Same procedure as every year: Dieser spezielle Termin hat mittlerweile eine gewisse Tradition. In schöner Regelmäßigkeit organisiert der Ducati-Chef exklusiv für MOTORRAD eine kleine Tour mit dem jeweils neuesten Modell, um dessen Technik und Charakter zu vermitteln, aber auch um im Gegenzug Meinungen und Kommentare von erfahrenen Fachleuten einzuholen. Dieses Mal war die neue Ducati Multistrada 1200 S an der Reihe.
Der Ablauf hat sich bewährt: Auf dem Parkplatz vor dem Werksgelände in Bologna tuckern bereits die Motoren, dann schnappt sich Claudio Domenicali die neue Ducati Multistrada 1200 S, die MOTORRADler dürfen ihn auf dem alten begleiten. Ein paar Kreisverkehre, ein paar Ortsdurchfahrten, und schon ist man auf feinsten Bergsträßchen, die mit feuchtnassem Überzug allerdings höchste Ansprüche an Maschinen und Personal stellen.
Das Chassis wurde von Grund auf neu konzipiert
Und schnell bekommt man eine Ahnung davon, in welchen Punkten es bei der alten Ducati Multistrada 1200 S noch Spielraum für Verbesserungen gab. Der Testastretta-V2 schnalzt zwar schon bei niedrigsten Drehzahlen mit brutalem Schub voran, von filigraner Akkuratesse kann hingegen nicht gerade gesprochen werden. Das ist nicht der Degen, das ist eher das Kampfschwert.
Genau hier setzt der neue Motor der Ducati Multistrada 1200 S mit seinen variablen Steuerzeiten an. „DVT soll nicht Spitzenleistung bringen, sondern eine gesteigerte Laufkultur und einfachere Fahrbarkeit“, erläutert Boss Domenicali bei einem Cappuccino während eines kurzen Zwischenstopps in einem kleinen Restaurant oben in den Bergen. Vielleicht liegt es ja an dieser besseren Laufkultur, dass er aus fies-glibberigen Spitzkehren so tapfer heraussticht, dass man alle Hände voll zu tun hat, ihm halbwegs auf den Fersen zu bleiben.
Zehn PS mehr Spitzenleistung und 11 Nm mehr Drehmoment
Geht es um Vollgas, um Beschleunigung bei höheren Geschwindigkeiten, sind zwischen Alt und Neu nur unwesentliche Unterschiede auszumachen. Der neue Motor scheint ganz unten etwas sanfter und linearer mit leicht angezogenem Zügel loszugaloppieren, liefert aber offensichtlich in der Mitte ein wenig mehr Drehmoment ans Hinterrad. Das deuten parallele Zwischensprints an. Allerdings hat die neue Maschine mit dem leichtgewichtigen Firmenchef auch einen kleinen Vorteil. Zehn PS mehr Spitzenleistung und 11 Nm mehr Drehmoment vermeldet Ducati für das neue Modell. „Und keine Sorge, die Ducati Multistrada 1200 S wird nicht weichgespült, sie bleibt eine Ducati, sportlich, dynamisch, emotional – nur eben leichter beherrschbar“, erklärt der Ducati-Frontmann mit sichtlichem Stolz.
Der Motor ist jedoch nur ein Baustein einer kompletten Neukonstruktion. Das Chassis wurde von Grund auf neu konzipiert. Im direkten Vergleich erscheint die neue Ducati Multistrada 1200 S aufgeräumter, Kabelstränge, Schraubverbindungen und Anbauteile sind eleganter integriert. Auch die Elektronik wurde komplett umgekrempelt. Statt bisher Mikuni und Mitsubishi liefert nun Bosch das gesamte Motormanagement, dazu gehört auch die darin integrierte Steuerung des DVT sowie ein aktuelles Kurven-ABS. Ein großer Fortschritt ist ebenso in der Bedienung dank neuer Armaturen und Menüführung zu erkennen, dazu gibt es ein hell strahlendes, vielfarbiges TFT-Display. Eine deutliche Aufwertung also für den Protagonisten, der sich für das kommende Duell gegen die Emporkömmlinge in diesem Segment aus Bayern und Österreich bestens präpariert hat.
Interview Claudio Domenicali

Die Ducati Multistrada 1200 S hat eigentlich ein ziemlich modernes und in ihrem Segment einzigartiges Konzept. Daher überraschte uns der Modellwechsel. War der bereits nötig?
Ducati hat langfristig festgelegte Modellzyklen, der jetzige Schritt war bereits von langer Hand geplant. Je nach Modell steht alle sechs bis acht Jahre ein größeres Update in Bezug auf Technik und/oder Design an. Das ist nun bei der Multistrada der Fall. Es wurden nur einige Schrauben und Kleinteile übernommen, ansonsten ist alles neu. Der Ducati Multistrada 1200 S kommt im Ducati-Programm eine Schlüsselrolle zu, denn sie verkörpert die Ducati-Philosophie in Bezug auf Touring. Und nun ist sie das erste Modell mit DVT-Motor. In vielerlei Hinsicht der beste Motor, den Ducati jemals gebaut hat.
Worum geht es bei der variablen Ventilsteuerung in erster Linie?
Eigentlich geht es immer um Performance. Damit sind jedoch nicht nur Leistung und Drehmoment gemeint, sondern auch Fahrbarkeit und Sicherheit. Leistung war sicher schon vorher im Überfluss vorhanden, doch in der Beherrschbarkeit wollten wir uns verbessern, darauf wurde der größte Fokus in der Entwicklung gelegt.
Wird es DVT auch in anderen Ducati-Modellen geben?
Sicher schon bald. Aber es wird nicht in der gesamten Modellpalette eingeführt, das geht schon aus Kostengründen nicht. DVT ist eine teure Technik, sie ist daher den Topmodellen vorbehalten. Die Vorteile in der Fahrbarkeit und im Verbrauch werden wir auch in anderen Segmenten nutzen. Aber sicher nicht in der Panigale. Wir haben einen enormen Aufwand getrieben, um am neuen Modell ein paar Kilogramm abzuspecken. Das zusätzliche Gewicht wäre dort ein zu großes Handicap.
Wie hoch ist denn das Mehrgewicht?
Knapp über fünf Kilogramm, denn dazu gehören die vier Hydraulikeinheiten an den Nockenwellen, dazu die Pumpe samt Steuerung, Schläuche, Kabel und Kleinteile. Das summiert sich, leichter kann diese Technologie kaum gemacht werden.
Ist die variable Ventilsteuerung DVT eine eigene Entwicklung, oder hat der Mutterkonzern Audi hier eine Rolle gespielt?
Wir haben die Entwicklung des DVT bereits 2011 begonnen, da war Audi noch gar kein Thema. Aber sicher war es für
Audi interessant, zu sehen, dass wir technologisch in eine ähnliche Richtung wie sie dachten, vor allem auch in Bezug auf Verbrauch und Umweltfreundlichkeit.
Im Augenblick steht die Ducati Multistrada 1200 S als touristisches Konzept ziemlich isoliert im Ducati-Modellprogramm. Sind weitere Modelle um die 1200er denkbar?
Wir sehen zurzeit keine Notwendigkeit für weitere Ableger, das Gesamtpaket ist einzigartig. Die Ducati Multistrada 1200 S ist ein 4-in-1-Bike für erfahrene Piloten, daher hat sie zu Recht eine Sonderstellung im Ducati-Programm. Wir haben ja außerdem noch die Hyperstrada, die allerdings einen anderen Ansatz hat.