTX 700, derzeit nichts Vergleichbares. Wenn es nicht unbedingt ein Cruiser sein muss, dürfte die größte Konkurrenz der Kawasaki Vulcan S allerdings mit dem leichteren, stärkeren und günstigeren Bestseller ER-6 aus dem Hause Kawasaki selbst kommen.

Technische Daten Kawasaki Vulcan S

Kawasaki
Alles in allem präsentierte sich die ­Kawasaki Vulcan S als etwas eigenwilliger, aber sympathischer und sehr umgänglicher Cruiser.

Die Vulcan S - eine gute Basis für Umbauten.

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Die Vulcan S - eine gute Basis für Umbauten.

Blickt man auf den Gebrauchtmarkt, wird man schnell realisieren, dass die Kawasaki Vulcan S eine gute Basis für diverse Umbauten darstellt. Doch auch serienmäßige Kawasakis findet man zu Hauf am Gebrauchtmarkt, sodass man der eigenen Fantasie freien Lauf lassen kann. Hier eine Preisübersicht: gebrauchte Kawasaki Vulcan S in Deutschland.

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Erscheinungsdatum 15.09.2023