Fahrbericht: Mavizen TTXGP E-Racer (mit Video)
Rekordversuch mit Elektro-Antrieb auf der Nordschleife

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Werden E-Bikes unsere geliebten Wuchtbrummen mit ihren emotional aufgeladenen Verbrennungsmotoren je verdrängen können? Spannung liegt in der Luft. Ein Selbstversuch auf der Nordschleife soll Klarheit bringen.

Rekordversuch mit Elektro-Antrieb auf der Nordschleife
Foto: jkuenstle.de

Fahrbericht: Mavizen TTXGP E-Racer

Das Brummeln und Knurren wird immer leiser. Bald ist jegliche Musik aus Verbrennungsmotoren verklungen. Motorräder, wie wir sie kennen und lieben, sind zu einer Runde Stillstand bei T 13 verdonnert worden. Gegen alle Gewohnheiten herrscht deshalb Hatzenbach hinunter diese seltsame Mischung aus Fahrtwind und Zzzsssiiii. Verglichen mit allem anderen, mit dem man sich sonst diesen Anfangsteil der Nordschleife hinunter stürzt, bedeutet das regelrechte Stille.

Und trotzdem geht es ganz schön vorwärts. Zzzsssiii - ein Dreh am Gasgriff, und die Mavizen TTXGP zieht wieder an. Schon mal in Hörweite eines elektrischen Gabelstaplers gestanden? Dann kennen Sie dieses Geräusch. Zzzsssiii - schon geht wieder ein Ruck durch die Chose.

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Diese Fahrt ist eine Kombination aus gespannten Nerven, einer gehörigen Portion Skepsis und dennoch großer Neugier. Ist das unsere Zukunft? Sich mit einem E-Bike einzulassen, bedeutet, im Kopf den Reset-Modus aufzurufen. Da mögen die ganze Elektronik, diese großen Batterien und die beiden mit Magnetbürsten bestückten E-Motoren in einem Chassis der KTM RC8 stecken, der erste Griff ins Leere signalisiert dir: Hier ist alles anders. Die Mavizen TTXGP hat kein Getriebe. Die gegenläufigen E-Motoren von Agni sitzen links und rechts am Motorrad und sind einfach mit einer Welle verbunden, auf der das Antriebsritzel sitzt. Ergo strecken sich die linken Finger vergeblich nach einem Kupplungs-, sucht der linke Fuß chancenlos nach dem Wiederstand des Schalthebels.

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Die Mavizen besitzt zwei dieser Agni-Elektromotoren, die auch wegen der Kühlung außen auf dem mit Karbon verkleideten Block sitzen, in dem sich die Steuerelek-tronik und die Batterien befinden.

Das Geschlängel bei Hatzenbach sorgt dann auch für den ersten Schweißausbruch, denn nachdem besagte Gliedmaßen beim automatisierten Versuch, vor der Kurve runter zu schalten, von diesem Teufelsding schon wieder jäh enttäuscht werden, wird schlagartig klar, was Mavizen-Boss Azhar Hussain meinte, als er letzte Tipps vor dem Start gab: "Es ist ein bisschen wie Zweitakter." Das Bremsmoment beim Schließen des Gashebels ist gleich null. Dazu fehlt das so gewohnte Motorgeräusch, das sonst die zulegende Verzögerung aus dem Maschinenraum mit steigenden Drehzahlen begleitet. Gott sei Dank findet die Rechte wenigstens wie gewohnt den Bremshebel und die bekannten Brembo beißen giftig in die Scheibe.

Flip, flop - der E-Racer huscht durch die Wechselkurve. Langsam Gas aufdrehen. Nichts! Einen Moment passiert kaum etwas, denn der Motor selbst muss nun erst die Drehzahl wieder aufnehmen, die über den gefahrenen Speed hinaus geht. Irgendwann folgt auf das Drehen ein merklicher Vortrieb. Ab diesem Moment stellt sich dann das Gefühl ein, von einer unsichtbaren Hand angeschoben zu werden - zzzsssiii. Da, wo ein Verbrennungsmotor neben dem Ton auch durch mechanische Arbeit und daraus resultierende Vibrationen auf sich aufmerksam macht, herrscht beim E-Motor in dieser Hinsicht ebenfalls nahezu Totenstille.

Ein anderes Gefühl

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Kopp auf der Rekordrunde. Für bessere Kühlung und damit stabilere Leistung fehlt die untere Verkleidung.

Schön, dass die Nordschleife lang genug ist und damit Gelegenheit bietet, sich an diese Art der Fortbewegung zu gewöhnen. In der Rechtskurve hinunter in die Fuchsröhre offenbart die Mavizen eine weitere Eigenheit: Einfach die Brause voll aufzureißen, um einen sofortigen Kraftschluss zum Herausbeschleunigen zu haben, ist ähnlich riskant wie bei einer hochdrehenden 1000er. Aber hier steckt das Risiko im gewaltigen Ruck, der das Bike plötzlich schüttelt und ihm im schlimmsten Fall den Grip unter den Sohlen wegzieht. Immerhin zerren augenblicklich zwei Mal 53 Nm am lediglich 170 Kilogramm schweren Gefährt. Ohne Getriebe und mit den bisherigen Steuergeräten bedeutet das gegenwärtig den größten Nachteil der Elektro-Bikes: Während man einen Verbrennungsmotor dank verschiedener Gänge und dem linearen Leistungsanstieg je nach Streckensituation immer im optimalen Drehzahlbereich halten kann, muss der E-Motor diesen Moment bei jedem Gaswegnehmen wieder neu finden. Das lässt sich zwar durch entsprechende Programmierung mal stärker, mal schwächer anpassen, aber die Qualität der herkömmlichen Antriebe hat das längst noch nicht.

Noch ein gravierender Unterschied: Das E-Bike mit dem 7,5-kW-Batterie-Pack wiegt gut 30 Kilogramm weniger als die KTM RC8 vollgetankt: Strom wiegt eben nichts. Noch leichter geht es mit dem Sprint-Package mit vier kW. Dafür kommt eine herkömmliche KTM nach PS-Messungen mit einem Tank etwa 283 Kilometer weit. "Die Mavizen mit 7,5 kW schafft auf der Rennstrecke mit vollen Akkus gut 40 Kilometer", berichtet Produktmanager David Townson. Das entspricht je nach Können des Fahrers knapp elf Runden in Oschersleben. Auf der Landstraße sollen es bei ganz zarter Fahrweise sogar bis zu 180 Kilometer sein.

Das ist nicht gerade der Brüller. Ebenso wie das Warten nach ein paar Runden. Um wieder vollständig geladen und einsatzfähig zu sein, brauchen die Lithium-Polymer-Batterien vier Stunden Ladezeit. "Wir arbeiten daran, dass die Batterien künftig einfach ausgetauscht werden können", erzählt Azhar und denkt dabei an eine Art schnellen Boxenstopp. "Außerdem werden sie sehr bald wesentlich länger halten und schneller laden."

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Das hintere Ritzel aus Vollaluminium muss fast ab dem ersten Zupfer am Gasgriff das volle Drehmoment. aushalten.

Das lange Bergaufstück packt die Mavizen erstaunlich souverän. Zzzsssiii zieht sie satt hinauf bis zur Hohen Acht und zeigt bis dahin, dass sie beim Handling, bis auf das Rucken aus dem Antriebsstrang, keinerlei Besonderheiten bereit hält - dafür sorgt das Chassis von KTM. Schließlich oben auf der Döttinger Höhe darf der einzige Production-E-Racer der Welt zeigen, was in Sachen Top-Speed in ihm steckt. Bei knapp 180 km/h ist Schluss. Mehr ist aus den knapp 82 PS nicht herauszuholen. Ein E-Bike kennt keinen Begrenzer. Die 96 V DC Agni-Motoren drehen einfach im Stil einer Bohrmaschine aus, was sich anfühlt wie ein viel zu lang übersetzter Motor, der ab einer bestimmten Drehzahl einfach nicht mehr drauf hat.

Azhar wirkt erleichtert, als sein Schätzchen wieder wohlbehalten um die Ecke ins Fahrerlager kommt. Gespannt wartet er auf das Urteil, das ihn mit "ganz anders" überhaupt nicht überrascht. "Ich bin mir bewusst, dass wir eingefleischten Motorradfahrern mit Rennbazillus so keine Alternative zu ihren gewohnten Racern bieten können", lacht er über den etwas ratlosen Tester-Blick. Sein Plan sieht ganz anders aus: Er will vom Motorradfahren völlig unbeleckte Technikfans und Funsport-Anhänger auf die Mavizen locken. "Elektro-Racing als eigenes Ding. Und in den Racern stecken komplexe Rechner. Je nach Batterien könnte jeder ein eigener Hotspot sein, von dem aus man im Netz surfen kann, der per Satellit auch ein exaktes Datarecording hat. Und per USB-Stick oder E-Mail kann jeder sein eigenes Programm mit anderen tauschen. Die TTX ist ein Freizeitgerät. Der öffentliche Verkehr spielt für uns eigentlich keine Rolle, auch wenn wir die Mavizen so ausliefern können, dass sie eine Zulassung erhält..." Azhar redet wie ein Buch, hat tausend Ideen, was sich mit dem Gerät alles anfangen ließe. Keine klingt unüberlegt oder völlig unrealistisch. Nur mit Motorradfahren, wie wir es lieben, haben sie nichts zu tun. Verdammt, sind wir denn tatsächlich Dinosaurier und morgen schon Fossile?

Fazit: Die Mavizen ist bezüglich der Motorcharakteristik keine Alternative zu bekannten Sportmotorrädern. Aber das E-Bike bietet sonst eine so ähnliche Dynamik, dass es mit einer gewissen Umgewöhnung gerade auf der Rennstrecke gewaltig Spaß machen dürfte.

Technische Daten

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Der rote Notausschalter am Heck ist Pflicht bei den TTX-Rennen.

Antrieb:
Zwei Agni-Magnetbürsten-Elektromotoren, 60 kW (82 PS) bei 4800/min, 106 Nm bei 4800/min, 7,5 kW Lithium-Polymer-Batterien (optional 4 kW oder 10 kW), modifizierter Kelly Controler, offenes Linux-Betriebssystem.

Fahrwerk:
Chrom-Molybdän-Gitterrohr-Rahmen, Lenkkopfwinkel: 66,7 Grad, Nachlauf: 90 mm, Radstand: 1430 mm, Ø Gabelinnenrohr: 43 mm, Federweg v./h.: 120/130 mm

Räder und Bremsen:
Leichtmetall-Gussräder, 3. 50 x 17"/6.00 x 17", Reifen vorn: 120/70 ZR 17, hinten: 190/55 ZR 17, 320-mm-Doppelscheibenbremse mit radial angeschlagenen Vierkolben-Festsätteln vorn, 220-mm-Einzelscheibenbremse mit Zweikolben-Festsattel hinten

Gewicht: 170 kg*,

Grundpreis: 31 576 Euro (zzgl. Nk)

Kontakt: www.mavizen.com

Video: Rekordversuch auf der Nordschleife

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Happy über die Zeit: Techniker Anthony Olway, David Townson und Azhar Hussain von Mavizen, Rekordfahrer Rainer Kopp und Diana Dréan von der Intermot.

Rainer Kopp kennt die Nordschleife in- und auswendig. Der Hesse fährt seit 1980 auf der Eifel-Strecke und zählt auch auf anderen Rennstrecken zu den Schnellen - unter anderem war er unzählige Male Deutscher Meister im Seriensport. Für das Münch-Team fuhr Kopp die ersten Läufe in der 2010 erstmals ausgetragenen FIM-ePower-WM und war somit prädestiniert, mit der Mavizen den ersten Rekord auf der Nordschleife für E-Bikes in Angriff zu nehmen. "Dass ich das mit einem Elektromotorrad mache, hätte ich 1980 nicht gedacht", schmunzelt Kopp, der sich nach einer Besichtigungstour auf seiner Ducati 998 von T13 ins Abenteur stürzt. Als er die letzte Rechtskurve vor dem alten Fahrerlager nimmt, bleibt die Uhr bei sagenhaften 9:22 Minuten stehen. "Das Fahrwerk ist auf flache Rennstecken abgestimmt und somit für die Nordschleife zu hart", fällt Kopps erste Einschätzung aus. "Besser abgestimmt, sind neun Minuten gut zu knacken."

Das Geheimnis der schnellen Runde: spätes Bremsen und Mitnehmen der Geschwindigkeit. "Die flüssigen Auf-und-Ab-Passagen nach Hohe Acht machen richtig Spaß", freut sich Kopp, den die Leistung der beiden Agni-Motoren auch überrascht hat. "Nach der Bergwerkskurve hinauf zum höchsten Punkt habe ich eigentlich mit einem Einbruch gerechnet, aber die Mavizen zog erstaunlich sauber durch. Lediglich ab dem Karussel bis ganz nach oben setzte die Strecke den luftgekühlten Motoren doch erheblich zu." Im Gegensatz zu anderen Konzepten attestiert Kopp der Mavizen ein erheblich höheres Drehmoment bei niedrigen Drehzahlen, was für die Nordschleife von Vorteil ist, aber "Ausgang Adenauer Forst habe ich als Ducatista natürlich den Druck aus dem Keller vermisst", lacht der Butzbacher. Gearbeitet werden muss vor allem an der Programmierung, "Das ist zu grobschlächtig", kritisiert Kopp, der das Leistungsniveau der Mavizen im Vergleich mit dem Verbrennungsmotor auf 400er-Niveau schätzt, "bestenfalls CB 500."

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PS 6 / 2023

Erscheinungsdatum 10.05.2023