Die große Multistrada 1200 ist ein bissiger, rauer Reißer. Nun kommt die kleinere Ducati Multistrada 950 mit dem Twin aus der Hypermotard. Deutlich schwächer motorisiert, schlichter ausgestattet – dafür mit 13.000 Euro erheblich günstiger.
Die große Multistrada 1200 ist ein bissiger, rauer Reißer. Nun kommt die kleinere Ducati Multistrada 950 mit dem Twin aus der Hypermotard. Deutlich schwächer motorisiert, schlichter ausgestattet – dafür mit 13.000 Euro erheblich günstiger.
Es sind immer wiederkehrende Fragen: Macht mehr Leistung wirklich glücklicher? Und bringt viel Power zwangsläufig viel Spaß? Braucht man überhaupt auf der Landstraße gewaltige 160 oder gar 200 PS? Die Antworten fallen individuell unterschiedlich aus. Sicher ist, dass unter dem Gesichtspunkt Vernunft natürlich viel weniger Power reicht. Abgesehen davon fordert mehr Leistung auch mehr vom Fahrer. Also üben sich heute viele Fahrer, darunter selbst Hardcore-Heizer, in freiwilliger Selbstbeschränkung.
Manchmal ist es eben ganz hilfreich, mal einen Schritt zurück zu tun. Und das macht Ducati nun bei der Multistrada. Doch keine Bange, für die ganz wilden Jungs bauen sie weiter die starke 1200er, auch als Enduro-Variante. Biker mit eher rationalem Ansatz müssen sich nun aber nicht weiter bei BMW, Triumph oder Japanern umsehen, für sie gibt es nun die Ducati Multistrada 950. Im Prinzip eine Mischung aus Bestandteilen aus dem Ducati-Baukasten.
Den Motor kennen wir aus der Hypermotard, dort hatte uns der wassergekühlte Desmo-Twin mit seiner linearen Leistungsentwicklung und guten Umgangsformen überzeugt. Plastik und Chassis wurden in weiten Teilen von der großen Multi übernommen. Eine Reihe von Parts stammt von der Enduro-Variante, etwa die Zweiarmschwinge und der schmale Endschalldämpfer, der Koffern (!) viel Platz lässt. Bei näherer Betrachtung erkennt man außerdem die Enduro-Bereifung mit vorn 19 und hinten 17 Zoll großen Rädern, auf die hier ebenfalls Pirelli Scorpion Trail II aufgezogen sind. Weitere Unterschiede finden sich eher im Verborgenen, die Bordelektronik der Ducati Multistrada 950 verzichtet beispielsweise auf die komplexe Bosch-Schräglagensensorik, somit auf das „Kurven-ABS“ und eine schräglagenabhängig gesteuerte Traktionskontrolle.
Allerdings ist immer noch jede Menge moderner Elektronik an Bord. Nach wie vor stehen dem Multistrada-Konzept entsprechend die vier Fahrmodi Sport, Touring, Urban und Enduro zur Verfügung, welche die Motorleistung, das Ansprechverhalten, die Traktionskontrolle und das ABS verändern. Eine Sparversion ist die Ducati Multistrada 950 mit voll einstellbarer Federung und fetten Brembo-Radialbremsen ohnehin nicht. Kriegsentscheidend ist aber zunächst mal die Antriebseinheit. Denn im Vergleich zum 1200er fehlen dem kleinen L-Twin in der 950er immerhin fast 50 PS. Kann man da überhaupt noch von einer richtigen Sportmaschine sprechen?
Durchaus. Denn nach wie vor ballert in der Ducati Multistrada 950 ein Desmo-L-Twin in typisch italienischer Manier, begeistert mit seinem oben heraus voluminösen Sound, dreht mit ordentlich Feuer Richtung Begrenzer bei 10.000/min. Ein V2-Triebwerk, das man jederzeit spürt und fühlt, kein weichgespültes, abgewürgtes Drosselteil. Anders als der 1200er mit seinen heftigen Wellenbergen und -tälern liefert der 950er im mittleren Bereich ein ganz ebenes Drehmomentplateau ab. Da ist auch in der Mitte schon viel Druck da, doch geht die Post erst oben heraus richtig ab. Wunderbar direkt hängt der 950er außerdem am Gas, ganz berechen- und genau dosierbar. Das ist nicht zu vergleichen mit dem synthetischen Gefühl am Gasgriff der DVT-1200er. Eigentlich bräuchte solch ein feiner Antrieb gar keine Fahrprogramme, zumal die Unterschiede im Ansprechverhalten zwischen Sport und Touring nicht sonderlich groß sind. Ob man die Leistung im Offroad- oder Urban-Modus wirklich so weit – nämlich auf rund 75 PS – kappen muss, sei mal dahingestellt. Denn 115 PS sind als Maximalleistung ja nicht gerade unbeherrschbar viel, vor allem, wenn sie so sauber kontrollierbar sind wie in diesem Fall.
Den urgewaltigen Schub der 1200er, der das Vorderrad bis in den Dritten steigen lässt, kann die Ducati Multistrada 950 natürlich nicht bieten. Zumal das Fahrzeuggewicht nicht parallel zum Hubraum gesenkt werden konnte. Rund sieben Kilogramm weniger sollen es sein, mit etwa 230 Kilogramm ist die 950er nicht gerade ein Leichtgewicht.
Trotzdem fühlt sich das im Handling völlig anders an, da würde man eher auf mindestens 20 Kilo weniger tippen. Und das liegt zu großen Teilen an der Rad-Reifen-Kombi, die passt zur kleinen Ducati Multistrada 950 wie die Faust aufs Auge. Ganz im Gegensatz übrigens zur großen Enduro, die mit langen Federwegen, hohem Schwerpunkt und unrhythmischer Fahrwerksabstimmung Harmonie vermissen lässt. Die kleine Multistrada huscht locker-flockig um Kurven und Kehren. Da passt alles perfekt, die neutrale Lenkung, die sauber abrollenden Pirellis mit ihrem klaren Feedback und die fein ansprechende, ziemlich soft abgestimmte Federung.
Sicher, der beinharte Kurvenfräser hätte wohl einiges zu beanstanden. Etwa viel Bewegung im Chassis wegen der weichen Federelemente. Die auch dafür sorgen, dass die Ducati Multistrada 950 bei strammem Kurvenspeed tiefer in den Seilen hängt und daher in puncto Schräglagenfreiheit limitiert ist, vor allem rechtsrum wegen des aufsetzenden Seitenständers. Die etwas schlichtere Brembo-Bremsanlage mit 320er-Scheiben und konventioneller Handpumpe beißt ganz gut zu, bietet aber nicht die Transparenz der 1200er-Bremse mit Radialpumpe. Und der Leerweg am Hebel stört mitunter auch ein wenig.
Jammern auf hohem Niveau. Denn trotz weichen Fahrwerks und beschränkter Motorleistung: Die kleine Ducati Multistrada 950 ist ein richtiges Funbike geworden. Weil sie nicht extrem, nicht kapriziös, sondern völlig easy zu kontrollieren ist. Also eine Maschine, mit der mehr Leute mehr Spaß haben können. Ist die Multistrada damit gezähmt? Auf jeden Fall. Und zahnlos? Sicher nicht.