Der Erfolg im Rennsport wird oft bemüht. Vor allem, wenn Ruhm und Glanz auf das zivile Leben abstrahlen können. Im japanischen Lager wie bei der Italien-Fraktion sind es ganz selbstverständlich die Siege auf Asphalt, welche die Geschäfte ankurbeln sollen. In Österreich und Bayern nutzte man lange Jahre die Paris-Dakar-Materialschlachten, um die Überlegenheit der eigenen Produkte zu zeigen. Warum aber Harley-Davidson die wohl konstanteste Seriensiegerin aller Zeiten, die Dirt-Track-Queen XR 750 (siehe Dirt-Track-Story Seite 52) bisher nicht wenigstens für Imagezwecke vermarktete, ist einigermaßen erstaunlich.
Dabei bringt ihr Sportschlager allerhand mit, was auch beim European way of driving von Nutzen sein könnte. Kompakte Abmessungen zum Beispiel, wenig Gewicht und einen opulenten Drehmomentverlauf alles Eigenschaften, die im schlüpfrigen Oval ebenso wichtig sind wie auf der Schwarzwaldhochstraße. Und Eigenschaften, welche die auf der Kölner Messe Intermot noch als Prototyp vorgestellte XR 1200 hoffentlich von ihrem Vorbild übernommen hat. Natürlich nicht eins zu eins, da geht es auch einer Harley-Sportreplika nicht besser als ihren Artgenossen. Aber doch in weiten Teilen.
Leistungsmäßig sogar in sehr weiten. Zwischen 90 und 100 PS mobilisiert die 750er, 85 bis 90 PS avisiert Harley-Davidson für die zivile Schwester. Die XR 1200 würde damit nicht nur den stärksten luftgekühlten Milwaukee-Twin aller Zeiten ausführen (der allerdings in ähnlicher Konfiguration in einer Buell XB12 schon lange Dienst schiebt), sondern läge auch ziemlich exakt in jenem Fenster, das unter Experten für die Landstraße als ideal erachtet wird. Zumal eine 1200-Kubik-Wuchtbrumme für diesen Output ja nicht in den höchsten Tönen jubeln muss, sondern satten Schub aus dem Drehzahlkeller liefert.
Allerdings dürfte »Wuchtbrumme« auch die andere, eher behäbige Seite der XR ziemlich exakt beschreiben. Jedenfalls wenn man internationale Maßstäbe anlegt. Mit den Fahrwerksdaten eines Kinderfahrrads oder wenigstens des Dirt-Track-Vorbilds darf angesichts der mächtigen Motor-Ausmaße nämlich ebenso niemand rechnen wie mit dem Gewicht eines Ovalrenners. In dieser Hinsicht dürfte die XR 1200 trotz aller Bemühungen (Dunlop-Qualifyer-Bereifung im speziellen 18-Zoll-Format, 43er-Showa-Upside-down-Gabel, Nissin-Doppelscheibenanlage mit Vierkolbenzangen) ganz Amerikanerin bleiben. Aber eben eine ziemlich sportliche.
Drift-Elite in Amerika - Oval-Verkehr
Wenn sich Amerikas Drift-Elite trifft, wird es heiß und schmutzig. Dann besorgen es sich die Cracks auf Ovalen aus purem Lehm. Und Harleys XR 750 gewinnt seit Jahrzehnten.
Springfield irgendwo in Illinois.
Prärie rechts, Prärie links, Lake Michigan im Norden, Ohio-River im Süden. Der mittlere Westen in seiner typischen Ausprägung beginnt hier. Amerikanischer kann eine Stadt nicht sein und amerikanischer auch nicht der Sport, der Springfield zur »Capital of Dirt Track« macht.
Dirt Track oder treffender Flat Track, denn das Fehlen von Hügeln bildet den Unterschied zum ebenfalls superpopulären Motocross kann man theoretisch auf jeder Kuhweide betreiben, wenn vorher jemand die Fladen beseitigt hat. Doch so weit gehen selbst die Cowboys aus Springfield nicht. Stattdessen wird »Black Gumbo«, der schwarze Lehm, aus dem nahen Sangamon-River gebaggert und zum Meilen-Oval gewalzt. Derart komprimiert wandelt sich der Schlick zum erstaunlich griffigen Belag. Der beste, wenn es nach den örtlichen Offiziellen geht. Und gerade gut genug für die »Springfield Mile«.
Bis 1954 wurde hier die US-Meisterschaft ausgefochten. In einem einzigen Rennen. Wer Springfield gewann, ergatterte den Grand-National-Titel inklusive der begehrten Nummer-1-Tafel. Doch
diese Zeiten sind vorbei. Ebenso wie die
folgende Epoche (1954 bis 1986), als man bei 18 Rennen quer durch alle Asphalt- und Offroad-Disziplinen nur einen Champion kürte. Wohl auch, weil dabei regelmäßig ein Dirt-Tracker vorne lag, denn
die Mehrheit der Läufe fand auf losem Untergrund statt. Heute schreibt die
American Motorcyclist Association (AMA) sechs Meisterschaften aus, wobei die Driftkünstler sogar in zwei Klassen fahren. Die Einzylinderklasse startet auf Short Tracks (400-Meter-Oval) und in der Tourist Trophy (Kurse mit Rechts- wie Linkskurven sowie einem Sprung), die Big Twins auf Halbmeilen- oder Meilen-Ovalen.
Womit man unweigerlich bei Harleys XR 750 landet. So unglaublich das auch klingen mag: Seit ihrem Erscheinen
1970 ist der auf dem Sportster-Triebwerk basierende XR-Twin das Maß der Dirt-Track-Dinge und markiert damit einen technologischen Stillstand, wie er im Motorsport seinesgleichen sucht. Nur einmal, nämlich 1972, wurde die XR 750 modellgepflegt und erhielt ein Motorgehäuse sowie Zylinder aus Alu-Legierung. Die Rahmen (ungefähr seit fünf Jahren sind Monoshock-Rahmen etabliert) sind hingegen schon seit ein paar Jahren einzig und allein Sache der Teams und dementsprechend weiterentwickelt.
Angesichts dieser Besonderheiten schwant auch dem Dirt-Track-Rookie, dass hier, auf den gewässerten und gewalzten Sand- oder Lehmböden andere Gesetze gelten als in der Motorsportwelt gemeinhin üblich. Nicht die schiere Kraft gibt den Ausschlag über Sieg und Niederlage, sondern trotz Spitzengeschwindigkeiten von über 200 km/h und wilder Drifts in den Kurven vor allem eins: die gut kontrollierbare Traktion. Mit sensibler Gashand und viel Schwung rauf auf die Gerade, sich kurz ganz klein machen, um dann mit viel Schwung in die lange, lange Links tauchen und dort wiederum mit der Gashand Schräglage und Driftwinkel zu bestimmen Rearwheelsteering ist das Geheimnis von Dirt Track und eines der Erfolgsrezepte, mit denen die wilden US-Boys Roberts, Lawson, Schwantz oder aktuell Weltmeister Nicky Hayden die Motorrad-Weltmeisterschaft aufmischten. King Kenny ist seinerzeit mit der eigenwilligsten Kreation gestartet, die das Dirt Track jemals gesehen hat: mit dem Vierzylinder-Zweitakter Yamaha TZ 700, dem Kenner die Kraftentfaltung einer Handgranate attestierten. Roberts gewann ein Rennen, nur um hinterher zu sagen: »Yamaha zahlt mir nicht genug, damit ich noch einmal fahre.«
So erstaunlich ist es daher nicht, dass sich die außeramerikanische Konkurrenz von Aprilia bis Suzuki durch Rückwärtstuning an den Platzhirsch heranmacht. Vom Reglement her sind 1000er-Großserienmotoren erlaubt, 750er-Rennmotoren und luftgekühlte 1250er mit Stoßstangen-Ventiltrieb. Schon seit Jahren ist zum Beispiel Suzuki dabei, Fuß zu fassen. Zunächst mit den TL-Triebwerken, aktuell mit denen der SV. »Wir werden immer konkurrenzfähiger«, so Suzuki-Teammanager Dave Burks. Und zwar, weil sie Leistung kappen, um Traktion zu finden. »Dieses Jahr haben wir noch einmal acht PS herausgenommen.« Damit liegen die Suzuki-Twins bei 86 PS, während die Werks-Harleys zwischen 90 und 100 PS drücken.
Bei den Rennen auf den Meilen-Ovalen wohlgemerkt, wie hier in Springfield (zweimal im Jahr) und einmal in Syracuse/New York. Bei den kürzeren Halbmeilenrennen kommt eine andere Kurbelwelle mit 315 Grad Hubzapfenversatz zum Einsatz, die für mehr Durchzug
und weniger Spitzenleistung sorgt. Diese
Version mit der einem Single nicht
unähnlichen Leistungscharakteristik wird »Twingle« genannt.
Warum der Durchzug beim Dirt Track eine größere Rolle spielt als pure Spitzenleistung, wird klar, wenn man sich die Chronologie eines »Heats« vor Augen führt. Nach dem Einkuppeln am Start steppen die Fahrer möglichst schnell in Fahrstufe zwei. Turn eins (also die erste der zwei Ovalkurven) wird im Dritten voll durchbeschleunigt, bevor auf der Gegengeraden der vierte Gang folgt. Der Vierte bleibt bis zum Rennende drin, die Drehzahl liegt zwischen 6000 und 9500/min. Der Schalthebel findet sich auf der
rechten Seite über dem Bremshebel fürs Hinterrad, vorne gibt es keine Bremse.
Und das ist angesichts der gebotenen Action gut so. In Springfield drifteten beim ersten Zweizylinder-Match der Saison eine zehnköpfige Spitzengruppe elektrisierend um die Wette, Rad an Rad und Arm an Arm. Es gab ein halbes Dutzend Stürze, zwei Rennunterbrechungen und etwa 25 Führungswechsel. Am Ende gewann der amtierende Champion Chris Carr natürlich auf XR 750.