BMW R 32 und BMW R 1200 GS

BMW R 32 und BMW R 1200 GS BMW-Boxer einst und jetzt

Die BMW R 32 und BMW R 1200 GS markieren den Anfangs- und den vorläufigen Endpunkt von 90 Jahren Motorradbau bei BMW. Wie fühlen sie sich an, wie groß sind die Unterschiede? MOTORRAD-Redakteure bewegten sich fahrend von Ort zu Ort und zwischen den Zeiten.

BMW-Boxer einst und jetzt Gargolov
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Geschwindigkeit war das Ideal in den 1920er-Jahren, Tempo. Mehr von allem in kürzerer Zeit, in allen Lebensbereichen. Auf Reisen, in der Musik, beim Tanzen, in der Reaktion auf rasch hin und her schlagende politische und wirtschaftliche Verhältnisse. Die BMW R 32, das erste Motorrad dieses Markennamens, entstand in dieser Zeit, zwei Jahre nach der Fertigstellung der Berliner Avus, als Ausdruck dieses beschleunigten Lebensgefühls und parallel zu einer ganz anderen Erscheinung: der Inflation.

Gangwechsel werden zur Geduldsübung

Als der Boxer im September 1923 auf den Markt kam, war ein US-Dollar 53 Millionen Mark wert, auf dem Höhepunkt der Hyperinflation, am 15. November, 4,2 Billionen Mark. Auch eine rasante Entwicklung. Die ersten BMW R 32 werden wohl in Devisen bezahlt worden sein, wenn vor der Währungsreform am 16. November überhaupt welche ausgeliefert wurden. Danach kosteten sie 2200 Rentenmark, später Reichsmark.

Obgleich sie aus einer turbulenten Zeit stammt – sie wurde im Januar 1925 nach Ravensburg ausgeliefert –, strahlt die von MOTORRAD gefahrene BMW R 32 heute alles andere als Hektik aus. Eher schon die Gelassenheit und Gediegenheit eines großen Wurfs. Der Boxer mit längsliegender Kurbelwelle war gut gekühlt und hatte bereits Druckumlaufschmierung und einen Motor-/Getriebeblock, als viele andere noch mit Verlustschmierung und offen laufenden Primärtrieben operierten. Die logische Fortsetzung der Drehbewegung des Motors durch die Einscheibenkupplung, das längs eingebaute Getriebe und die Kardanwelle, die nur eine Umlenkung zum Hinterrad benötigt – von Anfang an war alles da, was die BMW-Boxer die nächsten 89 Jahre lang bestimmten sollte.

Die ersten Arbeitstakte nach dem Anspringen schlägt der betagte Motor zum Mitzählen langsam, das Einstellen der Gashebelstellung, das Nachregulieren des Lufthebels und des Zündzeitpunkts wollen mit Bedacht getan sein. Gangwechsel werden zur Geduldsübung. Wer es gewohnt ist, sich mit kurzen Bewegungen durchs Getriebe zu schnipsen, vollzieht die ersten Schaltzeremonien auf der R 32 viel zu hektisch.

Mit Doppelkuppeln rauf, mit Zwischengas runter

Idealerweise wird mit Doppelkuppeln hinauf- und mit Zwischengas heruntergeschaltet. Das geht so: Gas- und Lufthebel schließen, Kupplung ziehen, den Ganghebel rechts am Tank in den Zwischenleerlauf schieben, einkuppeln und damit die Eingangswelle abbremsen, Kupplung wieder ziehen, den nächsthöheren Gang einlegen, wieder einkuppeln, Gas- und Lufthebel aufziehen und nach Gehör aufeinander einstellen. Beim Zurückschalten muss die Eingangswelle im Zwischenleerlauf mit einem Gasstoß auf Touren gebracht werden. Wie, das liest sich umständlich? Es ist als reale Aktion noch viel umständlicher und wird je nach Situation und Gefühl gerne durch einfaches Einschieben der Gänge abgekürzt. In glücklichen Momenten geht das ohne Kratzen der geradeverzahnten Getrieberäder ab.

BMW R 1200 GS bremst wie ein landender Kampfjet am Fanghaken

Wenige Stunden zuvor hatte die BMW R 1200 GS auf der Fahrt nach München ihre hohe Reiseenduro-Silhouette Lügen gestraft und war mit bis zu 240 Sachen auf dem Tacho über die Autobahn gebrettert. Und weil solche Sprints nur von kurzer Dauer sind, hatte sie zwischendurch verzögert wie ein landender Kampfjet am Fanghaken.

Die BMW R 32 bremst dagegen kaum merklich. Statt auf schiere Bremsleistung setzt sie auf die Vorsicht und Vorausschau des Fahrers, der diese Pflichten aber erst verinner­lichte, nachdem er sich im zweiten Gang in ein 15-prozentiges Gefälle gestürzt hatte. Das ging vor einer heimwärts zuckelnden Kuhherde gerade noch mal gut. Dabei besitzt die 1925er-R-32 schon eine Halbnaben-Vorderradbremse. Die ersten Modelle wurden nur über den Bremsring verzögert, der in die Speichen des Hinterrads geklemmt war und in dessen Nut zwei Hartgummiklötze drückten. Der eine per Innenzug-Handhebel vorn, der andere per Absatz-Bremspedal betätigt. Das war auch 1925 noch da, funktioniert bis heute, doch selbst ein kräftiger Tritt entlarvt eigentlich nur einen leichten Höhenschlag des Bremsrings. Spätere BMW-Modelle wurden über eine Scheibe auf der Kardanwelle wirkungsvoller abgebremst.

Ein weiteres Faszinosum, sowohl bei der neuen BMW R 1200 GS als auch beider BMW R 32, ist die Gemischaufbereitung und Motorsteuerung. Leichtsinnigerweise sprechen wir bei der R 1200 GS immer noch davon, mit einem Dreh des Schlüssels die Zündung einzuschalten. Als ob es nur die wäre! In Wahrheit wird ein ganzes Kontrollzentrum aktiviert, das Luftdruck, Luft- und Motortemperatur misst, die Stellung der Nockenwellen erkennt, die Benzinpumpe startet, die Einspritzung und die Zündspulen in Bereitschaft versetzt, die Funktion der gesamten Elektronik einschließlich ABS, ASR und ESA überprüft und den E-Starter nur dann arbeiten lässt, wenn der Seitenständer eingeklappt und der Leerlauf eingelegt oder wenigstens die Kupplung gezogen ist. Der Motor springt immer sofort an. Passend zu den jeweiligen Bedingungen sorgt das Kontrollzentrum für den richtigen Zündzeitpunkt, die richtige Einspritzmenge. Das Tagfahrlicht flammt automatisch auf, das Abblendlicht ebenfalls, aber erst wenn’s dunkel wird.

BMW R 32 mit Rücklicht nur gegen Aufpreis

Die BMW R 32 bekam nur gegen Aufpreis überhaupt ein Rücklicht und überlässt alles ihrem Fahrer. Selbst Benzin- und Luftzufuhr, die bei späteren Vergasern über Leerlaufdüse, Nadeldüse, Düsennadel und Hauptdüse synchron reguliert werden, müssen hier jede für sich ein- und ständig nachgestellt werden. Der Zündzeitpunkt, der zwischen optimaler Leistung und Kolben zerstörendem Klingeln nur einen schmalen Grat kennt, liegt buchstäblich in der Hand des Fahrers. In Fahrt auf der alten Dame ist man ganz Ohr. Klingelt der Motor? Spotzt er, weil er zu fett läuft? Wird das Singen der Kegelräder im Hinterachsantrieb nicht doch lauter? Ganz schön fordernd, selbst das Steuer- und Diagnosegerät spielen zu müssen.

8,5 PS, 120 Kilogramm, über 80 km/h

8,5 PS leistet der Seitenventil-Boxer, das hört sich nach wenig an. Trotzdem bringt er das 120 Kilogramm leichte Motorrad locker auf über 80 km/h. Dafür kann man das spurstabile Fahrwerk mit seinen dicken Rahmenrohren gut gebrauchen. Nur bei Bodenwellen heißt es aufpassen. Hinten federt nichts außer dem Reifen und der Elastizität des Felgen-/Speichenverbunds, vorn federt eine gezogene Kurzschwinge, die sich per Gestänge auf ein Blattfederpaket stützt. Wenn sie durchschlägt, ist Alarm in der Lenkung; wer herzhafte Schräglagen fah­ren will, braucht Kurven mit Genießer­asphalt (den es damals kaum gab). Da kann die BMW R 32 sicher und schwungvoll ihre Linien ziehen. Trotzdem war ihr Fahrwerk nicht ohne Grund noch für die fast dreimal so starke 750er-R-63 von 1928 gut.

Das Fahrwerk der BMW R 1200 GS wäre in den 1920er-Jahren wahrscheinlich im gesamten rennsportlichen Programm von der Geländefahrt über Straßenrennen bis hin zum Geschwindigkeitsrekord ein Garant für Siege gewesen. Hier und heute wirkt sich das so aus, dass die GS beim Kurvenschwingen – wen wundert’s – deutlich agiler ist als ihre nur halb so schwere Urahnin und all die Bodenwellen souverän wegbügelt, die diese in Wallung bringen. Trotzdem haben sich die drei von MOTORRAD – Werkstattchef Gerry Wagner, Fotograf Gargolov und der Autor – nur schweren Herzens von der BMW R 32 verabschiedet. Denn sie ermöglicht historisches Quellenstudium auf eine sehr dynamische Art. Eben so, wie es für ihre Zeit auch typisch war.

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BMW R 32 in "Das Motorrad"

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Am Tag nach dem Fahren mit der BMW R 32 trafen sich MOTORRAD-Redakteurin Berit Horenburg und der Autor im ADAC-Archiv in der Hansastraße in München. Dort sind mehr und frühere Ausgaben von „Das Motorrad“ archiviert als im heimischen Archiv, und es galt, in Sachen „110 Jahre MOTORRAD“ Material zu sammeln. So fand sich in der Ausgabe 6/1926 ein vierseitiger Artikel über die BMW R 32, die darin freilich nie so genannt wurde.

"Das 500-ccm-BMW-Rad"

Eigentlich war die Typenbezeichnung der R 32 seit Oktober 1923 bekannt, als die Maschine auf der Pariser Automobilausstellung präsentiert wurde. Doch für die Kollegen von damals blieb sie schlicht „das BMW-Rad“ oder, wie in der Überschrift genannt, „Das 500-ccm-BMW-Rad“. Das war Anfang 1926 keine präzise Bezeichnung mehr, weil BMW schon im Jahr zuvor die BMW R 37 auf den Markt gebracht hatte und seit Ende 1925 auch noch parallel zur BMW R 32 die auf der Aufmacherseite dargestellte R 42 anbot. Sie ist an der geänderten Verrippung von Zylindern und Zylinderköpfen erkennbar und ihr Motor ist die Weiterentwicklung des in der Abbildung unten links gezeigten Boxers.

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Kein Test, aber eine ausführliche Beschreibung der BMW R 32 stand in "Das Motorrad", Ausgabe 6/1926.

Alle drei hatten 494 cm³ Hubraum, doch im Gegensatz zu den beiden Seitenventilern besaß die R 37 einen ohv-Motor mit 16 PS. 2900 Reichsmark kostete dieser frühe Production Racer, 700 Mark mehr als die R 32, und er wurde auch nur 152-mal gebaut. Zur besseren Unterscheidung nannte der anonyme Autor von „Das Motorrad“ die R 37 „das Sportmodell“. Der betont neutral gehaltene Artikel spendet nur im Zusammenhang mit dem Kardanantrieb des BMW-Erstlings verhaltenes Lob: „Durch diese Art des Antriebes, dessen Lebensdauer bei normaler Benutzung des Rades eine fast unbegrenzte ist, fallen alle die lästigen Ketten- und Riemenschwierigkeiten fort, denen die Krafträder in so hohem Maße ausgesetzt sind.“

Tests oder Prüfungen, wie sie in den 30er-Jahren genannt wurden, waren damals nicht üblich in „Das Motorrad“. Deshalb gibt es auch keine Hinweise darauf, wie die BMW R 32 nach damaligen Maßstäben funktionierte. Stattdessen bekommt der Leser ausführliche, illustrierte Beschreibungen der einzelnen Baugruppen und ihrer Funktionsweise geboten. Vor allem das Funktionsschema des Dreiganggetriebes wird genau erklärt.

Artikel aus "Das Motorrad" zum Runterladen

Wer die R 32 und ihre Bremsen kennengelernt hat, wird vor allem über den Satz schmunzeln, der auf der (links abgebildeten) Aufmacherseite oben in der rechten Textspalte steht: „Beide Räder haben kräftige Bremsen.“

Tatsächlich sind die Bremsen so, dass der Fahrer von heute die Entstehung des Lehrsatzes von damals versteht, der da lautet: „Fahre immer im gleichen Gang den Berg hinab wie herauf.“ Bei einer 15-prozentigen Steigung ist das mit dem „Tourenmodell“, der Seitenventil-R-32, der erste Gang, und der wäre auch für die Abfahrt passend gewesen. Wie in den aktuellen Fahreindrücken beschrieben, kam es dann aber anders…

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