Ducati Multistrada 1200 S im Fahrbericht
Fette Ausstattung, feine Manieren?

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Die neue Ducati Multistrada 1200 S will im Segment der Lang-Gabel-Sportler durchstarten. Fette Ausstattung, feine Manieren und ein mittels variabler Steuerzeiten kultivierterer Motor sollen es richten. Müssen die Mitbewerber zittern?

Fette Ausstattung, feine Manieren?
Foto: Ducati

Als Ducati anno 2003 das Geschäftsfeld der Sporttouren-Motorräder mit langen Federwegen, breiten Lenkern und potenten Motoren für sich entdeckte, war dieses ein Horror-Kabinett. Und von LGS-Fahrzeugen, den Lang-Gabel-Sportlern, konnte noch keine Rede sein. Eine ultrahässliche BMW GS dominierte das Segment, eine nicht minder unansehnliche Suzuki DL 1000 trieb sich dort herum, und Yamaha langweilte mit der TDM 900. Alle einte eine maximale Leistung von knapp über oder unter 100 PS. Grund genug für die Italiener, die extrem extrovertierte Ducati Multistrada 1000 DS mit dem luftgekühlten  Desmo-Twin zu kreieren. Mit mehr als mäßigem Erfolg – die Multi wollte einfach keiner haben.

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2010 dann der Befreiungsschlag: Die Neuauflage der Ducati Multistrada 1200 kam mit sagenhaften 150 PS, geschmeidiger Optik und allerlei Hightech aus dem Superbike in die Läden. Von da an lief es. Obwohl sie immer noch ihre Ecken und Kanten hatte, war das Segment der LGS geboren. Heuer, 2015, wird die zweite Evo-Stufe des italienischen Multi-Tools gezündet. Mit variabler Ventilsteuerung, modernster Bordelektronik, elektronischem Fahrwerk sowie geliftetem Äußeren soll es den erstarkten Mitbewerbern wie der BMW GS und der KTM Adventure an den Kragen gehen.

Ducati Multistrada 1200 S 3 Kg schwerer als Basis

Genug doziert, rauf auf die bereitstehende Ducati Multistrada 1200 S – dem im Übrigen ersten S-Modell der Ducati-Historie, das schwerer ist als das Standardmodell. Satte drei Kilogramm Mehrgewicht attestiert das Datenblatt der mit semiaktivem Fahrwerk ausgestatteten S gegenüber der konventionell gefederten und gedämpften 1200er-Multi. Egal, die merkt man nicht. Was hingegen auffällt, ist die konsequent saubere, edel anmutende Verarbeitung des Brenners. Schraubverbindungen und Kabel sind verdeckt, Stecker oder Halter bleiben unsichtbar. Außerdem gönnte man der Duc mehr lackierte Oberflächen, was edel wirkt.

Let’s start the engine! Motor an – und ab! Das die Euro 4-Norm erfüllende Triebwerk bollert angenehm, aber nicht so kräftig los, wie sein Vorgänger. Und irgendwie fühlt es sich an, als würde es runder und geschmeidiger laufen. Nun gut, wir werden sehen, was das DVT (Ducati Variable Timing) im echten Leben so drauf hat. Gang rein und Hahn auf. Die Ducati Multistrada 1200 S geht tatsächlich weicher und kultivierter zur Sache, zerrt unten herum nicht mehr wie ein wilder Kettenhund. Sie schiebt schon kräftig und wohl erzogen los, ganz der Gentleman, nicht der Jahrmarkt-Schreier. Überschreitet der Twin allerdings die Schwelle der 5000 Touren, wird er ganz der Alte. Bärenstark zieht er los, zerrt an Armen und Antriebskette gleichermaßen, scheint das Gummi von der Karkasse des Hinterreifens reißen zu wollen. Ja, das ist ein echter LGS!

Sitzkomfort, Windschutz, neutrales Lenkverhalten

Diesen Schub in aufrechter Haltung sollten die Fans von Supersportlern nicht unterschätzen. Nie! Die angegebenen 160 Pferde sind glaubhaft, ihre Effizienz im Erlegen von Gegnern wird hoch sein. Doch auch wer nicht ständig auf der letzten Rille unterwegs ist, wird dem DVT-Twin der Ducati Multistrada 1200 S erliegen. Auch wenn sein Ansprechverhalten nicht immer sportlich transparent ist, der V-Motor zeigt sich umgänglicher als sein Vorgänger.

Doch der Motor ist nur die eine Seite des Multi-Tools. Die andere ist das neue Chassis und die Elektronik. Letztere stammt von Bosch und basiert auf einer Sensorbox, der Bosch IMU (Inertial Measurement Unit), die Massenkräfte erfasst. Aufgrund dieser Daten werden Federungssystem, ABS, Traktionskontrolle, Wheeliekontrolle und sogar das LED-Kurvenlicht gesteuert. Eine zentrale Neuerung ist das semiaktive Sachs-Fahrwerk an der Ducati Multistrada 1200 S, das eben über jene Box in Abhängigkeit von Schräglage, Beschleunigung und anderen Parametern gesteuert wird.

Der erste Eindruck des Fahrwerks kann überzeugen. Ob es mit den semiaktiven Fahrwerken von Ducati 1299 Panigale S, BMW S 1000 RR oder der Mitbewerberin KTM 1290 Super Adventure mithält, kann nur ein direkter Vergleich klären. Jedenfalls wird beim kurzen Proberitt deutlich, dass die Federung die Nickbewegung vorn beim Bremsen und das Einknicken hinten beim Beschleunigen wirksam reduziert. Die Ducati Multistrada 1200 S liegt stabil, bietet dank semiaktiver Funktion zudem Komfort und Reserven. Und da zusätzlich Sitzkomfort, Windschutz, neutrales Lenkverhalten, Rückmeldung und gehobene Ausstattung überzeugen, haben die Mitbewerber allen Grund, nervös zu werden. Oder gar zu zittern?

Technische Daten

Die aktuelle Ausgabe
PS 6 / 2023

Erscheinungsdatum 10.05.2023