BMW R 1200 GS Rallye und Honda Africa Twin im Vergleichstest

BMW R 1200 GS Rallye und Honda Africa Twin im Vergleichstest Reiseenduro-Duell

Mit der „Rallye“-GS unterstreicht BMW das „Enduro“ hinter der „Reise“. Honda tat dies mit der Africa Twin von vornherein. Aber wenn zwei das Gleiche tun, ist es noch lange nicht dasselbe. Lassen sich BMW R 1200 GS Rallye und Honda Africa Twin überhaupt vergleichen?

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Bestimmt haben Sie sich schon gefragt, warum die bei MOTORRAD es bislang tunlichst vermieden haben, die GS und die Africa Twin gegeneinander laufen zu lassen. Schließlich läge ein Vergleich dieser beiden Erfolgs-Reiseenduros nahe. Streng genommen aber verbietet sich dieser oder muss zumindest mit dem Warnhinweis „Äpfel und Birnen“ versehen werden. Denn formal, bei Betrachtung der Eckdaten, trennt diese beiden Abenteuerkrafträder einiges: fast 200 Kubik Hubraumdifferenz, 30 PS Leistung, Kette gegen Kardan, 21/18-Zoll gegen 19/17-Zoll-Radsätze. Mindestens eine halbe Klasse Unterschied. Und zuletzt, aber wichtig, stehen beide für zwei grundverschiedene Philosophien: Hondas CRF 1000 L pflegt Askese, predigt Ausstattungsabstinenz, während die GS sich über die Jahre zum „Alles drin, alles dran“-Technoflaggschiff hochgeboxert hat. Was sich selbstverständlich im Preis beider Maschinen widerspiegelt. Dazu später mehr.

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Jedoch: Kaufinteressenten stellen genau ebenjenen Vergleich an. Liegt ja schließlich nahe, weil beide Motorräder, zumindest auf dem Papier, das Gleiche bieten. Komfortables Reisen mit Weltenbummler-Flair, mit einer gewissen Schotter-, vor allem aber Schlecht-Weg-Kompetenz. Nehmen wir einmal den neuesten Spross der jüngst für Euro 4 überarbeiteten GS-Familie, die Rallye (Rallye mit e!), ­also zum Anlass, derlei Bedenken über Bord zu werfen und vergleichen Africa-­Äpfel mit Boxer-Birnen. Bietet diese Rallye, bei der es sich genau genommen nicht um ein eigenständiges Modell, sondern um ­eine „Style-Variante“ handelt, doch als aufpreispflichtiges Extra ein höheres, strafferes Sportfahrwerk, welches laut BMW „die Offroad-Performance für den ambitionierten Geländeeinsatz nochmals deutlich steigert“, den Boxer damit wieder näher an die Africa Twin rückt.

Neben dem Sportfahrwerk, welches als einziges Ausstattungsmerkmal der Rallye (mit e!) allein vorbehalten bleibt, verfügt unser Testmotorrad über eine lange Liste mit Extras. Serienmäßig sind selbstredend der 1170-Kubik-Wasserboxer, der auch nach Euro 4-Grünwaschung noch nominell 125 PS leistet und 125 Nm presst, ABS, Traktionskontrolle und die beiden Fahrmodi „Road“ und „Rain“. Sonderlackierung, Drahtspeichenräder, einteilige Sitzbank und ein gekappter Sportwindschild bringt die Rallye (e!) ab Werk mit. Was jetzt folgt (setzen Sie schon mal Kaffee auf), war verbaut und kostet extra:

  • Fahrmodi Pro (Dynamic/Pro und Enduro/Pro) im Dynamic-Paket mit dynamischer Traktionskontrolle (schräglagenabhängig) und ABS Pro (Kurven-ABS) sowie Berganfahrhilfe, dynamisches Bremslicht und LED-Scheinwerfer
  • Komfort-Paket mit Reifendruckkontrolle RDC, Handschutz und Heizgriffen
  •  Touring-Paket mit semiaktivem Fahrwerk Dynamic ESA „Next Generation“ mit automatischer Niveauregulierung (Vorspannung der hinteren Feder), „Keyless ­Ride“, Borcomputer Pro, Tempomat, Navi-Vorbereitung
  • Schaltassistent Pro mit Blipper, HP-Sportschalldämpfer, HP-Handhebel gefräst, Endurofußrasten höhenverstellbar
  •  und schließlich das Navi selbst

Demgegenüber steht eine Africa Twin mit serienmäßigem 270-Grad-Reihenzweizylinder, 998 Kubik, 95 PS und 98 Newtonmetern, manuellem Schaltgetriebe (statt des verfügbaren DCT), verfeinert mit Hauptständer, Dreifarben-Sonderlack und hohem Tourenwindschild. Arg viel mehr gibt es auch nicht, und damit zur Sache.

Die R 1200 GS war bekanntermaßen, und wurde mit dem neuesten Update noch mehr, eine ganz hervorragende Reiseenduro. Mächtig Schmalz genau da, wo es Schmalz braucht, nämlich in der unteren Mitte, mit diesem Pfund wuchert der dicke Bayernboxer, obendrein Dosierbarkeit nahe an der Perfektion und feine Laufkultur. Das Telelever vorne vermittelt erhabene Stabilität und bügelt stoisch, wenngleich die härteren Sportfedern in ihren längeren Federwegen (plus 20 auf 210/220 Millimeter) zwar noch mehr Schräglagenfreiheit bringen, aber ein wenig des sänftigen GS-Komforts fressen. Ein semiaktives Fahrwerk mit Namen ESA II gibt es schon seit 2009, die neueste Ausbaustufe mit automatischer Niveauregulierung (ersetzt die manuelle Wahl des Beladungszustands) funktioniert tadellos, deckt eine unerhörte Bandbreite ab. Von sportlich straff in „Dynamic“ bis „Enduro“-gemäß soft, und „Road“ für alles dazwischen. ABS und Traktionskontrolle sind an die Fahrmodi gekoppelt und vernetzt mit dem semiaktiven Fahrwerk. Alles bis ins kleinste Details durchdacht, ohne echte Schwächen, vielleicht einmal abgesehen vom nach der Überarbeitung besseren, aber immer noch nicht perfekten Getriebe und dem nur zufriedenstellenden Schaltautomaten. R 1200 GS Rallye: Besseres noch besser gemacht. Kalte teutonische Perfektion mit Haaren auf der Brust. Keine Überraschung, und trotzdem jedes Mal, auf jedem Meter eine Offenbarung.

Die CRF 1000 L sitzt am anderen Ende des Komplexitätsspektrums, ist im subjektiven Fahrerlebnis ein völlig anderes Motorrad. Aber als Reiseenduro nicht unbedingt schlechter. Fahrmodi und elektronisches Fahrwerk, Tempomat, Navi, Reifendruckkontrolle, Semi-dies und Pro-das gibt es nicht für Geld und gute Worte. Und trotzdem, nein, deshalb besticht auch die Africa Twin. Die Traktionskontrolle ist, wie das ABS, ein einfaches System, aber verlässlich und leicht abschaltbar. Die Vorspannung hinten lässt sich an einem Handrad justieren, die Dämpfung bei Bedarf (haben wir nicht gesehen) an Einstellschräubchen. Zum Gangwechsel muss man am linken Lenkerende einen Hebel ziehen (eine sogenannte Kupplung), und der Zündschlüssel findet Platz in einer praktischen Steckvorrichtung nahe am Lenkkopf.

Im Ernst: Im direkten Vergleich mit dem bajuwarischen Über-Technokrad schockiert die Africa Twin beinahe mit ihrer simplen, zenmäßig fokussierten Machart. Ihr Motor geht noch sanfter ans Gas als der Boxer, sodass die hemdsärmelige TC nur bei miesesten Bedingungen gefordert wird. Die Bremsanlage verzögert lange nicht mit der Vehemenz der GS, bringt das ABS dadurch weniger in Bedrängnis und reicht für sich genommen (und besonders für eine Reiseenduro) völlig aus.

Weich gefedert und adäquat gedämpft nutzt das gute, konventionelle Fahrwerk seine ewigen Arbeitswege (230/220 Millimeter) durchschaubar, schafft beinahe das Fahrgefühl eines fliegenden Teppichs, wenngleich die etwas knochige Sitzbank nicht mit dem Komfort des tollen Rallye-Pendants dienen kann. Viel entscheidender aber ist, wie ruhig, wie flüssig die Honda ihrem großen 21-Zöller hinterherrollt und wie gelassen dieser auch übelste Flickschuster- und Schlaglochpisten dritter und vierter Kategorie verzehrt. Alles an einer Africa Twin geschieht weich, fließend. Mit ihrem Telelever schwebt auch die BMW sehr gut, die Honda tut dies aber, auch weil sie mehr von dem kommuniziert, was vorn so passiert, angenehmer. Auf den Punkt gebracht: Eine GS macht sich die Straße untertan, die Africa Twin macht sie zum Verbündeten. Leider, das müssen wir auch an dieser Stelle monieren, krankt die Honda an ihrer Erstbereifung: Der Dunlop Trail Max knickt in gehöriger Schräglage unangenehm weg, das kostet Vertrauen. Und bei widrigen Bedingungen gibt es ebenfalls bessere Pneus. Wie den Metzeler Tourance Next, auf den wir die GS statt des serienmäßigen Karoo 3 der Vergleichbarkeit halber gestellt haben. Mit ihm fährt die GS altbekannt neu­tral und stabil, und für alle, die die es ­mögen, auf der Straße zwangsläufig wesentlich sportlicher als eine Africa Twin. Die ist zwar knapp 20 Kilo leichter und herrlich schlank, mehr Druck, mehr Grip, mehr Bremse und mehr Fahrwerk hat ­allerdings klar Bayern. Ob es diese Dinge aber an einer Reiseenduro zwingend braucht, soll jeder für sich entscheiden.

Selbstverständlich haben wir zu Testzwecken beide Maschinen auch in leichtem Gelände bewegt. Hier spielt die CRF 1000 L auf: Um Welten stabiler führt das große Vorderrad, knickt lange nicht so leicht ein wie der 19-Zöller der GS. Die längeren Federwege, besonders aber die weiche Abstimmung beruhigen enorm, zudem schlägt Kette hier Kardan. Die Africa Twin fühlt sich einfach mehr nach Enduro an. Was nicht heißen würde, dass eine Rallye hier nicht ebenfalls eine gute Figur machte, die Schotterqualitäten der GS sind ja hinreichend bekannt: Durchzugsstärke, tiefer Schwerpunkt, hervorragende Ba­lance. Vor allem aber greift (neben dem mit extremen Reserven versehenen Sportfahrwerk) das Elektronikpaket dem BMW-Treiber kräftig unter die Arme: Das ABS arbeitet im Enduromodus unverschämt exakt, die Traktionskontrolle lässt Wheelspin zu, aber nicht zu viel, das ESA öffnet die Dämpfung weit, die Federvorspannung geht hinten automatisch nach oben. All das addiert sich zusammen mit der sehr guten Offroad-Ergonomie (höherer, breiterer Lenker) zu einem wirklich fähigen Paket. Aber die einfache Tatsache bleibt die: Die GS ist mehr auf Asphalt zu Hause, ihre Masse kann nicht nur unerfahrene Geländesportler einschüchtern. Und noch etwas macht Angst: ihr Kaufpreis. Zur Basis von 15 740 Euro zuzüglich Nebenkosten addieren sich an ­unserem Testmotorrad die eingangs aufgelisteten Goodies (ESA ist unbedingt empfehlenswert, vieles vom Rest Geschmackssache) im Wert von fast 7000 Euro zu ­einem Gesamtwert von, ganz tief durchatmen, 22506 Euro. Die leicht aufspezifizierte CRF 1000 L kostet rund 9000 Euro weniger, was mal eben einer in diesem Heft getesteten Kawasaki Z 900 entspricht.

MOTORRAD-Fazit

Nach klassischem Test-Maßstab ist die Rallye-GS klar überlegen, bietet von allem mehr: Power, Fahrwerk, Elektronik, Ausstattung. Aber auch mehr Gewicht und mehr Finanznöte. Ob es das offroadlastige Sportfahrwerk für das Gros der Fahrer braucht, sei dahingestellt. Die GS ist auch 2017 wieder DAS Allzwecktool. Die Africa Twin ist weniger auf Punktewertung hin konstruiert, und man muss Honda dafür danken. Weniger Power, weniger Gewicht und weniger, was kaputtgehen kann. Dafür viel ausgewogene Harmonie und mehr Offroad.

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